DIE LINKE. Berlin: Original sozial.

Rede von Klaus Lederer, Landesvorsitzender


[ Manuskript – es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Gäste,
mich freut, dass ich heute zunächst mit zwei Glückwünschen beginnen kann, die auch etwas verdeutlichen über die Verankerung unserer neuen Partei im gesellschaftlichen Raum: Unsere Genossin Jenny Wolf, mehrfache Weltmeisterin und Weltcupsiegerin im Einsschnelllauf hat den Verdienstorden des Landes Berlin erhalten. Unser Landesgeschäftsführer, Genosse Carsten Schatz, ist am vergangenen Wochenende in den fünfköpfigen Bundesvorstand der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) gewählt worden. Beide Ereignisse sind Anlass für viel Freude und vor allem für unseren herzlichen Glückwunsch – weiterhin viel Erfolg den beiden!

Ferner soll ich dem Landesparteitag die Grüße von Carola Bluhm, Wolfgang Albers und Martina Michels überbringen. Carola und Wolfgang vertreten uns heut beim Treffen der Fraktions- und Landesvorsitzenden der Partei DIE LINKE, Martina vertritt unseren Landesverband bei der Conference on Major Cities der europäischen Linksfraktion in Stockholm.

Liebe Genossinnen und Genossen,

unser Landesparteitag findet in einer sehr bewegten Zeit statt. Die aus der Krise des US-Immobilienfinanzierungsmarktes entstandene globale Finanzmarktkrise bringt nahezu täglich neue Eruptionen hervor. Die Bundesregierung übt sich in Beschwichtigungsfloskeln. »Alles unter Kontrolle!« heißt es, bis die nächste Katastrophenmeldung als Dementi über die Ticker läuft. Die Halbwertszeit von Lagebeurteilungen der sogenannten Wirtschaftsexperten hat sich drastisch verkürzt.
Erstaunlich ist, mit welcher Geschwindigkeit die gleichen Leute, die gestern noch die Selbstheilungskräfte des Marktes beschworen haben, nach einem energischen Eingreifen der Politik rufen. Es werden Regeln und Kontrolle gefordert, der Staat müsse sich abstützend hinter die faulen Kreditlinien stellen, man echauffiert sich über unfähige Manager und hemmungslose Profitgier und gibt sich ahnungslos und überrascht, was für Geschäfte da in ihrem Namen und unter ihrer Aufsicht abgeschlossen wurden. Wer hat eigentlich die Hedge- und Private-Equity-Fonds zugelassen und den Weiterverkauf fauler Kredite in Deutschland erlaubt? Die gleichen Leute, die dafür Verantwortung tragen, scheuen sich nicht, sich vor die Kameras zu stellen und DIE LINKE, die seit Jahren vor den Gefahren einer virtuellen Finanzmarktspekulationsblase gewarnt hat, des Populismus zu zeihen. Das, nichts anderes, ist schamloser Populismus, liebe Genossinnen und Genossen!

Was hat das alles mit unserem Parteitag zu tun? Mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Wir sprechen heute über das Thema »Bezirke«, und dabei geht es um mehr Demokratie, um mehr Beteiligung der Berlinerinnen und Berliner, aber eben auch um transparente und nachvollziehbare Finanzzuweisungen, die den Bezirken die Erfüllung ihrer sozialen Aufgaben tatsächlich auch ermöglichen. Es geht nicht nur, aber auch um das liebe Geld. Und da sträuben sich mir gegenwärtig mitunter die Nackenhaare, wenn ich mir einige Parallelen vor Augen führe – und ich will das hier gern mal ausführen:

Wir erinnern uns: Das Land Berlin verliert 2006 seine Notlageklage in Karlsruhe, weil es angeblich nicht tief genug in der Haushaltskrise stecke und angeblich nicht genug getan habe, um den Haushalt wieder in eine vernünftige Balance zu bringen. Der Bund und die anderen Länder sagen: Wir haben kein Geld. Spart Ihr erstmal noch mehr Finanzmittel ein, dann helfen wir Euch vielleicht.

Oder ganz aktuell: Bund und Länder beraten in der Föderalismuskommission über die Neugestaltung ihrer Finanzbeziehungen. Dabei geht es auch um Finanzhilfen für verschuldete Länder. Und da heißt es dann: Wenn Ihr, die armen Länder, Euch in den nächsten Jahren einer strikten Nachsparstrategie für jeden Steuerausfall unterwerft, dann sind wir bereit, Euch für 5 Jahre mit jährlich 300 Millionen € unter die Arme zu greifen.

