DIE LINKE in Berlin bis 2011: Erfolg muss erarbeitet werden.

Rede von Klaus Lederer

 

[ Manuskript – es gilt das gesprochene Wort. ]

Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Gäste,
es gab Momente in den vergangenen Jahren, da fiel es mir wesentlich schwerer, vor Euch zu treten und zu reden. Nun haben wir den 27. September hinter uns gebracht und Ihr seht es mir sicherlich nach, dass ich mich bei unserem Bundestagswahlergebnis ein wenig länger aufhalten will, diesen Moment ein wenig auskosten möchte.
Zum ersten Mal haben wir bei einer Bundestagswahl ein Ergebnis von über 20% erreicht. Zum ersten Mal sind wir zweitstärkste Partei in Berlin geworden. Wir sind im Osten der Stadt wieder stärkste Partei geworden, im Westteil mit 10,8% zum ersten Mal zweistellig. Zum ersten Mal sind 5 Bundestagsabgeordnete aus Berlin Teil der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Und ich will die Gelegenheit nutzen, unseren 5 Bundestagsabgeordneten hier noch einmal recht herzlich zu gratulieren. Ich gratuliere – in der Reihenfolge der Direktwahlergebnisse – Petra Pau, Gesine Lötzsch, Gregor Gysi (der heute auf dem Landesparteitag in Thüringen ist) und Stefan Liebich, und natürlich gratuliere ich Halina Wawzyniak zu ihrem Einzug und zu – immerhin! – Platz 2 in Friedrichshain-Kreuzberg. Und natürlich gilt mein Dank auch den Kandidatinnen und Kandidaten in den anderen Wahlkreisen und auf der Landesliste, Euch allen, den Mitgliedern und SympathisantInnen, uns allen, die wir gemeinsam einen großartigen Wahlkampf hingelegt haben.

Liebe Genossinnen und Genossen,
ich freue mich, dass wir heute auf unserem Landesparteitag auch wieder unter Beobachtung stehen. Es ist ein gutes Zeichen, wenn wir nicht im eigenen Saft schmoren, sondern Interesse findet, was wir hier tun und lassen. (...)

Liebe Genossinnen und Genossen,
hinter uns liegt ein hartes Jahr. Nicht nur die Wahlen zum Europaparla-ment und zum Bundestag brachten viel Arbeit mit sich. Auch die von uns selbst bewirkte Stärkung direkter Demokratie hat uns viel Kraft gekostet. Und nun ist es ja manchmal so, dass man auf die eine oder andere Aus-einandersetzung vielleicht gern verzichtet hätte, aber wir unterwerfen unsere politischen Entscheidungen damit auch dem Prüfstand der Berli-nerinnen und Berliner. Und dass es einmal mehr gelungen ist, ein Ansin-nen zurückzuweisen, das Berlin nicht integrativer und zukunftsfester macht, sondern rückwärtsgewandt erscheint – dass es gelungen ist, un-seren Ethikunterricht durch parteiübergreifende Kooperation mit einer Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner zu bestätigen, das finde ich schon ein großartiges Ergebnis!
Ja, das hat uns viel abverlangt. Aber es ist auch ein Ausdruck lebendiger Demokratie – und der scharfe Ton, der die Auseinandersetzung geprägt hat, ist glücklicherweise mit der Entscheidung selbst relativ schnell wieder einer respektvollen und kooperativen Form des Umgangs gewichen. Lebendige Demokratie kann auch für Anerkennung sorgen und erleichtern, dass eine Differenz in Sachfragen sich nicht zu unüberwindlichen Gräben auswächst. Und manche, die sich in der Frage des Ethikunterrichts auf unterschiedlichen Seiten fanden, werden in nächster Zeit in zentralen Fragen gemeinsam arbeiten, streiten und aufeinander angewiesen sein. Denken wir nur an die soziale Spaltung unserer Stadt, die wir zu Recht im Bundestagswahlkampf immer wieder thematisiert haben. Und ich glaube, dass es uns erfolgreich gelungen ist, stadtpolitischen Anspruch und bundespolitische Grundentscheidungen in unserem Wahlkampf miteinander glaubwürdig und nachvollziehbar zu verbinden.
Denn: Vergessen wir nicht, dass bei aller Freude und unserem Erfolg die Bundestagswahl auch noch ein anderes Ergebnis hatte: Es ist, trotz des Verlustes von 2 Millionen Stimmen bei CDU/CSU, jetzt eine Bundesregie-rung im Amt, die eben nicht dafür bürgt, die landespolitischen Voraus-setzungen für die Bekämpfung von Armut und für die Sicherung der Teilhabe aller zu verbessern. Es war schon in der Vergangenheit nicht so, dass Berlin von der Bundesebene mit Gunstbeweisen verwöhnt wurde. Besser wird es gewiss nicht werden! Über die marktorthodoxe Ideologie der FDP muss ich hier nicht reden, über die Kontinuität des Aussitzens und der Konfliktverwaltung bei der Kanzlerin auch nicht. Aber über die Folgen beider fataler Haltungen müssen wir sprechen, denn sie treffen uns unmittelbar.

 

Liebe Genossinnen und Genossen,
gegen die wirklichen Ursachen der Bankenkrise wird nichts unternommen. Wie wir im Bundestagswahlkampf vorhergesagt haben, werden aber die Kosten der Absicherung des Banken- und Unternehmenssektors, die nichts, aber auch gar nichts an der Kreditklemme der klein- und mit-telständischen Unternehmen geändert haben, nun dort eingetrieben, wo schon in den letzten Jahren zugelangt wurde.
Die FDP drängt auf die Ausweitung des Kapitaldeckungsprinzips im Gesundheits- und Pflegebereich. Private Vorsorge statt Solidarprinzip und Konsumförderung – das wird dazu führen, dass neue Milliarden in das spekulative System gepumpt werden, die sich gut verzinsen müssen, während viele prekär Beschäftigte mit ihren Lebensrisiken allein gelassen werden. Spüren werden wir das in Berlin, denn in unserer Stadt sind bekanntlich viele Menschen arm.
Oder nehmen wir das Beispiel Steuerpolitik. Das, was wir hier erleben, ist natürlich von besonderer Bedeutung für unsere Stadt. Nachdem bereits die rot-grüne und die schwarz-rote Regierung den Ländern und Kommu-nen beträchtliche Steuerausfälle beschert haben, will vor allem die FDP weiter an der Spirale nach unten drehen.
Das Prinzip ist immer das gleiche. Während im Bund die Ursachen der Krise unbearbeitet bleiben, wird gleichzeitig die soziale Spaltung vertieft. Die Kosten dieser Entwicklung werden auf Ländern und Kommunen ab-geladen, die dann sehen müssen, wie sie die Folgen der sozialen Spaltung auffangen. Das kennen wir alles schon. Im Zuge des Zerplatzens der „New-Economy“-Blase, als die Steuern in Berlin einbrachen, kam die rot-grüne Steuerreform. Zwischen 2000 und 2002 brachen die Steuer-einnahmen um fast 15 % ein, erst 2006 waren sie wieder auf dem Niveau von 2006. Nun haben wir eine ähnliche Prognose: In diesem Jahr werden gegenüber 2008 1,3 Mrd. € fehlen, im nächsten Jahr rechnet der Senat mit 1,9 Mrd. € Minus gegenüber dem letzten Jahr.
Und da soll dann noch eins draufgesetzt werden? Das ist unverantwort-lich, liebe Genossinnen und Genossen! Und dann wird mit der Be-treuungsgeld-Debatte über diejenigen gehetzt, die die Verlierer dieser Prozesse sind.
Berlin ist in jeder Hinsicht andere Wege gegangen. Wir haben durch Ein-flussnahme auf die Geschäftspolitik eine schwarz-rot gestrandete Bank saniert und in die Trägerschaft der Sparkassen gegeben, womit die Be-lastungen abgefangen werden konnten. Wir haben uns durch eine Politik des sozialen Ausgleichs der bundesweiten Entwicklung entgegenges-temmt, und hier war gegen manche Widerstände in der Stadt – denken wir an manche Äußerung unseres ehemaligen Finanzsenators – unsere Partei die treibende Kraft.
Und da sie heute auch hier ist: Mit Heidi Knake-Werner hat sich Mitte Oktober die Senatorin aus der Berufspolitik zurückgezogen, die wie keine andere seit 2002 für dieses Engagement stand. Liebe Heidi, herzlichen Dank für Deinen Einsatz!
Übernommen hat den Staffelstab Carola Bluhm. Herzlichen Glückwunsch, liebe Carola! Mit den aktuellen Haushaltsberatungen hast Du Deine ersten Erfolge erreicht. Es sieht nicht so aus, als würden sich die Rahmen-bedingungen für Deine harte Arbeit in nächster Zeit ändern, aber wir kämpfen ja mit vereinten Kräften. Viel Erfolg bei Deiner Arbeit! Und Udo Wolf, nun anderthalb Monate unser neuer Fraktionsvorsitzender, möchte ich ebenfalls gratulieren. Gemeinsam mit anderen Genossinnen und Genossen hat Udo ein Diskussionspapier vorgelegt, wie es landespolitisch weitergehen könnte. Auch Dir, lieber Udo, viel Erfolg in der neuen Funk-tion!

