15 Jahre Bologna-Reform: Mut zu Alternativen statt faulen Kompromissen!

Franziska Brychcy

Rede von Franziska Brychcy


[ Manuskript – es gilt das gesprochene Wort

 

Liebe Genossinnen, liebe Genossen,

in unserem Leitantrag, Zeile 641 ff. steht der Satz: »Das Ziel des europäischen Bologna-Prozesses, unkomplizierte Mobilität durch vergleichbare Studienleistungen und harmonisierte Studienabschlüsse zu erreichen, wurde durch die Art und Weise der Umsetzung der Reformen konterkariert.«

Dazu möchte ich hier in der Debatte ein paar kritische Anmerkungen machen.

Nicht nur die Art und Weise der Umsetzung der Bologna-Reform ist hoch problematisch, sondern der gesamte politische Prozess ist aus demokratietheoretischer Sicht als auch von der Ausrichtung her, die Hochschulen zuvorderst als Produktionsstätten von Humankapital für den Arbeitsmarkt und nicht als ganzheitliche Bildungseinrichtungen mit gesamtgesellschaftlichem Nutzen zu betrachten, als neoliberales Projekt abzulehnen.

Mal abgesehen davon:

  • dass Deutschland immer noch Schlusslicht aller OECD-Staaten bei der Bildungsfinanzierung ist und auf Grund des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern auch erst einmal bleiben wird,
  • dass die Hochschulen trotz Exzellenzinitiative somit generell unterfinanziert sind und damit der akademische Mittelbau unter extrem prekären Bedingungen arbeitet, wenn er nicht gleich ganz abgebaut wird wie derzeit an der HU Berlin, vom Honorar der Lehrbeauftragten von umgerechnet 2 EUR pro Stunde mal ganz zu schweigen...

Wenn man von diesen doch sehr »ungünstigen« Rahmenbedingungen mal absieht und nur die konkreten Folgen der Bologna-Reform für die Hochschulen betrachtet, muss man festellen, dass sich die vorher schon mangelhaften Studienbedingungen nicht verbessert haben.

In Berlin wurde 2011 unter unserer Regierungsbeteiligung die Zwangsexmatrikulation noch wenige Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl gegen massiven studentischen Widerstand eingeführt.

Laut Tagesspiegel wurden nun 733 Studierende der alten Magister- und Diplomstudiengänge an der HU Berlin zum Ende des Wintersemesters 2013/2014 zwangsexmatrikuliert, mit der Option noch in den Bachlor-Studiengang wechseln zu können, was aber ggf. zu Rückstufungen in niedrigere Fachsemester führen wird. Der Refrat der HU berichtet von Studis, die verzweifelt Hilfe suchen, aber auch von vielen, die zwar etliche Semester studiert haben, aber jetzt schließlich doch aufgeben.

Die FU Berlin setzt das BerlHG mit aller Härte in ihrer Rahmenstudien- und prüfungsordnung um: Prüfungen dürfen höchstens drei mal wiederholt werden, sonst folgt die Exmatrikulation. In den naturwissenschaftlichen Studiengängen mit Durchfallquoten von teilweise 50% bis 80% kann das durchaus zum Problem werden!

Das ist meines Erachtens ein hoher Preis, der hier für die Anpassung an die Bologna-Vorgaben mittels des Berliner Hochschulgesetzes bezahlt werden musste und wir als LINKE. Berlin tragen mit Verantwortung dafür, dass die Zwangsexmatrikulation auf eine gesetzliche Grundlage gestellt wurde.

Mit solchen faulen Kompromissen zu Gunsten der Regierungsfähigkeit verraten wir unsere programmatischen Grundsätze!

In unserem Nachbarland Brandenburg wurde vergangenen Mittwoch ein neues Hochschulgesetz verabschiedet. Der wissenschafts- und forschungspolitische Sprecher der Linksfraktion in Brandenburg Peer Jürgens selbst schreibt dazu auf seiner Website: »Der nun vorliegende Entwurf ist leider nicht zufriedenstellend. Zentrale linke Forderungen wie die Viertelparität [und] der freie Zugang zum Master […] finden sich leider nicht im Entwurf. Die politischen Mehrheiten waren dazu innerhalb der Koalition leider nicht gegeben.«

Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung stellte bei der Evaluation der Bologna-Reform fest, dass die meisten Studierende wissenschaftliche Methoden gering schätzten und an Forschung nicht interessiert seien, die Fähigkeit zu kritischem Denken werde unter den gegebenen Studienbedingungen nicht mehr ausgebildet.

Das Wissen, das früher in acht, zehn, zwölf Semestern erworben wurde, soll nun in sechs Semestern vermittelt werden und führt zum "Bulimie-Lernen": erst reinstopfen, dann ausspucken. Dass dann nicht mehr, sondern weniger Mobilität der Studierenden in Europa die Folge ist, ist nachvollziehbar, neben der mangelnden Anerkennung von Studienleistungen aus dem Ausland, ist jeder Wechsel auch ein Risiko für den straffen Studienverlaufsplan.

Überraschenderweise stellt selbst die Hochschulrektorenkonferenz inzwischen fest, dass »Bologna« gescheitert ist: Der Bachelor bringe keine Persönlichkeiten hervor, die von der Wirtschaft dringend gebraucht würden, nämlich jene, die auch mal über den Tellerrand des Fachs hinausschauen könnten.

Die Uni hat ihren Geist verloren, nämlich nach Humboldts Bildungsideal Kreativität und Urteilskraft auszubilden und selbstbestimmte Persönlichkeiten zu entwickeln!

Die Bildungsproteste Studierender haben einige kleine Erfolge gebracht, dass z. B. die Anwesenheitspflicht an manchen Fachbereichen abgeschafft wurde, aber insgesamt haben die Proteste nicht vermocht, die neoliberale Umgestaltung an den Hochschulen zu verhindern.

Dennoch sollten wir nicht verzweifeln! Es wird Zeit, Alternativen zu entwickeln!

Der Widerstand gegen Bildung im Schnelldurchgang von der frühen Einschulung, über das G8-Abitur, bis hin zum Studium wächst. Darauf müssen wir reagieren und neue politische Impulse setzen!

Wir brauchen endlich den Mut, uns gegen faule Kompromisse zu entscheiden und offensiv in Land, Bund und Europa für unsere Forderungen zu kämpfen: Masterzugang für alle, weg mit der Zwangsexmatrikulation, Ausfinanzierung der Hochschulen! Wir brauchen endlich ein bundesweites Rettungspaket für die Hochschulen! Hoffen wir auf erfolgreiche Protesttage in diesem Sommer, unser Ziel demokratischer, friedlicher und kritischer Hochschulen fest im Blick!

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