Und dann stehen auf der anderen Seite Frau Merkel und Herr Steinbrück vor den Kameras und erklären mit einer Lockerheit, die verblüfft: Wir sorgen dafür, dass Milliarden-, ja sogar Billiardenausfälle im privaten Sektor aus dem Bundeshaushalt abgesichert werden, damit die Auswirkungen der globalen Finanzkrise begrenzt werden. Ja, wo leben wir denn, liebe Genossinnen und Genossen?

Den Gemeinwesen sollen die Daumenschrauben angelegt, sie sollen zum flächendeckenden Abriss ihrer sozialen Infrastrukturen und zum Verzicht auf gestaltende Steuerung gezwungen werden – im Gegenzug gibt es ein Almosen, kaum den sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein. Fünf mal 300 Millionen € sind anderthalb Milliarden, und das bei 60 Mrd. € Schulden – das ist das, was uns in Aussicht gestellt wird! Auf der anderen Seite werden die Fehlkalkulationen von Abenteurern im Casino der Spekulanten, vor denen wir immer gewarnt haben, flink und pauschal übernommen. Das ist die schwarz-rote Politik des asozialen finanzpolitischen Irrsinns! 

Ich will nicht falsch verstanden werden: Sicherlich ist es richtig und eine Lehre aus der großen Depression von 1929, dass hier eingegriffen wird. Wir haben in Berlin ja selbst die Erfahrung gemacht, einen Scherbenhaufen aus verantwortungslosen Spekulationsgeschäften aufräumen zu müssen, nur mit dem Unterschied, dass wir dafür nicht verantwortlich waren, sondern jahrelang davor gewarnt haben. Und im Unterschied etwa zum US-Repräsentantenhaus haben wir damals schnell reagiert und daraus die richtigen Schlußfolgerungen gezogen, haben der Versuchung des Populismus widerstanden und uns nicht aus Angst vor dem Wahlvolk aus der Verantwortung gestohlen. Und mehr noch, wir haben im Anschluss daran gezeigt, dass eine rot-rote Regierung besser in der Lage ist zu wirtschaften als der gesammelte Jammerclub der Marktapologeten. Wir haben den Schaden für das Land minimiert und dafür gesorgt, dass die Landesbank im aktuellen Chaos vergleichsweise gut dasteht.
Dagegen die Herren Huber, Oettinger, Milbradt, Steinbrück und Rüttgers, die soviel auf ihre wirtschaftliche Kompetenz halten: schauen wir uns doch an, wie die IKB und die Landesbanken in Bayern, Sachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ins Schwimmen gekommen sind! Ich finde, hier ist ein bißchen Zurückhaltung beim Populismusvorwurf gegen DIE LINKE durchaus angebracht. Und es ist schon ein Stück aus dem Tollhaus, dass die Bundesregierung nicht einmal den Versuch unternommen hat, sich als Gegenleistung für die Abstützung milliardenschwerer fauler Kredite den Einfluss auf den Sektor auszubauen und damit wirksame Beschränkungen von Spekulationsabenteuern durchzusetzen: eine differenzierte Geldpolitik, wirksame Bilanzierungsvorschriften und Eigenkapitaldeckungspflichten, eine Börsenspekulationssteuer, ja, als Gegenleistung für die Rettung von Aktienwerten wenigstens eine adäquate Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung derjenigen, die jetzt um ihre Anlagen zittern… Was muss eigentlich noch passieren, bis die schwarz-roten Populisten hier ernsthafte Schritte in Angriff nehmen?

