Dreh- und Angelpunkt der Begegnung unseres Landes mit Osteuropa

5. Parteitag, 2. Tagung

Lampros Savvidis

[Manuskript – es gilt das gesprochene Wort.]

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, liebe Freunde!

Auch ich finde, wie aus dem Antrag 3 dieses Parteitages zu entnehmen ist, dass eine starke Partei Die LINKE für das Land Berlin und überhaupt für die ganze Bundesrepublik nicht nur notwendig, sondern auch machbar ist. Man muss es nur glauben und wollen. Ich werde dazu im zweiten Teil meiner Ausführungen begründet Stellung nehmen.

1. Berlin muss verändert werden

Wie die regierende CDU und SPD immer wieder stolz betonen, gibt es dank Herrn Schäuble die große schwarze Null. Doch ich frage mich und warum es in unserer Hauptstadt so viele Probleme gibt?

So viele kaputte Schulen, Unterrichtsausfall wegen fehlenden und unterbezahlten Lehrern; es fehlen hunderttausende bezahlbarer Sozialwohnungen. Wichtiges städtisches, strukturbedingtes Eigentum darf nie mehr privatisiert werden. Als dies vor einigen Jahren geschah und ohne dass die Menschen gefragt wurden, hat es sich hinterher gerächt. So etwas darf sich nicht wiederholen! Unlängst konnte man der Presse entnehmen, dass Berlin es versäumt, seine Straßen instand zu halten. Das wird auch jeder Radfahrer in der Hauptstadt bestätigen können. Manch frecher Investor, ermutigt durch die Privatisierungsgeilheit der »deutschen Troika«, hat den Vorschlag unterbreitet, die Kosten der Sanierung unter der Bedingung zu übernehmen, dass die Investoren Miteigentümer an den Straßen unserer Stadt werden. Sollen wir etwa demnächst auch für die Benutzung der hauptstädtischen Straßen Maut bezahlen?

Wir haben in Berlin-Wannsee noch immer einen Forschungs- Atomreaktor. Ich frage: Wie lange wollen wir uns einen solchen Dinosaurier-Prüfer u.- Analysierer noch leisten? Es gibt viele weitere regionale Probleme. Aber ohne manches Beispiel der globalen Politik zu verstehen, werden wir dieser Stadt auch nicht helfen können.

2. Politische und ökonomische Krise in Europa und in der Welt

Vor einigen Tagen verfolgte ich eine Diskussion über die Krise im Staatsfernsehen. Mit Ausnahme von Sahra Wagenknecht lobten die übrigen Diskutanten die Leistungen der Kanzler Schröder und Merkel. Einzig Sahra Wagenknecht hat mir aus dem Herzen gesprochen. Nach Darstellung der übrigen Gesprächsteilnehmer sollen Gerhard Schröder und Frau Merkel Deutschland nicht nur vor der Krise gerettet, sondern es sogar führend in Europa und der Welt gemacht haben. Tatsächlich haben Schröder und Merkel – und die Grünen darf man mit Blick auf die Agenda 2010 nicht außen vor lassen – die deutsche Gesellschaft gespalten. Ja, sie haben das deutsche Kapital gestärkt und damit die deutschen Kassen gefüllt, allerdings auf Kosten der breiten Gesellschaft bzw. der Allgemeinheit. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist gewachsen. Sie haben die wenigen Reichen bedient und die großen Mehrheit der Deutschen ärmer und durch Grundsicherung mundtot gemacht.

Besonders Kanzlerin Merkel wird für ihre angebliche Friedenspolitik gelobt. Dabei ist gerade sie es, die erst Schröders Reformen gestützt und mit ihrer Politik des Spardiktats Europa gespalten hat.

