Bilanz und Ausblick. Bericht der Abgeordnetenhausfraktion
Rede Udo Wolf
[Manuskript – es gilt das gesprochene Wort.]
Liebe Genossinnen und Genossen,
uns alle beschäftigt noch der furchtbare Terroranschlag von Paris. Wir sind fassungslos, wütend und traurig. Ja, selbstverständlich haben auch wir Angst und sind verunsichert. Und Angst und Verunsicherung ist vermutlich das, was diese Verbrecher bezwecken. Aber jeder der nur zwei Minuten nachdenkt, weiß: Es gibt darauf keine einfachen Antworten! Und trotzdem: Der Anschlag war nur wenige Stunden alt, die Zahl der Opfer und Täter noch nicht bekannt, da gab es schon die ersten, die wieder nach Aufrüstung der Polizei, Verschärfung der Sicherheitsgesetze und dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren gerufen haben. Das ist das übliche, widerliche und gefährliche Ritual. Und besonders perfide: Nach Lage der Dinge ist womöglich einer der Attentäter, – in Worten einer –, über die Westbalkanroute, als Flüchtling getarnt nach Frankreich gekommen. Da werden die irrationale Ängste in der Flüchtlingsdebatte gleich mit der Terrorangst verbunden. Dass die anderen Attentäter, soweit wir wissen, allesamt französische oder belgische Staatsbürger, möglicherweise auch Deutsche waren, und damit kein Flüchtlings- sondern ein innenpolitisches Problem sind, das gerät in den Hintergrund.
Liebe Genossinnen und Genossen,
solche dramatischen Ereignisse mit diesen schlimmen ritualisierten politischen und medialen Diskursen sind letztlich Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten. Unsere Aufgabe ist aufzuklären: Der Satz von Roland Claus, nach den Anschlägen vom 11.September 2001, ist immer noch so aktuell wie richtig: »Der Kampf gegen den globalisierten Terrorismus ist gewinnbar, ein Krieg aber nie!« Man braucht dazu einen langen Atem, man muss an verschiedensten Stellen ansetzen. Man muss dem internationalen Terrorismus den ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Nährboden entziehen. Das geht nicht von heute auf morgen. Und deshalb darf man vor allem den Menschen keine schnellen Lösungen versprechen, von denen man weiss, daß sie NICHTS helfen werden. Was hilft es, die Grenzen zu schließen, wenn 7 von 8 Attentätern als französische, deutsche oder belgische Staatsbürger in den Banlieues von Paris oder im Wedding aufgewachsen sind? Was hilft die Vorratsdatenspeicherung, die Frankreich schon vor den Anschlägen auf Charlie Hebdo hatte? Nullkommanichts! Was hätten mehr Gewehre für die Polizei im Batanclan genutzt? Noch mehr Schießerei in einem überfüllten geschlossenen Raum?
Was soll das Militär im Inland? Das Sicherheitsgefühl erhöhen? Ich fühle mich nicht sicherer, wenn ich Soldaten mit Maschinenpistolen auf dem Kinderspielplatz patrouillieren sehe! Die bittere Wahrheit ist: Gegen Terrorismus gibt es keine hundertprozentige Sicherheit! Wer aber mit Aufrüstung, Einschränkung von Bürgerrechten und Verschärfung von Sicherheitsgesetzen mehr Sicherheit simuliert, tut letztlich das, was die Terroristen und die Feinde der Demokratie bezwecken.
Wir machen das nicht mit! Wir kämpfen darum dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen: Wir kämpfen für mehr Freiheit, Mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Demokratie.
Nicht Polizei, Verfassungsschutz und Militär – Nein, – nur die Zivilgesellschaft wird letztlich den Kampf gegen den Terrorismus gewinnen können!
Liebe Genossinnen und Genossen,
die Arbeit der Fraktion war die letzten Monate ganz wesentlich vom Thema Flüchtlingspolitik geprägt. Ich will es hier auch nochmal deutlich sagen: Ja, selbstverständlich ist die Unterbringung und Erstaufnahme von Flüchtlingen eine große Herausforderung! Das umso mehr, wenn man seitens des Senats mindestens ein Jahr verpennt hat. Aber es ist keine Raketentechnik und keine Zauberei!
2012 haben wir im Parlament eine Aktuelle Stunde gehabt, nachdem die erste NOT-Unterkunft in Treptow-Köpenick eröffnet wurde, wir haben im April 2014 eine Regierungserklärung von Wowereit zum sogenannten O-Platz Kompromiss gehört, da hat er gesagt, es werden mehr Flüchtlinge kommen, wir brauchen mehr Unterkünfte und so weiter und so fort. Da haben wir uns, nachdem immer noch nichts passiert ist und der Senat keine Vorsorge getroffen hat, hingesetzt und ziemlich genau vor einem Jahr ein umfassendes, ressortübergreifendes Flüchtlingspolitisches Konzept erarbeitet. Also, lasst euch nicht einreden, es käme alles so überraschend und sei deshalb so schwierig.
