Als LINKE wieder zur Politik zurückgefunden

4. Parteitag, 1. Tagung

Rede des Parteivorsitzenden

Bernd Riexinger


[Manuskript – es gilt das gesprochene Wort.]

Guten Morgen, liebe Genossinnen und Genossen.

Vielen Dank für die Einladung. Vielen Dank auch für die solidarischen Worte zu meinem Griechenland-Besuch. Lasst mich deshalb auch kurz damit beginnen.

Mein Besuch in Griechenland hat deutlich gezeigt, dass die Politik der europäischen Krisenlösung von Merkel und anderen jämmerlich gescheitert ist. Es waren zum Teil auch erschreckende Bilder, die ich in Griechenland sehen musste.

Wir waren zum Beispiel in einem Kinderkrankenhaus, wo sich Frau Merkel niemals hin getraut hätte. Dort haben uns die Beschäftigten erzählt, wie es ihnen inzwischen geht. Eine ausgebildete Kinderkrankenschwester verdient dort nach den diversen Lohn- und Gehaltssenkungen von über 40 Prozent gerade einmal noch 750 Euro bei einem ähnlichen Preisniveau wie wir es hier in Deutschland kennen. Kein Mensch kann davon leben. Wir haben dort erfahren, dass das Gesundheitssystem zusammenbricht. Die gesetzlichen Krankenkassen, bei einer Arbeitslosigkeit von 30 Prozent und einer Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent, können sich nicht mehr finanzieren. Das Kinderkrankenhaus kann seinen Betrieb nicht mehr aufrechterhalten. Die Beschäftigten haben uns erzählt, dass bei 3.000 Beschäftigten 800 Personalstellen abgebaut wurden und gleichzeitig die Patientenzahl um 70 Prozent zugenommen hat, weil nämlich der übrige Teil des medizinischen Versorgungssystems zusammenbricht. Was mich noch mehr erschreckt hat: Ein Kinderpsychologe hat gesagt, die Zahl von Depressionen und Selbstmorden bei Kindern und Jugendlichen nimmt dramatisch zu.

Die Situation in Griechenland kann man gut mit »einer Mischung aus Verzweiflung und Wut« beschreiben. Inzwischen sind die Menschen verzweifelt, weil sie ihren Lebensalltag nicht mehr organisiert bekommen, weil sie alle Kraft brauchen, um unter diesen Bedingungen überhaupt zu überleben. Sie haben gleichzeitig eine Wut auf die Politik der Troika, die ihnen das zugemutet hat. Ich muss ganz ehrlich sagen: Eine Politik, die solche Zustände erzeugt, die verursacht, dass 50 Prozent der Jugendlichen arbeitslos sind, dass Krebspatienten sterben müssen, weil sie die nötigen Medikamente nicht mehr finanziert bekommen, eine Politik, in der Jugendliche depressiv werden, eine Politik, in der die Schere von arm und reich immer mehr auseinandergeht, eine solche Politik ist gescheitert und eine solche Politik kann niemals als erfolgreich bezeichnet werden.

Deshalb bleibt DIE LINKE dabei: Wir brauchen eine völlig andere Europapolitik, wenn uns nicht erstens der Euro um die Ohren fliegen soll und zweitens die sozialen Verhältnisse in Europa nicht noch schlimmer werden sollen und drittens die europäische Vereinigung auf diesem Weg zerbrechen soll. Es darf doch niemand erwarten, dass ein Europa, in dem solche Zustände herrschen, in dem inzwischen Bilder zu sehen sind, die man eigentlich früher aus der Dritten Welt gekannt hat, dass ein solches Europa für die Menschen attraktiv ist.

Deswegen stellt DIE LINKE auch im Bundestagswahlkampf ihre Alternativen klar in den Vordergrund. Wir wollen nicht, dass in Europa Rentnerinnen und Rentner, Beschäftigte und Erwerbslose für die Kosten der Krise bezahlen müssen, die sie nicht verursacht haben. Wir wollen, dass diejenigen für die Kosten der Krise zahlen, die sie verursacht haben, dass also endlich Reiche und Vermögende zur Kasse gebeten werden. Wir sind für eine Vermögensabgabe, für eine Vermögenssteuer jetzt und für eine europäische Vermögensabgabe.

