Der Mobilität Beine machen
Beschluss 1 / 2 / 5
Der Mobilität Beine machen
1.
Mobilität ist ein Grundrecht
Sich frei durch die Stadt bewegen zu können stellt eine Voraussetzung zur gesellschaftlichen Teilhabe dar. Wem der Besuch von Kultureinrichtungen, der Weg zur Arbeit oder die Fahrt ins Grüne unmöglich ist, der fühlt sich ausgeschlossen. Die uneingeschränkte Gewährleistung von Mobilität für alle, vom Kind bis zur Seniorin – auch für gesundheitlich Eingeschränkte und Menschen mit geringem Einkommen – ist Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) mit Bussen und Bahnen ist daher auch unter öffentlicher Kontrolle zu organisieren. Nur so kann Mobilität demokratisch, ökologisch und barrierefrei weiterentwickelt, können die Kosten gerecht verteilt, und die Vernetzung der verschiedenen Verkehrsmittel vorangetrieben werden. Doch der öffentliche Nahverkehr soll nicht nur öffentlich finanziert und kontrolliert werden, sondern die Berlinerinnen und Berliner sollen auch bei Planung und Ausbau mitreden dürfen. Alle Möglichkeiten zur Beteiligung der Bevölkerung an der weiteren Entwicklung des ÖPNV im umweltgerechten Zusammenspiel der Verkehrsmittel, dem »Umweltverbund«, müssen genutzt werden. Schon 2008 verzichteten über 45% der Berliner Haushalte auf ein eigenes Auto. Dieses positive Verhalten gilt es zu unterstützen. Dazu ist es erforderlich, den »Umweltverbund« so weiter zu entwickeln, dass die Attraktivität in Quantität und Qualität der Verkehrsdienstleistungen den Verzicht auf ein eigenes Auto unterstützen. Die Fahrpreise müssen dauerhaft und spürbar gesenkt werden und der BVG, der S-Bahn GmbH und den Regionalverkehrsunternehmen sind im Rahmen einer bedarfsgerechten Finanzierung anspruchsvolle und klare Aufgaben zu stellen
2.
DIE LINKE. Berlin stellt fest
- Trotz einer guten Fußverkehrs- und Fahrradverkehrsstrategie in Berlin bleibt der Ausbau der Fuß- und Radwege und der Radstreifen weit hinter den gewachsenen Anforderungen zurück. Neuere Trends wie der verstärkte Einsatz von Lastenrädern und die Elektrifizierung des Radverkehrs finden bisher überhaupt keine Berücksichtigung.
- Die körperliche Bewegung ist ein menschliches Grundbedürfnis und dient dem Erhalt der Gesundheit. Das Erschließen der Stadt und ihrer Kieze muss deshalb auch bequem und gefahrlos fußläufig und per Rad möglich sein.
- Nachdem einige der teilungsbedingt unterbrochenen Schienenwege wiederhergestellt und eine neue Nord-Süd-Achse errichtet wurden, gibt es seit vielen Jahren keine wesentlichen Fortschritte beim Netzausbau der Eisenbahn und der Straßenbahn in Berlin und seinem Umland. Die Instandhaltung von Eisenbahnstrecken und -brücken wurde vernachlässigt. Hierfür ist in erster Linie die DB Netz verantwortlich.
- Das Angebot an öffentlichem Verkehr und die Möglichkeiten umweltschonender Mobilität halten nicht Schritt mit der steigenden Anzahl der Einwohner*innen, Pendler*innen und Besucher*innen und ihren unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnissen, je nach Alter, Gesundheitszustand und Wegezweck.
- Der öffentliche Nahverkehr lässt in Sachen Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit viel zu wünschen übrig. Zu oft stehen Busse und Bahnen im Stau. Die Fahrpreise sind zu hoch, die Zugänge trotz vieler Verbesserungen in der Vergangenheit noch immer nicht durchgängig barrierefrei und bedarfsgerecht.
- Der öffentliche Straßenraum wird vom MIV beherrscht. Die verschiedenen zaghaften Ansätze zu einer gerechteren und umweltschonenderen Aufteilung des öffentlichen Raumes sind Stückwerk ohne eine konsistente Umbaustrategie.
3.
Unsere Vorschläge für eine sozial gerechte und ökologische Mobilität orientieren sich daher u.a. an folgenden Grundsätzen:
- Öffentlich vor gemeinschaftlich, gemeinschaftlich vor individuell
- Schwächere vor stärkere Verkehrsteilnehmer
- Schiene vor Wasser, Wasser vor Straße, Straße vor Luft
- Elektrischer Antrieb vor Verbrennungsmotoren
- umfassende Barrierefreiheit
- leise vor laut
- motorfrei vor motorisiert
- geringer Energieverbrauch vor hohem Energieverbrauch
- Schadstofffrei vor umweltschädlich
- Oberirdisch vor Tunnel
- Grün vor Beton und Asphalt
- regionaler vor überregionalem Gütertransport
Daraus ergeben sich folgende zentrale Perspektiven auf die Gestaltung von Mobilität in Berlin
- Weiterer Ausbau des ÖPNV – Erhöhung seines Anteils gegenüber dem motorisierten Individualverkehr
- Fahrpreise runter mit dem langfristigen Ziel eines fahrscheinlosen ÖPNV
- Stadtentwicklung mit menschlichen Maß: für Fußgänger, Fahrrad und ÖPNV, weg vom Auto
- Moderne Mobilität ist im Einklang mit Umwelt- und Gesundheitsschutz zu ermöglichen
4.