Schwierig und von Monat zu Monat schwieriger wird es, weil der Senat sich nicht einig ist, und diese Mischung aus Blockade, Unwilligkeit und fachlicher Überforderung alles viel schlimmer macht, als es eigentlich sein müsste.
Liebe Genossinnen und Genossen,
es sind diese furchtbaren Bilder vor dem Lageso aus dem Sommer, die Bilder von Massenlagern an den Grenzen, die Überforderungs- und Krisenrhetorik aus Politik und Medien, die den Menschen Angst machen.
Wenn die Kanzlerin sagt, wir schaffen das und ihre ganze Partei und Koalition offene Obstruktion betreibt. Wenn Flüchtlingsgipfel stattfinden, in denen Geld gegen eine inhumane und schäbige Asylrechtsverschärfung geschachert wird, wenn die ganze Abschottungs- und Grenzschließungsrhetorik in Anschlag gebracht wird und sich an den schrecklichen Zuständen trotzdem nichts ändert, – na dann muss man sich auch nicht wundern. Dann muss man sich nicht wundern, wenn die gute, weltoffene, hilfsbereite Stimmung in der Berliner Bevölkerung sukzessive umkippt!
Forsa in der Berliner vor drei Wochen: Über 90% der Berlinerinnen und Berliner haben in ihrem Bezirk kein Problem mit den Flüchtlingen, ganze 7% haben ein Problem mit ihnen. Aber erstmals gibt es in dieser Umfrage eine knappe Mehrheit, die fürchtet, dass Deutschland mit den Flüchtlingen überfordert ist.
Das liebe Genossinnen und Genossen, ist nicht die Schuld der Flüchtlinge, das ist alleine die Schuld von Bundesregierung und Senat. Die sind nicht in der Lage, in einem der reichsten Länder dieser Erde eine vernünftige Unterbringung und Behandlung von EINEM Prozent der Gesamtbevölkerung zusätzlich sicherzustellen. Das ist erbärmlich!
Und letztes Plenum im Abgeordnetenhaus, das war bemerkenswert: Der Regierende Bürgermeister hat eine Regierungserklärung abgegeben zum Thema Flüchtlingspolitik. Da hat er seinen eigenen Senat rundgemacht wie einen Buslenker.
Inhaltlich hat er sich von seinem eigenen Abstimmungsverhalten im Bundesrat distanziert, er hat ohne die Namen zu nennen mindestens zwei CDU-Senatoren zum Rücktritt aufgefordert und hat richtigerweise für offene Grenzen für Menschen in Not, gegen Abschottungs- und Abschieberhetorik gesprochen.
Er hat inhaltlich die Koalition mit der CDU öffentlich für beendet erklärt. Bei diesem ersten Teil seiner Rede, hatte er die ungeteilte Zustimmung der Opposition.
Im zweiten Teil seiner Rede ist dann aber auch Michael Müller wieder abgeglitten in diese gefährliche Überforderungsrhetorik. Man müsse über die Absenkung von Unterbringungsstandards sprechen, Kapazitätsgrenzen seien erreicht, über Tempelhof müsse neu nachgedacht werden und die ganze alte Leier.
Liebe Genossinnen und Genossen,
solange immer noch nicht, nach mehr als einem Jahr!, nicht alle Bundes- und landeseigenen Immobilien und Flächen, solange nicht alle illegalen Ferienwohnungen, nicht alle leerstehenden Büroflächen erfasst, und geprüft wurden.
Solange nicht geprüft und geklärt wurde was eine Ertüchtigung für die Flüchtlinge an Zeit und Geld kostet. Solange der Personalnotstand im Lageso und in den Bezirken nicht seriös bearbeitet und aufgelöst wird, solange darüber kein Nachweis erbracht wurde, das alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden- und ein seriöser, transparenter und nachvollziehbarer Plan vorgelegt wird, solange, liebe Genossinnen und Genossen, muss uns keiner mit neuen Ideen zu Tempelhof kommen.
Liebe Genossinnen und Genossen,
auch die Flüchtlings-Debatte, wie sie von Bundesregierung und Senat in ihrer widersprüchlichen und dramatisierenden Art geführt wird, ist Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten und Pegida-Mob! Die letzte Asylrechtsverschärfung ist noch nicht richtig in Kraft, schon wird der nächste Katalog von Grausamkeiten diskutiert.
