Den Berliner Weg gehen

niemanden zurücklassen

Ich saß gerade beim Elternabend und diskutierte über den angemessenen Umfang von Hausaufgaben für Fünftklässler, als mich die Nachricht von Uli Schneiders Parteiaustritt auf dem Handy erreichte. 

Ich kann euch sagen, mein Abend war danach gelaufen, der Elternabend auch irgendwie.

Wehmütig dachte ich daran, wie froh ich damals als Vorsitzende gewesen war, dass ein so kompetenter Kämpfer für soziale Gerechtigkeit bei uns Mitglied wurde. Zusammen haben wir immer wieder für die Überwindung von Hartz IV, für Sanktionsfreiheit, für die Kindergrundsicherung und für Umverteilung gekämpft. 

An dem Abend dieses Parteiaustritts ging ich ziemlich entmutigt schlafen.

Umso ermutigender ist, dass du, lieber Uli, trotz alledem heute auf dem Parteitag der Berliner Linken zu uns gesprochen hast.

Das ist für mich ein Ansporn dafür, dass wir Berliner LINKEN uns nicht beirren lassen.

Ein Ansporn dafür, den Berliner Weg gehen – und zwar gemeinsam.

Den Berliner Weg gehen - das bedeutet z.B. dass soziale Proteste undRegierungsbeteiligung kein Gegensatz sind.

Denn so selbstverständlich wie wir beim Heißen Herbst mitmischen, so selbstverständlich holen wir in der Landesregierung für soziale Gerechtigkeit und Freiheit so viel wie möglich raus.

Berliner Entlastungspaket – dem Sozialen verpflichtet

Und was wir beim Berliner Entlastungspaket herausgeholt haben, das kann sich blicken lassen. 

Man muss erst mal ein Bundeland finden, das sich auf so viele Maßnahmen verständigt und so viel Geld in die Hand nimmt, um die die Energiekrise sozial abzufedern, wie Berlin. 

Ein Schwerpunkt des Berliner Pakets lautet soziale Träger, Zuwendungsempfangende und Entgeld-finanzierte Einrichtungen mit den explodierenden Energiekosten nicht allein zu lassen und sie mit Landesmitteln zu unterstützen. 

Allein diese Verabredungen beweisen, wir sind dem Sozialen verpflichtet und stehen für eine Stadt, die niemanden zurücklässt.

Zum Berliner Paket gehört auch der Härtefallfonds sowie das Kündigungsmoratorium für landeseigene Wohnungen.

Die Woche fragte mich jemand, was den mit den privaten Wohnungsunternehmen sei. Nun, die sollten sich ebenfalls zum Kündigungsmoratorium zu bekennen. 

Und wenn sie das nicht tun, so liefern Deutsche Wohnen und Co. ein weiteres Argument für ihre Vergesellschaftung.

Doch zurück zum Entlastungspaket: 

Rot-Grün-Rot in Berlin ist bereit, über eine Milliarde Euro zusätzlich in die Hand zu nehmen, um zu entlasten, um freie Träger, Vereine und Kulturbetriebe zu unterstützen. 

Es war mir eine Freude, beim Schnüren dieses Pakets mitzuwirken.

Gaspreisdeckel

Also wir in Berlin tun einfach, was auf Landesebene irgendwie machbar ist. Ich sage aber auch, es gibt zwei Bereiche, da ist nun mal der Bund gefragt, da kann sich die Ampel nicht wegducken. 

Erstens: Die effektivsten Mittel gegen all die Verunsicherung und diedrohende Energiearmut wären Markteingriffe wie der Gaspreisdeckel. Aber bisher hat die Bundesregierung darauf verzichtet, dieses Instrument zu nutzen.

Das liegt ganz offensichtlich daran, dass die FDP in der Bundesregierung aus rein ideologischen Gründen diese notwendigen Markteingriffe blockiert.

Diese neoliberale Ideologie kommt uns alle teuer zu stehen: soziale Träger, Private und auch die vielen Unternehmen.

Wenn es nach uns ginge, würden wir sofort für ganz Berlin einen Gaspreisdeckel festlegen. 

Doch dies ist – ähnlich wie beim Mietendeckel – nun mal die Gesetzeskompetenz des Bundes. 

Zu ärgerlich, dass der Bund diesbezüglich wegen der FDP in der Bundesregierung nicht handlungsfähig ist.

Übergewinnsteuer

Zweitens: Auf Landesebene können wir nur sehr bedingt die Einnahmeseite verbessern. Der Bund könnte hingegen selbstverständlich eine Übergewinnsteuer einführen oder Millionenerbschaften höher besteuern.

Berlin hat ja eine entsprechende Bundesratsinitiative für die Übergewinnsteuer eingebracht. Leider scheiterte die vor allem an Bundesländer mit CDU und FDP in der Regierung. 

Erneut verhindert die Ideologie der FDP finanzielle Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand.