Für die Förderung des umweltschonenden Personenverkehrs ist es daher u.a. erforderlich
- eine Zusammenarbeit von Senats- und Bezirksverwaltungen, Verkehrsunternehmen mit organisierten Initiativen und sachkundigen Bürgern durchzusetzen.
- die Fußverkehrsstrategie von 2011 sowie die Radverkehrsstrategie von 2013 konsequent umzusetzen und weiterzuentwickeln. Die dafür notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen müssen bereitgestellt werden.
- Bei den Verkehrsunternehmen mehr Leistungen zu bestellen für Taktverdichtungen auf stark genutzten Strecken. Das Angebot in den Aussenbezirken, in den Randzeiten sowie am Wochenende muss ausgeweitet werden.
- Den Finanzierungsanteils des Landes Berlin insbesondere bei der BVG für Instandhaltung der Infrastruktur, Fahrzeugbeschaffung und Angebotsausweitungen, Erweiterungen des Streckennetzes sowie von Haltestellen, Barrierefreiheit sowie Fahrgastbetreuung und Sicherheit absolut zu erhöhen.
- Die Verkehrsmittelmittel baulich mit dem Ziel kurzer, sicherer und barrierefreier Wege und über ein Anschlussmanagment zur Vermeidung langer Wartezeiten zu verknüpfen und die Fahrradmitnahme zu erleichtern.
- Grundsätze einer verkehrsmindernden und flächenschonenden Stadtplanung aufzustellen und konkrete Projekte zu entwickeln und umzusetzen.
- den Regionalbahnverkehr sowie die Zubringerverkehre in enger Abstimmung mit Brandenburg zur Vermeidung der automobilen Pendlerverkehre auszubauen.
- die Fahrpreise zu senken und insbesondere für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen die Nutzung des ÖPNV erschwinglich zu machen, statt die Preise jährlich zu erhöhen.
- Carsharing und andere Formen des gemeinschaftlichen Autoverkehrs zu befördern und mit dem Angebot des ÖPNV zu verknüpfen.
- die Umgestaltung von Bahnhöfen zu Mobilitätzentren mit attraktiver Gestaltung des öffentlichen Raumes, kurzen Umstiegen und Zugang zu allen Verkehrsträgern zu intensivieren.
5.
Der Landesparteitag bittet die Fraktion DIE LINKE im Abgeordnetenhaus sich schon in der laufenden Legislaturperiode dafür einzusetzen, dass
- der S- Bahnbetrieb aus einer Hand erfolgt. DIE LINKE setzt sich dafür ein, dass der S-Bahn-Betrieb künftig unter kommunaler Kontrolle erfolgt, da die Deutsche Bahn AG keine am Gemeinwohl orientierte Geschäftspolitik verfolgt.
- die BVG mit zusätzlichen Investitionsmitteln in Höhe von 270 Mio. € bis 2018 für Instandhaltung und Fahrzeugbeschaffung ausgestattet wird.
- das System der automatisch indexierten Preisanpassungen abgeschafft wird und keine weiteren Preissteigerungen im ÖPNV erfolgen. Kostensteigerungen müssen durch eine Erhöhung des Landeszuschusses aufgefangen werden.
- die Vorrangschaltung für die Straßenbahn und Busbeschleunigung konsequent umgesetzt und ausgeweitet wird.
- dass das gesamte Straßenbahn-Netz zu erhalten und zu erweitern ist.
- die Verkehrslenkung Berlin strukturell und personell so ausgestattet wird, dass von ihrer Tätigkeit abhängige Baumaßmahmen zügig genehmigt werden können. Die Verkehrsströme müssen so gelenkt werden, dass der Umweltverbund stets den Vorrang vor dem MIV hat.
- Störungen des Radverkehrs durch zugeparkte Radwege- und streifen besser durch die Ordnungsämter überwacht und beseitigt werden.
- die Einrichtung von Radwegen- und streifen bei baustellenbedingten Einengungen stets berücksichtigt wird.
- die Investitionsmittel für den Ausbau der Radwegeinfrastruktur deutlich erhöht und deren Ausschöpfung sichergestellt wird.
- die Unfallschwerpunkte insbesondere im Straßenverkehr durch geeignete Maßnahmen beseitigt werden.
- die Verkehrserziehung in den Bezirken finanziell sichergestellt wird.
6.