Die wissen ganz genau, dass dadurch nicht weniger Flüchtlinge kommen werden. Aber sie werden schlechter behandelt und gequält. Man gräbt Pegida, AFD und NPD nicht das Wasser ab, in dem man ihnen ihre Forderungen teilweise erfüllt.
Man kann ihnen nur das Wasser abgraben, wenn man sie politisch isoliert, ihnen entgegentritt und gleichzeitig nicht zulässt, dass diejenigen Menschen die hier schon lange leben und wenig haben, ausgespielt werden, gegen die die kommen und gar nichts haben.
Es geht um eine klassische Frage sozialer Gerechtigkeit, es geht darum, um es marxistisch auszudrücken: um die Verteilung des gesellschaftlichen Mehrprodukts. Es geht um die Verteilung des Reichtums! Nicht nur hier in Deutschland, aber hier Genossinnen und Genossen fängt es an! Ja, damit werden wir uns im nächsten Jahr in den Wahlkämpfen beschäftigen müssen! Es geht auch im landespolitischen und kommunalpolitischen Alltag letztlich darum, um Verteilungsgerechtigkeit zu kämpfen. Es geht nicht um Inländer oder Ausländer, um Bio-Deutscher oder Flüchtling: Es geht um reich oder arm – und um oben oder unten! Es geht darum, ob wir Menschen wie Menschen behandeln!
Liebe Genossinnen und Genossen,
selbstverständlich haben wir als Fraktion auch alle anderen relevanten landespolitischen Themen bearbeitet- und es würde den zeitlichen Rahmen sprengen wenn ich alles ansprechen würde. Aber einige Sachen muss ich dann doch noch herausheben: Wir haben, – die älteren werden sich erinnern – zu rot-roten Regierungszeiten einen ziemlich heruntergewirtschafteten Haushalt aufzuräumen gehabt. Da waren heftige und schmerzhafte Entscheidungen dabei! Der öffentliche Dienst hatte damals mit dem Solidarpakt einen riesigen Beitrag zur Konsolidierung geleistet. Dafür schulden wir, schuldet die Stadt den Beschäftigten großen Dank! Das haben wir ja nicht zum Spass gemacht! Das haben wir gemacht um eine ausgeglichenen Haushalt zu bekommen, und auch das ist kein Selbstzweck. Den braucht man um politischen Gestaltungsspielraum zurückzugewinnen. Jetzt haben wir seit 2011 einen ausgeglichenen Haushalt.
Und es war das rot-rote Versprechen, mit den Auslaufen des Solidarpakts wieder zu investieren, in den öffentlichen Dienst, in die soziale Infrastruktur und die bauliche Infrastruktur. Dieses Versprechen hat die SPD mit dem rot-schwarzen Senat gebrochen. Mindestens 3 Milliarden Euro Haushaltsüberschüsse hat der Senat seit 2011 ins Altschuldenloch geschmissen.
Was für ein volkswirtschaftlicher Unsinn, bei dem jetzigen Zins-Niveau!
Der Öffentliche Dienst wird weiter auf Verschleiß gefahren, der Sanierungsstau in Schulen, Krankenhäusern, Strassen, Brücken S-Bahn ist 3 Jahre länger mutwillig vergrößert worden. Und jetzt ein Jahr vor der Wahl, wird ein wenig so getan, als würde man da mit SIWA und ein paar Wahlkreisgeschenken einen Paradigmenwechsel einleiten. Nix is! Kein Plan, keine Idee! Das meiste ist Propaganda und kurzfristige Effekthascherei! Wir, mit unseren kleinen bescheidenen Oppositionsressourcen, haben es geschafft, die wirklichen Haushaltsüberschüsse und Täuschungsversuche offenzulegen. Wir mit unseren bescheidenen Ressourcen, haben Personalräte, Verwaltungswissenschaftler, Gewerkschaften und Bezirksvertreter an einen Tisch geholt und ein umfassendes Personalentwicklungskonzept erarbeitet.
Wir haben Vorschläge für die Beschaffung von S-Bahnzügen gemacht, Pläne für ein Berlin-Stadtwerk und die Rekommunalisierung der Netze gemacht. Wir haben eine Strategie soziales Wohnen erarbeitet, die nicht nur unverbindlichen Bündnischarakter hat. Wir haben Vorschläge für die Schulsanierung, Schulausstattung für die inklusive Schule erarbeitet. Für die Ausweitung und Stärkung der Gemeinschaftsschulen. Für ein Bäderkonzept und vieles mehr. Wir wissen, dass wir einen Masterplan, ein Investitionsprogramm brauchen mit dem wir über den Horizont der üblichen Doppelhaushalte hinausdenken.
