Zur Rechtsverordnung Wohnen

Beschluss 4 / 4 / 3

 

 

Zur Rechtsverordnung Wohnen: Die Neuregelungen sind unzureichend

Der Senat von Berlin hat eine neue Rechtsverordnung zu den Kosten der Unterkunft von Arbeitslosengeld II-, Sozialhilfe-, Grundsicherungsbeziehenden und Berechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Wohnaufwendungsverordnung – WAV) erlassen. Im Kern sieht die die WAV vor, die Richtwerte für die Kosten der Unterkunft anzuheben und sie künftig an den Berliner Mietspiegel zu koppeln. Die Heizkosten werden nach dem bundesweiten Heizspiegel berechnet. Daraus ergeben sich unterschiedliche Richtwerte, differenziert nach Energieträgern (Gas, Öl, Fernwärme) sowie nach Gebäudefläche. Die WAV ist an dem zentralen Punkt – der Berechnungsgrundlage für die Richtwerte für angemessenen Wohnraum – realitätsfremd und wird dem Berliner Wohnungsmarkt nicht gerecht.
Das ist aber zwingend notwendig für Wohnungskostenregelungen, die den sozialen Zusammenhalt stärken, die Berliner Mischung erhalten und nicht Gentrifizierung und Verdrängung vorantreiben. Das, was der rot-schwarze Senat jetzt beschlossen hat, wollte der Finanzsenator der SPD gegen DIE LINKE schon in der letzten Wahlperiode durchsetzen. Dem konnten wir nicht zustimmen. Unsere Vorschläge für eine neue AV Wohnen, die Zwangsumzüge und Verdrängung verhindert, fanden hingegen in der SPD keine Mehrheit.
DIE LINKE. Berlin hält die WAV für ungeeignet, um das Recht der Betroffenen auf menschenwürdiges Wohnen zu garantieren. Im Einzelnen bezieht sich unsere Kritik auf folgende Punkte:

  • Bei der Berechnung der Richtwerte für angemessenen Wohnraum, nimmt der Senat ausschließlich die im aktuellen Mietspiegel als »einfach« ausgewiesenen Wohnlagen als Grundlage. Damit trägt er angeblich dem § 22a Absatz 3 SGB II Rechnung, der eine Abbildung des einfachen Wohnungsstandards vorsieht. Die Wohnlage spiegelt jedoch lediglich die Lagequalität des weiteren Wohnumfeldes wider, hat also mit den Wohnungsstandards nichts zu tun. Das SGB II verlangt außerdem, dass Wohnraum in ausreichendem Maße vorhanden sein muss.
  • Dies ist mit der jetzigen Berechnungsgrundlage nicht gegeben. Es gibt in dieser Wohnlage insgesamt nur 370 Tsd. Wohnungen, aber rund 380 Tausend Haushalte, die Transferleistungen beziehen – das reicht nicht aus. Deshalb fordern wir, dass auch die Wohnungen in den »mittleren Wohnlagen« entsprechend der Kriterien des Berliner Mietspiegels in die Berechnung der Richtwerte einbezogen werden. Erst dann ist ausreichend Wohnraum vorhanden, allerdings längst nicht in allen Bezirken.
  • Darüber hinaus fordern wir, dass zur Berechnung der Richtwerte für 1-2 Personen-Haushalte auch Wohnungen unter 40 qm herangezogen werden. In Berlin fehlen besonders kleinere Wohnungen. Fast 80 Prozent der sogenannten Bedarfsgemeinschaften bestehen aus ein bis zwei Personen. In diesem Segment ist die Wohnungsknappheit besonders groß. Als Berechnungsgrundlage in der WAV wurden hier nur die Wohnungen von 40-60 Quadratmetern genommen, die besonders teuren unter 40 Quadratmeter wurden ausgeblendet. Damit hat der Senat die Richtwerte niedrig gerechnet.
  • Bei der Berechnung der kalten Betriebskosten nimmt die WAV Bezug auf die im Mietspiegelanhang dargestellten Durchschnittswerte für die »Kalten Betriebskosten« im Abrechnungszeitraum 2009. Die entsprechen nicht den realen Belastungen, welche die MieterInnen zu tragen haben. Deshalb fordern wir die Berücksichtigung der kalten Betriebskosten in tatsächlicher Höhe, da MieterInnen auf diese Höhe keinen Einfluss haben.
  • Die pauschalierten Heizkosten berücksichtigen nicht den energetischen Bauzustand der Gebäude. Da die Verbrauchswerte von vielen Faktoren abhängen, fordern wir, in die WAV eine Regelung aufzunehmen, die bei der Ermittlung der angemessenen Heizkosten u.a. auch die Lage der Wohnung, der Wärmeisolierung von Gebäude und Fenstern, die Witterungsschwankungen, den Wirkungsgrad der Heizungsanlage sowie auf die Heizfläche der Wohnanlage berücksichtigt.
  • Wir fordern die Berücksichtigung der Heizkosten in tatsächlicher Höhe. Ein unwirtschaftlicher Umgang muss individuell unter Berücksichtigung der individuellen Umstände nachgewiesen werden.
  • Der § 5 der WAV »Quadratmeterhöchstmiete« besiegelt die Verdrängung Transferleistungsbeziehender aus der Innenstadt und innenstadtnahen Bezirken endgültig. Hiernach wird eine Miete selbst dann nicht übernommen, wenn zwar die Bruttowarmmiete der Gesamtangemessenheitsgrenze entspricht, aber der Quadratmeterpreis den hier in der WAV vorgesehenen gewichteten Mittelwert für die Nettokaltmiete überschreitet (je nach Größe des Personenhaushaltes zwischen 4,86 Euro bis 4,93 Euro je qm). Somit wird die einzige Möglichkeit unterbunden, sehr kleine Wohnungen anzumieten, die in der Gesamtmiete den Richtwert nicht überschreiten, um im Wohnumfeld zu bleiben. Denn in den hochpreisigen Kiezen gibt es keine Wohnungen zu dem vorgegebenen Quadratmeterpreis. Deutlicher kann man nicht mehr klar machen, dass die Verdrängung Beziehender von Transferleistungen an die Ränder der Stadt gewollt ist. Wir fordern die Streichung des § 5 und ausschließlich die Berücksichtigung der Miethöhe, unabhängig vom Quadratmeterpreis. 
  • In der WAV fehlt – abgesehen von den unter rot-rot eingeführten Sonder- und Härtefallregelungen – jegliche Möglichkeit für Betroffene, deren Mieten oberhalb der festgelegten Grenzen liegen, in ihrem Wohnumfeld zu verbleiben.
  • Aufforderungen zur Senkung der Wohnkosten dürfen nur erfolgen, wenn im Wohnumfeld der Betroffenen den festgelegten Richtwerten entsprechender freier Wohnraum tatsächlich vorhanden ist.
  • Wir fordern zudem einen Mietzuschlag in Wohnquartieren, in denen weniger als 10% Transferleistungsbeziehende leben. Zum anderen fordern wir einen Zuschlag in den Stadträumen, in denen die Verdrängung von Leistungsbeziehenden besonders hoch ist. Damit kann den unterschiedlichen Miethöhen in der Stadt Rechnung getragen, weitere Segregation verhindert und ein Verbleib im Wohnumfeld gesichert werden.
  • Ausgeblendet wurde in der WAV auch die Frage der Neuanmietungen von Wohnraum. Richtwerte, die sich am Mietspiegel orientieren, reichen nicht aus, um eine neue Wohnung anzumieten, denn diese Preise liegen meist oberhalb des Mietspiegelniveaus. Wir fordern deshalb einen Neuvermietungszuschlag, der bislang nur für Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen gilt.

Die WAV entspricht nicht der Lebenswirklichkeit der Menschen, reflektiert in keiner Weise die tatsächliche Situation auf dem Wohnungsmarkt und trägt zur weiteren Verschlechterung der Wohn- und Lebensbedingungen für Leistungsbeziehende und Geringverdienende in der Stadt bei. Sie nimmt nicht zur Kenntnis, dass ausreichender Wohnraum nach den beschriebenen Vorgaben für Leistungsbeziehende in der Stadt gar nicht vorhanden ist. Diese neuen Wohnungsregelungen des Berliner Senats entsprechen nicht den bundesrechtlichen Vorgaben. Sie werden dazu führen, dass die Sozialgerichte mit Klagen überhäuft werden und dass sich die Anzahl der Zwangsumzüge drastisch erhöht. Die Betroffenen werden ihre Wohnungen aufgeben müssen, die dann weitaus teurer weiter vermietet werden. Die WAV trägt dadurch zur Vernichtung bisher noch bezahlbaren Wohnraums bei und begünstigt weiter steigende Mieten in diesem Preissegment. DIE LINKE.Berlin lehnt diese Rechtsverordnung ab und fordert den Senat zur kurzfristigen Überarbeitung auf.