Obus, E-Bus, HO-Bus

Einschätzung der aktuellen Diskussionen

Das Obus-Konzept 2012

Im März 2012 brachte die IG Nahverkehr das Konzept „Obus für Berlin“ heraus. Grundgedanken waren:

- Dieselbuslinien auf elektrischen Antrieb umzustellen, um die Umwelt zu schonen.

- Der Oberleitungsbus als technisch ausgereiftes, wirtschaftlich und verkehrlich bewährtes, robustes und fahrgastfreundliches System bietet dafür gute Voraussetzungen.

- Nutzen für die Fahrgäste und die Umwelt sollte schnell eintreten.

- Neue Speicher- und Ladetechnologien mit ihren Kinderkrankheiten müssen nicht erst langwierig erprobt werden.

- Berlin als Dreimillionenstadt verträgt durchaus mehrere Verkehrssysteme, abgestuft nach ihrer Kapazität, Geschwindigkeit und Reichweite.

- Die Fahrzeuge sollten Akkus als Hilfsantrieb erhalten.

Der Obus war von vornherein nicht anstelle der Straßenbahn und auch nicht als Vorlauf zur Straßenbahn gedacht, sondern als eigenständiges Verkehrssystem in Ergänzung zum notwendigen Straßenbahnausbau in den nach der Straßenbahn „zweitstärksten“ Oberflächen-Verkehrsströmen.

Der Vorschlag für ein Anfangsnetz enthielt den Betriebshof Britz Gradestraße als Betriebsmittelpunkt und Strecken in der Ausdehnung vom Theodor-Heuß-Platz, Südkreuz, Ostbahnhof bis zur Gropiusstadt. Leitgedanken dafür waren, dass das Verkehrsaufkommen im Anfangsnetz groß genug für ein gutes Nutzen-Kosten-Verhältnis angesichts hoher Anfangsinvestitionen sein muss, dass es sich um ein zusammenhängendes betrieblich gut zu bewirtschaftendes Netz handelt und dass mit Akzeptanz seitens der Anwohner gerechnet werden kann.

 

Allgemeine Ablehnung des Obusses

Unser Obus-Konzept fand in der Stadtgesellschaft keine Unterstützung. IGEB, BUND und SPD äußerten Ablehnung.

Als Gründe wurden und werden die Gefährdung des Straßenbahn-Ausbaus genannt und dass man „kein weiteres Verkehrssystem“ wolle (obwohl auch der E-Bus ein weiteres Verkehrssystem mit zusätzlicher Lade-Infrastruktur ist, das jedoch akzeptiert wird). Gelegentlich wird das emotionale, fachlich unhaltbare „Argument“ der angeblichen „Verschandelung des Straßenraums“ angebracht, obwohl bekanntermaßen Oberleitungen so ähnlich wie Gleise ein weit sichtbares Erkennungszeichen für den Fahrgast darstellen und Anziehungswirkung ausüben.

 

E-Bus – Umweg, Irrweg, Sackgasse ?

Erprobte, ausgereifte und bewährte Technologien können noch so nützlich sein – die Bundesregierung fördert sie finanziell nicht. Stattdessen wird die Automobilindustrie für Experimente mit „Innovationen“ – egal wie langwierig und teuer sie sind – gefördert.

Das mag ein wesentlicher Grund für das Experiment der BVG mit der berührungslosen induktiven Energieübertragung an den Endstellen der Buslinie 204 (Zoo und Südkreuz) gewesen sein. Nach den nicht zufriedenstellenden Ergebnissen scheinen Senatsverwaltung und BVG nun auch einzusehen, dass E-Busse mit alleinigem Speicherantrieb noch nicht störungsfrei funktionieren, noch nicht wirtschaftlich zu betreiben sind und dass alltagstaugliche E-Busse mit gleicher Fahrgastkapazität wie Dieselbusse oder Obusse nicht in Sicht sind.

Dabei werden die bekannten ökologischen Nachteile ausgeblendet: Akkus, Kondensatoren, Brennstoffzellen und die Steuerelektronik benötigen Bauteile aus Seltenen Erden. Deren Vorrat ist begrenzt, das Gewinnen und Aufbereiten teuer und umweltschädlich.

Eine sinnvolle Alternative zu Dieselbussen sind zum Beispiel die elektrischen Kleinbusse in der Wiener Innenstadt: kurzer Laufweg, kleiner leichter Akku, Pantografen-Aufladung an den Endstellen. In Berlin besteht aber der Bedarf an größeren Bussen und längeren Laufwegen.

 

HO-Bus ja, aber anders

Zweikraftbusse, die sowohl elektrisch unter Oberleitung als auch mit Dieselmotor fahren können, wurden bisher auch als Hybridbusse bezeichnet; sie sind seit vielen Jahren in Esslingen und jetzt auch in Solingen im Einsatz. Nunmehr bezeichnet die BVG elektrische Zweisystembusse, die den Strom sowohl aus der Oberleitung als auch aus einem Energiespeicher beziehen können, verwirrend auch als Hybrid-Oberleitungsbusse (HO-Busse).

Dass Überlegungen angestellt werden, die bewährte Energieversorgung über die Oberleitung zu nutzen, findet prinzipiell unsere Unterstützung.

Wir sind aber nicht einverstanden mit dem bei der BVG angedachten Anfangsnetz in Spandau mit Ausdehnung bis zum Zoo und ins Märkische Viertel. Denn dessen Strecken haben überwiegend ein so hohes Verkehrsaufkommen, das nur mit der Straßenbahn sinnvoll bewältigt werden kann, und sind deshalb für das Straßenbahn-Zielnetz des Bündnisses Pro Straßenbahn vorgesehen. Das geplante Spandauer Netz stellt eine Straßenbahn-Verhinderungsmaßnahme dar. An anderen Stellen Berlins und auch in Spandau werden sich geeignete Obus-Strecken finden lassen, aber nur als Ergänzung zu einem Grundnetz der Straßenbahn.

Zweitens ist fragwürdig, warum der Anteil Oberleitungsstrecken nur ein Drittel bis die Hälfte des HO-Liniennetzes betragen soll. Der Sinn des Akkus besteht darin, dass der Obus in bestimmten Situationen auch über kurze Strecken ohne Oberleitung vorankommt: bei plötzlichen Hindernissen im Fahrweg, bei Bauarbeiten, Störungen, Umleitungen, zum Rangieren an Endhaltestellen und im Betriebshof oder auch ständig an Stellen, in denen eine Oberleitung das Stadtbild empfindlich stören oder erhebliche bauliche Probleme bereiten würde. Der Akku als Hilfsantrieb kann kleiner bemessen werden als beim Vollantrieb, ist dadurch leichter und kostengünstiger, vermindert die mögliche Nutzlast und die mögliche Sitzplatzkapazität nur wenig und ist umweltschonender.

 

Die aktuellen Aufgaben

Um die Auswirkungen der begonnenen Klima- und Umweltkatastrophe abzumildern, müssen so bald wie möglich alle Dieselbusse durch Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb ersetzt werden. Das Straßenbahn-Zielnetz mit einem Umsetzungszeitraum bis etwa 2050 deckt nur die stärksten Verkehrsströme ab. Busse mit Vollantrieb über Akkumulatoren oder andere Energiespeicher gewährleisten auf längere Sicht keinen störungsfreien und wirtschaftlichen Betrieb. Dagegen ist das bewährte System Obus mit Akku als Hilfsantrieb einsatzbereit und bestens geeignet, die Dieselbusse nach und nach abzulösen. Der Flächenbedarf für Obusse ist nicht größer als für Dieselbusse. Die Forderungen nach Beschleunigung durch Busspuren und Vorrangschaltungen sind für beide Systeme gleich.

Alle grundsätzlichen Aussagen des Obus-Konzepts der IG Nahverkehr von 2012 sind als Arbeitsrichtung zur Ausdehnung der Elektromobilität nach wie vor richtig und aktuell. Nachdem inzwischen am Straßenbahnausbau gearbeitet wird, ist die Zeit reif, eine Grundsatzentscheidung für die Reaktivierung eines Obusnetzes mit kurzen oberleitungslosen Strecken, wo das notwendig ist, als Ergänzung zur Straßenbahn zu treffen.

Das Anfangsnetz müsste neu erarbeitet werden, da einige 2012 vorgeschlagene Obus-Strecken in das Straßenbahn-Zielnetz eingeflossen sind.