Klaus Lederer hat es angesprochen – ich glaube, es ist besonders wichtig, dass wir ein solches europäisches Projekt, eine europäische Vision haben. Die SYRIZA-Genossinnen und -Genossen haben uns erzählt, dass sie jetzt zwar stärkste Partei sind, aber dass die soziale Polarisierung auch dazu führt, dass rechtsnationalistische, rechtsradikale Kräfte dort Zulauf bekommen. Genau mit diesen nationalistischen Ansätzen wird ja auch gespielt: hier von CSU-Kräften und in anderen Ländern wird so getan, als dass es sich um eine Auseinandersetzung zwischen griechischer Bevölkerung und deutscher Bevölkerung handelt oder zwischen Italienern und Spaniern. Nein, liebe Genossinnen und Genossen, wir als LINKE müssen deutlich machen, dass es nicht eine Auseinandersetzung zwischen Griechen und Deutschen, Spaniern und Deutschen oder Italienern ist. Wir erleben eine Auseinandersetzung zwischen oben und unten. Deshalb brauchen wir Projekte und Forderungen, die die Gemeinsamkeit, die Solidarität von unten darstellen.

Ebenso muss endlich Schluss damit sein, dass die Europäische Zentralbank an die Banken billige Kredite gibt zu 0,75 Prozent und diese dann an die Schuldnerländer zu sieben oder acht Prozent weitergeben. Jeder weiß, dass die Schuldnerländer aus dieser Zinsfalle niemals herauskommen können, weil man das nur durch Wirtschaftswachstum unterlegen kann. Wirtschaftswachstum ist mit sinkenden Löhnen und sinkenden Renten und der Verramschung des öffentlichen Eigentums nicht herzustellen. Das muss im Übrigen auch endlich mal Herr Steinbrück begreifen. Wir unterstützen die Forderung der Europäischen Linken, die sagt: Diese Kredite müssen zu günstigen Zinsen direkt an die Schuldnerländer gegeben werden. Wir müssen nicht die Banken füttern, sondern wir müssen den Menschen in Europa helfen. Das ist Ziel linker Politik.

Ich war schon etwas erschrocken und war es ja auch vorher nicht so gewöhnt, wie manche Reaktionen in der Öffentlichkeit ausgefallen sind. Da war ja nicht nur vom »vaterlandslosen Gesellen« die Rede, in der BZ fand sich zum Beispiel die Überschrift »LINKEN-Chef demonstriert mit griechischem Mob«. Dann wurden noch Bilder von Hakenkreuzfahnen hineingeschnitten. Man könnte meinen, das sei eine Bestätigung für uns. Aber man muss auch ein bisschen Sorgen bekommen, was heute schon wieder möglich ist, wie mit solchen nationalchauvinistischen Sätzen auf der ersten Seite von Zeitungen gearbeitet wird. Wir müssen deshalb auch dafür sorgen, dass das Verhältnis wieder klagerückt wird und deutlich wird, dass DIE LINKE für ein Europa der internationalen Solidarität steht und jede nationalchauvinistische Tendenz radikal ablehnt.

Liebe Genossinnen und Genossen, es wurde angesprochen: Wir stehen natürlich kurz vor den Bundestagswahlen im Jahr 2013. Der Bundesvorstand der LINKEN hat seine Wahlstrategie verabschiedet. Wir haben inzwischen auch Kenntnis über den Kanzlerkandidaten der SPD, auch wenn ich nicht der Meinung bin, dass das automatisch dazu führt, dass DIE LINKE besser dasteht. Wir müssen – so glaube ich – darüber nicht jubeln, dass die SPD so jemanden zum Kanzlerkandidaten ernennt. Aber ich bin trotzdem der Meinung: Steinbrück ist ein offenes Angebot an Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, an Sozialdemokraten, die diesen Namen verdienen, bei der Bundestagswahl DIE LINKE zu wählen. Wer ist heute noch stolz auf die Agenda 2010? Wie kann jemand, der sich sozialdemokratisch nennt, stolz darauf sein, Millionen Menschen in die Armut und existentielle Unsicherheit gestürzt zu haben? Liebe Genossinnen und Genossen, darauf darf doch niemand stolz sein. Dafür muss man sich eigentlich schämen.

