Was wir mit den Gemeinschaftsschulen vorhaben

Rede von Wolfgang Albers


[ Manuskript – es gilt das gesprochene Wort.

Genossinnen und Genossen,

mit Schulpolitik in erster Linie nur auf dem Zweiten Bildungsweg langgezogener Elternabende-West konfrontiert, wollte ich hier heute ursprünglich gar nichts sagen, aber vor zwei Wochen erschien im »Neuen Deutschland« ein Artikel mit der Überschrift: »Der Traum ist aus – In Berlin ist das Projekt Gemeinschaftsschule gescheitert.« Und dazu möchte ich nun schon was sagen.

Genossinnen und Genossen,

die Gemeinschaftsschule ist doch kein Traum und auch nicht irgendeine spinnerte Idee, entsprungen rotsanfter Seeligkeit. Genossinnen und Genossen. Wir sind doch hier nicht angetreten, um zu träumen. Die Gemeinschaftsschule ist die adäquate Antwort auf eines der brennendsten Probleme dieser Stadt, nämlich ein längst überholtes, gegliedertes und ausgrenzendes Schulsystems des 19. Jahrhunderts, das soziale Ungleichheit fortschreibt und immer noch den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abhängig macht.

Der Vorsitzende des Gesamtschulverbandes Rösner hat es in der Fraktion auf den Punkt gebracht: Wenn unsere Ökonomie- und unser Verkehrssystem auf dem gleichen historischen Stand stehengeblieben wären wie unser Schulsystem, wären wir heute mit der Postkutsche angereist.

Und wenn wir diese Stadt als Linke verändern wollen, dann müssen wir auf die Probleme dieser Stadt konkrete politische Antworten geben. Und das haben wir mit der Gemeinschaftsschule getan: »Eine Schule für alle«, die jeden einzelnen Schüler, jede einzelne Schülerin dort abholt, wo er oder sie steht, die Ungleiches ungleich behandelt und die die Kinder dort stärkt, wo die soziale Herkunft sie schwächt.

Dass wir dabei auf Widerstand stoßen würden, war doch klar, aber niemand ist hier gescheitert. Diese Schulstrukturen, die wir verändern wollen, sind eine der Säulen dieses gesellschaftlichen Systems der Ungleichheit. Dennoch sind sie tief im Bewusstsein der Menschen verankert und die Verteidiger dieser Strukturen sind erfahrene Gegner, gut vernetzt, mit allen Wassern gewaschen und in der ideologischen Auseinandersetzung seit Jahrzehnten west-geschult. Und die haben sehr wohl begriffen, was hier abläuft. Möglicherweise besser als mancher uns nahestehende Redakteur.

Genossinnen und Genossen,

das, was wir mit den Gemeinschaftsschulen vorhaben, bedeutet in der Tat eine grundlegende Veränderung unseres Schulsystems und da stoßen wir natürlich auch auf entsprechenden Widerstand, weil die doch ganz genau wissen, dass die Veränderung unserer Schulen auch ein ganz wesentliches Stück gesellschaftlicher Veränderung bedeuten würde.

Für diese Auseinandersetzung zur Durchsetzung unserer bildungspolitischen Ziele, die das Westberliner Bildungsbürgertum im Mark treffen, braucht es einen langen Atem und ein kluges strategisches Herangehen. Und da sind wir dann auch nicht mehr die liebe Linke, Frau Seggelke: Wir können auch anders! Wir sollten aber keine Schlachten schlagen, die wir hier und heute nicht gewinnen können und die uns unserem Ziel nicht näher bringen.

Wir führen keinen Feldzug gegen die Gymnasien. Genossinnen und Genossen, wir führen einen Kampf für bessere Schulen, die möglichst viele Schüler möglichst hoch qualifiziert und sozial kompetent zu einem individuell adäquaten Abschluss bringen. Langfristig gut ausgestattete, attraktive Gesamtschulen mit gymnasialem Niveau, die von Schülern und Eltern und Lehrern angenommen werden – und von mir aus – auf dem Weg dorthin mittelfristig auch temporäre Sekundarschulen, dann erledigt sich die Diskussion um das alte Auslese-Gymnasium von selbst.

Wir brauchen dabei auch keine Diskussion über neue oder andere Zulassungsbedingungen zum Gymnasium. Auf der einen Seite ein integratives Schulsystem wollen, auf der anderen Seite aber über Zugangskriterien nachzudenken, das ist, Genossinnen und Genossen, ein Widerspruch in sich. Wir müssen das Gymnasium weit öffnen und es gleichzeitig zwingen, jeden Schüler zu nehmen und sich integrativ und nicht selektiv um ihn zu kümmern. Das verändert den Charakter des Gymnasiums. Und wenn es zu viele Anmeldungen für eine Schule gibt, dann gilt zunächst einmal ganz einfach das Wohnortprinzip. Dann kann der Schüler aus Zehlendorf eben nicht auf's Graue Kloster, sondern muss auf ein Gymnasium in seiner Nähe.

Genossinnen und Genossen,

zur »Sozialquote«. Wir sind da nicht eingeknickt. Nur: Die Definition, wer soll denn eigentlich darunter fallen, war schon ein Problem. Sind das allein die Kinder von Hartz IV Empfängern? Und die anderen?

Unser Anliegen bleibt klar: Wir wollen die soziale Auslese durch die Schule und an der Schule beenden, aber das geht nicht über irgendeine Quotenregelung, von der wir selber nicht konkret sagen können, wie das funktionieren soll. Das greift zu kurz. Damit kommen wir unserem Ziel nicht näher. Sie ist nicht praktikabel und juristisch und technisch nicht umsetzbar. Wir sollten uns da nicht weiter verkämpfen.

Genossinnen und Genossen, und vor allem Genosse Redakteur: Nichts ist hier zu Ende. Es fängt erst richtig an, wie dieser Parteitag zeigt. Berlin diskutiert über eine neue Schulstruktur. So haben wir es gewollt.Ja. Und die LINKE wirkt, denn ohne unser Projekt Gemeinschaftsschule verliefe diese Diskussion mit Sicherheit ganz anders.

Danke.

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