Das Berlin-Ticket ist ein Holzweg

Jutta Matuschek

[Manuskript – es gilt das gesprochene Wort.]

Ich möchte mich Wahlkampfschlager der Zwangsabgabe Nahverkehr äußern. Die Begleitmusik dazu ist von Illusionen, Hoffnungen und unbewiesenen Behauptungen geprägt.

Dieser Vorschlag ist ein Wahlkampfthema und wird genau so von den Erfindern vorgebracht. Man zielt auf Wählerstimmen – was ja legitim und nötig ist –, man freut sich über die Medienresonanz und man verheimlicht die Fußangeln. Optimistisch betrachtet, wird diese Idee bei den angestrebten Koalitionsverhandlungen nach der Wahl Verhandlungsmasse sein. Deshalb rede ich über die Fußangeln.

Fußangel 1:

Eine ausreichende Finanzierung des ÖPNV ist mit der Abgabe weder gesichert noch bezweckt. Aber:

Das gegenwärtige Finanzloch im Berliner ÖPNV beträgt weit über 100 Mio. jährlich. Der Ersatz der bisherigen Fahrgeldeinnahmen durch eine Umlage verringert dieses Loch überhaupt nicht, es sei denn, dass – wenn die Abgabe erst mal da ist, sie permanent erhöht werden wird.

Wesentlicher ist aber, dass der eigentlich notwendige POLITISCHE Streit über die ÖPNV-Finanzierung aus dem Landeshaushalt nicht mehr geführt wird. Das ist ein schwerwiegendes Versäumnis. Die Debatte zum BerlinTicket lenkt von der politischen Diskussion über die Verwendung von Steuergeldern ab.

Schlimmer noch: seit geraumer Zeit schielen mächtige Akteure aus Bund und Ländern darauf, die Steuerfinanzierung für öffentliche Aufgaben zu senken und sie schrittweise durch Bürger-Abgaben zu ersetzen.

Auf der einen Seite ein riesiges Finanzloch, auf der anderen Seite ein Bürgerticket durch Zusatzbeiträge. Das Bürgerticket öffnet all jenen Tür und Tor, die das Finanzloch für den Nahverkehr eben nicht aus Steuern, sondern aus zusätzlichen Abgaben stopfen wollen. Insofern ist die ganze Debatte Wasser auf die neoliberalen Mühlen. Das ist ein Spiel mit dem Feuer.

Fußangel 2:

Das Bürgerticket stärkt nicht den Nahverkehr sondern verschärft dessen Probleme. Unterstellt Harald und andere hätten Recht, würden die Fahrgastzahlen steigen, die zusätzlichen Fahrgäste wären aber Umsteiger vom Rad oder Fußweg und nicht vom Auto. Die Behauptung, Autofahrer würden umsteigen, steht im krassen Widerspruch zu den Erfahrungen in den Städten, in denen man so ein Ticket mal ausprobiert hat. Sie unterstellt zudem, dass diejenigen, die Auto fahren nur zu doof seien, die Vorzüge des Nahverkehrs zu erkennen.

Nein, liebe Genossinnen und Genossen, um mehr Fahrgäste in Busse und Bahnen zu bekommen, muss man das Angebot massiv ausweiten, das Netz dichter stricken, mehr Personal einsetzen. Also mehr Geld, und ich bleibe dabei, mehr Steuergeld in das System stecken.

Selbst wenn wir die Finanzprobleme beiseite lassen, wäre das Nahverkehrssystem mit Bürgerticket schlechter als ohne. Die jetzt schon und dann noch mehr überfüllten Busse und Bahnen würden die Zumutungen für die Fahrgäste verschärfen, die Fahrerinnen und Fahrer der BVG und S-Bahn hätten noch mehr Stress und schlechtere Arbeitsbedingungen, der ÖPNV würde nicht gestärkt werden sondern an Akzeptanz verlieren.

Fußangel 3:

Der Zwangscharakter der Abgabe. Die Grünen haben es schon mehrfach vorgemacht, zuletzt mit dem Vegie-Day – die Grünen wurden als Besserwisser wahrgenommen und als eine Partei, die den Menschen VORSCHREIBEN will, was zu tun ist. Die Wahlergebnisse waren entsprechend. Daraus sollten wir lernen und nicht dem nacheifern.
 

Ein letzter Satz noch:

Für die 100.000 Inhaber des Seniorentickets bringt das Modell Berlin-Ticket krasse Nachteile, weil ihnen ihr Bewegungsradius drastisch beschnitten wird, denn das Seniorenticket gilt auch in ganz Brandenburg, das BerlinTicket soll nur für AB gelten. Jede Fahrt ins oder aus dem Umland würde dadurch drastisch verteuert werden. Und denjenigen, die aus Altersgründen, kaum noch unterwegs sind, wird die ÖPNV-Abgabe dennoch auferlegt. Sie tragen aus ihren Renten die Preisentlastung auch für Leute mit gesichertem und steigendem Einkommen mit. Und das finde ich unsozial.

Ich will die POLITISCHE Debatte um den Einsatz von öffentlichem Steuergeld für öffentliche Aufgaben führen. Ich will mehr Geld aus dem Landeshaushalt in den Nahverkehr stecken, weil es dort hingehört. Ich will sinkende Fahrpreise durch mehr Fahrgäste, die den Nahverkehr nutzen, weil er pünktlicher, schneller und attraktiver ist. Übrigens preiswerter als ein Privatauto ist er schon heute.

Das Berlin-Ticket ist ein Holzweg.