»In durchgeknallten Zeiten«

Rede des Landesvorsitzenden Klaus Lederer

[Manuskript – es gilt das gesprochene Wort.]

Liebe Genossinnen und Genossen,
sehr geehrte Damen und Herren,
werte Gäste,

lasst mich statt mit dem friedlichen Berlin heute mit den unfriedlichen Entwicklungen in der Levante beginnen – mit dem beeindruckenden Widerstand in Kobane, den wir seit Wochen erleben und der uns seit Wochen bewegt. Seit Mitte Dezember wird die kurdische Enklave Rojava an der syrisch-türkischen Grenze durch die militärisch bestens ausgerüsteten Milizen des IS angegriffen. Die Selbstverteidigungskräfte von Rojava, die Frauen und Männer der YPG, sind zu einem Symbol für den Kampf gegen religiösen Fundamentalismus und für das Selbstbestimmungsrecht in der Region geworden.

Rojava und Kobane – das sind nicht irgendwelche Orte:

  • Hier wurde unter widrigsten Bedingungen und zahlreichen Bedrohungen in den zurückliegenden Jahren eine gesellschaftliche Entwicklung durch basisdemokratische Beteiligung vorangetrieben.
  • Hier wurden traditionelle Clanstrukturen durch ethnische und religiöse Toleranz ersetzt – und eine Alternative zu den traditionellen Herrschaftsformen in der Region geschaffen.

Diese Entwicklung ist vielen dort – und auch anderswo – ein Dorn im Auge. Der besondere Zusammenhalt der Menschen ist zugleich ein Grund dafür, dass der IS trotz massiver militärischer Überlegenheit bisher an Kobane scheiterte! Mit ihrem Mut und der solidarischen Unterstützung vieler Menschen haben Kurdinnen und Kurden es bis zum heutigen Tag geschafft, dass die Weltöffentlichkeit das Drama von Kobane nicht ignorieren konnte.

Erst durch den internationalen Druck hat die Türkei einen Korridor zugelassen, um die Selbstverteidigung von Kobane durch Unterstützer*innen aus dem Irak zu ermöglichen. Widerwillig – und inkonsistent, denn bislang war es Erdogan ganz recht, dass der IS die kurdische Selbstverwaltung terrorisiert. Und nur die Aufrechterhaltung des internationalen Drucks, die fortgesetzte Solidarität, wird verhindern, dass die Türkei diese Politik offen fortsetzen kann und wird!

Deswegen war es wichtig, dass wir bei den Aktionstagen in den zurückliegenden Wochen solidarisch waren. Und das müssen wir auch weiterhin sein. Nicht allein für den Abwehrkampf gegen den IS, sondern auch für den Erhalt der demokratischen Selbstverwaltung, die die Menschen sich dort errungen haben. Denn diese Selbstverwaltung ist zwar gerade am unmittelbarstendurch die Milizen des IS bedroht – aber bei weitem nicht nur…! Es waren im Übrigen auch die Kämpferinnen und Kämpfer der YPG, die Wochen, bevor sie selbst zum Angriffsziel des IS wurden, den ins Sindshahar-Gebirge geflohenen Yezidinnen und Yeziden die Flucht ermöglichten. Niemand sonst! Weder die mit westlichem Geld und westlichen Waffen ausgerüstete irakische Armee, noch die inzwischen von der Bundesregierung als unterstützenswert eingestuften bewaffneten Kräfte der Peshmerga.

Und ausgerechnet die YPG wird als Partnerin der PKK eingestuft, und selbstverständlich wird das PKK-Verbot aufrechterhalten! Das ist doch verrückt! Das, liebe Genossinnen und Genossen, zeigt die ganze Bigotterie und den Wahnsinn, der die interessengeleitete Interventionspolitik der Großmächte und der regionalen Mächte im Nahen Osten prägt.

Ja, die Situation dort ist absolut widersprüchlich und kompliziert. Und es gibt jeweils eine gewichtige Zahl von Argumenten und guten Gründen für und gegen die Forderung nach westlicher Militärunterstützung für die Selbstverteidigungskräfte in einer solchen Lage. Was wir von dort erfahren, ist eben nicht allein ein Medienprodukt – wenngleich die Macht der Bilder im digitalen Zeitalter massiv zugenommen hat.

Die drastische Zuspitzung in Kobane erzeugt auch Ohnmacht und Hilflosigkeit, aber das darf uns nicht unsere Empathie und unseren Willen zur Solidarität nehmen. Und das ist dann immer eine Debatte um die beste der schlechtesten Lösungen, die wir trotzdem führen müssen. Und wo wir unterschiedliche Sichten aushalten müssen. Die wir nicht mit Unterstellungen und Verdächtigungen pflastern sollten, sondern in der wir nur mit Wissen und konkreter Hilfe überhaupt bestehen.

Mir hat es gut getan, gemeinsam mit tausenden Berlinerinnen und Berlinern unterschiedlichster Wurzeln, Religionen und Überzeugungen und mit den Berliner Kurdinnen und Kurden auf der Straße zu sein. Was ich denke, ist: Wir müssen vor allem auf die Menschen vor Ort hören, die Wirkungen verschiedener Hilfen einschätzen und uns einigen, welche wir befördern wollen.

Berechtigte Enttäuschungen werden wir ernten, wenn wir uns bei abstrakten Beschwörungen aufhalten und mit den Toten weinen. Ich glaube, die Menschen in Kobane brauchen unsere Solidarität, und sie brauchen sie jetzt und konkret! Da haben wir alle unsere Möglichkeiten, zu beizutragen.

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

und das betrifft dann auch schon unmittelbar die Stadtpolitik: Es ist doch ein Armutszeugnis, dass sich bislang nicht ein führender Senatsvertreter zu einem Wort der Unterstützung bereitgefunden hat, geschweige denn, sich mal auf einer dieser Demonstrationen der vergangenen Wochen hat blicken lassen. Seit Wochen schaut die Welt gebannt auf diesen Verteidigungskampf, bewegen die Geschehnisse dort die Gemüter vieler Menschen hier in der Stadt, gerade auch Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte. Aber für die Koalition und den Senat scheint das kein Thema zu sein.

Ist es wirklich zu viel verlangt von dem Bürgermeister einer Stadt, die sich selbst so gern als Weltstadt feiert, und in der Tausende von Menschen leben, die Freunde und Verwandte in der Region haben, darüber wenigstens mal ein Wort der Solidarität und der Anteilnahme zu verlieren?

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

es ist dieser Mangel an Empathie, der so typisch ist für diese Regierung – und der mich unglaublich aufregt!

Der gleiche Mangel an Empathie prägt auch den Umgang mit den Flüchtlingen, die hierher nach Berlin kommen. Der Generalsekretär der Berliner CDU meinte ja jüngst, sich über die Koalitionsabsichten der Parteien in Thüringen äußern zu müssen. Und erst vorgestern hat er sich über die Terminwahl für unseren Parteitag erregt.

Ich finde: Wenn es um Schande geht, dann hätte Herr Wegner hier in Berlin genug zu tun. Denn das, was CDU und SPD mit den Flüchtlingen veranstalten, sowohl auf Bundesebene als auch hier in Berlin – das ist eine Schande für dieses Land und für diese Stadt!

Ein Innensenator bestellt ein Gutachten, um eine Vereinbarung für ungültig zu erklären, die er selbst noch wenige Monate zuvor auf einer Pressekonferenz mit verkündet hat. Kein Wunder, dass bei einer solchen Haltung kaum eine Verfahrensprüfung zugunsten eines der Flüchtlinge ausgeht. Wer keine Möglichkeiten finden will, der findet auch keine.

Stattdessen werden die Menschen jetzt, vor dem hereinbrechenden Winter, auf die Straße gesetzt. Die SPD schweigt dazu. Weder ein Wort vom Regierenden Bürgermeister auf Abruf, noch von der Integrationssenatorin, noch von einem der drei gewesenen Bürgermeisterprinzen… Und das grüngeführte Bezirksamt kassiert mal eben die Pläne, die noch vor kurzem als Vereinbarung mit den Flüchtlingen in der Ohlauer Straße verkündet wurden, wieder ein. Ich bin froh, dass unsere Genossinnen und Genossen aus Friedrichshain-Kreuzberg das sehr kritisch und deutlich zum Thema gemacht haben.

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

angesichts der zunehmenden Krisen und Kriege vor den Toren Europas war seit längerem damit zu rechnen, dass die Zahl der Schutzsuchenden hierzulande steigen wird. Selbst wenn es nur ein Bruchteil bis hierher schafft. Und selbst wenn die Koalition im Bund mit Unterstützung von Grünen die Hürden für die Asylgewährung weiter anhebt.

Aber dieses Land und diese Stadt sind nicht einmal in der Lage, diesem Bruchteil würdige Unterbringung und Willkommen entgegenzubringen. Stattdessen mussten wir erleben, wie die Erstaufnahmestelle einfach mal ein paar Tage geschlossen war, hilfebedürftige Menschen buchstäblich im Regen standen. Das ist ein unglaubliches Versagen!

Seit Monaten übt sich Senator Czaja in Aktionismus. Nach Amtsantritt ist erst einmal zwei Jahre nichts passiert. Dann waren für ihn die Bezirke verantwortlich, oder andere Ressorts. Als die Zustände unhaltbar geworden sind, präsentierte er sich als großer Retter, der jetzt mal richtig anpackt. Das ist geschickt inszeniert, aber auch zynisch. Es ist genauso zynisch, wie Obdachlosen-Kältehilfe und Flüchtlingsversorgung gegeneinander auszuspielen, wie die Not von Flüchtlingen für bezirkliche Haushaltssperren verantwortlich zu machen, wie jetzt mit Traglufthallen und Containerdörfern zu hantieren – und dabei auch noch jegliche zivilgesellschaftliche und bezirkliche Flankierung des Willkommens unmöglich zu machen.

Auf der anderen Seite demonstrieren Nazis ungestört in Marzahn-Hellersdorf oder Pankow. Ja, sicher, es gibt das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit. Aber es gibt nicht das Recht, Volksverhetzung zu betreiben. Das gibt es nicht. Und hier ist es doch nicht zu viel verlangt, die Mittel des Polizei- und Strafrechts auch einzusetzen!

Stattdessen erklärt Czaja im Parlamentsausschuss, die LINKE-Kritik von Elke Breitenbach an der Senatsflüchtlingspolitik sei Wasser auf die Mühlen der Rassisten…

Ich finde, das ist eine Unverschämtheit! Und ich wünschte mir statt solcher Entgleisungen, alle politischen Parteien in Berlin würden so konkrete Hilfen vor Ort leisten wie unsere Genossinnen und Genossen in den Bezirken.

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

wenn wir heute und morgen hier Bilanz ziehen und auch die Weichen für die kommenden zwei Jahre stellen, dann geschieht das eben nicht im luftleeren Raum. Sondern es geschieht, wie Raul Zelik im ND schrieb, »in durchgeknallten Zeiten«.

