5. Strategie, Parteiensystem, Funktion der LINKEN und »was zu tun ist«

Wir haben in der Vergangenheit immer wieder erlebt, dass Veränderungen in der Politik und über die Entwicklung in unserem Land vor allem durch die Großindustrie und das Finanzkapital bestimmt wird. Veränderungen können und müssen vor allem im Kampf auf der Straße, gegen diese Mächte erreicht werden. In diesem Punkt waren wir uns nicht alle einig. Es seien beide Seiten des Kampfes nötig, wurde in der Diskussion deutlich.­

(Basisgruppe, Treptow-Köpenick)

Wir sind uns einig, dass es das klassische Proletariat nicht mehr gibt. Alten Arbeiterpartei- Träumen nachzuhängen, lohnt sich nur noch im Sinne von Erinnern an gemeinsame angestrengte, vielfach auch erfolgreiche Arbeit bis vor 30 Jahren. Doch heute ist die LIDL-Verkäuferin und der Chefarzt einer Klinik (sofern er nicht deren Eigentümer ist), so komisch das klingt, in der gleichen Klassenposition! Sie sind nämlich Beide Ausgebeutete. Die Wertschöpfung geschieht heute durch den hochqualifizierten Automaten- Bediener, den PC- Experten und den Wissenschaftler (Letzteren hätten wir in der DDR mitleidvoll als (unterbezahlten) »Intelligenzler« bezeichnet; aus der Arbeiterklasse kommend, aber nicht zur Arbeiterklasse zählend – welcher Schwachsinn…) Was den Stress- Faktor anbelangt, geht es denen übrigens nicht anders, als der minderbezahlten Pflegekraft. Dieser polit-ökonomische Zusammenhang ist Leuten unklar, die einen Widerspruch innerhalb der Linkspartei entdeckt zu haben glauben, indem sie fordern, die Partei möge sich vorrangig um die sozial Abgehängten kümmern, statt unter der Intelligenz zu »fischen«. Einfach absurd…

Aus dieser völlig neuen, sich immer kurzfristiger verändernden Klassenlage erwächst für eine erfolgreiche LINKE ihre ideologische und massenpolitische Arbeit für die Zukunft. Wir sind die Partei der sich in einem Ausbeutungsverhältnis befindlichen Menschen. Ich gehe sogar noch weiter: Wir heißen auch kleine Unternehmer willkommen, die unter Monopolen und Banken und deren politischen Handlangern genauso leiden, wie alle Anderen.

(ein Genosse aus Pankow)

Die Themen der Linken sind stark und richtig. Es fehlten allerdings Themen wie Migration und Mobilität, Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik, Arbeit und Familie 2.0 in ihrer europäischen Dimension sowie die Kommunikation einer gemeinsamen europäischen Vision. Eine authentische Repräsentation und Kommunikation der Themen durch Kandiat*innen, mit denen sich auch jüngere Wähler*innen und Wähler ausreichend identifizieren können, wäre außerdem wichtig. 

(eine Genossin aus Mitte)

Europa bzw. die EU sind nur ein Teil der Welt, deshalb sollte unsere Partei mit sozialistischen Parteien und Gewerkschaften in der ganzen Welt zusammenarbeiten. Eine neue Internationale tut bitter not.

(eine Genossin aus Mitte)

Dennoch darf die LINKE sich nicht als Einzelkämpfer verstehen meiner Meinung nach: Ganz wie es Katja Kipping in den letzten Wochen gesagt hat, es bedarf neuer linker Mehrheiten. Das geht nur an Seite der Grünen (und vllt. der SPD, je nachdem welchen Kurs sie gehen wollen). (…) Ich denke, es liegt auch daran, dass einige Genossinnen und Genossen sich zu selten gegen Antisemitismus, Queerfeindlichkeit, Sexismus und Rassismus positionieren. Gerade linker Antisemitismus findet in der LINKEN noch zu oft Anklang. 