Der Landesparteitag bittet die Fraktion DIE LINKE im Abgeordnetenhaus darüber hinaus, folgende Projekte und Maßnahmen zu verfolgen:
Beim Ausbau des Straßenbahnnetzes
- die Aufnahme konkreter Planungen für die Straßenbahnerweiterungen nach Steglitz, zum Herrmannplatz, zum künftig ehemaligen Flughafen Tegel und für den Lückenschluss Hellersdorf – Mahlsdorf
- Baubeginn für die Straßenbahnerweiterungen zum Kulturforum und nach Moabit
Bei Angebotsverdichtungen
- auf der Straßenbahnlinie M1 nach Niederschönhausen und Rosenthal
- auf der S-Bahn zwischen Ostkreuz und Westkreuz, auf dem Ring und von der Stadtbahn über die wieder entstehende Südkurve Ostkreuz Richtung Schöneweide
- auf der Regionalbahn zwischen Lichterfelde Ost – Südkreuz und Gesundbrunnen/Spandau sowie auf der wieder entstehenden inneren Osttangente zwischen Hohenschönhausen, Lichtenberg, Ostkreuz und Schöneweide sowie zwischen Hauptbahnhof und Gesundbrunnen / Spandau
Im S-Bahn und Regionalverkehr
- Baubeginn der Fern- und Regionalstrecke Südkreuz – Blankenfelde mit einem Regionalbahnhof an der Buckower Chaussee (Dresdner Bahn)
- Beschleunigung der Planungen zum Ausbau der Kremmener Bahn Hennigsdorf – Tegel – Schönholz für Regionalverkehr und dichteren S-Bahn-Takt
- Aufnahme konkreter Planungen entsprechend den aktuellen (2015 ff.) technischen Regeln für den Gleisbau für den Wiederaufbau der Heidekrautbahn Basdorf – Wilhelmsruh- Gesundbrunnen. Hierbei sind die Interessen der unmittelbar Betroffenen im Ortsteil Wilhelmsruh hinsichtlich Schall- und Erschütterungsschutz umfassend zu berücksichtigen
- Aufnahme konkreter Planungen für eine Nahverkehrsinfrastruktur auf dem östlichen Eisenbahnring Hohenschönhausen – Wuhlheide – Grünau / Schönefeld (Schienen-TVO)
- Den zügigen Bau eines Regionalbahnhofs in Köpenick zu unterstützen
7.
Darüber hinaus regt der Landesparteitag die Prüfung folgender Modellprojekte an:
- Ein Mobilitätskonzept für einen Aussenbezirk mit hohem MIV-Anteil mit dem Ziel, durch einen passgenauen Ausbau von Angeboten des ÖPNV in Verknüpfung mit Car-Sharing, sowie eines Ausbaus der Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur, die Attraktivität des Umweltverbundes signifikant zu erhöhen.
- Ein MIV-unabhängiges Mobilitätsangebot für mobilitätseingeschränkte Menschen zu entwickeln.
- Die Anregung und Unterstützung zum Aufbau eines betrieblichen Mobilitätsmanagments mit einem großen Landesunternehmen.
- Die Implementierung von E-Lastenrädern im innerstädtischen Lieferverkehr.
- Straßenbahngütertransport ausserhalb der Betriebszeiten für den Fahrgastverkehr auf ausgewählten Strecken.
- Förderung nichtkommerzieller Fahrgemeinschaften.
- Einen Modellversuch für den Einsatz von Obussen z.B. in Spandau.
- Projekte für autofreie und autoarme Wohngebiete in unterschiedlichen Ortsteilen
- die Einrichtung von Radschnellwegen, um die Bewältigigung längerer Strecken auch aus dem Umland und den Randbezirken zu befördern
8.
Die LINKE. Berlin entwickelt für das Wahlprogramm 2016 einen Programm-Punkt »Mobilität in Berlin«
Dazu beauftragt der Landesparteitag den Landesvorstand, sowie die Landesarbeitsgemeinschaften und die Parteigliederungen, das Thema Mobilität zu vertiefen und dabei insbesondere die Aktualität des sozial-ökologischen Umbaus heraus zu arbeiten.
Er beauftragt den Landesvorstand und die Fraktion die LINKE im Abgeordnetenhaus von Berlin, Workshops / Veranstaltungen mit Fahrgast- und Umweltverbänden zu den genannten Themenfeldern zu organisieren, um im gegenseitigen Austausch tragfähige Grundlagen einer sozialen und ökologischen Mobilität für Berlin zu entwickeln und zu popularisieren
9.
Modell für den fahrscheinlosen ÖPNV
Der Landesparteitag unterstützt das Modell eines solidarisch finanzierten Berlintickets (»Öffi-Flatrate«) und beauftragt den Landesvorstand und die Fraktion DIE LINKE im Abgeordnetenhaus gemeinsam mit interessierten Akteur*innen der Stadtgesellschaft ein tragfähiges Konzept zu erarbeiten und für das Wahlprogramm 2016 einen Vorschlag zu unterbreiten.
10.
Leitbild »Mobilität für Berlin«
Der Landesparteitag nimmt das von der IG Nahverkehr, Mitgliedern des Landesvorstands, der Abgeordnetenhausfraktion in Abstimmung mit der LAG selbstbestimmte Behindertenpolitik, der LAG Umwelt sowie das LAG Senior*innen und vielen mehr erarbeitete »Leitbild Mobilität in Berlin« zur Kenntnis. Die darin enthaltenen Vorschläge werden wir beginnen umzusetzen und weiter diskutieren.