Creative City Berlin – Boomtown zum Dumpingpreis

1. Parteitag, 2. Tagung

Diskussionsbeitrag von Florian Schöttle


[ Manuskript – es gilt das gesprochene Wort.

Seit 1996 arbeite ich als »der Berliner Atelierbeauftragte« an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Berliner Bildenden Künstlerinnen und Künstler. Vor dieser Tätigkeit war ich bei einem Stadtentwicklungsträger für Arbeitsförderbetriebe und Gesundheitswirtschaft verantwortlich. Ich bin also schon länger mit der Realität prekärer Lebens- und Arbeitsverhältnisse vertraut.

Im Atelierbüro bin ich tagtäglich mit den Herausforderungen konfrontiert, die sich den Berliner Künstlerinnen und Künstlern in ihrer beruflichen und existentiellen Realität stellen. In den 10 Jahren haben wir ungefähr 6.000 Gesuche abgearbeitet und 3.000 Künstlern mit bezahlbaren Ateliers geholfen.

Wir haben uns im Quartiersmanagement und in der Stadterneuerung eingebracht und Netzwerke geknüpft, sind Kooperationen mit anderen Zielgruppenverantwortlichen eingegangen. So haben wir zum Beispiel einen gemeinsamen Standort für Künstlerateliers und Wohngemeinschaften für ehemalige Psychatriepatienten in Mitte geschaffen, der übrigens hervorragend funktioniert.

Es ist für uns besonders wichtig, die Bedürfnisse und die Wirtschaftsverhältnisse unserer Akteure genau zu kennen und unsere Fördermaßnahmen mit höchster Zielgenauigkeit umzusetzen, weil wir die geringen Fördermittel effizient einsetzen müssen.

Besonders wichtig ist es auch, Synergieen zu anderen , verwandten Bereichen zu finden, um sozusagen die letzten Ressourcenreste aus dem Topf zu kratzen. In den Quartiersmanagementgebieten gelten die Künstlerinnen und Künstler als höchstwillkommene Akteure, weil sie selbstmotiviert mit ihrem Werk an die Öffentlichkeit gehen, die künstlerische Arbeit sich ja immer auch auf Räume bezieht und so Beiträge zur Belebung und zur Beseitigung von Leerstand von Ladenlokalen geleistet werden.

Im Zuge dieser Kooperationen richtete sich unser Blick auch auf Berufsgruppen, die eine ähnliche existentielle Realität bewältigen müssen. Wir gründeten zusammen mit der Zwischennutzungsagentur, dem »Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung« und anderen stadtteilaktiven und forschenden Institutionen den »Arbeitskreis nachhaltige Infrastrukturentwicklung«, veranstalteten Diskussionen mit den Vermögensverantwortlichen beim Finanzsenator, dem Liegenschaftsfonds und Akteuren aus dem Bürgerschaftlichen Engagement.

Gleichzeitig intensivierten wir unsere Forschungsarbeit auch im Bezug auf die Verflechtung der künstlerischen Arbeit mit kulturwirtschaftlichen Feldern. Schliesslich beteiligten wir uns an der Steuerungsgruppe für den Pankower Kulturwirtschaftsbericht und am »Runden Tisch für Design und Mode« der Wirtschaftsverwaltung.
Es gelang dann schliesslich, gemeinsam mit dem DIW parallel zum Kulturwirtschaftsbericht für Pankow eine groß angelegte Befragung von 5.500 professionellen Bildenden Künstlerinnen und Künstlern durchzuführen. Seither stehen wir in enger Kommunikation, in der sich auch zeigt wie sehr sich die berufliche Realität der Selbstständigen und Freiberufler aus den »Kreativbranchen« derjenigen der Künstlerinnen und Künstler nähert.

Nur ca. 5% der Künstlerinnen und Künstler erwirtschaften aus ihrer künstlerischen Tätigkeit ein wirklich auskömmliches Einkommen. Das überrascht nicht unbedingt, denn die künstlerische Arbeit ist primär auf die Inhalte und ihre Kommunikation gerichtet und nur sekundär auf ökonomische Verwertung.