Schauen wir aber zurück, dann kann sich die Bilanz unseres Landesverbandes in den vergangenen beiden Jahren durchaus sehen lassen. Im Mittelpunkt standen zwei wichtige Wahlkämpfe und Wahlen, unter nicht immer leichten Voraussetzungen.

Ich erinnere mich noch gut, wie mich Journalistinnen und Journalisten im Frühjahr 2013 angeschaut haben, als wir bekundeten, unsere vier Bundestagsdirektmandate verteidigen zu wollen. Und dass wir eigentlich auch das fünfte, das Listenmandat, noch nicht abgeschrieben haben.

Am Wahlabend waren es dann 6 Mandate – so viel wie noch nie. Mit 18,5 Prozent haben wir das zweitbeste Stimmenergebnis bei einer Bundestagswahl seit 1990 geholt. Der LINKE-Stimmenrückgang gegenüber der Rekordwahl von 2009 war in Berlin deutlich geringer als in allen anderen Bundesländern. Wer hätte das für möglich gehalten? Liebe Genossinnen und Genossen, das ist unsere Leistung – und wir können darauf wirklich stolz sein.

Und wir haben uns auch nicht darauf ausgeruht:

Bei der Europawahl konnten wir unser Ergebnis von 2009 sogar noch steigern. Bei beiden Wahlen konnten wir im Westteil und insbesondere in den Innenstadtbezirken deutlich zulegen, sind hier längst keine Kleinstpartei mehr. Wir haben immer den Anspruch gehabt, eine Partei FÜR DIE GANZE STADT zu sein. Inzwischen sind wir aber immer mehr auch eine Partei IN DER GANZEN STADT! Und das ist die richtige Richtung!

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

Wahlen gewinnt man nicht erst in einem guten und heißen Wahlkampf. Dort kann nur an die bereits vorher geschaffene Wahrnehmung der Menschen angeknüpft werden.

Das Engagement, das sich in den Wahlergebnissen widerspiegelt, das spiegelt daher auch immer stärker unsere politische Alltagspraxis. Die gemeinsame Erfahrung, die wir beim Energievolksbegehren von Wannsee bis Ahrensfelde gesammelt haben, war großartig! Das hat sich dann Monate später beim Tempelhof-Volksentscheid wiederholt.

Da hat man richtig spüren können, dass wir bei allen Differenzen und Unterschieden eine gemeinsame Partei sind. Es ist ja nicht so, dass wir uns da gleich einig waren; dass wir uns unsere Positionen nicht auch gemeinsam hart erarbeiten mussten.

Denken wir nur an Tempelhof! Aber dass der Vorschlag der Initiative 100% Tempelhof auch in Marzahn-Hellersdorf, in Lichtenberg, in Pankow, in Mitte und Treptow-Köpenick eine Mehrheit bekam – das war nicht ganz unwesentlich das Verdienst der LINKEN – das war unser, das war euer Verdienst, liebe Genossinnen und Genossen!

In zwei Jahren zwei Wahlkämpfe, zwei landesweite Volksentscheide, dazu jede Menge außerparlamentarischer Aktionen und Alltagspräsenz: Sei es die leider immer wieder notwendige Mobilisierung gegen Naziaufmärsche, Demonstrationen gegen Zwangsräumungen, steigende Mieten und Verdrängung, Aktionstage vor den Jobcentern, gegen TTIP und CETA, für Bürgerrechte und gegen Überwachung, die Unterstützung des Tarifkampfes für eine Mindestpersonalausstattung in der Pflege an der Charité, aber auch bezirkliche und Nachbarschaftsaktivitäten: gegen Luxussanierung in der Siedlung am Steinberg oder im Märchenviertel, am Frankfurter Tor und in den GESOBAU-Häusern in Pankow, im Einsatz für einen besseren Schwimmunterricht in Lichtenberg, für den Erhalt der Altglascontainer in den Neubausiedlungen, Spendensammlungen und Organisation von Weihnachtsfeiern, Ausflügen und Festen für Flüchtlinge, Sozial- und Mietenberatungsangebote, Kampf für den Erhalt der Straßenbahnlinie nach Rahnsdorf und eine gute Busanbindung nach Biesdorf.

Ja, und wir waren auch beteiligt, als über tausend Besucherinnen und Besucher in diesem Jahr das 5. Erich-Mühsam-Fest feierten und an dessen 80. Todestag erinnerten. Und wir haben mitinitiiert, dass dem schwulen kommunistischen Schriftsteller Ronald M. Schernikau in Hellersdorf eine Gedenktafel, dem demokratischen Sozialisten Stefan Heym ein Platz in Lichtenberg gewidmet wurde.

Das musste doch alles erst einmal gestemmt werden, liebe Genossinnen und Genossen!

Wir haben in den vergangenen beiden Jahren allen, die daran gezweifelt haben – und auch uns selbst – gezeigt, dass wir keineswegs nur eine Partei in der parlamentarischen Auseinandersetzung sind. Sondern gleichermaßen außerparlamentarisch stark sind und etwas bewegen können. All diese Aktivitäten sind wichtig. Auch wenn sie nicht immer schlagzeilenträchtig sind. Wir dürfen das niemals unterschätzen.

Das ist die viel beschworene Präsenz im Alltag von Menschen: Sich kümmern und einsetzen, ansprechbar sein, Hilfe und Unterstützung leisten, neue Ideen diskutieren und alternative Projekte kennenlernen – und nicht nur und erst im Wahlkampf oder zu besonderen Anlässen auf der Straße zu sein! Ich weiß, das ist anstrengend. Zumal wenn die eigenen Möglichkeiten begrenzt sind. Aber das ist die Grundlage für alles weitere. Ohne das könnten wir nicht am Wochenende mit Fahnen auf die Demos gehen und eine solidarischere Gesellschaft fordern.

Über den Kreis der ohnehin schon politisch Aktiven werden wir Menschen nur erreichen, wenn wir unsere Unterstützung und Solidarität verlässlich im Alltag beweisen. Darauf kommt es zuallererst an!

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

die andere Seite ist: Wir bekommen ja auch jede Menge zurück. Denn hier erfahren wir oft mehr über die Sorgen und das Leben der Leute in der Stadt, als über die Medien oder unsere je eigenen »Ausschnitte« von Wahrnehmung. Diese direkte Kommunikation ist unersetzbar! Deshalb lasst uns das weiter entwickeln.

Weiter entwickeln müssen wir auch den Austausch untereinander. Oft erfahre ich eher zufällig von Dingen, die in Bezirksverbänden stattfinden oder geplant sind. Und ich finde, wir vergeben uns da was.

Wir müssen dafür meiner Meinung nach jetzt auch nicht das Berichtswesen wieder einführen oder neue Runden erfinden. Wir müssen das, was wir haben, noch deutlich besser nutzen. Der Landesausschuss und die Runde der Bezirksvorsitzenden müssen sich nicht nur mit Dingen beschäftigen, die vom Landesvorstand auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Aus meiner Sicht ist das einer der zentralen Punkte, wenn nicht gar der zentrale Punkt, für die weitere innerparteiliche Entwicklung in unserem Landesverband:

Schaffen wir es, mehr zu werden als ein Verbund von 12 Bezirksorganisationen, über denen ein Landesvorstand und eine Abgeordnetenhausfraktion schweben? An die man dann wahlweise Wünsche oder Aufträge adressiert, nach dem Motto: Dort soll man ein Konzept für Dieses oder Jenes erarbeitet werden… Und die sich wiederum umgekehrt an die Bezirksverbände wenden mit Bitten und Aufrufen, die Mitglieder mögen sich an Diesem oder Jenem beteiligen…

Und schließlich denken alle jeweils für sich: »Auch das noch, ich hab doch schon genug um die Ohren, haben die denn keine Ahnung, was hier gerade los ist?«

Wir müssen über unsere Kräfte, Ressourcen und Prioritäten miteinander beraten, nur dann kann es gelingen. Da sind wir vorangekommen, aber wir müssen das weiter tun. Mitgliederarbeit und Bildungsarbeit, das haben wir uns jetzt vorgenommen. Und beispielsweise mit Herbstakademie, Neumitgliedertreffen und der AG Finanzen, mit den Beteiligungsformen im Zukunftsdialog, einige gute Schritte getan.

Das macht dann die Parteitagsdebatten nicht immer spannender. Aber ich halte es dennoch für wichtig, solche Möglichkeiten auszubauen, sich in die inhaltliche Positionsbestimmung frühzeitig einbringen zu können. Ja, ich wünsche mir da sogar noch deutlich mehr Beteiligung – auch und gerade kontroverser Natur!

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

auch in anderer Hinsicht haben wir noch Reserven:

Stichwort Öffentlichkeitsarbeit
Hier läuft jenseits von Wahlkämpfen und Kampagnen nach wie vor mehr nebeneinander her als zusammen. Ich weiß, dass es dafür viele gute Gründe gibt, unterschiedliche Voraussetzungen und auch unterschiedliche Erfordernisse. Aber wir verschenken uns da viel. Gerade angesichts der unglaublichen Informationsflut, die tagtäglich auf unterschiedlichsten Wegen auf alle Menschen einstürzt, müssen wir zu gemeinsamen Formen der Öffentlichkeitsarbeit finden. Sonst gehen wir im allgemeinen Rauschen unter. Wenn ich hier von gemeinsamer Öffentlichkeitsarbeit spreche, dann meine ich übrigens auch, dass wir die gemeinsam entwickeln – und eben nicht, dass sich da ein paar Leute in Vorständen und Fraktionen mal was überlegen, und die anderen dürfen das dann gemeinsam verbreiten.

Stichwort Innerparteiliche Kommunikation
Klar. Da hat jede und jeder das Interesse, seine Informationen an die Frau oder den Mann zu bringen: Bundestagsfraktion, Abgeordnetenhausfraktion, Parteivorstand, Landesvorstand, Bezirksvorstände, BVV-Fraktionen, Ortsverbände, Wahlkreisabgeordnete und Stadträt*innen, Landes-AGs, Jugendverband, Studierendenverband, Stiftungen und so weiter. Und es ist ja auch gut, dass wir eine solche Vielfalt an Angeboten haben.

Aber wenn wir es nicht schaffen, dass wir uns hier auf gemeinsame Formen und verbindliche Kanäle verständigen, dann geschieht nach innen das Gleiche wie nach außen: es geht alles in einer Flut unter und am Ende fragen wir uns alle, warum Dieses und Jenes nicht bekannt war.

Stichwort strategische inhaltliche und organisatorische Arbeit
Wir wollen die Parteiarbeit weiter beleben, Neumitgliedern den Einstieg in das aktive Engagement erleichtern. Wir wollen bis zum Herbst eine Wahlstrategie erarbeiten und noch früher als damals vor der Wahl 2011 beginnen, unsere Wahlaussagen in Land und Bezirken offen und breit – auch mit Akteurinnen und Akteuren aus der Stadt – zu diskutieren.

Für all das stehen uns zukünftig weniger Hauptamtliche und auch weniger Ressourcen zur Verfügung. Das bedeutet für uns vor allem: noch klüger und weitblickender zu planen und unsere knappen Ressourcen sinnvoll einsetzen. Und es bedeutet, dass der ehrenamtlichen Arbeit im Landesverband zukünftig ein noch größerer Stellenwert zukommen wird.

 
Liebe Delegierte und Gäste,

die Gemeinsamkeit im Landesverband zu stärken, zusammenzuwachsen, an einem Strang zu ziehen – diese Aufgabe haben wir uns bereits 2007 mit der Gründung der Partei DIE LINKE gestellt.

Es ist kein Geheimnis, dass das uns allen nicht immer leicht fiel. Dass es gerade hier in Berlin auch besonders schwer fiel, wo sich zum einen viel konzentriert, aber eben auch die Widersprüche und Differenzen viel unmittelbarer aufeinandertreffen. Andererseits kann man sich auch nicht so einfach aus dem Weg gehen, muss sich zwangsläufig zusammenraufen. Berlin ist eben doch ein Dorf…

Ich denke, wir haben das hier in Berlin seit 2011 und insbesondere in den vergangenen zwei Jahren ganz gut hinbekommen. Wir haben dabei die Erfahrung gemacht, gemeinsam erfolgreich zu sein.

Mich hat das in der Ansicht bestärkt, dass wir auf einem richtigen Weg sind, und das wir ihn auch weiter gehen sollten! Und dafür will ich mich bei Euch und bei allen Genossinnen und Genossen, Sympathisantinnen und Sympathisanten, bedanken, die das ermöglicht haben.

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

ein besonderer Dank geht am Ende der Wahlperiode an die Mitstreiterinnen und Mitstreiter im Landesvorstand. Ich denke, wir haben bewiesen, dass sich sachliche Differenzen und solidarische Zusammenarbeit nicht ausschließen – im Gegenteil. Sie produktiv zu machen, bringt erst die progressive Spannung, die vor Stillstand und Stagnation schützt!

Einige der Mitstreiterinnen und Mitstreiter im Vorstand haben sich entschieden, nach langjährigem Engagement auf eine erneute Kandidatur zu verzichten. Wir werden also mit unserer Neuwahl einen kleinen Generationswechsel vollziehen. Mich bewegen dabei gemischte Gefühle.

Ich freue mich auf Neues, aber auf die Erfahrungen von Euch können wir nicht verzichten. Und deshalb bin ich besonders froh, dass alle keinesfalls aufhören, sich zu engagieren, sondern sich auf andere Betätigungsfelder konzentrieren. Das ist Klasse, ich danke Euch von Herzen für Euren Einsatz und Eure Arbeit!

Mit den vorliegenden Kandidaturen bilden wir die Breite der Partei in vielerlei Hinsicht ab. Unterschiedliche Generationen, Traditionen, Herkunftsbezirke, Sichtweisen und Erfahrungen sind eine gute Voraussetzung, um jetzt bis 2016 richtig durchstarten zu können. Ich freue mich, dass neben Daniel Tietze und Elke Breitenbach, die sich erneut um die Funktion der bzw. des stellvertretenden Landesvorsitzenden bewerben, auch Franziska Brychcy aus Steglitz-Zehlendorf kandidiert.

Und ich hoffe, dass Ihr, die Delegierten, für einen aktiven und kreativen Landesvorstand sorgt, der die anstehenden Herausforderungen – natürlich nur gemeinsam mit Euch – gut meistern kann.

 
Liebe Delegierte, liebe Gäste,

gestattet – bzw. gestatten Sie – mir noch einige Bemerkungen, keinesfalls allumfassende, zur aktuellen stadtpolitischen Situation.

Vor drei Jahren haben wir prophezeit, dass sich mit der Koalition aus SPD und CDU wieder der Mehltau über die Stadt legen werde. Drei Jahre später ist das unübersehbar.

Kronzeuge ist ausgerechnet der CDU-Landesvorsitzende Frank Henkel, der jetzt einen »Neustart der Koalition« gefordert hat. Wobei »Neustart« bereits ein Euphemismus ist.

Diese Koalition ist nie in die Gänge gekommen. Rücktritte, Doktoraffären, Durchstechereien. Auf einen Fehlstart folgte eine endlose Kette von Ankündigungen – auf den »Herbst der Entscheidungen« ein »Frühjahr der Entscheidungen«, darauf wieder ein »Herbst der Entscheidungen«.

Es ödet an, es macht verdrossen, und vor allem: das, was rüberkommt, sind nicht zuerst inhaltlichen Differenzen. Es sind vor allem die permanenten Zankereien, Anwaltskorrespondenzen, Befangenheitsvorwürfe, die das Bild des parlamentarischen Berlins in der Medienöffentlichkeit bestimmen.

Die Fortsetzung dieser Konzeptionslosigkeit für die bevorstehenden zwei Jahre zu prognostizieren erfordert keine hellseherischen Fähigkeiten. Denn das grundlegende Problem dieser Koalition wird auch mit einem Wechsel an der Spitze nicht gelöst:

SPD und CDU fehlt jede Idee, geschweige denn eine gemeinsame, von der Stadt und für die Stadt Berlin. Sie haben auch kein Verständnis für die veränderte Realität. In zentralen Fragen sind sie sich uneinig – und nicht zuletzt auch noch innerhalb ihrer jeweiligen Parteien.

Das Einzige, was diese Koalition zusammenhält, ist die beiderseitige Angst vor den Konsequenzen von Neuwahlen.

Und deshalb wird es auch keinen »Neustart« geben. Die einzige ehrliche Option für einen wirklichen Neustart wären Neuwahlen gewesen. Das Thema dürfte jetzt aber vom Tisch sein.

Klaus Wowereit geht. Und wie so oft bei einem Abgang werden die Töne nun etwas milder, freundlicher, versöhnlicher. Es gibt zu Recht Anerkennung für das, was Klaus Wowereit – nicht allein, aber an maßgeblicher Stelle – für die Stadt mitbewirkt hat. Ja, es hat sich manches – nicht alles, aber durchaus Bedeutendes – zum Besseren entwickelt: Die Finanzen sind in besserer Verfassung, wirtschaftliche Perspektiven wurden eröffnet, Kreativität, Kultur und Liberalität zeichnen Berlin heute, bei allem, was wir da zu kritisieren und zu verteidigen haben, durchaus immer noch aus.

Aber all das ist seit mehr als 3 Jahren perdu.

Nicht seit dem Tag, als das BER-Desaster begann. Sondern von dem Zeitpunkt an, als die Aufräumarbeiten der schwarz-roten Hinterlassenschaften der »Hauptstadt von Korruption und Filz« weitgehend erledigt waren, und als es einer neuen Strategie, einer neuen Idee und neuer politischer Konzepte für die Entwicklung Berlins bedurft hätte. Haushaltskonsolidierung und ungebremste Entwicklungen sind noch keine politische Zukunftsvorstellung. Und eine Autobahn ist es auch nicht.

Mit der Entscheidung für eine SPD-CDU-Koalition standen die Maschinen dann endgültig still.

Schauen wir uns die Erfolgsmeldungen an, die diese Koalition überhaupt noch zu verkünden hat, werden wir feststellen: Das geht alles fast ausschließlich auf Entwicklungen zurück, die zwischen 2001 und 2011 angestoßen worden sind. Und die meisten davon durch uns, durch DIE LINKE! Erinnern wir uns: Wir haben die Rekommunalisierung der BWB eingefordert, das Thema Energiewende angestoßen, die erste Plattform für ein kommunales Stadtwerk auf den Weg gebracht. Die SPD betrachtete das eher als eine linke Spielwiese, der man lieber enge Grenzen setzte, als eigene Ideen beizutragen. Wir haben mit dem Industriedialog auf produktives Gewerbe gesetzt. Das wird jetzt gefeiert – und immerhin kommt der CDU-Wirtschaftssenatorin das Verdienst zu, die Dynamik dieser Entwicklung nicht vollständig abgewürgt zu haben. Aber Neues geschieht hier schon lange nicht mehr.

Es war die SPD, die offen auf Abstand ging, als Harald Wolf das Bundeskartellamt zu den Wasserpreisen angerufen hat. Es war die SPD, die uns vom entspannten Wohnungsmarkt erzählen wollte. Es war Klaus Wowereit, der erklärte, es gäbe »kein Grundrecht auf Wohnen in der Innenstadt«. Es war die SPD, die das Projekt öffentlich geförderter Beschäftigung immer klein zu halten versuchte, auf das ihm nur kein zu großer Erfolg beschieden sei. Inzwischen jammert der Senat über fehlende Perspektiven für die Stadtteilmütter – und landauf, landab wird diskutiert, ob nicht ein solcher Sektor gebraucht würde. Freilich nicht automatisch zu Mindestlöhnen oder mit ausreichend Beschäftigtenrechten. Und in Berlin verfallen derzeit jährlich Bundesmittel in Millionenhöhe, weil das Ersatzprogramm »Berlin-Arbeit« nicht greift.

Die fortgesetzte Nabelschau der Koalition, die permanente öffentliche Zelebrierung des Konflikts, scheint von den Berlinerinnen und Berlinern ohne größere Illusionen und Erwartungen zur Kenntnis genommen zu werden. Was wäre eigentlich los gewesen, wenn eine LINKE-Senatorin solch einen Mist gebaut hätte?

Vor allem aber: wo stände Berlin heute, wenn die SPD sich mit ernsthaften Ideen auseinandergesetzt und den Herausforderungen gestellt hätte? Vielleicht hätten wir demnächst ein erfolgreiches Stadtwerk, das Hunderttausende mit Ökostrom versorgt? Vielleicht hätten wir einen funktionierenden öffentlichen S-Bahn-Betrieb? Vielleicht würden wir in der Stadt und im Abgeordnetenhaus diskutieren, wie wir mit den rekommunalisierten Netzen von Wasser, Strom, Gas und Fernwärme Berlin fit für die Energiewende machen – statt über verbockte Vergabeverfahren und die Befangenheiten von Senatoren? Vielleicht gäbe es einen Eröffnungstermin für den Flughafen BER, weil man auf unseren Vorschlag für ein Controlling gehört hätte?

Vermutlich hätten wir nach wie vor mit steigenden Mieten zu kämpfen. Weil wirkliche Mietpreisbremsen im Bundestag noch immer ausgebremst werden. Aber wir hätten in Berlin vielleicht wesentlich früher ein Zweckentfremdungsverbot und möglicherweise 10.000 Wohnungen mehr für Wohnzwecke. Und möglicherweise auch genug Personal in den Bezirken, das ein Zweckentfremdungsverbot dann auch durchgesetzt hätte. Und vielleicht würde der Aufbau eines kommunalen Wohnungssektors bereits im Gange sein. Ja, möglicherweise hätten wir es in den vergangenen 3 Jahren nicht geschafft, den Berliner Schuldenberg von 60 Milliarden auf 59 Milliarden Euro zu drücken. Kann schon sein. Aber vielleicht müssten dafür jetzt nicht Menschen wochenlang auf einen Termin beim Amt warten – weil Ausbildung und Stellenneubesetzung, weil die Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstes jetzt schon im Gange wäre.

Und vielleicht würden der Stadt Berlin massive Kosten in Gegenwart und Zukunft durch Krankheit und Stress, durch unterlassene Investitionen, durch politische Fehl- und Nichtentscheidungen – und auch als Folge von Leistungseinschränkungen der öffentlichen Verwaltung – überhaupt nicht erst entstehen!

Eine Stadt einfach kaputtzusparen – das ist so ziemlich das Phantasieloseste, was Politik zuwege bringen kann. Aber mehr bleibt unter dem Strich nicht.

Das alles sind Dinge, auf die wir nun auch schon wieder seit Jahren hinweisen.

Bis die Botschaft dann aber irgendwann mal durchdringt und halbherzige Folgen zeitigt, ist der Schlamassel auch schon eingetreten. Das ist das Problem hier in Berlin. Und zwar mit beiden Parteien, mit SPD UND CDU. Das erinnert so an die 1990er Jahre!

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

das ginge alles auch anders. Der Tempelhof-Volksentscheid hat gezeigt, dass die SPD nicht nur von der CDU ausgebremst wird. Die selbsternannte Berlin-Versteher-Partei ist ganz selbst an der Realität zerschellt. Stur und bockig.

Es ist doch so: Die SPD versteht schon längst nicht mehr, was einen Großteil der Stadt beschäftigt. Dafür haben immer mehr Berlinerinnen und Berliner verstanden, dass man den großspurigen Ankündigungen und Versprechungen keinerlei Glauben schenken sollte.

Und auch danach: Nichts verstanden! Sie machen einfach so weiter wie zuvor. Die SPD bekommt die Dinge nicht in den Griff. Und sie verrennt sich selbst wieder in ihrem Glauben an die heilstiftende Wirkung von Festivals und Großprojekt.

Lassen wir mal beiseite, wie sinnvoll oder unsinnig eine Olympia-Bewerbung der Stadt in der jetzigen Situation ist. Und tun wir mal einen Moment so, als wäre das IOC ein Wohltätigkeitsverein und keine profitorientierte Vermarktungsagentur für die Marke »Olympia«. Tun wir mal so. Aber wie es sein kann, dass alle die Einigkeit behaupten, vor einer solchen Bewerbung müssten die Berlinerinnen und Berliner das Wort haben – und bis heute liegt nicht ein einziger tragfähiger Vorschlag aus der Koalition auf dem Tisch, wann das geschehen soll und wie das überhaupt verfassungsrechtlich verbindlich veranstaltet werden soll.

Das zeigt doch nur wieder: Es wird darüber fantasiert, die Bevölkerung mitzunehmen. Und im Grunde interessiert es Senat und Koalition überhaupt nicht.

Das ist die alte Trickserei. Ich kann davor nur warnen!

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

in spätestens zwei Jahren wird es im Land und in den Bezirken Neuwahlen geben.

Schon bald wird wieder aufs Heftigste über Koalitionen und Konstellationen spekuliert werden, das ist ja absehbar. Natürlich auch über rot-rote oder rot-rot-grüne. Und angesichts der Bilanz dieser Koalition ist das auch kaum verblüffend. Und natürlich wird von jeder politischen Partei erwartet, sich dazu zu positionieren.

Augenblicklich sind die Augen auf Thüringen gerichtet. Ja, ich würde mich freuen, wenn am 5. Dezember in Erfurt Bodo Ramelow zum ersten LINKE-Ministerpräsidenten in der Geschichte der Bundesrepublik gewählt würde. Die teils hysterischen Reaktionen zeigen ja schon, welche Verunsicherung das im konservativen Lager auslöst. Als wäre das nicht schlicht eine demokratische Selbstverständlichkeit…

Entscheidender als all das aber ist, dass unterm Strich für die Bevölkerung die Dinge zum Besseren verändert werden können.

Das gilt in Thüringen, aber auch in Brandenburg. Ja, ich finde es richtig, dass in Brandenburg nicht nur kritisch über das Wahlergebnis diskutiert worden ist, sondern auch über die nächsten 5 Jahre Landespolitik. Was wir bewirken können, was besser werden muss. Und die große Beteiligung an der Abstimmung über den Koalitionsvertrag zeigt ja auch: die Partei, die Mitgliedschaft lebt, nimmt Anteil, mischt sich ein.

Und das ist aus meiner Sicht die unerlässliche Voraussetzung dafür, dass es besser wird. Gerade als linke Partei sind wir existenziell darauf angewiesen, dass die Mitgliedschaft sich kritisch, solidarisch und engagiert für das Gelingen alternativer Politik einsetzt. In Opposition, aber auch im Koalitionsfall. Und das gilt auch in Berlin.

Wir werden uns mit der Frage wieder befassen müssen. Und da sage ich ganz klar: Es wird darauf ankommen, dass sich die Verhältnisse tatsächlich substanziell zum Besseren verändern lassen. Und das müssen wir diskutieren. Was sind da unsere Maßstäbe, Erfolgskriterien, inhaltlichen Ziele und Prioritäten?

Und das sind dann keine formalen Fragen, sondern inhaltliche. Genau wie wir inhaltlich definieren müssen, für welche Projekte und Veränderungen wir uns ganz konkret stark machen werden.

Da geht es dann auch um unsere Antworten auf die technologischen Umwälzungen, die auch die Produktion und die gesellschaftliche Reproduktion in all ihren Facetten verändern. Die die Stadt- und Solidarstrukturen, das Familienleben und die Beziehungen zwischen den Menschen verändern. Die die Modalitäten der politischen Einmischung verändern.

Mobilität der Zukunft, Energiewende, Bildung und Unterstützung für Familien, Wohnen und Leben im digitalen Zeitalter, Mitbestimmung und Mitentscheidung, bei der niemand ausgegrenzt, niemand zurückgelassen wird. Über all diese Dinge lasst uns streiten, um die besseren Ideen.

Und die SPD unter Michael Müller? Na, schauen wir mal.

Ich glaube, es wäre ein großer Fehler, wenn wir uns über die SPD oder über die Abgrenzung zur SPD definieren würden. Wir müssen positiv verdeutlichen, und das muss Menschen erreichen und auch bewegen, was unsere Vorstellungen von der Zukunft Berlins sind.

Dabei ist eines ganz klar: wir werden die SPD nicht umgarnen. Sondern wir werden sie FORDERN und HERAUSFORDERN – wie übrigens alle anderen politischen Konkurrenten auch.

Das ist unsere Aufgabe!

Es ist an der SPD selbst, eine andere Haltung an den Tag zu legen. Und da bin ich jetzt mal neugierig. Das hat nämlich inhaltliche UND kulturelle Dimensionen:

  • Wird die neue Finanzsenatorin oder der neue Finanzsenator, von Michael Müller benannt, den jetzigen Kurs fortsetzen? Oder wird in Berlin zukünftig wieder FinanzPOLITIK gemacht?
  • Wird die SPD jetzt mal von ihrem hohen Ross herabsteigen? Sich endlich wieder dem inhaltlichen Diskurs öffnen, also Ideen und Initiativen nicht nur denunzieren, ausbremsen – und dann viel später, wenn es meist schon viel zu spät ist, schlecht recyceln, und als ihre verkaufen? Nimmt sie zur Kenntnis, dass ihr die Stadt nicht gehört, weder die Regierung noch die Verwaltung? Wir aber müssen für uns klare Vorstellungen entwickeln und Bedingungen formulieren, was sich in Berlin verändern soll. Mit denen treten wir an, für die werben wir im Wahlkampf. Und dann, erst dann, ist zu entscheiden, ob und wie diese Vorstellungen sich realisieren lassen.

Derzeit organisieren wir im Abgeordnetenhaus die Opposition. Und das machen wir ganz ordentlich, finde ich. Aber vor uns liegt ein gutes Stück Arbeit für die nächsten zwei Jahre.

Und da gilt: Wir dürfen so wenig wie möglich Fehler machen. Und auf jeden Fall weniger als die anderen. Augenblicklich können wir das noch sagen, vor allem das Zweite. Das ist natürlich kein Naturgesetz. Aber wir haben es mit in der Hand!

 
Liebe Genossinnen und Genossen,

»Berlin ist mehr ein Weltteil als eine Stadt«, behauptete Jean Paul. Und Tucholsky überraschte uns mit folgender Quintessenz: »Berlin vereint die Nachteile einer amerikanischen Großstadt mit denen einer deutschen Provinzstadt. Seine Vorzüge stehen im Baedeker.«

Es ist viel unterschiedliches, auch widersprüchliches, geschrieben worden über unsere Stadt. Und es ist viel gespottet worden, manchmal, ja, manchmal – wie im Fall des Flughafens BER – hat Berlin dafür selbst alle Breitseite geboten. Und auch heute wird wieder viel orakelt und interpretiert, was Berlin eigentlich ausmacht. Die Feuilletons der Hauptstadtpresse sind voll von solchen Texten.

Eins dürfte aber unstrittig sein: Berlin ist eigenwillig, geschichtsträchtig und begehrenswert. Berlin ist ein Anziehungspunkt – und bislang ist es noch keiner Stadtregierung gelungen, diese Eigenwilligkeit und permanente Dynamik der Entwicklung Berlins, die Umtriebigkeit und Quirligkeit der Menschen in dieser Stadt, bändigen zu können.

Aber positive Entwicklungen können angestoßen und befördert, negative Trends wenn schon nicht verhindert, so doch gedämpft werden. Das ist die Aufgabe von Stadtpolitik.

Berlin braucht mehr als business as usual, mehr als Großprojekte und Stadtmarketing – also die Beschwörung, the place to be zu sein.

Ob die Berlinerinnen und Berliner sich wohlfühlen, Lebenschancen ergreifen, ihr Ein- und Auskommen finden und ihre Ideen verwirklichen können, hängt wesentlich von den Möglichkeiten der Mitsprache, von bezahlbaren Mieten, guter Bildung und der Beschäftigungssituation ab.

Mitsprache bei der Gestaltung einer sich ständig wandelnden Stadt ist zugleich ein Bildungsprozess. Es geht um den organisierten Austausch gut informierter und klug handelnder Bürgerinnen und Bürger. Demokratische Prozesse, wollen sie tatsächlich Alle erreichen, kosten Geld.

Eine Zukunftsdebatte und -planung einer lebendigen, weltoffenen, sozial-ökologisch vorbildhaften, multikulturellen Stadt benötigt diesen Austausch, die Erprobung öffentlicher und zivilgesellschaftlicher Modellprojekte – und dies alles zusätzlich zu einer guten öffentlichen Verwaltung, von der Stromversorgung bis zur Kita, von der Theaterlandschaft bis zu den Bildungs- und Wissensinstitutionen, von guter Start-Up-Politik bis zur Nutzung der digitalen Möglichkeiten als Skelett einer modernen Infrastruktur und Informationskultur. Um nicht mehr und nicht weniger geht es. Und vor allem: sozial soll es zugehen. Solidarisch und humanistisch, libertär und gerecht!

Dafür kämpfen wir, dafür lasst uns diesen Parteitag als Auftakt nutzen, dafür lasst uns in den kommenden beiden Jahren weiter gemeinsam miteinander arbeiten!