Liebe Genossinnen und Genossen,
da bin ich sofort wieder beim Thema, nämlich den neuen Herausforde-rungen auf der Ebene der Landespolitik, die sich im bundespolitischen Raum auftun. Stichworte Steuerpolitik, Schuldenbremse, Haushaltskon-solidierung. Selbstverständlich muss etwas gegen die wachsende Ver-schuldung der öffentlichen Haushalte unternommen werden. Aber das wird nicht gehen, indem man es einfach anordnet. Man kann nicht den Wasserhahn verplomben, auf der anderen Seite permanenten Sonnen-schein befehlen und dann auch noch blühende Landschaften erwarten.

DIE LINKE hat in Berlin gezeigt, dass sie sehr wohl in der Lage ist, eine verantwortungsvolle Finanzpolitik zu betreiben. Wir werden uns keinem Vorschlag verschließen, wie mit öffentlichen Mitteln effizienter umgegan-gen werden kann. Sparen um des Sparens Willen, Sparen als Selbstzweck – das ist keine Politik, das ist das Ende von Politik. Wir werden die Folgen der bundespolitischen Geisterfahrten nicht auf dem Rücken der Ausgegrenzten, Prekären und Marginalisierten abladen. Unser Kriterium für Finanzpolitik ist, ob wir dadurch mehr oder weniger politische Handlungsspielräume für unsere Stadt und die Berlinerinnen und Berliner er-reichen – nicht mehr und nicht weniger. Das, und nichts anderes, ist gemeint, wenn wir sagen: Wir werden der Krise nicht hinterher sparen. Wir, liebe Genossinnen und Genossen, müssen diskutieren, wie wir ein Mehr an Handlungsfähigkeit erreichen wollen. Deshalb bin ich dankbar für den Aufschlag, der aus der Abgeordnetenhausfraktion gekommen ist – ich wünsche mir, dass die Diskussion dazu in unserer Partei breit und ernsthaft geführt wird, und am besten nicht nur in unserer Partei, sondern auch mit den Partnerinnen und Partnern in der Stadtgesellschaft. Ich komme darauf nachher noch zurück.

Liebe Genossinnen und Genossen,
unser Bundestagswahlkampf war auch deshalb erfolgreich, weil wir es geschafft haben, Berliner Landespolitik und Bundespolitik miteinander zu thematisieren. Jeder Versuch, uns mit dem landespolitischen Handeln in Unglaubwürdigkeit zu setzen, ist gescheitert – und zum Glück sind wir selbst, anders als wir es gern mal tun, auch nicht der Versuchung erlegen, uns zum besten Kronzeugen gegen uns selbst aufzuschwingen.
Wir sind unbequemen Themen und Problemen nicht ausgewichen, son-dern offensiv mit ihnen umgegangen. Nehmen wir zwei Beispiele. Die Opposition hat versucht, die rot-rote Koalition mit dem S-Bahn-Chaos vorzuführen. Das ist nicht gelungen. Weil wir es geschafft haben, auf die verheerenden Folgen des geplanten Bahn-Börsengangs den Fokus zu richten. Und weil wir sogar eine Idee in die Debatte gebracht haben, wie es anders gehen könnte! Und das hat man uns auch abgenommen. Weil wir in Berlin in unseren öffentlichen Unternehmen seit Jahren darum kämpfen, es anders zu machen. Auch die Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes, zu denen wir uns klar positioniert haben, ohne uns selbst zur Tarifpartei zu machen, waren natürlich für die Beschäftigten Berlins ein brennendes Thema. Aber wir hatten dazu eben eine Haltung, wir haben uns nicht versteckt, sondern unsere Linie offensiv vertreten: Berlin darf nicht auf Dauer Ausnahmezustandsgebiet im Flächentarifvertragssystem sein. Und ich habe den sicheren Eindruck, dass das bei vielen Beschäftigten durchaus angekommen ist. Man erwartet von uns nicht die Lösung jeglicher Probleme jetzt und sofort. Aber man erwartet zu Recht von uns, dass wir sie aufgreifen, thematisieren und mit ihnen offensiv umgehen, dass wir uns einsetzen, engagieren und auch kämpfen! Das kann uns gelingen, wir haben es gesehen, liebe Genossinnen und Genossen. Und ich wünsche mir, dass das so bleibt!
Wir haben erlebt, dass unserem Koalitionspartner dieser souveräne Umgang nicht gelungen ist. Die Berliner SPD stand im Sog ihres verheerenden Bundestrends und konnte sich von der schwarz-roten Bundesverantwortung nicht abheben. Aber mehr noch: den Berliner Themen, die ja einen deutlichen Bundesbezug besitzen, hat sie sich nicht zugewendet, sondern sich nicht oder sehr defensiv positioniert - offenbar in der Hoffnung, damit unter dem Radar der Wählerinnen und Wähler durchtauchen zu können. Das ist nicht gelungen, und darüber bin ich nicht glücklich. Gefangen hat sie sich damit bis heute nicht, aber das ist alles andere als ein Grund zur Häme. Natürlich hat sich damit nicht nur die SPD zur medialen Zielscheibe gemacht, sondern es scheint, als fühlten sich alle, die in den vergangenen Jahren in der Defensive waren, nunmehr zur finalen Abrechnung mit der rot-roten Koalition berufen. Es ist ja auch ein mutiges Spiel, in einer solchen Situation in die Offensive zu gehen. Da braucht man keine eigenen Ideen. Es reicht, draufzuschlagen und sich den Beifall dafür abzuholen.
Dabei ist die Bilanz der vergangenen Monate, nüchtern betrachtet, eine ganz ordentliche. Im September hat der Senat ein Vergabegesetz mit bundesweitem Vorbildcharakter auf den Weg gebracht, das öffentliche Aufträge an die Zahlung von Mindestlöhnen koppelt. In Hamburg dagegen gibt es ein solches Gesetz auch, es enthält aber eine Klausel, dass dann kein Mindestlohn fällig werde, wenn außerhalb Deutschlands Interesse an einer Beteiligung bestehen könnte. Da haben unsere lautstarken Grünen, die hier in Berlin vor Kraft und Übermut kaum laufen können, mal gezeigt, wie weit ihr Atem reicht. Rot-Rot hat vor wenigen Wochen mit der SPD und den InitiatorInnen des Kita-Volksbegehrens eine Einigung herbeigeführt, die die bundesweit vorbildlichen Kitaangebote in Berlin personell noch qualifizieren wird. Berlin wird als kinderfreundlichste Stadt Europas gehandelt. Das, liebe Genossinnen und Genossen, ist unsere Antwort auf die Betreuungsgeld-Debatte! Nun sollten wir dafür sorgen, dass diese Antwort auch wahrgenommen wird, nicht nur hier in Berlin, sondern bundesweit und gern auch darüber hinaus. Die rot-rote Koalition hat sich inzwischen auch auf einen Haushalt geeinigt, in dem – trotz schwieriger Gesamtlage – wesentliche Eckpunkte in unserem Sinne festgezurrt sind. Öffentlich geförderte Beschäftigung ist zunächst gesi-chert, die freie Kulturszene wird stärker unterstützt, die Schulreform haushaltsmäßig abgesichert und vieles andere mehr. Und wer hätte denn gedacht, dass die individuelle Kennzeichnungspflicht kommen würde, dass Rot-Rot mit dem Thema der sogenannten „green economy“ vorankommen kann, dass das Areal des Flughafens Tempelhof nun geöffnet und auch ausgebaut wird, dass über das Verkehrskonzept im Südosten eine Diskussion in der Stadt ausgebrochen ist, in der die A 100 nicht mehr gesetzt ist, sondern die Verkehrsbedürfnisse mit Blick auf die In-betriebnahme von BBI den Anknüpfungspunkt für die Verkehrsplanung bilden sollen? Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich daran erinnere, dass viele dieser Forderungen bereits in den Koalitionsverhandlungen 2006 von uns aufgerufen wurden, aber damals nicht durchgesetzt werden konnten. Wir sehen auch die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst auf einem guten Weg, was noch vor einem halben Jahr nicht so schien. Versprochen – und nicht gebrochen. Das ist doch auch unser Erfolg! Und vielleicht ist das auch einer der Gründe dafür, warum wir augenblicklich so schlecht nicht dastehen.

