Was haben wir aus zehn Jahren Regierungsbeteiligung gelernt?

5. Parteitag, 3. Tagung

Wortmeldung von Ruben Lehnert

[Manuskript, zu Protokoll gegeben.]

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

in unserem Antrag schreiben wir: »Wir haben aus zehn Jahren Regierungserfahrung gelernt und werden alte Fehler nicht wiederholen.« Aber stimmt das auch? Und wenn ja, was haben wir aus zehn Jahren Regierungsbeteiligung gelernt? Dazu sagen wir sehr wenig.

Ich muss daran erinnern: Wir sind abgewählt worden, weil Wählerinnen und Wähler mit den Ergebnisse offenbar nicht zufrieden waren. Wir haben die Zahl unserer Stimmen halbiert und sehr viele Mitglieder verloren? Umso wichtiger, dass wir grundsätzliche Fragen stellen und beantworten:

Ist linke Politik unter dem Diktat der Schuldenbremse möglich? In Zeiten des Aufschwungs vielleicht, irgendwie. Aber wie sieht es in der Krise aus? Können wir ein Zukunftsinvestitionsprogramm, das Berlin dringend braucht, ohne neue Schulden finanzieren?

Was bedeutet es, dass der Bund die Rahmenbedingungen für die Politik in Berlin diktiert? Auf absehbare Zeit wird es keine sozial gerechte Steuerreform geben, keine Vermögenssteuer, auch keine Reform der Erbschaftssteuer, die den Ländern neue Einnahmen brächte. Auf absehbare Zeit bleibt das Hartz-IV-Regime in Kraft, führen Leiharbeit und Werkverträgen zur Ausbeutung ein. Und was haben wir aus drei Jahren Oppositionserfahrung gelernt? Haben wir realisiert, was wir aus der Opposition heraus erreicht haben?

Wir haben verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen, wir haben neue außerparlamentarische Bündnisse geschlossen, wir haben ein paar ziemlich erfolgreiche Kampagnen geführt. In der Wohnungspolitik ist uns in drei Jahren Opposition mehr gelungen als in zehn Jahren an der Regierung! Wir haben dazu beigetragen, dass der Start des Mietenvolksbegehrens so erfolgreich war, dass die Koalition schnell ein eigenes Gesetz gemacht hat. Das ist nicht ausreichend, aber es geht in die richtige Richtung. Das ist auch unser Erfolg - und wir werden nachlegen!

Ich bin dafür, dass wir über Mindestbedingungen diskutieren und sie im Wahlprogramm festschreiben. Es macht keinen Sinn, dass wir in eine Regierung gehen, die die drängendsten Probleme der Stadt nicht löst. Es reicht auch nicht mehr zu sagen, was mit uns nicht passieren wird. Wir brauchen ein Aufbauprogramm für Berlin, ein Investitionsprogramm für bezahlbare Wohnungen, für Infrastruktur, Bildung, Gesundheit und funktionierende öffentliche Dienste. Das muss unsere Mindestanforderung sein!

Und Mindestbedingungen heißt: Wenn wir im September ein super Ergebnis erzielen, können wir immer noch draufpacken. Aber billiger sind wir nicht zu haben!

Zum Schluss: Es ist gerade einmal eineinhalb Jahre her, dass wir Klaus Wowereit und Michael Müller beim Tempelhofer Feld in den Arm gefallen. Die Berlinerinnen und Berliner haben gegen die Pläne von Wowereit und Müller gestimmt. Mit klaren Mehrheiten – in allen Berliner Bezirken. Die Berliner Bevölkerung hat ein Gesetz gemacht.

Jetzt – nicht einmal eineinhalb Jahre später – will der Senat um Michael Müller das Gesetz kassieren und die alten Pläne doch noch durchsetzen.

Wir haben einst dafür gesorgt, dass Berlinerinnen und Berliner Gesetze machen können. Wir haben die Tür aufgestoßen für mehr direkte Demokratie. Deshalb ist es klar, dass wir W die Entscheidung der Berlinerinnen und Berliner verteidigen werden!

Aber eine Sache macht mich besonders wütend: Dass der Senat offenbar die Not der Flüchtlinge ausnutzen will, um eigene Pläne durchzudrücken. Das ist extrem schäbig! Der Senat sollte stattdessen vorhandene Unterbringungsmöglichkeiten endlich nutzen: das Bundesinstitut für Risikobewertung oder das Haus der Statistik am Alexanderplatz. Und es ist höchste Zeit, privaten Leerstand und private Flächen zu beschlagnahmen!

Also: Michael Müller, Hände weg vom Tempelhofer – sorgen Sie dafür, dass die Flüchtlinge endlich menschenwürdig untergebracht werden!