LV-Beschluss 8-105/23

LPT-Antrag A1: „Berlin 2040 – die Stadt von unten entwickeln“

Berlin 2040 – die Stadt von unten entwickeln

Das Ergebnis der Wiederholungswahl und der nachfolgenden Sondierungsgespräche zwingt unsere Partei zur Neuorientierung. Auch wenn das Wahlergebnis uns zunächst aufatmen ließ: der Verlust von Direktmandaten, Bürgermeister- und Stadtratsämtern, der Verkleinerung der Fraktionen in Land und Bezirken, der Verlust des Fraktionsstatus in einigen Bezirken und nicht zuletzt der Gang in die Opposition auf Landesebene – all dies sind Rückschläge für eine handlungsfähige, sichtbare, rebellische, linke Stadtpolitik.

Die Regierungsbilanz des ersten Jahres dieser Wahlperiode, die Bewältigung der Aufnahme von Geflüchteten und der explodierenden Lebenshaltungskosten, kann sich sehen lassen. Aber wird sie auch gesehen? Auch wenn Rot-Grün-Rot nicht abgewählt wurde, schwand das Vertrauen der Berliner*innen in die Lösungskompetenz der Mitte-Links-Koalition. Auf der anderen Seite wird auch der konservativen Wahlgewinnerin nicht zugetraut die grundlegenden Probleme der Stadt in den Bereichen Wohnungs- und Mietennot, in Bildung, Verkehr und Verwaltung anzugehen.

Die Stadt driftet auseinander – politisch, kulturell und vor allem sozial. Die Multikrise, aber auch die Fliehkräfte einer forcierten kapitalistischen Metropolenentwicklung und sich dadurch verstärkende Ausschlüsse führen dazu, dass sich Menschen von ihrer Stadt entfremden. Wir kämpfen dafür, dass Berlin ein Zuhause für alle bleibt. Denn gerade Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen drohen an den Rand gedrückt zu werden. Dabei prägen sie das Herz und die Seele Berlins.

Dieser Situation des politischen Vertrauensverlustes begegnen wir als Berliner LINKE mit einem Neustart. Die kommenden Jahren der Opposition wollen wir nutzen, um programmatische Substanz zu erarbeiten – gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, mit engagierten und fachkundigen Menschen aus Initiativen, Gewerkschaften und Bewegungen aus allen Bereichen der Stadt.

Wir wollen das Programm für eine Stadt, die Menschen vor Verdrängung schützt, mindestens 50 Prozent des Wohnraums in gemeinnütziger Hand hält und Menschen ausreichend bezahlbaren Wohnraum bereit stellt. Eine soziale Stadt, die  funktioniert, und gute Arbeit bietet. Eine Stadt, die Klimaneutralität im Einklang mit den Pariser Zielen organisiert und die zugleich auf die Folgen des Klimawandels vorbereitet ist. Eine Stadt, deren soziale und kulturelle Infrastruktur so ausgebaut und modernisiert wird, dass sie das Gemeinwesen trägt. Wir erarbeiten ein Programm, das die nichtkapitalistischen, solidarischen Seiten dieser Stadt stärkt und weitere Bereiche und Räume der Verwertung entzieht. Wir wollen eine Stadt, in der „Arrival City“, Weltstadt und Zuhause für ein ganzes Leben zu sein, kein Widerspruch ist. Eine Stadt, die ihre Vielfalt nicht beklagt, sondern kultiviert und in der Diskriminierung zurückgedrängt wird und die gleiche Chancen für alle bietet. Eine Stadt, die Teilhabe und ein gutes Leben für alle bietet, die Mobilität für alle garantiert. 

Wir werden in den kommenden Jahren bis 2026 ein Projekt der „Stadt von unten“ vorbereiten, das in der Lage ist, ein neues vertrauensvolles Miteinander von Zivilgesellschaft sowie Stadt- und Bezirkspolitik zu begründen, das Räume schafft für gemeinwohlorientierte, stadtpolitische Organisation und Empowerment. Die besondere Herausforderung dabei liegt in einer Verbindung des Innen- und Außen-Stadt, der Überwindung von kulturellen und sozialen Barrieren und  der Stärkung von Selbstorganisation auch in weniger politisch aktiven Bereichen.

Wir suchen dazu den Austausch mit lokalen Initiativen in unseren Kiezen, aber auch mit linker Politik aus Städten in Europa und der Welt, die mit den gleichen Problemen kämpfen, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln. 

Wir kämpfen darum, bis 2026 auf dieser Grundlage mit der Vision einer sozialen und ökologischen Stadt in Land und Bezirken neue, auf Beteiligung beruhende Gestaltungsmacht zu erreichen.

Der Landesvorstand wird beauftragt, gemeinsam mit den Bezirksverbänden und Zusammenschlüssen sowie Mitarbeit der Fraktionen in Land und Bezirken einen Fahrplan für einen solchen Neuformierungsprozess zu erarbeiten. In einen solchen sind Meilensteine einzuarbeiten, die die vor uns liegenden Wahlkämpfe (2023 ggf. Wiederholung Bundestagswahl, 2024 Europa-Parlament, 2025 Bundestagswahl sowie Berlin-Wahl 2026) integriert und produktiv aufgreift. 

II.

Der Wechsel in die Rolle der Opposition auf Landesebene und der Verlust von Bezirksamtspositionen und Fraktionen auf der Bezirksebene sowie fortgesetzte Mitgliederverluste stellen unsere Partei auch finanziell und organisatorisch vor neue enorme Herausforderungen. Der Verlust vieler Mitglieder grade der jüngeren Jahrgänge infolge bundespolitischer Auseinandersetzungen schwächt die inhaltliche, finanzielle und organisatorische Basis der Partei.

Der Landesvorstand wird beauftragt, mit den Bezirksverbänden und unseren Abgeordneten das Konzept räumlicher Präsenz zu überprüfen. Priorität hat der Erhalt der Geschäftsstellen in den Bezirken. Sie sollen ausgebaut werden zu unseren Zentren der stadtpolitischen Arbeit und Organisierung. Wo nötig und möglich, wird verstärkt die Zusammenarbeit mit Mitgliedern der Abgeordnetenhausfraktion gesucht.

Der Landesvorstand wird gemeinsam mit den Bezirksverbänden beauftragt, eine Strategie für verstärkte Mitgliederarbeit und -gewinnung sowie eine Jugendstrategie mit attraktiven Angeboten des Jugendverbandes und junger Mitglieder zu entwickeln und umzusetzen.

III.

Die LINKE. Berlin versteht sich als internationalistische Kraft in der multikulturellen Metropole Berlin. Der Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus, Antiziganismus und Neofaschismus sowie gegen Queer- und Behindertenfeindlichkeit, für Frieden und soziale Gerechtigkeit ist unsere DNA.

Die Verteidigung Berlins als sicherer Hafen wird angesichts der Rückschrittskoalition von SPD und CDU eine strategische Herausforderung. Der schnelle und diskriminierungsfreie Zugang für Geflüchtete in Bildung, Arbeit, Wohnungsmarkt wird noch härter erkämpft werden müssen.

Wir stehen solidarisch an der Seite der Menschen, die vor Krieg, Verfolgung, Hunger und Klima- und Naturkatastrophen fliehen mussten.

Wir stehen an der Seite der Angegriffenen und Entrechteten. Der Landesvorstand wird beauftragt, eine Veranstaltungsreihe mit u.a. ukrainischen Linken und russischen Oppositionellen aufzulegen, die hier nach Berlin gekommen sind, um auch hier ein Netzwerk der Solidarität zu schaffen.

 Wir wollen uns weiter öffnen in die Berliner Stadtgesellschaften, mehr Mitglieder mit Einwanderungsgeschichte, mehr von Rassismus betroffene Berliner*innen für uns gewinnen und den Anteil von Schwarzen Menschen und Personen of Colour in unseren Vorständen und Fraktionen erhöhen. Unser Anspruch ist es die gesellschaftliche Vielfalt unserer Stadt auch in den eigenen Reihen abzubilden. Das muss integraler Bestandteil der Mitgliedergewinnung sein. Förderinstrumente und diskriminierungssensible Strukturen in der Partei weiter zu etablieren und zu stärken bleibt eine zentrale Aufgabe.