Liebe Genossinnen und Genossen,
manches dauert eben länger, als wir es uns wünschen würden, aber das zeigt eben auch: Politik ist das Bohren dicker Bretter. Und es wird dazu, etwa zur Verkehrsproblematik Südost, auch bei uns noch manche Debatte geben, da bin ich sicher. Aber wir merken eben immer wieder: Es ist nicht damit getan, dass wir hier einen Beschluss fassen, dann rausgehen und sagen: „Und nun, Verwaltung, mach mal...“. Wir wissen doch, dass es immer ein zähes Ringen ist – in der Koalition, im Parlament, in den öffentlichen Debatten –, damit sich etwas bewegt.
Aber wichtig ist: Wir bekommen etwas bewegt! Deshalb sollten wir auch uns manchmal, bei allem Verständnis für manche Sorge und Unruhe, einander trauen und uns auch etwas zutrauen. Ich finde, wir haben allen Grund dazu.
In der Tat: Es läuft nicht immer alles rund und glatt in der Koalition. Es gibt Differenzen, das ist auch normal, und es ist auch nicht schlimm, wenn diese Unterschiede auch mal öffentlich kenntlich werden. Entscheidend ist, dass wir in relevanten Fragen immer wieder zu Übereinstimmungen und gemeinsamen Lösungen finden. Das hat die rot-rote Koalition trotz aller Unkenrufe immer wieder bewerkstelligt. Wir haben eine Schulreform auf den Weg gebracht, die bei allen Schwierigkeiten einen Rückhalt in der Stadt besitzt. Rot-rot hat einen Wandel in der Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik vollzogen, aktive Industriepolitik angeschoben – das hat vor zwei Wochen die 3. Berliner Wirtschaftskonferenz gezeigt. Rot-rot hat einen neuen Umgang mit den öffentlichen Unternehmen gefunden. Wir sprechen nicht mehr über Privatisierung, sondern über den sozialen Mehrwert dieser Unternehmen für die Berlinerinnen und Berliner, über Transparenz und sogar darüber, wie wir auch manches zurückbekommen können, was in den 90er Jahren verscherbelt wurde. Rot-rot hat sich ernsthaft und vor allem anders als alle anderen dem Thema Integration zugewendet, in dem nicht permanent über die Defizite gejammert wird, sondern über die Stärken einer offenen, wandlungsfähigen Gesellschaft – und vor allem etwas getan wird, damit sie für alle ein Gewinn ist. Rot-rot hat direkte Demokratie in Berlin möglich gemacht, auch wenn das das Regieren nicht unbedingt erleichtert, wie insbesondere unser Koalitionspartner manchmal bedauernd durchscheinen lässt. Diese Koalition ist lernfähig. Sie ist auch in der Lage, sich da, wo es nötig ist, zu korrigieren. So wird uns manchmal als Schwäche ausgelegt, was eigentlich eine Stärke ist. Da wünschte ich mir manchmal mehr Souveränität. Damit wieder mehr in den Vordergrund tritt, was eigentlich eine gute Bilanz unserer Stadtpolitik ausmacht. 