Liebe Genossinnen und Genossen,

wir können heut noch nicht absehen, mit welchen konkreten Folgen wir es hier in Berlin zu tun haben werden, wenn die Krise erst auf die Realwirtschaft durchschlägt. Die Institute korrigieren gegenwärtig ihre Wachstumsprognosen nach unten. Das wird sich auch bemerkbar machen – und zwar bei den Steuereinnahmen der öffentlichen Hand, die ja in den vergangenen Monaten eine spürbare Verbesserung aufwiesen. Auch in Berlin müssen wir mit Einnahmeeinbrüchen rechnen. Und so zeichnet sich schon jetzt ab, dass wir mit Thilo Sarrazin darüber streiten werden, wie wir mit diesen wahrscheinlichen Einnahmeausfällen aus der Finanzkrise umzugehen haben. Thilo Sarrazin rechnet bereits und hat offenbar einige Vorstellungen, wie das auf der Ausgabenseite aufzufangen wäre. Die »fetten Jahre«, so Thilo Sarrazin, seien vorbei. Was meint er damit eigentlich?
Dazu kann ich nur eines sagen: DIE LINKE. Berlin steht aus der Erfahrung der schwarz-roten Hauptstadtpolitik bis 2002 zu einer verantwortungsvollen Haushaltswirtschaft. DIE LINKE. Berlin hält an der Absprache fest, eine vorsichtige Ausgabenpolitik mit sozialer Verantwortung und der Setzung von Schwerpunkten in den für die Stadt zentralen Sozial- und Zukunftsbereichen zu fahren. Die vereinbarte Ausgabenlinie ist unser Maßstab. Was mit uns nicht zu machen ist, weil es sozial auch nicht verantwortbar wäre, ist die Forderung, jetzt jegliche konjunkturellen Dellen im Landesetat nachzusparen. Ein solches Ansinnen ist keine kluge Finanzpolitik, sondern fiskalisches und soziales Harakiri. Ganz nebenbei hat Oskar Lafontaine gestern auf etwas hingewiesen, und damit hat er einfach Recht: Es hat keinen Sinn, in einer ökonomischen Flaute auch noch um jeden Preis die öffentliche Ausgabenpolitik zu strangulieren, das führt nur zu ihrer Vertiefung. Nun, wir glauben nicht an die allheilende Wirkung eines Lokalkeynesianismus. Aber wir sollten vermeiden, dem Druck zu einer verschärft restriktiven Ausgabenpolitik nachzugeben, der sicherlich von der Opposition und Teilen des Stadtestablishments erzeugt werden wird. Denn das hilft der Stadtökonomie auf keinen Fall. Machen wir uns nichts vor: schon das Halten der vereinbarten Ausgabelinie wird alles andere als leicht angesichts unserer eigenen Vorstellung von der Gestaltung der Stadt. Aber eine Haushaltssanierung mit der Abrissbirne wird es mit der LINKEN hier in Berlin nicht geben. Darauf können sich die Berlinerinnen und Berliner verlassen.

Gestattet mir, weil heute auch Eberhard Schönberg von der Berliner GdP unser Gast sein wird und das Thema ja immer mal wieder eine Rolle spielt, einige Bemerkungen zum aktuellen Tarifkonflikt im Öffentlichen Dienst Berlins machen. Liebe Genossinnen und Genossen, es gibt in Berlin einen Tarifvertrag, der bis 2010 abgeschlossen worden ist. Ihn zieren die Unterschriften des Senats und der Gewerkschaften. In diesem Tarifvertrag gibt es eine Klausel, die – für den Fall von Veränderungen im bundesweiten Tarifgefüge – Nachverhandlungen ermöglicht. Auf dieser Grundlage haben die Gewerkschaften vor anderthalb Jahren Forderungen nach Verhandlungen erhoben: zunächst wurden Einmalzahlungen in Höhe von 3 mal 300 € gefordert, später noch 2,9 % für alle Gehaltsgruppen. Auf unseren Druck hin gab es diese Verhandlungen, und für viele überraschend sind diese Verhandlungen, obgleich sie kurz vor dem Abschluss standen, von den Gewerkschaften einseitig für gescheitert erklärt worden. Von den Gewerkschaften! Darauf hat der Senat 2 mal 300 € Einmalzahlungen als einseitige, freiwillige und außertarifliche Leistung für alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes beschlossen. Ich verstehe nicht, weshalb hier von einem Tarifdiktat die Rede ist. Es gibt auch keine Friedenspflicht.

Wir waren immer der Ansicht, dass der Beitrag der Beschäftigten zur Stabilisierung des Etats auch anerkannt werden sollte. Noch vor anderthalb Jahren hieß es aus dem Senat: vor 2010 gibt es keinen Cent! Ich verstehe an dieser Stelle die Gewerkschaften nicht. Vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise wäre ein solches Ergebnis auf Grundlage der tarifvertraglichen Nachverhandlungsklausel wahrscheinlich nicht einmal mehr erreicht werden – und angesichts der Ziele von Thilo Sarrazin und der Entwicklung des Etats hielte ich es für geraten, wenn sich Gewerkschaften wie Senat zusammentun und darüber beraten, wie es ab dem Jahr 2010 im öffentlichen Dienst nun eigentlich weitergehen soll. Das, meine ich, ist die zentrale Frage, und ich glaube, es ist nötig, dass wir alle Kraft in diese Auseinandersetzung stecken. Wohin der augenblickliche Streik führen soll, ist mir nicht so recht klar. Daran gewinnt derzeit keine Seite irgendetwas.

Liebe Genossinnen und Genossen,

wenn es eine Konsequenz geben muss aus dem, was wir gegenwärtig gerade erleben, dann ist es folgende: Die Wahrnehmung von Staatsaufgaben erfordert eine vernünftige finanzielle Ausstattung – bei der Bundesaufsicht für Finanzdienstleistungen genauso wie bei den Ordnungs- und Jugendämtern unserer Bezirke. Und die Handlungsfähigkeit des Staates weiter zu beschränken kann keine sinnvolle Strategie sein. Ich erinnere noch einmal daran, dass der Haushalt eines Gemeinwesens kein Selbstzweck ist, sondern ein Mittel zum Zweck. Der Zweck von Haushaltspolitik ist die Sicherung der Handlungsfähigkeit eines demokratischen Gemeinwesens, das sozialen Zusammenhalt und die Teilhabe Aller gewährleistet. Und ich bin überzeugt davon, dass wir darüber auch mit der Berliner SPD Einigkeit herstellen können.

Die Berliner SPD tagt ja heut parallel zu uns und ich habe mich gefreut, dass dort ein Parteitagsantrag vorliegt, den Preis für das Sozialticket bei 19 € festzusetzen. Mit einer breiten Mehrheit, so die Presse, wird gerechnet. Ich finde das gut und freue mich, dass sich die Berliner SPD jetzt auch unserer Erkenntnis nicht mehr verschließt, dass Mobilität für Menschen in sozial schwierigen Situationen ein hoher Wert ist. Wir finden es auch gut, dass die Berliner SPD aus den Folgen der Privatisierung von wichtigen netzgebundenen Infrastrukturen und Daseinsvorsorgebereichen gelernt hat: Der Kampf gegen den Börsengang der Bahn hat sie geführt. Auch hier geht es um Mobilität für Alle! Das findet durchaus unsere Achtung und unseren Beifall.
Zu den staatlichen Aufgaben gehören aber nicht nur die Regulierung der Wirtschaft und die Bereitstellung einer öffentlichen Infrastruktur. Zumindest aus unserer Sicht gehört dazu auch, einen sozialen Ausgleich zu organisieren und darüber den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu befördern. Und wenn wir uns auf unserer heutigen Tagung der Frage widmen, wie wir die Bezirke Berlins in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zufrieden stellend und möglichst effektiv zu erfüllen, dann geht es nicht zuletzt genau darum. Denn in den Bezirken wird ein großer Teil dieser Aufgaben erfüllt. Eine Millionenstadt wie Berlin ist nicht zentral regierbar, sie braucht die Bezirke – immerhin jeweils so bevölkerungsreich wie eine mittlere Großstadt – als starke politische Einheiten. Dezentral und somit dichter an den Bürgerinnen und Bürgern und möglichst unter ihrer Mitwirkung und Beteiligung – so soll Politik stattfinden. Das hat aber nur Sinn, wenn den Bezirken dafür auch Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume gelassen werden. Denn wenn die Bezirke nur noch Vollzugsorgane und Durchlaufstation zentraler Vorgaben sind, wird ihr Zweck ad absurdum geführt.

Daher nähern wir uns diesem Thema auch nicht von der Frage aus an, welche finanziellen Mittel am Ende für die Bezirke übrigbleiben. Wir fragen anders: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Bezirke ihren politisch definierten Aufgaben heute und in der Zukunft gerecht werden können? Dabei gilt es die konkreten Bedingungen in dieser Stadt zu berücksichtigen, statt lediglich auf die Vergleichszahlen anderer Städte zu starren und darauf zu verweisen, dass die auch noch nicht zusammengebrochen seien. Wir müssen mit Blick auf die Bezirke umsteuern. Einer ausgewogenen Politik auf Landesebene darf keine Politik in den Bezirken gegenüberstehen, die nur von kurzfristigem »Angstsparen« beherrscht wird und eine kaputte Infrastruktur zurücklässt, deren Folgekosten ein Vielfaches dessen betragen werden, was da eingespart worden ist. Die Lage ist durchaus ernst.

Wir haben uns nicht gescheut, in den zurückliegenden Jahren auch unbequeme Maßnahmen zu ergreifen – wohl wissend, dass Berlin in mancherlei Hinsicht über seinen Verhältnissen gelebt hat. Wir haben auch immer gesagt: Wir sind bereit, unsere Hausaufgaben zu machen, und das Erbe der Großen Koalition in Berlin zu schultern. Aber wir sind nicht bereit, die Folgen einer verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik im Bund auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger auszutragen – egal, ob sie nun von rot- grün oder schwarz-rot zu verantworten ist. Denn die Folge einer solchen Fiskalpolitik wäre nur, dass die öffentliche Hand irgendwann wieder tief in Tasche greifen muss, weil die Kosten einer wachsenden sozialen Spaltung in der Zukunft explodieren. So wie uns die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge – wie etwa bei den Wasserbetrieben oder im Gas- und Energiesektor – teuer zu stehen kommt. Und so, wie uns jetzt die Deregulierung der Finanzmärkte teuer zu stehen kommt.

Wir werden an unserem Kurs, die Stärken Berlins auszubauen, festhalten. Und zu den Stärken Berlins gehört ein hervorragendes Angebot der Kinderbetreuung, das aus unserer Sicht allen Kindern im vorschulischen Bereich offen stehen sollte. Wir brauchen die frühkindliche Förderung und den sozialen Kontakt zu anderen Kindern als Instrument sozialer Integration. Es wird nach aller Erfahrung am Ende teurer, nicht billiger, wenn wir erst in der Schule damit anfangen, die Kinder zu fördern. Deshalb, und weil für Chancengleichheit für alle Kinder von Anfang an sind, halten wir diese Forderung des Kita-Volksbegehrens für unterstützenswert. Das war auch unsere Forderung in den Koalitionsverhandlungen, und die werden wir doch nicht verschweigen, nur weil sie sich damals nicht durchsetzen ließ.

Es gehört ja gerade zu den Vorzügen unserer rot-roten Koalition in Berlin, dass wir hinsichtlich der grundlegenden Ziele unserer Politik (soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit für Alle, verantwortungsbewusster Umgang mit den öffentlichen Unternehmen, Förderung der sozialen und kulturellen Integration, Bildung, innere Liberalität) immer öfter Übereinstimmungen mit großen Teilen in der Berliner SPD haben – und uns nicht über unsere grundsätzlichen Ziele, sondern vor allem über Wege, Möglichkeiten und Prioritäten bei der Umsetzung, streiten.

Liebe Genossinnen und Genossen,

das ist im Übrigen ein entscheidender Unterschied zwischen uns und den Grünen. Wir sind in unseren Grundüberzeugungen schlicht und einfach nicht so flexibel wie unsere grünen Nachbarn im Abgeordnetenhaus. Die führen ja aktuell vor, dass sie mit allen alles können, wenn nur Pöstchen dabei herumkommen. Im Bund gegen die Bahnprivatisierung, in Berlin für die Privatisierung der BVG. In Hamburg wird eines der größten Kohlekraftwerke Europas durch eine Grüne genehmigt, die Berliner Grünen erklären der Presse, der rot-rote Senat – der ja seine Ablehnung eines Großkraftwerks in Klingenberg schon längst erklärt hat – müsse als Schlussfolgerung aus diesem grünen Versagen nun endlich handeln. Wieviel Bigotterie verträgt die grünalternative Seele eigentlich noch? Der Grüne Esser versucht den Sarrazin und will neue Einsparrunden und eine Personalzielgröße von 93.000 Beschäftigten, während keine Plenar- oder Ausschusssitzung vergeht, in denen seine Fraktionsfreundinnen und -freunde nicht die angeblich rot-rote Mittelknappheit geißeln und zum Teil horrende Ausgabensteigerungen, vor allem für grüne Klientelprojekte, fordern.

Die neue Wendigkeit der Grünen wird auch dafür sorgen, dass »Jamaika« in Berlin nicht gleich untergehen wird, nur weil sich Friedbert Pflüger in den Strippen der CDU-Hinterzimmer verfangen hat. Wenn sich schon Elbvertiefung und Kohle von Beust mit dem flexiblen grünen Selbstverständnis vertragen, dann wird es an einer restriktiven Innen- und Migrationspolitik eines Herrn Henkel doch nicht scheitern. Dem Abschuss von Passagierflugzeugen konnten die Grünen ja schließlich auch zustimmen. Klar, im Augenblick ist da noch ein bißchen Distanz zu kultivieren, aber wenn der Pulverdampf bei der Berliner CDU sich erst einmal gelegt hat, wird man sich das Dreamteam Henkel-Grütters schon grün reden. Und auch die CDU signalisiert ja schon fleißig, dass man die Reise nach Jamaika gern fortsetzen würde. Man muss dafür ja nicht einmal mehr von Tempelhof starten. Statt italienischer Pasta gibt´s mit Herrn Henkel vielleicht eher den Hackklops am Berliner Stammtisch, aber der wird ja dann vielleicht wenigstens aus Biofleisch sein...

Letztes Beispiel: der Grüne Mutlu hat seinen Wahlkampf unter das Motto »Gemeinschaftsschule von Klasse 1 bis 10 nach skandinavischem Vorbild« gestellt. Jetzt wird nicht nur in Hamburg die soziale Spaltung im Bildungssystem zementiert, der Berliner Grüne Mutlu biedert sich auch noch beim Schulsenator Zöllner an und lobt den alten Hut der Zweigliedrigkeit als prima Idee! So widerspenstig und unangepasst – sie können es ja selbst nicht oft genug betonen – sind die Berliner Grünen. Als – wie sie es ebenfalls nicht oft genug betonen können: handzahme – LINKE erlauben wir uns in dieser Frage eine andere Position als die von Senator Zöllner. Ja, die Hauptschule gehört abgeschafft, aber es hat keinen Sinn, die soziale Spaltung innerhalb des Schulsystems lediglich zu verschieben. Deshalb wollen wir die Diskussion mit den Berlinerinnen und Berlinern und dem Schulsenator führen. Und selbstverständlich ist es in Ordnung, wenn sich Prof. Zöllner mit einem eigenen Beitrag an dieser Diskussion beteiligt, solange damit nicht bereits das Ergebnis der Diskussion vorweggenommen wird, die gerade erst begonnen hat – wie wir nämlich endlich auch die Schulen zu einer Stärke Berlins machen können!

Liebe Genossinnen und Genossen,

über die Berliner CDU will ich hier eigentlich nicht weiter sprechen. Was wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, spricht für sich selbst. Zurück in die Zukunft heißt die Devise. Aber da ich nun schon einmal auf den Henkelschen Stammtisch zu sprechen gekommen bin, noch eine Anmerkung aus aktuellem Anlass: Die CDU hat sich heute und morgen zu einem Ostdeutschland-Treffen in Dresden versammelt. Es steht zu vermuten, dass die CDU nicht zuletzt mit Blick auf die bevorstehenden Wahlkämpfe die Lufthoheit über den Stammtischen – also allen außer ihnen selbst - auch in der Geschichtspolitik erobern will. Einen Vorgeschmack bietet die Pressearbeit: Nach allem, was bereits zu lesen war, wird dort wieder die Geschichte von der CDU als »Partei der Einheit« aufpoliert werden, die die Vereinigung Deutschlands gegen allerlei vaterlandslose Gesellen – also allen außer ihnen selbst - verteidigt und am Ende verwirklicht hat. Selbstverständlich gibt es auch viele warme Worte für die Ossis, die sich nach diesem Geschichtsbild in all den Jahren auch nur nach der Wiedervereinigung gesehnt haben. Und wer das nicht tat, der war sicher in der SED oder bei der Stasi...

Dabei wird übersehen, dass damals nicht nur Zehntausende versuchten, ihre Ausreise zu erzwingen. Die DDR-Oppositionsbewegung ging seinerzeit nicht mit dem Ruf »Wir wollen rüber!« und »Wir sind ein Volk!« auf die Straße, sondern unter der Parole »Wir bleiben hier!« und »Wir sind das Volk!«. Eine andere, eine bessere, eine wirklich demokratische und sozialistische DDR mit Grund- und Freiheitsrechten für jede Bürgerin und jeden Bürger, das war seinerzeit die Vorstellung, die viele antrieb. Und die wurden eben nicht mit offenen Armen von der Partei- und Staatsführung empfangen. Die wurden, als es noch wenige waren, verfolgt und eingesperrt, als es mehr wurden, von Polizeikommandos empfangen – und erst als es zu viele wurden, erklärte sich unsere Vorgängerpartei zum Dialog bereit. Und deshalb ärgert es mich außerordentlich, wenn im Zusammenhang mit unserer eigenen Geschichtsbetrachtung im Fernsehen etwa Sätze zu hören sind wie »In der DDR wurde nur ins Gefängnis gesteckt, wer gegen Gesetze verstoßen hat«.

Wir wissen und werden nie vergessen, dass Menschen, die für Demokratie, Meinungs-, Presse- und Reisefreiheit eintraten, verfolgt, überwacht und drangsaliert wurden, und dass kein Gesetz der Welt diese Verfolgung rechtfertigen kann. Ich finde es einen großen Vorzug, dass wir in unserer Sicht auf Historie unterschiedlichen Sichtweisen ihren Raum lassen. Aber wir müssen selbst dafür sorgen, dass in der öffentlichen Wahrnehmung nicht stehenbleibt, die LINKE. Berlin sei vor allem darum bemüht, kritische Sichten auf die eigene Geschichte zu relativieren. An Raum für Funktionsträgern des Apparats in der DDR mangelt es im Diskurs unserer Partei nicht – schon deshalb, weil wir unser Erbe angenommen haben und jeder und jedem eine Veränderung der eigenen Sichtweise zubilligen. Aber ich meine schon, und das werde ich auch weiterhin deutlich sagen, dass wir denjenigen sehr aktiv mehr Raum verschaffen müssen, die dem Repressionsapparat ausgesetzt waren - nicht wenige von ihnen Sozialistinnen und Sozialisten, die es oft auch bis heute geblieben sind, und gerade deshalb den Argwohn der Partei- und Staatsführung erregt haben. Bitte lasst uns das immer im Hinterkopf haben.

Wir haben nachzuweisen, dass wir es mit unserer kritischen Geschichtsauseinandersetzung ernst meinen – und nicht etwa müssen uns andere das Gegenteil beweisen. Wir haben hier die Darlegungslast. Wir wollen die anderen dafür gewinnen, selbstbewusst zu sagen: »demokratischer Sozialismus« ist etwas anderes als der parteibürokratische Sozialismus! Wir sind die Erben der SED – und dieses Erbe lässt sich nicht mit Verweis darauf relativieren, dass andere Haarsträubendes bis hin zur Gleichsetzung von DDR und Nazizeit vertreten. 

Liebe Genossinnen und Genossen,

vor uns liegt heute ein kleiner Berg Arbeit – Katrin und Christina werden dazu gleich einführende Bemerkungen machen – und wir stehen unter gewissem Zeitdruck, weil viele von uns um 14 Uhr an der Demonstration »Freiheit statt Angst« teilnehmen wollen. Ich glaube, dass uns in den vergangenen anderthalb Jahren ein gutes Stück gemeinsamer Arbeit gelungen ist, welches sich jetzt in dem vorliegenden Antrag wiederfindet. Dafür danke ich allen Bezirkspolitikerinnen und -politikern der LINKEN, die in vielen Runden und Beratungen daran mitgewirkt haben. Ich habe noch vor 2 Monaten nicht sicher gewusst, dass wir es schaffen würden, ein solches Ergebnis hier heut zu beraten. Das schaffen wir auch, aber die schwierigste Etappe liegt noch vor uns: wir müssen mit diesem Beschluss als Verhandlungsauftrag dann noch den Koalitionspartner überzeugen, dass es richtig und wichtig ist, entsprechend zu verfahren. Der vorliegende Beschluss allein wird Berlin noch nicht verändern! Deshalb lasst uns die Arbeit am heutigen Tag leisten und ich bitte Euch darum, nicht nachzulassen, wenn wir unseren Parteitag heute hinter uns gebracht werden. Das war erst der erste Schritt, weitere müssen folgen. An die Arbeit, liebe Genossinnen und Genossen!

Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit.