Flüchtlinge schützen – in Berlin und überall!

Beschluss 10 / 3 / 4

 

 

Flüchtlinge schützen – in Berlin und überall!

Die beiden Katastrophen mit den Flüchtlingsbooten im Oktober vor der italienischen Insel Lampedusa mit mehreren hundert ertrunkenen Flüchtlingen haben die Öffentlichkeit aufgerüttelt. Das ist höchste Zeit. Denn die Europäische Union ist seit Anfang der 90er Jahre damit beschäftigt, sich gegen Flüchtlinge, gegen Not und Krieg abzuschotten und nur diejenigen einwandern zu lassen, die ihr ökonomisch nützlich erscheinen. Fast 20.000 Menschen fanden seitdem den Tod an den Außengrenzen der Europäischen Union. Waren es vor dem EU-Beitritt von Polen und Tschechien vor allem Oder und Neisse, in denen Flüchtlinge ertranken, ist es jetzt zuvorderst das Mittelmeer, das zum Massengrab geworden ist. Treibender Motor dieser Abschottungspolitik ist die Bundesregierung, die schon mit der Änderung des Asylrechts 1993 die Grundlage für die EU-Asyl- und Abschottungspolitik gelegt hat. Danach ist nur das Land für die Aufnahme und Durchführung des Asylverfahrens zuständig, das der Flüchtling als erstes betreten hat (Dublin-System).

Dennoch gelangen viele tausend Flüchtlinge nach Deutschland, auch nach Berlin. Knapp 7.600 Asylbewerberinnen und Asylbewerber sind derzeit in Berlin offiziell registriert. Es gibt nicht genug Wohnungen und auch die Plätze in den Gemeinschaftsunterkünften und den gesetzlich vorgeschriebenen Erstaufnahmeeinrichtungen reichen schon lange nicht mehr aus. Viele Menschen und ganze Familien müssen auf engsten Raum zusammen leben.

Als Hauptstadt ist Berlin Ziel von Flüchtlingsgruppen, die gegen ihre entwürdigende Behandlung durch die Behörden protestieren. Das macht sich fest an der Resizdenzpflicht, dem Asylbewerberleistungsgesetz und dem Asylrecht, das all denjenigen, die nicht eingeflogen sind, mit Abschiebung droht.

Erst Mitte Oktober hat eine Gruppe von Flüchtlingen ihren lebensbedrohlichen Hunger- und Durststreik am Brandenburger Tor unterbrochen, nachdem ihnen zumindest für eine Übergangszeit ein Aufenthalt in Berlin zugesichert wurde. Auf dem Kreuzberger Oranienplatz wohnen seit über einem Jahr Flüchtlinge, die um ihren Aufenthaltsstatus kämpfen und sich hier eine Perspektive aufbauen wollen. Auch vielen von ihnen droht die Abschiebung, wenn erst ihr Aufenthaltsstatus festgestellt ist.

Flüchtlinge, die hierher kommen, brauchen Schutz und Aufnahme. Das bundesdeutsche und EU-Recht erschwert das erheblich. Deshalb brauchen wir dort einschneidende Verbesserungen. Aber auch auf Landesebene, hier in Berlin, gibt es Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung der Situation von Flüchtlingen.

Die LINKE. Berlin bleibt bei ihrer Position der offenen Grenzen für Menschen in Not. Deshalb brauchen wir in Berlin ein Konzept zur Änderung der herrschenden Flüchtlingspolitik mit folgenden Grundzügen
 

I. Aktivitäten des Senats und der Bundesregierung auf der Ebene der EU

  • Der Senat wird aufgefordert, eine Bundesratsinitiative einzubringen, mit der die Bundesregierung aufgefordert wird, dazu beizutragen, dass das Abschottungssystem der Europäischen Union abgebaut wird. Frontex ist keine Agentur zum Schutz der Grenzen, sondern zu Abwehr von Flüchtlingen. Wir wollen, dass das Dublin-System abgeschafft wird und die Europäische Union sich gemeinsam ihrer Verantwortung gegenüber Flüchtlingen aus armen und kriegsgezeichneten Ländern stellt.
  • Der Senat wird aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass Roma als verfolgte, diskriminierte und sozial ausgegrenzte Bevölkerungsgruppe in Europa anerkannt und als solche Schutz erhalten. Als Sofortmaßnahme fordern wir einen Winterabschiebestopp für alle von Abschiebung Bedrohten.

II. Aktivitäten des Senats gegenüber der Bundesregierung

  • Der Senat wird aufgefordert, eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung der Residenzpflicht, der Zwangsverteilung und der Verpflichtung, in Sammelunterkünften zu wohnen des Arbeitsverbots für Flüchtlinge und des Asylbewerberleistungsgesetzes einzubringen. Wir begrüßen es, wenn Senatorin Kolat die Residenzpflicht abschaffen möchte. Nun müssen den Worten Taten folgen. Das gleiche gilt für die Abschaffung von Kettenduldungen. Spätestens nach vier Jahren Aufenthaltsdauer muss es einen unbefristeten Aufenthaltstitel geben.
  • Der Senat wird aufgefordert, eine Bundesratsinitiative zur Aufnahme von Flüchtlingen in die gesetzliche Krankenversicherung zu starten. Derzeit steht Flüchtlingen lediglich eine Notfallversorgung zu.

III. Aktivitäten des Senats in Berlin

  • Der Senat wird aufgefordert, endlich ein überzeugendes Konzept zur Erstaufnahme der Flüchtlinge in der ganzen Stadt vorzulegen. Sich von Haus zu Haus zu hangeln und ansonsten auf die Bezirke verweisen, reicht nicht aus. Gleichzeitig sind alle Bezirke gleichermaßen gefordert, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Flüchtlingsunterkünfte in abseits gelegenen Gebieten lehnen wir ab. Flüchtlinge müssen die Chance bekommen, schnell Anschluss an die Gesellschaft zu bekommen
  • Der Senat wird aufgefordert, die Vereinbarung mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften, nach der sie Flüchtlingen Wohnungen zu Verfügung stellen müssen, zu erweitern und die Umsetzung zu kontrollieren. Derzeit kommen die Wohnungsbaugesellschaften ihrer bestehenden Verpflichtung nicht nach. Darüber hinaus soll der Senat auch mit Genossenschaften, privaten Vermietern und Wohnungsgesellschaften über die Bereitstellung von Wohnraum verhandeln und sie dafür gewinnen. Die Richtwerte für angemessene Wohnkosten für Flüchtlinge müssen den real existierenden Wohnungsmarkt abbilden, damit Flüchtlinge die Chance bekommen, nach den ersten drei Monaten in der Erstaufnahme eine eigene Wohnung anmieten zu können. Mietkautionen müssen übernommen und Flüchtlinge bei der Wohnungssuche besser unterstützt werden. Dazu sind zügig rechtsverbindliche Kautions- und Mietübernahmebescheinigungen zur Vorlage beim Vermieter nach Wahl vom zuständigen Träger (Lageso, Sozialamt oder Jobcenter) auszustellen.
  • Der Senat wird aufgefordert, gemeinsam mit den Bezirken für eine vernünftige Beschulung und Kinderbetreuung der Flüchtlingskinder zu sorgen. Jedes Kind hat ein Recht auf Besuch von Schulen und Kindertagesstätten, unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Der Senat muss darüber hinaus sicherstellen, dass es sowohl für die Kinder als auch für Erwachsene ausreichende kostenlose Angebote zur Sprachförderung / zum Erlernen der deutschen Sprache gibt. Dafür ist es notwendig, zusätzliche Stellen für Lehrer_innen mit interkultureller Kompetenz zu schaffen. Alle Flüchtlinge müssen einen Rechtsanspruch auf eine kostenlose Teilnahme an Integrationskursen erhalten und das Integrationskurssystem muss an den aktuellen Bedarf angepasst werden.