Liebe Genossinnen und Genossen,
von einer solchen Bilanz sind die schwarz-gelbe Koalition und die neue Bundesregierung – und da knüpft sie an ihre Vorgängerinnen an – Licht-jahre entfernt. Noch sind 100 Tage nicht vorbei. Aber es braucht kein Politikstudium, um zu erkennen, dass es nicht einmal auf der konzeptio-nellen Ebene eine Vorstellung gibt, wohin es mit diesem Land gehen soll. Schwarz-gelb fehlt es an jedem Ansatz einer Idee, wie auf die aktuellen Herausforderungen reagiert werden kann. Der Streit, der innerhalb dieser Koalition geführt wird, dreht sich ausschließlich um die Frage, wer für seine Klientel auf welche Weise das Meiste herausholen kann, im Zweifel auf Kosten derjenigen, die die schwächste Lobby hinter sich haben. Auf der Strecke bleiben diejenigen, die sich ohnehin schon genug Sorgen um ihre Zukunft machen und erst recht diejenigen, die die Hoffnung auf eine bessere Zukunft schon aufgegeben haben. Und die werden am Ende noch gegeneinander ausgespielt.
Gegen eine solche Politik werden wir uns zur Wehr setzen, liebe Genos-sinnen und Genossen! Im Bundestag, im Bundesrat, aber auch auf der Straße. Gegen Verschlechterungen des Mietrechts, gegen die Einschränkungen der Rechte und der Leistungen von Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfänger, gegen schlechte und sozial ausgrenzende Bildung, gegen eine Aushöhlung der sozialen Sicherungssysteme. Das ist doch klar, das ist doch selbstverständlich!
Wir erleben ja, dass die sozialen Veränderungen in unserer Stadt unterschiedliche Reaktionen provozieren. Und bedauerlicherweise gibt es in Berlin in jüngerer Zeit auch Gewalttaten, wie das Abfackeln von Autos – mit Sachschäden und unter Inkaufnahme aller damit verbundener Gefah-ren selbst für Menschen. Der Versuch, solch ein Handeln mit dem Enga-gement für eine soziale Stadtpolitik zu legitimieren, ist schlichtweg zurückzuweisen. Im Gegenteil: Solches Handeln diskreditiert den Kampf gegen Nazis, diskreditiert den Kampf gegen Gentrifizierung und andere wichtige politische Anliegen der Linken. Was wir gleichermaßen zurückweisen ist der Versuch, unsere Partei mit solchen Handlungen in Zu-sammenhang zu bringen. Wir, liebe Genossinnen und Genossen, erklären unmißverständlich, dass wir Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ablehnen. Auch die Angriffe, die jetzt beispielsweise auch gegen Evrim Baba aus den Reihen der CDU kommen, sind absurd! Wir werden sie nicht hinnehmen. Evrim hat sich zu ihrer Ablehnung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung klar geäußert, das muss niemand stellvertretend für sie tun. Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, und es wird womöglich noch wichtiger werden. Was wir selbst leisten müssen, ist die Auswertung unserer Anmeldungstätigkeit für Demonstrationen und den Verlauf von uns angemeldeter Demonstrationen. Wir werden auch zukünftig Demos in Berlin anmelden. Wichtig ist, dass wir das verantwortungsvoll tun. Demonstrationen, die sich mit Gewaltaufrufen verbinden, werden nicht die Unterstützung der Partei DIE LINKE finden, darin sind wir uns einig. Auch mit Evrim, da gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Jede Anmeldung einer Demo durch Genos-sinnen und Genossen unserer Partei werden automatisch zu Identifika-tionen führen, und deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass Einzelne die Partei insgesamt in die Mithaftung nehmen. Ich sage das deshalb, weil wir gegenwärtig erleben, was daraus folgt: Wir werden in unserem Handeln zur Verteidigung und Nutzung wichtiger Grundrechte eingeschränkt. Das verengt auch unsere politischen Handlungsspielräume insgesamt, und deshalb, liebe Genossinnen und Genossen, ist hier ein hohes Ver-antwortungsbewusstsein gefragt. Wir dürfen nicht zulassen, dass die le-gitime Ausübung von Grundrechten diskreditiert wird, deshalb dürfen wir auch nicht kopflos, pausbäckig und fahrlässig dazu beitragen, dass es gelingt, das Demonstrationsrecht in Misskredit zu bringen. Wir werden die Straße brauchen, liebe Genossinnen und Genossen!
Die Beteiligung an und auch das Organisieren von Protest gegen eine unsoziale Politik kann aber nur die eine Seite der vor uns liegenden Aufgaben sein. Die andere Seite ist, dass wir uns um den Ausbau und die Schärfung unseres Profils, unserer Kompetenzen und unserer Verankerung als Partei der sozialen Gerechtigkeit hier in unserer Stadt kümmern müssen. Dass wir dabei in den zurückliegenden Jahren vorangekommen sind, ist unbestreitbar. Und das hat auch zu unserem guten Wahlergebnis beigetragen. Deshalb finde ich es etwas müßig, darüber zu debattieren, ob nun unsere konsequente Oppositionspolitik im Bund oder unsere gute Regierungspolitik in Berlin ausschlaggebend gewesen wäre. Das ist ja nicht nur sehr spekulativ, denn wir haben ja niemand gefragt, warum er oder sie uns nun gerade ihre Stimme gegeben hat. Zum anderen wird hier, glaube ich, ein Gegensatz konstruiert, der keiner ist. Dass es Widersprüche gibt, dass die Bedingungen in Bund und Land andere sind, dass wir hier wie dort jeweils andere Möglichkeiten haben, das muss erklärt werden. Aber die konkrete Erfahrung vor Ort scheint ja nicht darauf hi-nauszulaufen, dass das eine und das andere überhaupt nicht zusam-menpassen, sonst würde uns ja niemand wählen. Hat man aber. Wir sollten die Berlinerinnen und Berliner in dieser Hinsicht nicht für blöde halten. Mein Verständnis ist deshalb: Wir sollten die Widersprüche aus-halten und die Diskussion dazu zulassen und führen, und nicht versuchen, hier mehrheitlich über die Richtigkeit spekulativer Ansichten entscheiden zu wollen.

Liebe Genossinnen und Genossen,
wir haben diesen Wahlerfolg gemeinsam errungen, und wir haben ihn errungen, weil wir gemeinsam und nicht gegeneinander Wahlkampf gemacht haben. Nicht nur hier, sondern bundesweit. Das war unsere Stärke und daran sollten wir auch festhalten. Nichts ist vergänglicher als der Erfolg. Und wir wären heute nicht da, wo wir sind, wenn wir uns auf dem Erreichten ausruhen würden. Wir können uns nicht zurücklehnen, aber schon unsere Anträge zeigen, dass wir darauf auch überhaupt keine Lust haben.
Eines der drängendsten Probleme in unserer Stadt ist die Entwicklung der Mieten und der Wohnraumsituation. Und da reicht es mir nicht, dass in Berlin – wie alleweil betont wird – die Mieten noch immer recht günstig sind. Schon deshalb, weil Berlin keine Insel ist und sich die Folgen der unsozialen Politik im Bund auch hier auswirken. Es ist deshalb gut und notwendig, dass die Diskussion hier allmählich in Gang gekommen ist. Was nützt uns der Hinweis, dass in Berlin zehntausende Wohnungen leerstehen, wenn diese entweder für Menschen mit geringem Einkommen nicht bezahlbar sind oder einen saumäßigen Standard haben oder aber alle in Ecken Berlins liegen, wo sich ohnehin schon Armut und Aus-grenzung ballen? Diese Fragen müssen wir aufwerfen, ebenso wie wir thematisieren müssen, dass sich die Chancen auf einen Job für Menschen, die in den SGB II-Bezug rutschen, nicht dadurch verbessern, dass man sie nach einem halben Jahr auf Wohnungssuche schickt und sie zwingt, ihre Verankerung in lokalen sozialen Netzwerken aufzugeben. Das sind doch alles Binsenweisheiten, aber das wissen wir. Das reicht nicht. Wir brauchen Mehrheiten für diese Perspektive. Und wir brauchen Kon-zeptarbeit, wie der Mietanstieg begrenzt und die Verdrängung von Menschen verhindert werden kann. Unsere Fraktion hat dazu im Frühjahr beschlossen, das ist eine gute Debattengrundlage.
Mindestens ebenso brennend ist die Frage nach einer sozialen und emanzipierenden Integrationspolitik. Das zeigen nicht zuletzt die immer wieder heftig aufwallenden Debatten, wenn Thilo Sarrazin oder Heinz Buschkowsky das in die Welt setzen, was sie für gründliche Analysen der sozialen Frage in unserer Stadt halten. Stammtischthesen und Ignoranz sind immer noch weit verbreitet. Wir müssen Vorschläge ausbauen, wie sich die Verhältnisse, wie sich auch die Angehörigen der Mehrheitsgesell-schaft, ändern müssen, um erstens formale und zweitens reale Gleichheit aller Berlinerinnen und Berliner zu schaffen. Kitaplätze und frühestmögliche Förderung statt Betreuungsgeld ist hier der Anfang, die Schaf-fung von guten Ausbildungsplätzen in öffentlichen Unternehmen ein nächster Schritt. Hier haben wir noch mehr auf der Pfanne, liebe Genos-sinnen und Genossen. Aber das müssen wir auch weiterhin entwickeln.
Wir müssen uns auch weiter den Fragen zuwenden, die wir im ersten Anlauf nicht oder nicht ausreichend gelöst haben. In Sachen Bezirksfi-nanzierung ist uns ein wichtiger Schritt gelungen. Das systematische Problem ist aber nicht vom Tisch. Die Themen Klimaschutz und Energie-politik haben wir mit der Verhinderung des Kohlekraftwerks in Lichtenberg nicht abschließend bearbeitet. Wir müssen das ausbauen und wir müssen es engagiert mit der sozialen Frage verbinden.
Und wir müssen daran arbeiten, Rekommunalisierung praktisch werden zu lassen. Dabei geht es in erster Linie um Kontrolle, Mehrwert, Verfügung über öffentliche Güter. In den 90er Jahren waren viele Unternehmen in Berlin öffentlich, aber sie wurden dennoch kaputtgewirtschaftet, gegen die Wand gefahren und dann verscheuert. Ich wünsche mir, dass wir hier zu zukunftsweisenden Konzepten kommen, wie Unternehmen vor Ausplünderung und Missmanagement gesichert werden – sowohl durch Renditebestrebungen als auch durch Parteibuchwirtschaft. Wir brauchen eine Debatte, wie wir hier angesichts begrenzter Mittel und Möglichkeiten unsere Schwerpunkte setzen. Das ist allemal sinnvoller als das tote Pferd der Offenlegung von Verträgen ein weiteres Mal zu reiten. Wir treten ein für die Offenlegung von Verträgen. Aber erstens wissen viele, was darin steht, zweitens ist das aus meiner Sicht eben nicht die zentrale Frage in der aktuellen Debatte. Und ich würde mich ärgern, wenn wir hier den Eindruck erweckten, wir hätten in Bezug auf die Zielrichtung unseres Han-delns keine klare Linie und Übereinstimmung, weil wir uns vor den Augen der Stadtgesellschaft an der Frage des richtigen Weges nach allen Regeln der Kunst selbst zerlegen.
Und da ja nun die rot-rote Umklammerung des Reichstagsgebäudes und des Kanzleramts nach allen Richtungen noch um etliche Kilometer aus-geweitet ist, müssen wir uns auch Gedanken darum machen, was wir gemeinsam mit den Brandenburger LINKEN damit nun anstellen. Dazu liegt uns ja heute ebenfalls ein Antrag vor, den es nicht nur zu beschließen, sondern vor allem mit Leben zu erfüllen gilt.