Liebe Genossinnen und Genossen,
wir haben die Zeit seit 2011, seit unserem Ausscheiden aus der Regierung genutzt über Erfolge, Fehler und Niederlagen nachzudenken. Wir haben angefangen an Konzepten zu arbeiten und waren dabei deutlich fleißiger, innovativer und seriöser als die jetzige Regierung. Und auch wenn wir wissen, – dass manches Problem und manche Frage auch von uns noch nicht voll und ganz befriedigend beantwortet werden kann, – dass wir noch nicht in allen Feldern, die Substanz erarbeitet haben, die uns nach unseren eigenen Maßstäben zufrieden machen würde – Eins können wir nach besten Wissen und Gewissen selbstbewusst sagen: Besser als diese Regierung können wir es allemal!
Liebe Genossinnen und Genossen, wir haben in dieser Zeit erlebt, dass diese Koalition aus SPD und CDU in keiner strategischen Zukunftsfrage in dieser Stadt eine gemeinsame Linie hat, ja nicht einmal bereit ist an einem tragfähigen Kompromiss zu arbeiten. Und nach der letzten Regierungserklärung von Michael Müller hat das wohl auch endgültig jeder begriffen!
Keine Frage, je früher dieses rot-schwarze Trauerspiel beendet wird, umso besser für die Stadt.
Aber, vermutlich wird die CDU verstockt auf den Senatssesseln sitzenbleiben, bis die Pensionsberechtigungen durch sind. Und ob Müller den Mut aufbringt die CDU aus dem Senat zu schmeißen. Wir wissen es nicht. Ich vermute nicht, aber ausgeschlossen ist auch nichts. Was können wir tun, angesichts dieser institutionalisierten Koalitionskrise?
Wir können uns auf den Wahlkampf vorbereiten! Egal, ob er 9 Monate dauert oder kürzer wird. Es liegt noch ein wenig Arbeit vor uns, aber Ich bin sicher, daß wir die Kraft und die Substanz haben, die wir brauchen um einen erfolgreichen Wahlkampf zu führen und gut vorbereitet in mögliche Sondierungs- oder Koalitionsgespräche zu gehen.
Liebe Genossinnen und Genossen,
der Vorwahlkampf hat begonnen. Die anderen Parteien haben längst ihre Spitzenkandidaten und Spitzenteams nominiert. Manche, wie zum Beispiel die CDU, haben es übers Jahr schon drei bis viermal bereut, sich so früh auf Frank Henkel festgelegt zu haben. Die Sache mit dem Spitzenteam, wie die Grünen es jetzt machen, hatten wir in der Vergangenheit auch schon mal mit mässigem Erfolg ausprobiert. 2002 sind wir zu den Bundestagswahlen mit einem Fünferteam angetreten, – ist nicht so gut gelaufen. Bei den letzten Bundestagswahlen, haben wir dann ein so großes Spitzenteam gehabt, da letztlich allen klar war, dass Gregor der Spitzenkandidat ist.
Also das Gruppenmodell erschien uns ausgereizt und suboptimal. Und weil wir Sozialistinnen und Sozialisten sind, haben wir die Frage nach der Spitzenkandidatur nicht einfach so entschieden, sondern mit wissenschaftlicher Unterstützung vorbereitet und überprüft!
Wir haben insgesamt zur Wahlkampfvorbereitung und zur Überprüfung von Themen und der Wirksamkeit von Fraktion und Partei eine Studie in Auftrag gegeben. Und da haben wir für uns interessante Befunde bezüglich unserer Wählerpotentiale in Ost und West erfahren. Da gab es Bekanntes, aber es gab auch Überraschendes über Milieus zu erfahren, die wir über unser Stammwähler-Milieu hinaus erreichen können.
Ich will jetzt nicht lange von der Studie berichten, aber ich kann – euch eins sagen: Klaus Lederer ist für uns der richtige Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahlen 2016 in Berlin! Klaus ist unser Landesvorsitzender, er ist ein leidenschaftlicher Wahlkämpfer, und er erreicht Milieus, die andere nicht einfach erreichen können!
Deshalb, liebe Genossinnen und Genossen, habe ich ihn dem Landesvorstand vorgeschlagen, deshalb hat der Landesvorstand ihn einstimmig euch vorgeschlagen! Und ich bin sicher: Klaus bekommt die volle Unterstützung von Partei und Fraktion.
Wir brauchen Rückenwind von der Bundespartei, aus den andern Landtagswahlen, Jeder und Jede an seinem Platz! Mit Solidarität, Einigkeit und Vertrauen! Nach innen und nach aussen! Ich bin mir sicher, so können wir gewinnen! Vielen Dank!