rot. radikal. realistisch. – Unser Programm für die soziale Stadt


Wahlprogramm 2021

16. Hochschulen und Wissenschaft

Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems in Berlin

Berlin ist eine Wissenschaftsstadt. Die Produktion und Weitergabe von Wissen spielt für unsere Gesellschaft, für unser Gemeinwesen und unsere Wirtschaft eine große Rolle. Die vielfältige Landschaft aus Hochschulen und Forschungsinstituten wollen wir als LINKE erhalten und ausbauen. Für uns steht dabei nicht nur die Orientierung auf internationale Forschungscommunitys, sondern auch der Nutzen für die Gesellschaft in Berlin, für unsere Region, auf der Tagesordnung.

Wissenschaft kann und soll zu den großen Herausforderungen der Zukunft Lösungen vorbereiten und entwerfen – zum Beispiel Kampf gegen den Klimawandel, Umgang mit Migration und Umsetzung von Inklusion oder soziale und ökologische Stadtentwicklung. Kritische Wissenschaftsansätze etwa in der Friedens- und Konfliktforschung, einer vielfältigen ökonomischen Lehre, in der Geschlechter- und Diversitätsforschung, aber auch in der Public-Health-Forschung wollen wir stärken.

Wir wollen eine umfassende Open-Science-Initiative für Berlin. Konzeptionen, die aus dem Open-Access- Büro Berlin vorliegen, wollen wir in die Umsetzung bringen.

Hochschulfinanzierung und Investitionspakt

Mit den neuen Hochschulverträgen wollen wir die Grundfinanzierung im Vergleich zu Projektfinanzierungen weiter stärken und den Hochschulen Planungssicherheit für weitere fünf Jahre geben. Mindestens sollen Tarif- und Preissteigerungen sowie zusätzlich ein Mittelaufwuchs für Neugestaltung landesseitig finanziert werden. In den Hochschulen muss unter Beteiligung der direkt gewählten Gremien eine transparente und zielorientierte Entwicklungs- und Personalplanung zur Grundlage der Finanzierung werden.

Wir wollen das System der leistungsbezogenen Mittelvergabe auf den Prüfstand stellen, Kriterien reduzieren und auf ihre Zielgenauigkeit und eventuelle Fehlanreize prüfen.

Das Studium in Berlin bleibt gebührenfrei, die Rückmeldegebühren wollen wir abschaffen.

Die Hochschulen brauchen einen Investitionspakt sowie einen Masterplan, um den Investitionsstau strukturiert und in einem überschaubaren Zeitraum abzubauen. Beim Neubau wollen wir insbesondere die Fachhochschulen, die unter massivem Raummangel leiden, stärken. Die weiteren Bauabschnitte der Alice-Salomon-Hochschule (ASH), den neuen Standort der Beuth-Hochschule in Tegel sowie den Zentralstandort der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) wollen wir voranbringen.

Die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) soll sowohl am Standort Badensche Straße erweitert als auch am Standort Friedrichsfelde Ost zum Bauherren in eigener Sache werden.

Gute Arbeit und Personalstruktur

In der laufenden Legislaturperiode wurden die Grundlagen für eine Umsetzung von besserer Arbeit in den Berliner Hochschulen gelegt, weitere Herausforderungen, insbesondere in den Bereichen Entfristung und Personalstruktur, liegen vor uns. So wollen wir mit den kommenden Hochschulverträgen verbindliche Konzepte zur Entfristung der Stellen von wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen sowie Dozent:innen verabreden und auf diese Weise ihren Anteil auf 45 Prozent erhöhen. Die Hochschulen sollen zudem in das Pooling von Drittmittelstellen einsteigen, um auch hier unbefristete Verträge zu ermöglichen.

Alle Stellen im Mittelbau müssen an Forschung und Lehre angebunden sein und als Vollzeitstellen (mindestens aber Teilzeitstellen mit 65 Prozent) ausgestaltet sein.

Das erweiterte Aufgabenspektrum der (Fach-)Hochschulen der angewandten Wissenschaft, etwa in Forschung und Third Mission, muss sich auch beim Lehrdeputat und bei den Arbeitsbedingungen niederschlagen. Den Mittelbau der Fachhochschulen wollen wir weiter entwickeln und ausbauen.

Wir wollen an den Universitäten Stellen in der dauerhaften, selbst-ständigen Stellenkategorie im Angestelltenverhältnis neben der Professur einrichten, die nach der Promotion angetreten wird und mittels eines qualitätsgesicherten Verfahrens bis in eine Dauerposition führt. Zugleich soll es keine Juniorprofessur mehr ohne Tenure-Track geben. Das Hausberufungsverbot sollte in beschränktem Maße gelockert werden, um fähige Wissenschaftler:innen halten zu können.

Der gesetzliche Auftrag, für Daueraufgaben auch Dauerstellen einzusetzen, muss mit den kommenden Hochschulverträgen untermauert werden. Lehraufträge sollen der Einbindung externen Wissens dienen und nicht dem Stopfen von Löchern in der Personaldecke. Vor- und Nachbereitung ist bei der Vergütung stärker zu berücksichtigen. Die Anbindung von Lehrbeauftragten an die Infrastruktur und die Ressourcen der Hochschule ist sicherzustellen. Für grundständige und dauerhafte Lehraufgaben sind Lehrkräfte mit besonderen Aufgaben sowie wissenschaftliche Mitarbeiter:innen einzustellen.

Das Forum Gute Arbeit soll die Verhandlung und Umsetzung der Hochschulverträge begleiten. Dazu muss es auf geeignetere organisatorische Grundlagen gestellt und mit einer besseren Datenbasis ausgestattet werden. Gemeinsam mit den Personalräten und den Gewerkschaften sollen auch an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen krisenfeste und familienfreundlichere Arbeitszeit- und Arbeitsortmodelle umgesetzt werden.

In der Personalstruktur wollen wir an den Universitäten weiter vom Lehrstuhlprinzip weg, hin zu einer Faculty-Struktur kommen, die das Arbeiten in Teams stärkt und die Personalentwicklung bei den Fachbereichs- und Fakultätsstrukturen ansiedelt. Dabei sollen nicht nur Professor:innen, sondern auch selbstständig arbeitende, angestellte Wissenschaftler:innen als Träger:innen des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit betrachtet werden.

Ein besonderes Augenmerk muss auf den Arbeitsbedingungen des wissenschaftsunterstüt-zenden Personals liegen, dessen Aufgabenspektrum sich deutlich erweitert hat. Eingruppierungen, Stellenbeschreibungen und Entgelte sollten diese Erweiterung ebenso widerspiegeln wie die Ausstattung der Arbeitsplätze und die Mitbestimmungsmöglichkeiten in Gremien.

Wissenschaft demokratisch gestalten

Die demokratische Gestaltung von Hochschulen ist in den vergangenen Jahrzehnten zugunsten von New-Public-Management-Mechanismen und starken Hochschulleitungen und Dekanaten beschränkt worden. Zugleich ist die Legitimation von gewählten Gremien und innerhochschu-
lischen Prozessen zurückgegangen. Die akademische Selbstverwaltung braucht ein Upgrade: durch mehr Transparenz, mehr Beteiligung und mehr Rechte. Sie ist kein Selbstzweck, sondern dient der Absicherung der Wissenschaftsfreiheit und einer demokratischen und sozialen Verfasstheit der Hochschulen. Auch an den Forschungseinrichtungen wollen wir demokratischen Prozessen der Selbstverwaltung mehr Raum geben.

Wir wollen die Selbstverwaltung in den Gremien professionalisieren, Informationsansprüche, Fragerechte und Antwortpflichten präzisieren. Die neu einzurichtenden Gremienreferate müssen entsprechend ausgestattet werden. Wir wollen besonders die Mitarbeit der Studierenden in Gremien unterstützen, etwa durch eine Anrechnung auf Studienleistungen und Erhöhung der Aufwandsentschädigungen.

Mindestens die Grundordnungsgremien wollen wir viertelparitätisch besetzen und die Spielräume der anstehenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausnutzen.

Professor:innen und Lehrbeauftragte sollen ebenfalls in die Personalvertretung einbezogen werden. An den konfessionellen Hochschulen wollen wir die Mitbestimmung der Beschäftigten ausweiten.

Forschung in gesellschaftlicher Verantwortung

Wir wollen freie, intrinsisch initiierte Forschung in der Breite ermöglichen und grundfinanzieren. Die Kriterien der leistungsbezogenen Mittelvergabe sollen auch in der Forschung auf Fehlanreize geprüft und modernisiert werden. Bei Drittmittelprojekten und Auftragsforschung soll die gesetzliche Transparenzpflicht umfassend eingehalten werden.

Die Forschung an Fachhochschulen wollen wir stärken. Das Institut für angewandte Forschung (IfaF) unterstützen wir bei der Neuaufstellung durch eine bessere Finanzierung und durch dauerhafte Strukturen.

Der Forschungsraum Berlin-Brandenburg muss enger zusammenwachsen. Universitäten, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und auch Fachhochschulen sollten enger kooperieren – auch in Transfer und Lehre.

Wir unterstützen Vielfalt in den wissenschaftlichen Ansätzen und dabei besonders kritische Wissenschaft. In den Wirtschaftswissenschaften wollen wir die Schaffung heterodoxer Professuren fördern und soziale und ökologische Aspekte sowie Geschlechterfragen berücksichtigen. Wir unterstützen die Bestrebungen an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) für eine Stärkung dieser Ansätze über die Schaffung eines eigenen Fachbereichs bzw. eigener Studiengänge.

Die Forschung zu Public Health ist gerade nach den Erfahrungen in und mit der Corona-Pandemie besonders auszubauen und abzusichern. Auch die Geschlechter- sowie die Friedens- und Konfliktforschung wollen wir finanziell dauerhaft absichern.

Das Programm »Wissen für Berlin«, das Forschung für die soziale und nachhaltige Entwicklung unserer Stadt fördert, wollen wir neu starten und mit mehr Beteiligung der Stadtgesellschaft entwickeln. Dazu soll es einen Runden Tisch mit Akteur:innen aus der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und dem öffentlichem Sektor geben.

Selbstbestimmung und Qualität in Lehre und Studium

Die Qualität in Lehre und Studium wollen wir deutlich verbessern. Insbesondere geht es darum, die Überregulierung und Verschulung zugunsten von mehr Selbstbestimmung von Lehrenden und Studierenden abzubauen. Die Wahl- und Abwahlfreiheit bei Modulen müssen im Sinne des usprünglichen Ansatzes der Modularisierung deutlich ausgebaut werden. Die Mitbestimmung von Studierenden in der Qualitätssicherung (Systemakkreditierung) wollen wir ausbauen.

Gerade nach den Erfahrungen in der Pandemie müssen digitale Lehrformate besser unterstützt und abgesichert werden. Die Hochschuldidaktik ist weiterzuentwickeln, auch um digital gemeinsame Erfahrungs- und Arbeitsräume gestalten zu können. Um die technische Ausstattung von Lehrenden wie Studierenden zu unterstützen, setzen wir uns weiter für einen Digitalpakt Hochschule auf Bundesebene ein.

Wir wollen einen Studienraum Berlin-Brandenburg, in dem Studienleistungen (wieder) voraussetzungslos und ohne weitere Prüfung gegenseitig anerkannt werden.

Neben der Qualität des Studiums wollen wir besonders die sozialen Voraussetzungen für ein Studium verbessern. Auf Bundesebene setzen wir uns für den Ausbau des BAföG, insbesondere durch die Ausweitung der Berechtigtenkreise sowie durch die Erhöhung der Regelsätze, ein. Das Angebot von Wohnheimplätzen des Studierendenwerks wollen wir durch Neubau und Zukauf deutlich erhöhen. Das Studierendenwerk sollte dazu Kredite aufnehmen können. Das Semesterticket wollen wir als Solidarmodell erhalten und auf den Preis des Azubi-Tickets senken.

Der Heterogenität von Bildungsbiographien müssen wir besser Rechnung tragen. Dies gilt sowohl für verlängerte Studienverläufe, aber auch für das Studieren mit Kind. Die projektfinanzierte Servicestelle »Familie in der Hochschule« wollen wir verstetigen. Regelstudienzeiten sollen für die Hochschule, nicht aber für die Studierenden gelten.

Bereits beim Zugang wollen wir Kinder aus Nicht-Akademiker-Haushalten besser berück-sichtigen, die Hochschulen weiter öffnen und die Zusammenarbeit mit dem Schulsektor ausbauen. Die Möglichkeit eines Orientierungsstudiums wollen wir ausweiten und besonders Geflüchteten eine Vorbereitung auf das Studium ermöglichen.

Das Zugangsportal uniassist muss grundlegend neu aufgestellt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass uniassist als Anstalt öffentlichen Rechts neu startet und aus Bundesmitteln statt über Gebühren finanziert wird. Dabei sind insbesondere Mitbestimmung und Transparenz mitzudenken.

Lehrkräftebildung

Die Anzahl an Lehramtsstudienplätzen in Berlin muss weiter erhöht, aber auch eine gute Qualität des Lehramtsstudiums gewährleistet werden. Das Lehramt muss an der Universität generell gestärkt, universitätsübergreifend gestaltet und professionalisiert werden. Professor:innen benötigen Praxiserfahrung. Didaktik muss ein Schwerpunkt im Studium sein, auch im Masterstudium. Wir wollen zudem diskutieren, welche Beschäftigungsperspektive für Absolvent:innen eines Lehramtsbachelors geschaffen werden können.

Wir schlagen eine Orientierungsphase für das Lehramtsstudium vor, in der Interessierte fachübergreifend ihre Neigung zum Lehramt prüfen können.

Bereits im Bachelorstudium braucht es einen höheren Pflicht-Praxisanteil in den Schulen. Das Orientierungspraktikum ist auszuweiten, auch in anderen Berufsfeldern wie sozialer Arbeit oder frühkindlicher Bildung. Wir wollen das Lehramtsstudium insgesamt so strukturieren, dass mehr eigene Schwerpunktsetzung möglich ist.

Inhalte wie pädagogische Haltung, Selbst- und Sozialkompetenzen, Beziehungsarbeit und Antidiskriminierung benötigen einen größeren Raum im Studium. Themen wie der Umgang mit Diversität, Inklusive Pädagogik, Medienbildung, politische Bildung, Schulentwicklung, Deutsch als Zweitsprache und Nachhaltigkeit müssen verbindlich im Studium verankert werden. Die Reflexion der Berufswahl soll als fester Bestandteil ins Studium integriert werden.

Angebote wie »Lehramt plus« und studentische Tutorien sind zu stärken.

Das Praxissemester könnte früher im Masterstudium verankert werden. Es braucht Unterstützungssysteme, da Praxissemester und Erwerbsarbeit nur schwer miteinander vereinbar sind. Die Betreuung im Praxissemester durch Unterrichtsbesuche ist zu intensivieren. Abgeordnete Lehrkräfte sind hier eine wichtige Unterstützung. Wir wollen die Kooperationen von Schulen und Universitäten ausbauen und Ausbildungsschulen einrichten. Die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Abschlüssen muss erhöht werden, indem mit einem Lehramtsbachelor immer noch die Chance auf ein Fachmasterstudium oder eine wissenschaftliche Laufbahn oder für einen Auslandsaufenthalt für Lehrkräfte besteht.

Es ist zu prüfen, ob der Semesterablauf des letzten Semesters an das Schuljahr angepasst werden kann, da Lehramtsstudierende so früher ins Referendariat einsteigen können.

Das berufsbegleitende Referendariat ist besser zu bewerben. Es muss auch in Teilzeit absolviert werden können.

Eine Verkürzung des Referendariats, wenn Mentor:innen dies befürworten, wollen wir vorsehen.