Wir bräuchten diese Einnahmen jedoch dringend – z.B. für armutsfeste Hartz-IV-Sätze. Diese müssten nämlich um 250 Euro erhöht werden,um vor Armut zu schützen. 

Netzwerk der Wärme

Die Preisexplosion verstärkt Armut und Armut führt oft zur Vereinsamung. Insofern besteht gerade jetzt eine besondere Aufgabe darin, Orte der Begegnung zu stärken. Und genau hier kommt das Netzwerk der Wärme ins Spiel.

Eine Sorge von bestehenden sozialen Begegnungsstätten ist, dass es jetzt angesichts der nächsten Krise wieder heißt: Nett, dass es euch gibt, aber leider seid ihr nicht systemrelevant. 

Nicht so Berlin. Berlin hat sich auf meine Initiative hin darauf verständigt das Gegenteil davon zu tun und soziale Orte gerade jetzt zu unterstützen und in einem gemeinsamen Netzwerk zu stärken.

Im Sommer während der größten Hitze habe ich angefangen, bei verschiedenen Akteuren der Stadtgesellschaft vom Sozialen über Kultur bis hin zum Handwerk vorzufühlen, ob wir gemeinsam was für den Winter der Energiearmut auf die Beine stellen können. Die Rückmeldungen waren durchweg ermutigend.

Diese Woche fand ein Gipfel der Wärme mit 120 Teilnehmenden, z.B. Stadtteilzentren und bezirklichen Begegnungsstätten statt.

Im Oktober wird im Roten Rathaus von verschiedenen Multiplikator:innen Berlins die gemeinsame Charta der Wärme unterschrieben. Diese Charta lädt ein, sich am Netzwerk zu beteiligen. 

(Nazis dürfen sich allerdings ausgeladen fühlen.)

Die Netzwerkpunkte werden verbunden durch eine gemeinsame Charta, ein gemeinsames Logo, veröffentlicht und beworben in einer gemeinsamen digitalen Stadtkarte.

Das Netzwerk ist ein Mittel gegen die Vereinsamung, es bietet ganz unterschiedliche Möglichkeiten andere zu treffen, sich bei einer Tasse Tee auszutauschen und es kann Zugang zu Beratungen bieten. 

In Berlin ist der Ton ja manchmal etwas rau. Aber eins habe ich schon gelernt: Wenn es hart auf hart kommt, hakt man sich unter und hilft einander.

So verschiedenen diese Orte sein werden, so wird sie eine Überzeugung verbinden: 

Gemeinsam kommen wir besser durch den Winter.

Solch ein Projekt ordnungsgemäß aufzusetzen würde normaler Weise nach üblichen Verwaltungswegen Jahre dauern, bis alle Vermerke abgezeichnet, alle Vorlagen durch Mitzeichnungsprozesse durch sind. 

Doch die aktuelle Situation lässt uns keine Zeit. Also kombinieren wir mal wieder solides, generalstabsmäßiges Vorbereiten zusammen mit – um Alex Fischer zu zitieren – der Methode Rock’n Roll. 

Dieses Netzwerk ist nämlich nicht einfach nur ein Projekt des Senats, sondern es wird eine Ko-Produktion von Land, Bezirken und Zivilgesellschaft. 

Und einzelne zivilgesellschaftliche Akteure haben schon losgelegt.

Solidarische Gesellschaften sind krisenfester

Eine weitere Motivation mit Leidenschaft am Netzwerk der Wärme zu arbeiten, lieferte mir diese Woche der DIW-Ökonom Marcel Fratzscher. 

Bei einer Veranstaltung des Sozialverbands berichtete er diese Woche von einer alten Kontroverse zwischen den Anhänger:innen von Charles Darwin und den Anhänger:innen  von Pjotr Kropotkin um die Frage, welche Gesellschaft besser durch Krisen und Katastrophen komme. 

Eine Gesellschaft, in der individualistischer Egoismus und Ellenbogen dominieren?  Das war die Annahme von Darwins-Seite.

Oder eine Gesellschaft, in der Gemeinsinn und Solidarität dominieren? Das war die Annahme vom Team Kropotkin. 

100 Jahre und viele Studien später wissen wir – so Fratzscher - sicher: „Gesellschaften, die solidarisch sind, kommen besser durch Krisen als unsolidarische.“

Botschaft an Putin

Wie sehr es stimmt, dass solidarische Gesellschaften besser durch Krisen kommen, konnten wir zu Beginn der Fluchtbewegung aus Ukraine erleben. 

Nur wenige Tage nach Putins Angriffskrieg stand Berlin im Zentrum der größten Fluchtbewegung seit dem 2. Weltkrieg.

Ja unsere Stadt war und ist für viele Ukraine-Geflüchtete das Tor zu Westeuropa.

Die großartige Solidarität Berlins mit Ukraine-Geflüchteten, der Einsatz der Freiwilligen wie der Beschäftigten in der Verwaltung und in Krisenstäben - all das war nicht nur ein Ausdruck praktizierter Solidarität. Das war auch eine klare Botschaft an den russischen Machthaber.

