An Kämpfen beteiligen

5. Parteitag, 2.ao.Tagung

Wortmeldung von Silke Stöckle

[Manuskript]

Liebe Genossinnen und Genossen,

Der Landesvorstand der LINKEN strebt trotz des Debakels der letzten Regierungsbeteiligung erneut eine Koalition mit SPD und Grünen an. Die Finanzlage spricht allerdings dagegen.

Zwar erzielte der Senat 2015 einen Haushaltsüberschuss von knapp einer halben Milliarde Euro. Doch der Verteilungsspielraum hat sich dadurch kaum vergrößert. Berlin hat etwa sechzig Milliarden Euro Schulden. Auf der Grundlage kann DIE LINKE nicht regieren, weil das Geld für einen Politikwechsel fehlt. Wir verwalten dann weiter den Mangel statt für eine Millionärsteuer und eine Aussetzung der Schuldenbremse zu kämpfen.

Der Betriebsrat des landeseigenen Krankenhauskonzerns Vivantes sieht allein für diesen Betrieb einen Investitionsstau von einer Milliarde Euro. In allen Schulgebäuden zusammen beziffern wir im Wahlprogramm den Sanierungsbedarf auf 3,5 Mrd. Euro. Die 500 Millionen, die die SPD weiterhin zur Schuldentilgung einsetzen will und die die LINKE für Investitionen fordert laut Tagesspiegel, reichen nicht aus, um den Investitionsbedarf in Personal und Sanierung in Berlin zu decken.

Es fehlen in Berlin mindestens 100.000 Wohnungen im preiswerten Segment. Der Senat plant zwar den Bau von 10.000 Wohnungen jährlich, davon sollen jedoch nur dreißig Prozent im unteren Preissegment gefördert werden. Im öffentlichen Bereich, also bei den Krankenhäusern, Hochschulen, Schulen, Kitas und in der Verwaltung fehlen mindestens 10.000 Stellen, geplant sind aber lediglich 4.000 zusätzliche. Die Personalausgaben sollen um etwa eine Milliarde auf 8,3 Milliarden Euro erhöht werden. Das ist angesichts der Forderungen der Gewerkschaften nach schneller Angleichung der Tarife in den ausgegliederten Betrieben und der Besoldungsanpassung des Berliner öffentlichen Dienstes an Bundesniveau ebenfalls unzureichend.

Bei dieser Auflistung sind die Herausforderungen durch die hohe Zahl der Geflüchteten noch nicht berücksichtigt. Die Bundesregierung wird nur einen kleinen Teil dieser Kosten tragen und somit die soziale Konkurrenz in der Bevölkerung weiter verschärfen.

An Kämpfen beteiligen
Viele Mitglieder unserer Partei, aber auch Bündnispartner aus Bewegungen und Gewerkschaften, argumentieren, dass sich DIE LINKE dennoch an einer Regierung beteiligen sollte, auch wenn sie nur einen Teil ihrer Forderungen durchsetzen könne. Dies sei immer noch besser als ein Scheitern der Mitte-Links Koalition. Dieses Argument übersieht jedoch, dass mit einem unzureichenden Regierungshaushalt nicht die berechtigten Forderungen vergessen sind. Gewerkschaften und Bewegungen werden auch nach einer Regierungsbildung versuchen, Forderungen durchzusetzen, die zudem oft noch im Programm der LINKEN festgehalten sind. Und die Berliner LINKE muss sich an diesen Kämpfen beteiligen, wenn sie die Erfahrungen der letzten Regierungsbeteiligung nicht wiederholen will.

Die Schlussfolgerung des ehemaligen Wirtschaftssenators Harald Wolf, dass die »Partei im Staatsapparat« und die »Partei in der Bewegung« zusammenspielen könnten, ist eine Illusion. Sollte die LINKE zusammen mit Bewegungen außerparlamentarisch Druck auf die eigene Rot-Rot-Grüne Regierung erzeugen, würde die SPD & DIE GRÜNEN sich das nicht ohne Gegenleistungen an anderer Stelle bieten lassen.

DIE LINKE hat in den letzten Jahren mit der Unterstützung dieser Bewegungen gezeigt, dass dies eine realistische, wenn auch mühsame Arbeit ist, die uns zusammen mit unseren Bündnispartnern voran gebracht hat und auch weiter voranbringen kann. So konnte die LINKE auch einen Teil des durch die Regierungsbeteiligung verlorenen Vertrauens zurückgewinnen. Was sich auch in den Stimmenzugewinnen gezeigt hat. Unsere Wählerinnen und Wähler erwarten von einer rot-rot-grünen Regierung, dass diese die drängenden Probleme der Stadt angeht, sie erwarten einen Politikwechsel. Deshalb muss DIE LINKE jetzt öffentlich soziale Mindestbedingungen für eine Beteiligung an einer Rot Rot Grünen Regierung stellen. Nur so wird die Verhandlungsdelegation gestärkt. Nur so kann DIE LINKE Druck auf SPD und Grüne ausüben. Nur so würde bei einem Scheitern der Gespräche über eine Koalition– bei Nichterfüllung der Mindestbedingungen - das Gesicht nicht verlieren.

Wenn DIE LINKE allerdings auf scharfe Kritik an der neoliberalen Politik der SPD verzichtet und statt konkreter Bedingungen für Regierungsbeteiligung einen unverbindlichen Forderungskatalog aufstellt, ist sie nicht für das Scheitern von Gesprächen und eventuelle Neuwahlen gerüstet.

Mit einer möglichen Regierungsbeteiligung droht zudem noch eine viel größere Gefahr als 2001 oder 2007, nämlich eine Schwächung im Kampf gegen die AfD und andere Rassisten, die den Mangel an Wohnraum, die unzureichende soziale Absicherung und Lohndumping gegen die Geflüchteten wenden wollen. Wenn DIE LINKE dann in der Regierung soziale Missstände mit der Haushaltsnotlage rechtfertigt, anstatt den Kampf von unten gegen die Regierung und die Reichen und Konzerne mitzuorganisieren, – also diesen Kampf gegen die Regierung dem Oppositionsbündnis aus CDU und AfD überliese – wäre DIE LINKE als Kraft gegen die Nazis und Rassisten erheblich geschwächt.

DIE LINKE ist die einzige politische Partei mit einem größeren gesellschaftlichen Einfluss, die das Potenzial hat, Protest gegen die kapitalistische Profitlogik und gegen Krieg und Rassismus zu artikulieren und Menschen für den Widerstand von unten zu organisieren. Doch um dieses Potenzial nutzen zu können, darf sie sich nicht kurzfristig am kleineren Übel orientieren, sondern muss sich authentisch an der Seite ihrer Wählerinnen und Wähler und ihrer Bündnispartner beweisen.

Vielen Dank