Nein, sie ist keine Friedensstifterin. Sie ist diejenige, die die friedensstiftenden Vorschläge des russischen Präsidenten in München ignoriert und praktisch abgelehnt hat. Sie trägt Schuld an der fortgesetzten Lauschtätigkeit der USAmerikaner in Deutschland und in ganz Europa. Obwohl stärkste Frau in der Weltpolitik wie behauptet, hat sie nichts gegen die Umzingelung Russlands durch die NATO unternommen. Die US-Amerikaner und ihre europäischen Verbündeten haben den Status Quo in der Ukraine gekippt und eine Politik der Destabilisierung in Europa betrieben. Die USA haben den Maidan gekauft; fünf Milliarden US-Dollar flossen in die Ukraine, damit die Pseudorevolution auf dem Kiewer Maidan den gewählten Präsidenten Janukowitsch stürzt und die Ukraine in die Arme der NATO treibt. Wer schürt also den neuen Kalten Krieg: der Westen oder Russland? In einer anderen Fernsehdiskussion äußerte unsere Bundesvorsitzende Katja Kipping: »Putin hat eine verbrecherische Politik auf der Krim betrieben!« Aber das ist doch genau das, was auch Frau Merkel sagt und was stets und ständig zur Begründung der antirussischen Sanktionen behauptet wird.

Haben diejenigen, die solche Vorwürfe erheben, keine Geschichtsbücher zu Rate gezogen? Was ist eigentlich die Ukraine? In den deutschen Universallexika Brockhaus und Meyer des 19. Jahrhunderts sucht man sie als Staat vergeblich. »Okrainy« nannte man im Russischen die Randgebiete. Gemeint war das Moskauer Reich. Das heute von Kiew beanspruchte Staatsgebiet gehörte im Westen zu Polen bzw. Österreich-Ungarn, im Süden zum Krimchanat und im Osten das Malorossija bzw. Kleinrussland zum Russischen Reich. Nach einer wechselvollen, aber eben nicht ukrainischen Geschichte gehört die Halbinsel Krim seit 1774 zu Russland. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurde Malorossija bzw. ihr heutiger Osten der Ukraine zugeschlagen. Willkürlich, ohne Referendum schenkte der Ukrainer Nikita Chruschtschow 1956 seiner Heimat die Krim. Das, was wir heute Ukraine nennen, ist mithin ein Konstrukt, im Wesentlichen des 20. Jahrhunderts, und über die ungezählten Verletzungen des Völkerrechts einschließlich massiver Vertreibungen und Massaker an Juden und Polen, die die Entstehung dieses Konstrukts begleiteten, könnte man stundenlang berichten. Wenn wir schon des Völkerrechts bemühen, sollten wir es nicht selektiv anwenden. Ist es völkerrechtlich vertretbar bzw. politisch hinnehmbar, wenn Russland durch angeblich gegen den Iran gerichtete Anti- Raketen-Abwehrsysteme in einstigen Staaten des Warschauer Pakts an seinen Grenzen umzingelt wird? Ist es völkerrechtlich vertretbar, den letzten Verbündeten Russlands, Janukowitsch, durch einen von außen finanzierten Putsch zu beseitigen, um dann das isolierte Russland noch leichter zu destabilisieren? Selbst der ehemalige SPDParteivorsitzende Mathias Platzeck zeigte mehr Verständnis für Russlands Reaktionen auf diese Entwicklung in der Krim als unsere Katja. Dem Deutschlandfunk zufolge gibt es in 42 der über 220 Staaten der Welt kleine oder größere bewaffnete Auseinandersetzungen, an denen US-amerikanische Regierungen ursächlich beteiligt sind. Es ist weitgehend die Perspektive der USA, wer in Europa und besonders in Deutschland als Diktator wahrgenommen wird. Diese selektive, aus Eigeninteressen der USA gespeiste Wahrnehmung und Politik, liebe Genossinnen und Genossen, können nicht unsere Sichtweise und unsere Politik sein. Warum stellt unsere Partei nicht klar und deutlich die Forderung nach der Auflösung der NATO? Nur starke Positionen können zur einer starke Partei führen.

Berlin war stets ein Dreh- und Angelpunkt der Begegnung unseres Landes mit Osteuropa. Wir sollten uns dessen stärker bewusst werden, gerade auch in der Landespolitik.