Liebe Genossinnen und Genossen,
das ist nur ein Ausschnitt. Ich habe vorhin schon auf das Papier von Udo und anderen verwiesen: Lasst uns unsere konzeptionellen Unschärfen ausräumen, lasst uns unsere offenen Flanken schließen, unsere Verankerung ausbauen, lasst uns all die Themen diskutieren, die in der Stadt auf den Nägeln brennen. Es gibt für eine solche Debatte keine Grenzen. Ich wünsche mir hier eine große Lebendigkeit! Ich wünsche mir dabei aber vor allem eine Herangehensweise, in der nicht die einen für die guten Ideen zuständig sind – und die anderen für deren Umsetzung. Als Lan-desvorstand sind wir jederzeit bereit, mit all unseren Möglichkeiten und im Rahmen unserer Ressourcen und menschlichen Ermessens alle Initiativen und Vorschläge zu unterstützen, die darauf abzielen, uns als Lan-desverband voranzubringen. Lebendigkeit wird dieser Prozess nur dann entwickeln, wenn er sich für alle Beteiligten damit verbindet, auch Ver-antwortung dafür zu übernehmen.
Und schließlich: Wir können unter uns Betschwestern diskutieren, was auch immer wir wollen. Die vergangenen Monate lehren mich: Erfolgreich werden wir nur sein, wenn das, was wir anbieten, bei anderen, außerhalb unserer Partei, Interesse erzeugt und Engagement gebiert. Manchmal war ich regelrecht erstaunt, was und wer im Wedding oder im Tiergarten oder in Alt-Mitte alles ein Interesse hatte, mit mir und uns ins Gespräch zu kommen. Damit verbinden sich Erwartungen und offenbar auch der Eindruck, dass wir etwas zu sagen haben und dass wir vielleicht doch auch dichter an den Leuten und ihrem Leben dran sind als andere.
Dieses Interesse müssen wir nutzen. Es ist unser Ideenreservoir, unsere Goldgrube, unser Kompetenzquell. Wir müssen den Anschluss herstellen an unsere Debatten – im Nachbarschaftshaus, in den Bezirksverordne-tenversammlungen, im Quartiersmanagement, im Künstlerhaus, der queeren Wagenburg, im Landesparlament, im Sportclub oder wo auch immer. Erfahrungen einbeziehen, andere Perspektiven beziehen als nur die, die wir sowieso immer schon hatten! Wir wollen nicht Recht behalten, sondern die Gesellschaft verändern: Dazu brauchen die Berlinerinnen und Berliner DIE LINKE und das werden wir als LINKE nur mit den Berlinerinnen und Berlinern bewerkstelligen. Also – lasst uns diese Arbeit leisten und uns die Zeit zum Auftanken, das Jahr ohne Wahl in Berlin, so gut, so effektiv, so politisch wie möglich nutzen!
Ich gebe zu, das war meine bisher längste Rede eingangs eines Landes-parteitags. Aber ich glaube, die gegenwärtige Lage hat es gerechtfertigt – ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit!