Arbeitsverhältnisse bei freien Trägern

ParteitagKatrin Seidel

Diskussionsbeitrag von Katrin Möller


[ Manuskript. – Es gilt das gesprochene Wort! ]

Die Ausfinanzierung kommunaler Aufgaben zur Verbesserung der Arbeitsverhältnisse bei freien Trägern ist dringend erforderlich, aus folgenden Gründen:

Sozialgesellschaftlich relevante Aufgaben erfordern unmittelbar LINKEs politisches Engagement. Das sind beispielsweise Kinder- und Jugendarbeit, Vorschul- und Schulbildung, Behinderten-, Freizeit-, Migrations- und Stadtteilarbeit und Seniorenbetreuung. Überall dort sind fast ausschließlich freie Träger am Werk. Sie arbeiten in verschiedenen Rechtsformen aber immer gemeinnützig, also nicht gewinnorientiert.

Wenn nun die angeordneten Einsparungen ins Haus stehen, gibt es nur eine Möglichkeit; Kürzungen in den Personalausgaben mit dem Ziel, andere Träger zu unterbieten. Lohndumping aber, geht immer auf Kosten der fachlichen Arbeit. Es fördert ein Konkurrenzverhalten unter den Trägern, das nicht im Sinne qualitativer Fortentwicklung, Diversifizierung der Angebote und fachlicher Kooperation ist. Die Qualität in der sozialen Arbeit, wird ausschließlich durch die MitarbeiterInnen gewährleistet. Speziell unter der Prämisse – Ambulant vor Stationär – muss einer bedarfsgerechten und qualifizierten Personalabdeckung erste Bedeutung zukommen. Nötig sind eine gesicherte Infrastruktur für alle sozialen Berufe, Planungssicherheit, Raum und Zeit, um die übertragenen öffentlichen Aufgaben in der geforderten Qualität erfüllen zu können.

Wir brauchen nicht ständig neue Projektfonds und Fördertöpfe, wir brauchen Kontinuität und Sicherheit für die bestehenden Strukturen! Was ist überhaupt gute Arbeit?

Von guter Sozialarbeit sagt man, dass sie sich selbst überflüssig machen muss. Das heißt – und ich beziehe mich hier auf meine Arbeitsbereiche sozialpädagogische Jugend- und Familienhilfe, dass die Menschen, denen wir zur Seite gestellt werden, in überschaubaren Zeiträumen motiviert und befähigt werden, ihre Probleme und persönlichen Angelegenheiten selbständig und selbstbewusst zu regeln. Und das funktioniert in der Realität nicht ganz so wie bei TV-Supernanny.

Was braucht also soziale Arbeit um erfolgreich zu sein? Verbindlichkeit, Struktur und gegenseitigen Respekt im persönlichen Kontakt – Glaubwürdigkeit. Um diese Basis zu schaffen, braucht es vor allem Zeit – Zeit, die mit den betroffenen Menschen gemeinsam gestaltet wird. Zeit für kollegiale Beratung, fachliche Fortbildung, für Recherchen und für Fall- und Teamsupervision.

Erfolg braucht ein starkes Team im Rücken, einen starken Träger, Erfahrungsaustausch und Netzwerken mit Fachleuten anderer Träger. Erfolg braucht konstruktiven Wettbewerb und Raum für flexible, individuelle und auch mal unkonventionelle Methoden. Rousseau sagte: »In der Erziehung kommt es nicht darauf an Zeit zu gewinnen sondern Zeit zu verlieren.«

Aber wir haben keine Zeit zu verlieren, wir müssen betriebswirtschaftlich denken! Freie Träger stehen unter dem Druck, die Auslastung ihrer Einrichtung, nach unrealistischen Vorgaben, auf Teufel komm raus zu sichern. Sie geraten dadurch in ökonomische Abhängigkeit zu den entsprechenden Ämtern und sind bereit, sich auf alle möglichen Zumutungen einzulassen. Man wagt es kaum, Fallanfragen wegen mangelnder Kapazitäten abzulehnen. In Erahnung der dadurch heraufbeschworenen Verantwortungslosigkeit, steht im Vordergrund der Arbeit immer mehr, die eigenen Entscheidungen abzusichern. Der Realisierung angemessener Hilfen kommt zwangsläufig weniger Aufmerksamkeit zu. Stattdessen werden Strategien entwickelt, die das Qualitätsproblem verschleiern:

Wettbewerb unter freien Trägern heute heißt: Zertifizierung und QualitätsManagement – die heilige Kuh: Was vielleicht einmal gut gemeint war und punktuell sinnvoll sein mag, trifft nun auf die Realität. Zum ohnehin immensen und ständig wachsenden externen und internen Verwaltungsaufwand kommt also das QM. Es suggeriert nach außen, dass per Zertifizierung hohe Qualitätsstandards gewährleistet werden. Der Träger kann sich beruhigt zurück lehnen, denn ein dickes QM-Handbuch ist vorhanden und die MitarbeiterInnen sind verpflichtet, danach zu arbeiten und an dessen Weiterentwicklung mitzuwirken. Die leichtere Austauschbarkeit von MitarbeiterInnen wird dadurch legitimiert, denn auch befristet oder geringfügig Beschäftigte müssen die QM-Standards gewährleisten. QM beinhaltet massive Dokumentationspflichten, die als Personen gebundene Arbeit gelten aber am Schreibtisch ausgeführt werden. Deren externe Glaubwürdigkeit wird durch nichts als durch viele voll geschriebene Formulare in den Akten selbst hergestellt. Die Dynamik pädagogischer Prozesse hat hier natürlich keinen Raum. Dokumentationswahnsinn und das Abarbeiten von Ablaufplänen und Checklisten fordern Zeit. QM ist ein für soziale Arbeit ungeeignetes Kontroll – Entschuldigung – Transparenzinstrument, dessen Umfang am besten in Kilogramm Papier zu beschreiben ist. Es beruhigt das Arbeitgebergewissen, reproduziert sich selbst und zielt schlussendlich auf die Austauschbarkeit des Personals ab.

Echte Qualitätssicherung funktioniert am besten durch kollegiale Aufmerksamkeit, Kritik und Hilfe und mittels vorausschauender und verantwortungsbewusster Personalplanung.

Aber Wettbewerb unter freien Trägern heute heißt: Mitarbeiter mit befristeten Verträgen, manchmal nur für drei bis sechs Monate, mit halben Stellen oder eben Projekt bezogenen Arbeitsverträgen. Es versteht sich von selbst, dass sich so kein starkes Team entwickeln kann, an Kontinuität und Verbindlichkeit zu arbeiten lohnt sich kaum, Fortbildungen für Teilzeit-Kollegen, wozu? Sie müssen schon wieder neue Bewerbungen schreiben oder sich nach Nebenjobs zur Existenzsicherung umschauen. Lebens-, Berufs- und Qualifizierungsplanung sind unter derartigen Bedingungen unmöglich. Fest Angestellte Kollegen gibt es auch. Doch die zählebige Tendenz ist, speziell bei den Markt führenden Wohlfahrtsverbänden, sich durch Rechtsformänderungen, Verbandsaustritte, Ausgründung von Unternehmensteilen etc. der Tarifbindung zu entziehen. Das tarifpolitische Prinzip »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« ist in der Sozialbranche praktisch ausgehebelt. Wir haben eine 2-Klassengesellschaft innerhalb der Kollegien. Auf alle MitarbeiterInnen kommt dafür kostenneutral zu leistende Mehrarbeit und so genannte Arbeitsverdichtung zu. Lücken werden gern mit PraktikantInnen, FSJlerInnen oder MAE-Kräften gedeckelt. Schleichende Dequalifizierung ist die Folge.

Die Arbeit in sozialen Berufen braucht ein gutes Maß an Idealismus und Veränderungswillen. Oft werde ich gefragt. Bringt das denn was? Oder: wie hoch ist denn die Erfolgsquote? Ich werfe dann Prozentzahlen hin, weiß aber, dass mein Erfolg immer nur so gut ist wie meine Motivation! Diese speist sich aus der direkten Arbeit mit den Jugendlichen und Familien und der Zusammenarbeit mit den Kollegen. Motivierend ist auch, wenn ich in Kietz- oder Sozialraumgremien, im Träger übergreifenden Erfahrungsaustausch, immer wieder vielen engagierten Kollegen begegne, die trotz widriger Bedingungen nicht resignieren, die nicht müde werden, innovative Ideen zu entwickeln und zu teilen. Die motiviert sind, obwohl sie mitunter kaum mehr Einkommen zur Verfügung haben, als die Klienten, mit denen sie arbeiten. Wir brauchen flächendeckende Unterstützung, die über das Aufschreiben und Empfehlen hinaus geht! Von dieser Stelle möchte ich ein großes Dankeschön nach Lichtenberg schicken, wo per BVV Beschlussfassung die Aftragserteilung an freie Träger an tarifliche Standards gebunden ist! Ein Beispiel, dass hoffentlich Schule machen wird.