Für ein unmissverständliches Ja

Diskussionbeitrag von Michail Nelken

 

[Manuskript.]

 

Anrede.

Vor 1 ½ Jahren im November 2013 beschloss die 3. Tagung des 4. Landesparteitages hier in diesem Saal einen Antrag mit dem Titel: »Wohnen ist ein Grundrecht. - Für bezahlbares Wohnen und ein Berlin für alle.« Ich kritisierte seinerzeit den Antragstext als unzureichend, konnte mich aber mit meinem Änderungsantrag nicht durchsetzen. Unter anderem hatte ich auch die Streichung des ganzen 2.Teils beantragt, der sich zu aktuellen stadtpolitischen Auseinandersetzungen positionierte, darunter auch zum Volksbegehren »100% Tempelhof«. In dem beschlossenen Antrag wird das Ansinnen des Volksbegehrens unterstütze, aber zugleich sind die Bebauungsvorschläge der Linken (1000 Wohnungen, ZLB) aufgelistet. In unserem heutigen Antrag zum Mietenvolksbegehrens heißt es nun wieder, dass wir das Anliegen unterstützen. Auch heute verbirgt sich hinter dieser Formulierung und weiteren im Antragstext, die ich ebenfalls ändern will, eine Distanz zum vorliegenden Gesetzestext des Mietenvolksbegehrens. Das halte ich in der Sache für nachvollziehbar. Auch ich denke, dass manches in dem Gesetzentwurf suboptimal und unausgereift ist. Aber politisch ist ein solches Herangehen von Grund auf falsch. Der Volksbegehrenstext liegt auf den Tisch und dazu muss sich die LINKE verhalten: unterstützen oder nicht. - Es reicht nicht zu sagen, dass man das "Anliegen" unterstützen, sich an Auseinandersetzungen beteiligen und die Ziele des Volksbegehrens diskutieren wolle.

Vielmehr muss sich die Berliner LINKE der politischen Realität stellen. In dieser Situation kann man nicht mehr nachholen wollen, was die LINKE in den letzten Jahren nicht vermocht hatte: in Sachen Wohnen und Mieten überzeugende und in der Mieterbewegung einflussreiche Konzepte zu entwickeln. Es kommt in der Politik oft vor, dass man sich als politische Formation in Entscheidungssituation verhalten muss, in denen man die Rahmenbedingungen nicht bestimmt, - übrigens auch im Parlament. Man mag den Gesetzentwurf der Initiative Mietenvolksentscheid nicht in jedem Paragrafen gut heißen, aber man muss sich in der Gesamtschau entscheiden: ja oder nein. - Ich bin für ein unmissverständliches Ja. - Nicht wegen der Qualität des Textes, sondern auf Grund der realen politischen Alternativen.

Im Übrigen hat sich die Berliner Landespartei in der Praxis schon lange entschieden und sammelt aktiv Unterschriften für das Volksbegehren. Der Antragstext ist auch insofern nicht auf der Höhe der Realität. Das versucht der Änderungsantrag mit einem minimalen Eingriff wenigstens teilweise zu heilen.

Noch eine Anmerkung zur Diskreditierungskampagne gegen die Initiativen der direkten Demokratie, wie sie Müller, Geisel und Genossen nicht nur gegen den Mietenvolksentscheid betreiben, sondern auch gegen die Bürgerinitiativen für einen großen Mauerpark, zur Rettung der KGA Oeynhausen, für den Erhalt Rudower Felder oder der Elisabethaue. Was mich dabei erstaunt ist zweierlei: A) dass die durchsichtigen, völlig haltlosen Senats- und SPDPropagandafloskeln über Mietendämpfung und preiswerte Wohnungen durch Wohnungsneubau von der öffentlichen Meinung fast kritiklos transportiert werden, obwohl sie mit den Grundrechenarten ganz einfach widerlegbar sind; B) dass diese Abqualifizierung der direkten Demokratie kein höhnisches Gelächter auslöst, da doch all die schlechten Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen der letzten Jahre, die viel Geld kosteten und die versprochene Wirkung nicht brachten, sämtlich von den Regierung und den Institutionen der repräsentativen Demokratie geschaffen worden sind.

Angesichts der wütenden Schelte von Müller, Geisel und Genossen gegen Bürger, die zum Instrument der direkten Demokratie greifen und Bürger- und Volksentscheide initiieren, um eine schlechte Regierungspolitik zu korrigieren, kommen mir die Worte von Brecht in den Sinn, dass angesichts der Tatsache, dass das Volk offenbar das Vertrauen der Regierung enttäuscht habe ...

Naja, vielleicht kommen ja die Bürger auch auf die Idee, sich andere Politiker zu wählen.

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