Berlin geht nicht in die Knie, wenn jeden Tag tausende Geflüchtete ankommen. 

Wir stehen zusammen gegen Putins Krieg und helfen den Geflüchteten. Unsere Demokratie beweist hier ihre Stärke und Resilienz.

Und das, liebe Genossinnen und Genossen, haben wir an entscheidenden Stellen mit ermöglicht. Darauf können wir auch durchaus stolz sein.

Das Krisenhafte darf nicht das Wichtige verdrängen

Als wir vor rund neun Monaten als neues Team in der Sozialverwaltung anfingen, prägte Wenke Christoph folgenden Leitspruch: 

„Das Drängende und Krisenhafte darf das Wichtige und Grundlegende nicht beständig verdrängen.“

In diesen Zeiten überlagern sich nun die Krisen. Insofern ist jede Arbeitswoche auch ein Ringen darum, dass das Drängende nicht das Wichtige verdrängt.

Nichtsdestotrotz erkämpfen wir uns immer wieder Freiräume, um über unser Agieren gemeinsam zu reflektieren und um an Kernprojekten wie dem Masterplan gegen Wohnungslosigkeit oder dem Gesetz zur Partizipation in der Migrationsgesellschaft zu arbeiten.

Wir freuen uns, wenn man uns nachsagt, dass wir Krisen meistern. Aber wir wollen mehr. Wir wollen mit Kernprojekten grundlegende Verbesserungen bewirken und die Kräfteverhältnisse nachhaltig verändern.

Ein solches Projekt ist die Ausbildungsplatzumlage.

Nichtstun ist dem Staat verwehrt – Ausbildungsplatzumlage

Nur 17% der Berliner Unternehmen bieten überhaupt Ausbildungsplätze an, das ist deutlich weniger als im Bundesdurchschnitt. Es gibt immer noch weniger angebotene Plätze als Ausbildungsplatzsuchende.

„Nichtstun ist dem Staat verwehrt, wenn es an Ausbildungsplätzen mangelt.“ Diesen Satz las ich neulich im Expertenbericht zum Thema Ausbildung aus Bremen. 

„Nichtstun ist dem Staat verwehrt …“ Ein weiteres Argument für die Einführung einer Ausbildungsplatzumlage.

Wie gut, dass unsere engagierten Fachpolitiker:innen einen Antrag für die Ausbildungsplatzumlage auf diesen Parteitag eingebracht haben.

Und ich freue mich schon auf den Tag, an dem wir, liebe Genossinnen und Genossen, gemeinsam in Berlin die Ausbildungsplatzumlage einführen.

Liebeserklärung an die Berliner Linke

Seit reichlich neun Monaten bin ich nun Mitglied der Berliner Linken und ich genieße es. Ja, es ist wie es ist: ich mache unheimlich gerne mit euch hier in Berlin linke Politik.

Natürlich wird auch bei uns mal scharf diskutiert, wird mal gestritten, reagieren wir mal genervt aufeinander. Aber mir geht selbst dann das Herz auf, wenn in der Berliner Fraktion gestritten wird. 

Wisst ihr warum?

In 9 Jahren Bundesvorsitz habe ich einige Landesverbände und Fraktionen erlebt, und ich kann euch sagen: 

Die Berliner Linke zeichnet eins aus: Selbst in den Momenten ihrer größten Kontroversen geht es um inhaltliche und strategische Debatten.

Bei der Berliner Linken muss niemand die Einheit der Partei beschwören. Denn: 

Bei allem Ärger übereinander wird hier eins nie vergessen: der Respekt voreinander & der Respekt vor dem gemeinsamen Projekt. 

Das ist etwas, worauf wir verdammt stolz sein können. Und dassollten wir uns nicht nehmen lassen. Von niemanden.

Lasst uns daran anknüpfen und hier in dieser Stadt gemeinsam den Berliner Weg gehen.

Mit Berliner Weg meine ich, beim Heißen Herbst mitmischen und zugleich in der Landesregierung so viel an sozialem Fortschritt zu erringen, wie möglich.

Berliner Weg, das heißt für uns beherzt und souverän die gesellschaftlichen Krisen zu meistern und zugleich auf grundlegenden Veränderungen hinzuarbeiten.

Und damit habe nur einige Facetten des Berliner Wegs angerissen, Lena & Klaus werden weitere Facetten beleuchten. 

Liebe Genossinnen und Genossen,

lasst uns in diesen stürmischen Zeiten ein Zeichen setzen.

Für die Menschen in dieser Stadt. 

Aber auch dafür, dass es eine Linke gibt, die nicht nur zusammensteht, sondern auch etwas zusammen schafft.

Ich bin mir sicher: Wir können das. Wir machen das – gemeinsam. 

Für eine Stadt, die niemanden zurücklässt.