  • Der Senat wird aufgefordert, unverzüglich die Angebote der Arbeitsförderung und Ausbildung für Flüchtlinge zu öffnen und vorhandene Qualifikationen schnell für eine reguläre Beschäftigung auf dem hiesigen Arbeitsmarkt anzuerkennen.
  • Der Senat wird aufgefordert, jeglichen Handlungsspielraum zur Ausweitung der Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen zu nutzen, solange die Residenzpflicht nicht bundesweit abgeschafft ist. Dazu gehört eine gemeinsame Rechtsverordnung mit Brandenburg zur Aufhebung der Beschränkungen für Asylsuchende im jeweils anderen Land und der Verzicht auf Gebühren bei der Ausländerbehörde.
  • Der Senat wird aufgefordert sich für ein Bleiberecht für die Lampedusa-Flüchtlinge zum Beispiel vom Oranienplatz und der Ohlauer Straße im Rahmen einer Gruppenregelung nach § 23 Abs.1 Aufenthaltsgesetz einzusetzen. Bis dahin soll für die Sicherstellung einer angemessenen sozialen und medizinische Versorgung und Unterkunft (statt polizeilicher Schikanen und Vertreibung) gesorgt werden.
  • Der Senat wird aufgefordert, bei der Einrichtung neuer – und bei Bedarf auch in bestehenden – Unterkünften für Geflüchtete in den Bezirken eine Finanzierung von Personal für die Koordination ehrenamtlicher Unterstützung von Anfang an zu sichern. Weiterhin sind entsprechende Mittel zur unabhängigen Rechtsberatung von Geflüchteten zur Verfügung zu stellen. Es dürfen keine Unterkünfte ohne Vertrag zwischen Träger und Land betrieben werden. Bestehende vertragslose Zustände sind zu beenden.
  • Der Senat wird aufgefordert, zur Sicherstellung einer besseren Betreuung und Beratung von Flüchtlingen in und außerhalb von Sammelunterkünften und zur ausreichenden Kontrolle der Einhaltung der Mindeststandards in den Unterkünften zusätzliches qualifiziertes Personal einzustellen. Darüber hinaus ist er aufgefordert, die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Initiativen und Verbänden zu fördern und in den Verträgen mit den Trägern ein Zutrittsrecht für Initiativen und NGOs zu verankern
  • Der Senat wird aufgefordert, den Zugang zu medizinischer Versorgung, psychosozialer Betreuung und sozialen Hilfsangeboten für alle Flüchtlinge zu erweitern.

IV. Gemeinsam gegen Rassismus und Rechtsextremismus

Die NPD und von rechtsextremen und rassistischen Positionen beeinflusste Bürgerinitiativen versuchen derzeit, massiv Stimmung gegen Flüchtlingsunterkünfte in der Stadt zu schüren. Die Auseinandersetzung um das ehemalige Schulgebäude in Hellersdorf hat dabei traurige Berühmtheit erlangt. Doch auch in anderen Bezirken versuchen die Gruppierungen die Bevölkerung gegen Flüchtlinge aufzuhetzen. In Hellersdorf und an anderen Orten ist es gelungen, durch großes zivilgesellschaftliches Engagement verschiedener Gruppen von der Antifa, dem Bündnis »Hellersdorf hilft« über die LINKE, die Alice-Salomon-Hochschule bis zu Kirchen und dem Bezirk selbst, den Einfluss der NPD und der rassistischen Initiative zurück zu drängen und den dort lebenden Flüchtlingen ein Willkommen zu bereiten. Dennoch bleibt die praktische Solidarität mit den Flüchtlingen und die Abwehr rechtsextremer und rassistischer Propaganda und Bedrohungen gegenüber Flüchtlingen unsere ständige Aufgabe.