Peer Steinbrück wird fälschlicherweise in der Öffentlichkeit immer als derjenige dargestellt, der hohe wirtschaftliche Kompetenz besitzt. Ich glaube, mit diesem Mythos sollten wir dringend aufräumen. Peer Steinbrück hat damals, als die Finanzkrise am Anfang stand, gesagt: »Das ist doch eine Krise, die nur in den USA stattfindet. Sie wird auf Deutschland gar nicht herüber schwappen.« Er hat auf dem Höhepunkt der Krise gesagt: »Konjunkturprogramme sind völlig verkehrt, weil damit unterstützen wir doch nur die französische oder die italienische Automobilindustrie«, um dann wenige Monate danach die Abwrackprämie zu verabschieden. Er hat die Situation bei der IKB völlig falsch eingeschätzt und hat eine Bank gerettet mit Milliardengeldern, die eigentlich nicht gerettet hätte werden dürfen, und zwar nur aus einem einzigen Grund, liebe Genossinnen und Genossen: der Hauptgläubiger dieser Bank war die Deutsche Bank. In Wirklichkeit ging es nicht um die Rettung der IKB, sondern darum, der Deutschen Bank die Profite zu retten. Deswegen sage ich: Steinbrück hängt tief in den Fängen der Finanzindustrie und ist kein Kanzlerkandidat, der Banken wirklich regulieren wird. Steinbrück sagt heute noch, dass eine verhältnismäßig überschaubare Immobilienkrise in den Vereinigten Staaten für den Bankenkrach 2008 verantwortlich war. Also, liebe Genossinnen und Genossen, welch jämmerliche Analyse. Wer so etwas sagt, hat doch von der Funktion der Finanzmärkte, von der Funktion der Banken und von der Aufblähung der Spekulationsmärkte aber auch nichts und gar nichts begriffen.

Ich begrüße durchaus das Bankenpapier von Steinbrück und der SPD. Da wurde ja einiges von uns abgeschrieben. Es gibt ja Plagiate, über die wir nicht böse sind. Ich möchte aber auf die Reaktion der »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« hinweisen: Sie hat gefragt: Ja sitzen denn jetzt die ganzen Banker auf gepackten Koffern, weil sie so viel Angst vor dem Steinbrück-Papier haben? Dann schreiben sie: Kein einziger sitzt auf einem gepackten Koffer, weil sie ihn doch eher an seine Taten messen als an seinen Ankündigungen. Und Peer Steinbrücks Taten waren völlig andere. Der Artikel endet dann mit dem Satz: Wahrscheinlich werden sie ihn sogar wählen. Ich weiß nicht, ob man auf so ein Kompliment stolz sein kann. Ich bin auf alle Fälle froh, wenn die Bankenspekulanten uns nicht wählen.

Viel schlimmer an der Frage von SPD und Grünen ist aber: Sie verfügen über kein wirkliches Reformprogramm. Sie sagen, sie wollen die schwarz-gelbe Regierung ablösen. Es ist aber nicht bekannt, dass bisher SPD und Grüne ein Reformprojekt besitzen, eine wirkliche Alternative zur Politik der schwarz-gelben Bundesregierung. So liegt der Verdacht nahe, dass alles wieder auf eine große Koalition hinauslaufen soll. Dafür steht ja auch Peer Steinbrück. Er betont zwar, dass er das nicht will, aber nach seiner Entgegnung auf die Rede der Kanzlerin hat die BILD-Zeitung – Phantasie kann man ihr nicht absprechen – den Kopf von Steinbrück auf den Körper von Merkel montiert, und hat damit dargestellt: Naja die Unterschiede scheinen nicht so groß zu sein. Peer Steinbrück erweckt eher den Eindruck, nicht gegen Merkel zu stehen, sondern neben Merkel zu stehen.

Wir sollten deshalb unsere grundsätzliche Strategie aber nicht ändern. Wir sollten als LINKE im Bundestagswahlkampf dafür stehen, dass wir ein Reformprogramm für die Menschen besitzen: wir wollen armutsfeste Renten, statt Rente mit 67 und Renten, von denen die Menschen im Alter arm werden. Wir wollen Löhne, von denen wir vernünftig leben können. Wir wollen eine sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV. Wir wollen eine friedliche Außenpolitik, anstatt Kriegseinsätze der Bundeswehr und Waffenexporte in die ganze Welt. Wir wollen eine couragierte Umverteilung von oben nach unten. Reichtum muss umverteilt werden. Wir haben ein Plakat gemacht, das heißt »Reichtum ist teilbar«. Ich glaube, mit dieser Botschaft sollten wir auch in den Wahlkampf gehen.

Wir sollten auch sagen: Dieses Reformprogramm ist ein Angebot an die anderen Oppositionsparteien für einen wirklichen Politikwechsel. Es fällt mit Steinbrück schwer. Die SPD muss sich hier einfach entscheiden: Folgt sie ihrem linksgewendetem Programm oder folgt sie ihrem Kanzlerkandidaten. Ansonsten erklärt sie ja landauf und landab: Wir machen es mit allen, aber nicht mit den LINKEN. Deswegen sollten wir bei unserer Strategie bleiben, weil wir dann der SPD die Glaubwürdigkeitsfrage stellen können. Wenn sie es nicht mit den LINKEN machen wollen, dann bleiben nur noch zwei Optionen, weil eine alleinige Mehrheit von Rot-Grün derzeit utopisch ist. Also sie haben nur noch die Optionen, eine Große Koalition oder eine Ampelkoalition mit der FDP. Dann sollen sie bitten ihren Wählern erklären, wie sie denn mit der FDP eine Vermögenssteuer einführen wollen, wie sie mit der CDU Banken regulieren wollen, wie sie mit der CDU oder mit der FDP einen gesetzlichen Mindestlohn einführen wollen und wie sie praktisch andere Dinge, für die sie jetzt stehen – Rentensicherung und vieles andere mehr – denn verwirklichen wollen. Wenn sie das nicht erklären können – und das können sie nicht erklären –, dann können wir – so glaube ich – guten Herzens sagen: Es scheint die SPD einmal wieder links zu blinken, um dann rechts abzubiegen. Ich glaube, dass wir gut beraten sind, diese Strategie zu fahren, dass wir nämlich nicht ständig sagen, was mit uns nicht geht, sondern dass wir sagen, was mit der LINKEN geht und für was DIE LINKE steht. Daran können uns die Leute messen. Selbst Kritiker dieser Strategie haben zwischenzeitlich gesagt, wir hätten nie gedacht, dass das so aufgeht. Der Ball ist jetzt ein Stückweit im Felde der SPD und auch den Grünen. Die müssen erklären, warum sie es nicht mit den LINKEN machen. Das finde ich eine bessere Situation, als wir müssen immer erklären, dass wir ohnehin nichts bewirken.

Aber auch mit diesem Mythos müssen wir aufhören. Ich bin völlig dagegen, zu sagen, dass man in der Opposition nichts bewirken kann. DIE LINKE wirkt, so wie auch die Grünen wahrscheinlich in der Opposition sogar mehr für die Ökologie getan haben, als während ihrer ganzen Regierungsbeteiligung. Auch jetzt sehen wir, dass viele Positionen der LINKEN von den anderen Parteien übernommen werden, zwar immer zu spät, immer verfälscht, immer nicht vollständig genug. Aber erinnern wir uns an ein paar Dinge: Beispiel Transaktionssteuer - da haben noch die anderen Parteien im Bundestag gesagt, mit uns niemals. Beispiel Griechenland – da haben sie gesagt, niemals kommt eine Zeitverschiebung infrage, jetzt diskutieren sie über Zeitaufschübe. Beispiel Eurobonds – da hat selbst die Sozialdemokratie gesagt, niemals mit uns und vor drei Jahren waren die LINKEN die einzigen, die das gesagt haben. Beispiel Bankenregulierung – da haben alle anderen gesagt, freie Märkte und freie Finanzmärkte sind das A und O und wir müssten Deutschland zu einem führenden Standort für die Finanzindustrie machen – heute wird über Bankenregulierung geredet. Ich mache mir keine Illusionen, dass sie es jemals machen werden. Aber man merkt schon: Wenn es eine LINKE gibt, die in der sozialen Frage glaubwürdig ist und die auch wirtschaftspolitische Kompetenz zeigt, dann wirkt es auch. Es wirkt insbesondere dann, wenn es mit außerparlamentarischen sozialen Bewegungen zusammengeht, sowohl im Parlament als auch auf der Straße für politisch linke Positionen zu stehen.

In diesem Zusammenhang fand ich die Aktion »umFAIRteilen« einen durchaus gelungenen Auftakt. Wenn 40 000 Leute auf die Straße gehen und die Gewerkschaften und die Sozialverbände dafür mobilisieren, dann ist das noch nicht die große Bewegung. Da haben die Kritiker recht. Aber es ist ein Anfang. Man sollte sich diesen Anfang nicht zerreden lassen. Wir haben noch keine gesellschaftliche Stimmung in Deutschland, in der die Leute automatisch auf die Straße gehen. Noch immer wirkt, was Merkel sagt: Wir seien ganz gut durch die Krise gekommen. Es wirkt, auch wenn das für Millionen Menschen in Deutschland nicht stimmt. Für die acht Millionen Menschen im Niedriglohnbereich stimmt es nicht. Für die Leiharbeiter stimmt es auch nicht. Für die Teilzeitbeschäftigten, die jeden Tag gern mehr Stunden hätten, stimmt es auch nicht. Für diejenigen, die arm trotz Arbeit sind, stimmt es auch nicht. Da müssen wir auch diesen Mythos zerstören. Aber offensichtlich ist der Weg vom Kopf in die Beine in Deutschland speziell immer noch ein bisschen weit. Deswegen meine ich, sollten wir diesen Ansatz fortführen und »umFAIRteilen« auf die Straße befördern. Wir sollten auch von den Gewerkschaften ganz selbstbewusst verlangen, dass sie jetzt nicht wieder zurückstecken, sondern dass sie ihre Mobilisierung ausdehnen.

Es tut mir als Gewerkschafter manchmal in der Seele weh, wenn ich merke wie die ganzen Gewerkschaften in den anderen Ländern mit dem Rücken zur Wand stehen, diverse Generalstreiks in Griechenland, in Spanien und überall anders machen und in Deutschland ist es viel zu ruhig. In Deutschland passiert fast gar nichts, obwohl doch gerade Deutschland das Hauptwirtschaftsland ist und dort die Weichen gestellt werden. Ich absolut davon überzeugt: Wenn sich hier nichts bewegt, werden es unsere Kolleginnen und Kollegen, unsere Genossinnen und Genossen in den anderen Ländern sehr schwer haben. Also kämpfen wir dafür, dass sie überhaupt eine Chance haben, ihre Kämpfe zu gewinnen, auch in unserem eigenen Interesse.

Man kann nicht einfach glauben, dass die ganze Sache nicht wie ein Bumerang nach Deutschland zurückkommt. Jetzt schon sehen wir doch, dass in der Automobilindustrie ganze Schichten eingestellt werden. Daimler hat jetzt in Stuttgart ein Einsparprogramm von drei Milliarden beschlossen und die ganze Produktion der Luxuskarossen auf eine Schicht reduziert. VW hat auch eine Schicht gestrichen. In vielen Bereichen sehen wir gerade die Vorboten, dass die Krise zurück in unser eigenes Land kommt. Da müssen wir deutlichmachen, dass das durch die Europapolitik der herrschenden Kräfte vorprogrammiert war. Niemand konnte doch der Illusion frönen, dass wir die ganzen Exportmärkte durch eine falsche Wirtschaftspolitik zerstören und geradezu weiter so exportiert werden kann. Jetzt brechen diese Märkte zum Teil zusammen. Das hat auch Folgen für die Arbeitsplätze in Deutschland. Wir müssen deutlich machen: Mit dieser Politik sind in hohem Maße Arbeitsplätze und existentielle Grundlagen der Menschen gefährdet. Auch deshalb muss diese Politik beendet werden. Wir brauchen nicht nur in Europa, sondern auch in Deutschland dringend einen Politikwechsel für eine andere Politik.