Traditionell verfolgen die Künstler für das Überleben also Nebenerwerb, vorrangig im pädagogischen und im Medienbereich. Die Untersuchung aus 2006 brachte im Bezug auf die Deregulierung dieser Arbeitswelten sehr deutliche Ergebnisse. 45% haben so geringe Einkünfte, dass sie zum Bezug von Sozialleistungen berechtigt wären, aber »nur« 16% nehmen Leistungen nach »Hartz IV« oder der Grundsicherung in Anspruch. Zahlreich sind in dieser Gruppe die Fälle, in denen der Künstlerberuf von den Sachbearbeitern der Jobcenter gar nicht als solcher wahrgenommen wird. Trotz Hochschulstudium und anderer Qualifikationen werden die Künstlerinnen und Künstler praktisch als ungelernte Hilfsarbeiter eingestuft und entsprechend behandelt, in vielen Fällen ohne jede Wahrung der Menschenwürde. Inhaltlich sinnlose Auflagen zur Weiterbildung und die Verpflichtung, aktive Jobsuche in allen möglichen Wirtschaftsbereichen nachzuweisen, kommen einem Berufsverbot für die Künstler gleich, weil sie schlicht und einfach keine Zeit und Energie mehr für schöpferische Prozesse haben.
Nur noch unter 5% der Befragten verfolgen noch einen Nebenerwerb in der Kulturwirtschaft. 45% gaben sogar an, nur noch künstlerisch zu arbeiten, nicht weil sie von der Kunst leben können, sondern weil die kulturwirtschaftlichen Branchen sozial und ökonomisch schon genau so wenig strukturiert sind wie der Kunstmarkt.

Speziell in der Medienwirtschaft wurden  in Berlin in den letzten 10 Jahren über 3.000 feste Stellen abgebaut.
Freigesetzt wurden hauptsächlich technische Mitarbeiter aufgrund von Automatisierung und Rationalisierung, aber auch journalistisches Personal. Die inhaltliche Qualität vieler Printmedien wurde krass schlechter. So hat zum Beispiel die »Berliner Morgenpost« sämtliche »Vor-Ort-Büros« in den Bezirken ersatzlos gestrichen, die Redaktion wurde mit der der »Welt« fusioniert, so daß sich die beiden Titel nicht mehr groß unterscheiden. Die Vor-Ort- Recherche gibt es fast gar nicht mehr, die Redakteure selbst machen Zeitung vom Schreibtisch aus, übertragen fast nur noch Agenturmeldungen.
Die technische Entwicklung im Multimediabereich erwächst zum Jobkiller bei der Video- und Fernsehproduktion. So reichen heute eine DV-Kamera und ein guter Notebookcomputer für einen sendereifen Fernsehbericht, für den man früher ein ganzes Team aus Tonleuten, Postproduzenten und Cuttern gebraucht hat.

Auf dem Buchmarkt und im Verlagswesen eine vergleichbare Entwicklung: Eine normale Buchhandlung ernährt kaum ihren Besitzer und ein Verlag besteht in der Regel aus dem Verleger, einer Teilzeitsekretärin und einer Datenbank mit möglichen freien Mitarbeitern, die projekteweise auf Honorarbasis rekrutiert werden.
In der Werbewirtschaft fand man im Zuge der Recherchen zum Kulturwirtschaftsbericht eine Agentur, die 7000 freie Mitarbeiter im Hintergrund hält. Ähnliche Verhältnisse finden sich in der Architektur: Die Büros verzichten fast gänzlich auf feste Stellen, obwohl gerade aktuell Einkünfte um 3.000 € netto monatlich pro Beschäftigten als Durchschnitt berechnet wurden.

Mit dem Internet ist zwar die Notwendigkeit für alle Wirtschaftsbereiche gewachsen, Werbung und unternehmerische Selbstdarstellung zu betreiben und nach Möglichkeit digitale Handels- und Kommunikationsplattformen aufzubauen, aber diesen rasch gewachsenen Markt teilen sich eine exponential wachsende Zahl von Anbietern entsprechender Dienstleistungen. Dasselbe gilt für die IT-, Software- und Computerspielebranchen. Dieser Bereich, gemeinhin als »Neuer Markt« apostophiert, generiert den Löwenanteil des überproportionalen Wachstums der Kulturwirtschaft - über 6% gegenüber 1,8% Wachstum in Berlin insgesamt -, kann aber trotzdem als Modelfall für die Deregulierung der Arbeitsmärkte gelten. Anfangs wurden noch große Firmenstrukturen angelegt, um die Dienstleistungen zu erbringen, die der Markt aber schlicht nicht angenommen hat, weil die Nachfrager schnell herausfanden, dass die gleiche Leistung von Freiberuflern gut 30% günstiger zu haben war und die Auswahl an Anbietern über das Medium selbst bequem zu treffen. Der »neue Markt« wurde totgeredet, obwohl die Umsätze ständig stiegen. Die Freiberufler sind als Auftragnehmer isoliert, der Preiskampf ist mörderisch. Webdesign bekommt man bereits zu Stundensätzen um 12 €. Auskömmlich ist das nicht.

Berlin kann getrost als Hauptstadt prekärer Beschäftigung in der Kulturwirtschaft bezeichnet werden. Die Versichertenstatistik der Künstlersozialkasse gibt Indizien für die Entwicklung: Die Zahl der Versicherten explodierte in Berlin von 2000 bis 2004 um 40% von ca. 15.000 auf rund 21.000 Versicherte, zu einem geringeren Teil durch Zuzug von Kreativen, überwiegend durch den Abbau von festen Stellen bei durchaus wachsenden Umsätzen.