(ein Genosse aus Tempelhof-Schöneberg)

Angesichts fortbestehender Ungleichheiten zwischen Ost und West hat die Sorge um Grundbedürfnisse bei vielen Ostdeutschen ein größeres Gewicht als Klimawandel oder EU. Das hat auch damit zu tun, dass auf dem flachen Lande zunehmend Vereine und nicht mehr Parteien die örtlichen Themen dominieren, dass der LINKEN ihr Nimbus der Kümmererpartei ein wenig abhandengekommen ist und dass in diese Lücke häufig die AFD stößt .

(BO 307 aus Mitte)

Die EU aus ökonomischer Sicht als »Verwaltung der kapitalistischen Verwertungsbedingungen« verstanden, zeigt das große Streitpotential, das diesem Projekt für Demokratische Sozialisten inne wohnt. Dessen inhaltliche Klärung, und dafür stehen zunächst der Parteivorstand und die Bundestagsfraktion in der Verantwortung, sollte nicht weiter aufgeschoben werden auch, damit den Wahlkämpfern an der Basis bei künftigen Wahlen die Überzeugungsarbeit durch hausgemachte Probleme nicht weiterhin zusätzlich erschwert wird.

(BO 307 aus Mitte)

Nach den Landtagswahlen sollten wir weiter darüber nachdenken, wie sich unsere Partei auf die schnell verändernden gesellschaftlichen Herausforderungen strategisch besser aufstellen kann, um das inhaltliche Agieren, die Parteiarbeit und das Gespräch mit den Bürgern weiter zu optimieren. Neben anderen herangereiften Fragen sollte DIE LINKE ihre Vision der europäischen Integration und der Rolle der EU dabei mit dem Ziel weiter ausarbeiten, die Sinnhaftigkeit unserer europapolitischen Angebote für die Menschen und die Wähler erkennbarer zu machen. Dazu braucht es eventuell auch eine geeignete, längerfristige Debattenstruktur. 

(BO 307 aus Mitte)

Ein Verwandter von mir ist Redakteur im Politikressort einer großen ostdeutschen Regionalzeitung. Der sagte mir etwa folgendes (so aus strategischer Sicht zu R2G): Er halte es für falsch, dass LINKE und SPD mittlerweile versuchen, die besseren Grünen zu sein und dass sie zu allen grünen Positionen samt der ganzen Klima-Agenda Ja und Amen sagen. Damit es eine Mehrheit für R2G geben könne, brauche es keine drei grünen Parteien. SPD und LINKE müssten Wählermilieus ansprechen, die dem grünen Diskurs gegenüber kritisch eingestellt sind. Die SPD müsse wieder eine wirtschaftsnahe Partei sein und Arbeitsplätze schützen. Die LINKE müsse konsequent für soziale Gerechtigkeit stehen und zusätzliche Belastungen für „kleine Leute“ ausschließen. Da müsse man auch mal den Mut haben, quer zu einem grünen Medien-Zeitgeist zu stehen, natürlich ohne die Grünen als Partei zu verteufeln.

(ein Genosse aus Pankow)

Die geht um die Frage der Glaubwürdigkeit und des »moralischen Kredits«, wie ich es mal nennen möchte. Der scheint bei uns recht klein zu sein – jede Abweichung von unseren programmatischen Forderungen und unserer Positionierung auf Landesebene wird sehr genau zur Kenntnis genommen und viel stärker gewichtet als bei SPD und Grünen, so jedenfalls mein Eindruck. Eine Anekdote mag das auf den Punkt bringen: auf die von einer Klassenfahrt zurückkehrenden Kinder wartend unterhalte ich mich mit einem anderen Vater. Der sich so am Aufregen über »die Politik« im Allgemeinen und dann über DIE LINKE im Besonderen: was da in der Rummelsburger Bucht passiert sei zeige ja, dass DIE LINKE ihre Wählerinnen und Wähler auch betrügt. Die Schlussfolgerung: er werde jetzt zum ersten Mal in seinem Leben – die Grünen wählen. Also die Partei, von der man in Berlin zur Wohnungsfrage so gut wie nichts Handfestes hört und die klassenpolitisch die Partei der Eigenheimbesitzer (und Berufspendler!) ist. Worauf auch immer das zurückzuführen ist, scheint die moralische Messlatte, ab der wir als glaubwürdig, zuverlässig, etc. gelten, deutlich höher zu liegen (bzw. liegt sie deutlich niedriger in Hinsicht auf eine Verletzung des moralischen Anspruchs). Das bedeutet einerseits, wir müssen uns tatsächlich viel stärker an den Erwartungen orientieren, die die Menschen in uns setzen, als andere Parteien (bei denen die Menschen, was ja auch für uns spricht, von Anfang an weniger Vertrauen haben). Und andererseits können wir, wenn wir in einer Koalition doch mal von unseren eigenen Ansprüchen abweichen müssen, nicht glauben, wir müssten das nur richtig weglabern (»Wir haben den Menschen nicht gut genug erklärt ...« ist echt kein Satz, den ich jemals von euch hören möchte).

(ein Genosse aus Treptow-Köpenick)

Wir brauchen nach der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021 -oder auch schon früher bei vorgezogenen Neuwahlen- eine grün-rot-rote Regierung. Die CDU muß auf jeden Fall abgelöst werden!!! Das gelingt aber nur wenn sowohl die SPD als auch wir die Ökologie zum absoluten Schwerpunktthema machen: Den radikalen ökologischen Umbau der Industriegesellschaft- hin zum Öko-Sozialismus. (stand so auch mal im Proramm der Grünen der 1980er Jahre in Wessiland...).

(ein Genosse aus Steglitz-Zehlendorf)

Mitregieren bedeutet immer Kompromisse. Die Frage ist nur, wieweit ist der Spielraum und ab wann werden rote Linien überschritten, bzw. kann man sich als Wähler darauf verlassen, dass bestimmte Kernthemen nicht aufgegeben werden (wo das »aufgeben« hinführt, sieht man an der SPD, mit dem Unterschied: die mögliche Verlustmarge an Wählerprozentpunkten ist bei uns wesentlich kleiner). Als kleinster Koalitionspartner hat man nur sehr begrenzt Durchsetzungsmöglichkeiten. Es bleibt spannend, wie  unsere LINKEN in Bremen diese nutzen (einiges haben sie ja schon vorab aufgegebn, z.B. die schwarze Null). 

(eine Genossin aus Mitte)

Druck auf die Grünen, sich auf ein LINKES Bündnis festzulegen, statt mit der CDU koalieren zu wollen, die das Klimadebakel erst eingeleitet hat.

(ein Genosse aus Friedrichshain-Kreuzberg)

Vor lauter Mini-Minderheiten sehen wir die Mehrheit nicht mehr. Wir müssen uns auf die Frage konzentrieren, wie die unteren 50%.mehr vom Wohlstand abbekommen(Verteilung). Das jemand für die Armen und Arbeitslosen streitet ist gut, aber die soziale Frage ist größer, sie betrifft die ganze Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund  werden die wichtigen Themen zur Zeit von anderen besetzt. Entweder die große Koalition einigt sich. Beispiele sind der Migrationspakt, das Reformpaket für die Pflegeberufe (Konzertierte Aktion Pflege) oder die SPD besetzt die Themen, Beispiel Grundrente. Was bleibt ist die Rolle als Oppositionspartei mit Kritik an der Regierungsarbeit und vielen Anfragen.

(ein Genosse aus Tempelhof-Schöneberg)

Die programmatische Aufstellung der LINKEN in allen Zukunftsfragen gehe in Ordnung, es fehle den Wählerinnen und Wählern aber die Überzeugung, dass die LINKE ihre Programmatik in Europa, im Bund und Ländern umsetzen könne/ werde. Im Unterschied zu den Grünen gäbe es bisher keine glaubhafte Perspektive für eine Regierungsbeteiligung der LINKEN im nationalen Rahmen. 

(Marzahn-Hellersdorf WK 3 und 6)

Vielleicht wünscht sich unser Klientel und Wählerpotential endlich eine Eindeutige Positionierung der Partei Die Linke wieweit direkte Einflussnahme und Verantwortung zu politischen Entscheidungen auf EU und Bundesebene gewollt ist. (Ewiges Opponieren, keine konkreten und umsetzbaren Lösungsansätze und der Ewige Richtungsstreit in der Bundestagsfraktion und besonders im fehlbesetzt Bundesvorstand spricht viele unser Wähler, und auch mich, nicht mehr an). Eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene durch die nächste Bundestagswahl, Grüne+SPD+Linke, ist meiner Einschätzung nach möglich und mit etwas Anstrengung und Disziplin machbar. Auf Landesebene in Berlin und anderen Bundesländern funktioniert’s ja auch.

(ein Genosse aus Charlottenburg-Wilmersdorf)

Ich sehe hier sogar die einzige Überlebenschance der Linken, v.a. aber auch Ihr Alleinstellungsmerkmal: Die Grünen müssen, um stärkste Partei zu werden, Abstriche in der Mitte machen. Das ist wohl unvermeidlich, da sich die politische Stimmung wesentlich schneller dreht, als dass weiter gehende Veränderungen im grundsätzlichen Denken stattfinden. Die Linke muss das kapitalismuskritische Korrektiv sein – denn hier liegt nicht nur unsere Glaubwürdigkeit, hier liegt auch der Hauptaspekt von Transformation. Das »grüne Wachstum«, das auf der Vorstellung basiert, dass zwar nicht Wachstum per se (im Sinne des reinen BIP), sondern nachhaltiges Wachstum anzustreben sei, ist ebenso ein Wachstum, das nicht nachhaltig ist und nicht sein kann – legt man verschiedene Studien zugrunde, kann es kein Wachstum ohne Übernutzung der Ökosysteme geben.

Genau hier kann und sollte man auch an der ein oder anderen Stelle ein Korrektiv der Grünen sein. Haben wir den Mut und geben den Postwachstums-Ökonomen noch deutlicher eine Stimme! Wer soll es sonst tun? […] Eine programmatisch-personelle Offensive auf allen Ebenen muss her – wenn jetzt die große Chance vergeben wird, sich inhaltlich und strategisch gleichermaßen auszurichten, dann kann es sein, dass die Linke ins Abseits gerät. Die Klimakatastrophe ist keine Krise und sie wird für viele Folgegenerationen nicht vom Tisch sein. Das seht ihr sicherlich genauso. Aber das Falscheste wäre jetzt, die Ausrichtung der Grünen zu adaptieren. Sie sind der Player, der die Mitte mitnimmt und wir, die Linke (zu der ich mich in dieser Nachricht wohl schon mehrfach gezählt habe), müssen diesen unbequemen Part übernehmen, das wachstumskritische Gewissen sein, außerhalb UND innerhalb der Parlamente überzeugen und das Risiko eingehen, anzuecken. Die Linke ist hierfür die einzig glaubwürdige Partei und hat damit die Verpflichtung, dieser Rolle nachzukommen.

(ein Genosse aus Friedrichshain-Kreuzberg)

Ich glaube nicht, dass die Leute überhaupt irgendwas von einem sozial-ökologischen Umbau hören wollen - und schon gar nicht von den Linken. In der Politik werden, genau wie in jeder anderen Werbung, Gefühle vermittelt, Ideen, Visionen... Das bewegt die Menschen. Vom grauen Alltag haben sie in ihrem Leben bereits mehr als genug. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Leute von der Politik, wie sie sie kennen die Nase voll haben und dass die Linken immer noch als völlig unerotisch und als potentielle Gefahr für die Freiheitsrechte (was immer das im Einzelfall bedeutet) wahrgenommen werden. Hier muss der Hebel angesetzt werden. Außerdem braucht es die richtigen Leitfiguren. Fachliche Kompetenz ist da – man verzeihe mir – zweitrangig. (Siehe Grüne). Habeck strahlt das aus, was die Menschen gerade brauchen, und was sie vielleicht immer gebraucht haben. Verbissenheit und schlechte Laune überzeugen nicht. Oder, um es mit einem Alt-Alt-Grünen zu sagen »Mit Schaum vor dem Mund gewinnt man keine Freunde«. Kurzum, es braucht einen Imagewandel, denn die Inhalte sind richtig.

(ein Genosse aus Mitte)