Die Frage des Umverteilens muss im Vordergrund stehen. Der Reichtums- und Armutsbericht hat gezeigt: Wer über Armut diskutiert und über Reichtum nicht, der versucht den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Wenn wir über Armut diskutieren wollen und über die Miseren im Land, dann müssen wir auch über Reichtum diskutieren. Es ist für Linke und hoffentlich aber auch für Gewerkschafter und andere nicht akzeptabel, dass zehn Prozent der Bevölkerung über Zweidrittel des gesamten Geldvermögens verfügen. Es ist nicht akzeptabel, dass 50 Prozent der Menschen in diesem Land über gar kein Vermögen verfügen und wahrscheinlich in hohem Maße Schulden haben. Das drückt aus, wie sich hier die Verhältnisse verschoben haben. Sozialgerechte Politik – und da unterscheidet sich DIE LINKE von allen anderen Parteien – ist nur finanzierbar, wenn wir an den Geldbeutel der Reichen und Vermögenden gehen. Da haben wir ein großes Plus, weil es den LINKEN offensichtlich zugetraut wird, dass sie diesen Mut dazu auch besitzen. Die anderen Parteien haben nicht bewiesen, dass sie in dieser Frage irgendeinen Mut zeigen. Wir haben den Mut, an die Vermögen der Reichen zu gehen, weil wir wissen, dass es die Armen und die Gesellschaft dringend braucht in diesem Land.

Ich bin sehr dankbar, dass Ihr in Eurem Leitantrag die »Bedeutung des Öffentlichen« betont. Ich glaube auch, dass das Öffentliche die zweite Seite der Medaille der Sozialpolitik ist, inzwischen aber auch des sozial-ökologischen Umbaus. Wir wollen eine starke öffentliche Daseinsvorsorge – Bildung, Erziehung, öffentliche Anlagen, Altersversorgung, wohnortnahe Gesundheitsversorgung und vieles andere mehr. Wir wissen, dass die Menschen, die über wenig Geld verfügen, auf diese Dinge dringend angewiesen sind. Wenn sie nicht mehr funktionieren, dann ist das der zweite Teil des Sozialabbaus. Deshalb ist DIE LINKE eine Partei, die die öffentliche Daseinsvorsorge verteidigt, die das öffentliche Eigentum schützt und die dafür steht, dass bereits verschleudertes öffentliches Eigentum wieder rückvergesellschaftet, rekommunalisiert wird. Wir sehen auch hinsichtlich der drängendsten Fragen unserer Zeit – der Energieumbau, die sozial-ökologische Wende – nicht ohne öffentliches Eigentum geleistet werden können. Die sozial-ökologische Wende beinhaltet auch, dass Stromnetze wieder rückgekauft werden, dass es über Stadtwerke erfolgt und nicht über Energiekonzerne, die in erster Linie den Profit im Blick haben. Wir stehen für einen bedarfsgerechten öffentlichen Dienst, weil Markt, Wettbewerb und Profitlogik bei der Erziehung und bei der öffentlichen Daseinsvorsorge nichts verloren haben.

Ich bin auch sehr Eurer Meinung, dass Wohnen zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehört. Man braucht ein Dach über dem Kopf - Wohnen ist ein Menschenrecht. Die Menschen dürfen nicht über das Wohnen verarmt werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass Wohnen dem Profit untergeordnet wird. Deswegen brauchen wir dringend eine andere Wohnungspolitik, die sich mit dem Sozialen verbindet.

Liebe Genossinnen und Genossen, ich glaube, wir haben als LINKE wieder zur Politik zurückgefunden. Wir sind durchaus auf einem guten Weg, wenn ich auch merke, dass verloren gegangene Glaubwürdigkeit und verloren gegangenes Vertrauen nur mühsam wieder zurückgeholt werden kann. Wir wollen wieder im politischen Ring sein. Wir wollen glaubwürdige linke Politik machen. Wir wollen die Menschen davon überzeugen. Wenn uns das gelingt – da bin ich überzeugt –, werden wir im Januar in den niedersächsischen Landtag kommen, und wir werden ein erfolgreiches Bundestagswahljahr 2013 erleben. Ich vertraue darauf, dass unsere Mitglieder wissen, wofür sie stehen und dass wir motivierte Mitglieder haben und dass wir einen aktiven Wahlkampf für linke Politik machen werden, denn dieses Land braucht linke Politik. Ich schließe mit den Worten von Jean-Luc Mélenchon, der schon in Paris gesagt hat: »Lasst uns auf die Straßen und Plätze gehen. Die Farbe Rot muss wieder Mode werden!«

Dankeschön!