Mit diesem Abbau geht einher, dass die freiberuflichen Akteure auch räumlich nicht über feste Arbeitsplätze verfügen. So werden von den Unternehmen nicht nur Lohnneben- sondern auch Sachkosten in erheblicher Höhe eingespart. Statt an einem Schreibtisch oder einem Schnittplatz im Unternehmen wird am Küchentisch oder im Schlafzimmer produziert, neuerdings sogar in speziellen Cafés, notgedrungen, wenn der tägliche Lärm und andere häusliche Ablenkungen konzentriertes Arbeiten unmöglich machen.

Erschreckend niedrig ist auch die Bereitschaft, sich selbst sozial abzusichern, zumal, weil die geringen Umsätzen der vielen einzelnen Marktteilnehmer nichts hierfür übrig lassen. Viele sind froh, wenn das Geld für Essen, Miete und Kleidung reicht. Von den rund 30.000 kreativen Freiberuflern und Mikrounternehmen in Berlin kommen sehr sehr viele über einen Gesamtumsatz von 15.000 € jährlich nicht hinaus.

Nicht nur in der Bildenden Kunst, in der ganzen Kulturwirtschaft grassiert eine Art Turbokapitalismus, der auch vor dem öffentlich geförderten Kulturbetrieb nicht halt macht. So werden soziale Rechte zum Beispiel der Bühnenarbeiter oder der Schauspieler, die ja als Mitarbeiter der stattlichen Häuser Angestellte im öffentlichen Dienst waren durch die sonst sinnvolle Opernreform in Berlin zu Mitarbeitern »privater« Betriebe und müssen so auf die mit der Anstellung im öffentlichen Dienst verbundenen Sicherheiten verzichten.

Leider stellt die statistisch positive wirtschaftliche Entwicklung der Kulturwirtschaft insgesamt die Gemeinwesenfinanzierung des klassischen Kulturbetriebs in Frage, mit der schlichten Argumjentation, na, funktioniert doch, wo ist der Subventionsbedarf? Verkannt wird nämlich die Tatsache, dass 60% der Umsätze der Kulturwirtschaft in Verwertungsketten mit Ursprung im öffentlich geförderten Kulturbetrieb gemacht werden. Diese Investionen sind unersetzlich und rechnen sich volkswirtschaftlich mit dem Faktor 1,4, wie die amerikanische Gesellschaft für Kulturökonomie vorrechnete.

Eine  Kommerzialisierung des Kulturbetriebes ist nachhaltig betrachtet fatal für den Standort Europa. Wenn nur der Markt bestimmt, was »gute« Kunst ist, verkommt die Innovationskraft, denn Neues eckt oft an oder entspricht nicht den Wahrnehmungsgewohnheiten, wird aber posthum als wegweisender Beitrag eingeordnet.

Für einen Exportweltmeister zählt im globalen Konkurrenzkampf vor allem die Qualität der Produkte. Qualität ist aber ein direkter Effekt von Lebenskultur, Unternehmenskultur und Kultur allgemein. Sie entsteht im Austausch, im Diskurs und durch gute Infrastruktur, räumlich wie organisatorisch.

Wenn das Gemeinwesen es nicht mehr leistet, diese Strukturen aufrechtzuhalten, werden die Akteure selbst beginnen, sich zu organisieren. Es gibt heute schon eine Vielzahl von Branchennetzwerken und Filesharing-Zirkeln. Erste Künstler- oder auch Handwerksgenossenschaften befinden sich in Gründung. Was nach wie vor fehlt, sind Kommunikationsräume als in den Stadtteilen des kreativen Millieus angesiedelte Infrastruktureinrichtungen, durch gemeinnütziges oder Gemeinweseneigentum aus der Bodenspekulation entzogen.  In Berlin würden 10 solche Zentren für kreative Mikrounternehmen dafür sorgen, dass die Kreativen in den Künstlervierteln beleiben können, ohne dem Verdrängungsdruck der Gentrifizierung ausgesetzt zu sein, die sie selbst mit erzeugen.

Das demokratisch organisierte Gemeinwesen ist gefragt, schneller als bisher auf Strukturwandel zu reagieren und sich die Verantwortung für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der Infrastruktur nicht aus der Hand nehmen zu lassen.
Bis heute hat es die Wirtschaftsförderung nicht verstanden, auf die Bedürfnisse der zunehmenden und dauerhaft irreversiblen Freiberuflichkeit der wichtigen Branchen einzugehen. Wer keinen Gewerbeschein hat, kann Wirtschaftsförderung nicht in Anspruch nehmen. Für Bildende Künstler im engeren Sinne gibt es nicht einmal eine Branchenkennziffer.
So bleiben die in Presse und Medien hoch gelobten und von vielen Städten und Gemeinden als Bewohner und Akteure erwünschten Künstlerinnen und Künstler vor allem eines: Biodiesel für die Wirtschaft. Ausgebeutet bis in die Knochen.