Dass die Menschen in Berlin sich auf unser öffentliches Gemeinwesen verlassen können

Rede von Klaus Leder
Bürgermeister und Senator


[ Manuskript – es gilt das gesprochene Wort

Liebe Genossinnen und Genossen,

liebe Gäste,

zuallererst möchte ich Euch allen von Herzen ein gesundes neues Jahr wünschen – möge es besser werden als das vergangene. Obwohl es mit Sicherheit auch 2021 turbulent bleiben wird, nicht nur, weil es ein »Superwahljahr« ist.

Als linker Bürgermeister in der deutschen Hauptstadt blicke ich, so wie viele von Euch auch, mit Sorge nach Washington DC. Was dort geschah und geschieht, berührt und betrifft auch Berlin. Damit meine ich nicht allein die Bannmeile und den Reichstag. Auch in europäischen Metropolen gibt es beunruhigende Entwicklungen.

Wie verletzlich ist unsere Demokratie? Was sind uns die Institutionen, die Werte und Regeln des demokratischen Umgangs wert? Was tun wir, um die »Leitplanken« der Demokratie in Deutschland und in Europa auch von Berlin aus zu stärken und zu sichern?

Manchmal nehme ich da dann auch in linken Milieus distanzierte Posen wahr, mit Zitaten von Klassikern über die sogenannte bürgerliche Demokratie auf den zusammengepressten Lippen.

Ich tue das nicht. Bei aller gebotenen Vorsicht vor dem Aufrufen historischer Parallelen und Vergleiche: Ökonomische Krisen und Krisen der Institutionen hatten wir hierzulande auch schon. Für mich ist wichtig, hier und jetzt ganz klar zu sagen: Ich stehe offen und öffentlich für Demokratie, für Liberalität, für Freiheit. Für Berlin.

 

Fragen von Demokratie und Bürgerrechten wirft auch die augenblickliche pandemische Krise auf. Sie beeinflusst und verändert das Leben aller Menschen – je nach sozialer Lage in unterschiedlicher Intensität – massiv.

Wir erleben das ja auch heute: Statt einander zu begegnen, beisammenzustehen, miteinander zu reden, spreche ich hier gerade in eine Kamera – was nicht nur für mich ungewohnt ist.

Ihr alle, wir alle, haben jetzt schon seit zehn Monaten damit zu schaffen. Die Haare werden länger, die Geduldsfäden kürzer – das können wir einander kaum verdenken. Diese Ausnahmesituation fordert Parteien, Staat und Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft, und natürlich uns alle ganz persönlich auf eine extreme Art und Weise.

Wir sind hier gleich mehrfach gefordert. Wir sind in Koalition und Regierung damit beschäftigt, den Umgang mit der Pandemie und ihren Folgen zu organisieren. Und für die gerade wieder aktuellen Debatten gibt es auch keine Blaupause, nicht den Königsweg der Pandemiebekämpfung, sondern – ziehen wir die Wahlkampfmanöver einzelner Beteiligter mal ab – auch Verunsicherung, selbst Ratlosigkeit. Und trotzdem wird von der Politik Handeln erwartet, bei sich permanent verändernden Lagen und Erkenntnissen.

Ich nehme wahr, dass die Debatten mehr und mehr Zuspitzung erfahren, Sorgen und Ängste mit jedem weiteren Tag der Pandemie wachsen, und es eben nicht wirklich gelingt, darauf in jeder Hinsicht befriedigende Antworten zu finden.

Auch wir kommen da nicht ganz raus, das ist ja auch in unseren Diskussionen zu spüren. Aber ich denke, eines ist ganz klar: Eine der wichtigsten Funktionen der LINKEN besteht darin, immer wieder daran zu erinnern, dass die Pandemie nicht alle gleichermaßen trifft.

Die sozialen Ungleichheiten, die vorher schon bestanden, treten noch deutlicher hervor und verschärfen sich.

Die ohnehin prekär Beschäftigten oder auf Transferleistungen Angewiesenen treffen Einkommensausfälle noch härter. Wer alleinerziehend ist und mit mehreren Kindern in einer kleinen Wohnung im dichtbesiedelten Kiez lebt, leidet unter den Maßnahmen wesentlich mehr, als die Gutsituierten in großzügigen Wohnverhältnissen.

Deren Lage spiegelt sich oft weder in Ministerpräsidentenkonferenzen noch in der medialen Berichterstattung. Das sehen wir an Bayern. Eine FFP 2-Maskenpflicht in Öffis und Läden einzuführen hat vielleicht Sinn, genau wissen das die epidemiologischen Auskenner. Aber es ist nicht nur krass unsozial und unsolidarisch, sondern auch widersinnig, wenn die Pandemie ernsthaft bekämpft werden soll, die Einkommensärmeren mit dem Problem völlig allein zu lassen!

So eine Maske kostet im Schnitt drei Euro, der Hartz IV-Satz sieht aber nur einen Betrag von 2,50 Euro für rezeptfreie medizinische Mittel vor – für den ganzen Monat! Diese Masken müssen sehr regelmäßig gewechselt werden, damit der Schutz wirkt.

Das ist nur eines von vielen Beispielen, an denen sich zeigt, dass die Debatten durch die Brille derjenigen geführt werden, für die sowas kein Problem ist. Die denken daran nicht einmal.

Wir müssen dafür sorgen klarzumachen, dass die Betroffenen nicht mal einfach so ihr Budget umschichten, so dass es jetzt halt eine Mahlzeit weniger am Tag gibt. Zumal auch die Kosten frischer Lebensmittel in der Pandemie deutlich gestiegen sind. Deshalb hat Berlin schon vergangenes Jahr im Bundesrat eine Hartz-IV-Regelsatzerhöhung gefordert!

Solche ungleichen Auswirkungen von Maßnahmen immer mitzudenken, in geeigneter Weise abzufedern, Hilfsprogramme für besonders betroffene Bereiche aufzulegen, den sozialen Abstieg der Beschäftigten und der kleinen Selbständigen abzufangen, oder ganz knapp: die soziale Lage zu stabilisieren – das ist eine ganz entscheidende Aufgabe für uns LINKE in Regierungsverantwortung in diesen Tagen.

 

Ich bin auch sehr froh, dass wir mit dafür gesorgt haben, immer wieder Lösungen für Lebenslagen zu finden, die vom Bund oder anderen Bundesländern einfach vergessen oder ignoriert werden, seien es Alleinerziehende, Familienmodelle jenseits der Vater-Mutter-Kind-Kleinfamilie oder besonders gefährdete Gruppen wie Wohnungslose und Geflüchtete. Und ich bin froh, dass unsere Soforthilfen aus Landesmitteln insgesamt schnell und effektiv gegriffen haben – anders als die der Bundesregierung, die uns für unsere schnellen und unkomplizierten Hilfsprogramme noch im Sommer rund gemacht, jetzt aber ihre Hilfen für den November immer noch nicht ausgezahlt bekommt…

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

es gibt einen großen blinden Fleck in der derzeitigen Debatte um die Corona-Einschränkungen des Alltagslebens. Immer stärker wird das Privatleben reglementiert, aber die Zahlen bleiben hoch. Dann heißt es: die Leute halten sich nicht dran, die Maßnahmen reichen nicht, und es geht in die nächste Runde. Jetzt auch wieder. Es wird damit aber de facto ein gesellschaftliches Problem zu einem Problem individuellen Verhaltens erklärt.

Dabei wird außer Acht gelassen, was Rudolf Virchow – ein großer liberaler Berliner Sozialmediziner und Politiker, es ist manchmal gut, sich der Stadthistorie zu besinnen – bereits vor 150 Jahren festgestellt hat: dass alle medizinischen Fragen zuallererst soziale und gesellschaftliche Fragen sind. Und dass die Antworten auf eine Pandemie eben nicht zuerst auf´s Individuelle, sondern auf das Gesellschaftliche zielen.

Solidaritätsparolen gehen fehl, wenn sie auf Beifall und Almosen, auf Appelle – etwa zum Homeoffice – oder einfach auf die Indienstnahme menschlichen Anstands zielen. Solidarität ist nicht primär eine Frage des Verhaltens von Einzelnen, sondern eine Frage der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Solidarität muss gesellschaftlich organisiert werden, das ist eine Aufgabe der Politik.

Und da sind wir dann eben bei der Frage, wie durch soziale Absicherung Menschen auch in die Lage versetzt werden, sich pandemiekonform zu verhalten! Menschen die Angst nehmen, Menschen ermutigen, Menschen praktische Hilfe geben, das ist, was zählt. Und da sieht es in der Diskussion echt dünn aus. Und zur Organisation von Solidarität gehört auch, die Frage zu stellen, welche Beiträge bislang unbehelligter Bereiche im Arbeits- und Wirtschaftsleben politisch eingefordert werden.

Das müssen wir leisten und da sollten wir nicht hinter die Erkenntnisse Rudolf Virchows zurückfallen!

 

Anrede,

wenn ich mit den Leuten so rede, dann spüre ich diese Sehnsucht danach, die Pandemie möge überwunden, das Virus quasi »weg sein«. Wem ist dieses Denken fremd?

Und auch wenn dieselben Menschen wohl ahnen, es wird nicht einfach wieder so sein wie vorher, so misstraue ich doch denen, die uns die Lasten des Nachdenkens und des Entscheidens darüber, was denn anders werden sollte, abnehmen wollen.

»Wem gehört die Stadt?« –

Heute frage ich: »Wem gehört die Welt nach Corona?« Als Linker finde ich, es ist unser Ding – eine Frage der Selbstbestimmung, nicht nur der Mitbestimmung (!), der Berliner*innen und darüber hinaus – die Lehren zu ziehen, den Umbau etwa des Gesundheits- und Pflegewesens, des Bildungsbereichs im föderalen Deutschland zu übernehmen. Und das kostet auch Geld.

Da wird es nach der Bundestagswahl dann heißen: Die Bazooka ist gezündet, das Pulver verschossen, jetzt müssen wir wieder den Gürtel enger schnallen…

Das wäre gefährlich, denn wir wären beim nächsten Einschlag wieder genauso schlecht vorbereitet wie seit März 2020. Ich finde deshalb, dass wir in dieser Diskussion politisch und kulturell eine wichtige Rolle anstreben sollten.

Auch hier nur ein Beispiel: Die großen Internetplattformen akkumulieren gegenwärtig einen Reichtum, der sich ganz direkt in globale Machtfülle übersetzt. Das gehört reguliert – vermutlich aber nicht von denen, deren Einfluss politisch von einem Mangel an Interesse oder eine Nähe zu Amazon & Co. klein gehalten ist.

Dazu arbeiten wir in Berlin schon länger mit Initiativen und Aktivist*innen zusammen, Stichwort AirBNB oder Uber. Das müssen wir ausbauen, das sind Zukunftsfragen zur Gestaltung (gerade auch) der postpandemischen Gesellschaft. Das wird von uns, von einer LINKEN, auch erwartet.

Und da geht es natürlich auch um die Frage, wie die Kosten der Pandemie in der Gesellschaft getragen werden – global wie national: wie immer in den vergangenen 30 Jahren auf dem Rücken der Mittelschicht und der öffentlichen Dienste? Oder solidarisch, indem die großen Vermögen endlich fair an den Kosten des Gemeinwesens beteiligt werden? Und Reiner Hoffmann und Robert Habeck will ich sagen: Ja, diese Forderung ist nicht wegen der Pandemie richtig, aber sie wird wegen ihr noch dringlicher!

Da wird Kritik an den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen praktisch, und kann zur Grundlage für positive Veränderungen, für einen Transformationsprozess werden, um den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, nicht die Kapitalvermehrung.

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

auch wenn die Infektionszahlen jetzt leicht gesunken sind: Es sind immer noch viel zu hohe Ansteckungsraten, unsere Krankenhäuser und das Pflegepersonal laufen immer noch am und überm Limit. Und die Ausbreitung der neuen, noch ansteckenderen Virusmutation – in Irland sind die 7-Tage-Inzidenzen in einem Monat von 41 auf 1000 gestiegen, die Kurve steigt fast senkrecht; die Krankenwagen in Großbritannien stehen vor den Hospitälern in Stauformation, die Menschen werden in ihnen behandelt – das alles zeigt, dass die Debatte um konsequente Maßnahmen als solche – und ich meine, das heißt auch: mit noch konsequenteren Maßnahmen als bisher – im Grunde richtig ist.

Ich glaube aber, Bodo Ramelow hat völlig recht, wenn er sagt: Wir müssen jetzt auch die Wirtschaft herunterfahren, um die Kontakte zu reduzieren. Der ökonomische Zwang darf nicht schwerer wiegen als Menschenleben. Dann erst gewinnt das Motto »Wir bleiben zuhause!« wieder Überzeugungskraft.

In meinem Ressort habe ich Mittwoch gemeinsam mit den Theatern, Opern und Konzerthäusern entschieden, dass wir die Arbeit weiter reduzieren, Probenbetrieb auf ein absolutes Minimum reduzieren. Das fällt mir nicht leicht, weil ich der Meinung bin, dass kulturelle Grundversorgung der Bevölkerung extrem wichtig ist. Aber gerade, weil ich finde, dass in anderen Branchen jetzt erst recht heruntergefahren werden sollte, gehe ich da voran, wo ich es selbst beeinflussen kann.

Und ich glaube, dass die Alternative dazu wäre, den Jetztzustand noch monatelang ertragen zu müssen, mit allen verheerenden psychosozialen und anderen gesellschaftlichen Folgen. Das können wir nicht ernsthaft wollen, und auch der Impfbeginn ist erst einmal nur ein Licht am Ende des Horizonts.

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

wir bereiten uns heute auf die Wahlen im Herbst vor. Und ich gebe zu: es fällt mir schwer, mich heute schon intensiv auf den September und auf einen Wahlkampf zu konzentrieren.

Und trotzdem ist das natürlich notwendig, die Dinge lassen sich auch nicht trennen. Nicht nur, weil die Wahlen in Bezirken, Land und Bund ganz wesentlich über die Richtung bestimmen werden, wie unsere Zukunft nach dieser Krise aussehen wird.

Es gibt schlicht kein »Das ist jetzt mal die Pandemie« und »Das ist jetzt mal der Wahlkampf« um die Legislatur von 2021 bis 2026. Nicht nur, weil diese Wahlauseinandersetzung noch in der Pandemie stattfinden wird, nicht nur, weil ich ohnehin bis Herbst im Senat Verantwortung zu tragen habe, und das auch mit voller Konsequenz zu tun gedenke – sondern weil alle Fragen auch vor dem Hintergrund der Pandemie zu betrachten sind:

Wie wird es um den sozialen Zusammenhalt stehen? Wessen Stimmen werden im politischen Raum gehört? Welche Richtung nimmt die Stadtentwicklung? Also: «Wem gehört die Stadt?” – das habe ich ja eben schon zu verbinden versucht.

Welche Antworten auf diese Fragen sich durchsetzen, das wird davon abhängen, welches Gewicht die Linke im gesellschaftlichen Raum hat, mit welchem Gewicht uns die Wählerinnen und Wähler ausstatten.

Wir werden in den kommenden Monaten bis zur Wahl die Gelegenheit haben und auch nutzen, um deutlich zu machen, was wir unter einer sozial-ökologischen Stadtpolitik verstehen – und für welchen Prioritäten wir als LINKE in Berlin politisch kämpfen werden:

Die Pandemie hat noch einmal sehr klar vor Augen geführt, dass wir das Öffentliche stärken müssen, weil wir eine krisenfeste Daseinsvorsorge für alle benötigen.

Im Gesundheitswesen ist das im Moment besonders sichtbar: Wo stünden wir ohne Charité und Vivantes als zwei starke öffentliche Säulen im Berliner Gesundheitswesen? Wie wichtig es ist, dass wir sie haben, zeigt sich in der Krise.

Und diese Rückblende sei mir erlaubt: Es waren wir und eine PDS-Senatorin, die damals unter Rot-Rot durchgesetzt hat, dass in den harten Jahren Vivantes nicht privatisiert wurde. Was ein riesengroßes Glück für unsere Stadt heute!

Aber um beide Krankenhausbetriebe wirklich angemessen auszustatten, ist noch eine Menge zu tun: Unser Gesundheitssystem braucht im Sinne der Patientinnen und Patienten auch Puffer, vor allem beim Personal: Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte – mehr von ihnen ist besser für alle. Klatschen für die Krankenpflegerinnen und -pfleger ist nett – entscheidend sind anständige Gehälter und gute Arbeitsbedingungen.

Und analog gilt das natürlich auch für andere Bereiche der Daseinsvorsorge: Schulen und Kitas, Polizei und Feuerwehr, Gesundheits- und Jugendämter, aber auch die allgemeine Verwaltung müssen gute Qualität anbieten können, ohne dass die Mitarbeiter*innen ständig überlastet sind. Ämter dürfen auch in Krisenzeiten nicht zusammenbrechen - dafür müssen sie aber so ausgestattet werden, dass sie nicht schon im Regelbetrieb am Limit sind.

Rot-rot-grün hat seit 2016 viel erreicht, um der wachsenden Stadt auch mitwachsende öffentliche Dienstleistungen zur Seite zu stellen. Eine Wiederholung des früheren Personalabbaus wäre fatal und sie wird es mit uns nicht geben. Auch die begonnene Investitionsoffensive zu beenden wäre absurd.

Stattdessen müssen wir weiter daran arbeiten, den öffentlichen Dienst zu einem attraktiven Arbeitgeber mit starken Dienstleistungen für alle Berlinerinnen und Berliner zu machen. Denn die Corona-Krise trifft die finanziell Schwächsten am härtesten, aber praktisch alle von uns merken jetzt, dass ein starkes Gemeinwesen wichtig ist, um in solchen Krisen zu helfen:

Ich will, dass die Menschen in Berlin sich auf unser öffentliches Gemeinwesen verlassen können. Dass es da ist, wenn sie es brauchen.

 

Nur mit einem starken, funktionierenden Gemeinwesen ist unsere Stadt eine soziale, eine solidarische Stadt. Die will ich von Spandau über Mitte bis nach Marzahn-Hellersdorf.

 

Unser Ziel ist eine Stadt, in der niemand zurückgelassen wird: Menschen brauchen soziale Sicherheit: Sicherheit vor Jobverlust, und natürlich Sicherheit vor Wohnungsverlust und vor Verdrängung aus der Nachbarschaft, in der man zuhause ist, in der die Kinder zur Kita gegangen sind und der Bäcker an der Ecke die Sonntagsbestellung schon auswendig weiß.

 

Die soziale Frage unserer Zeit bleibt in den Städten die Mieten- und Wohnungsfrage. Wir wollen nicht, dass die Menschen nur noch für ihre Miete arbeiten gehen. Wir haben mit dem Mietendeckel gezeigt, dass wir es ernst meinen. Dass wir gegen Wuchermieten vorgehen. Dass wir aus Ideen Lösungen machen und diese umsetzen, auch gegen Widerstände. Den Mietendeckel von einer guten Idee zu einem Gesetz zu machen, das Hunderttausende Berliner Haushalten vor überhöhten Mieten schützt, damit sie am Ende des Monats mehr Geld zum Leben im Portemonnaie haben, das war ein politischer Kraftakt, der zeigt, dass es nicht egal ist, wer regiert.

 

Der Mietendeckel ist ein extrem wichtiges Instrument, aber nicht das einzige, das wir brauchen, um den Ausverkauf der Stadt zu stoppen. Der Mietendeckel ist eine Maßnahme, die temporär wichtige Erleichterung schafft. Um dauerhaft das Grundrecht auf Wohnen durchzusetzen, ist die Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände auf der Grundlage von Artikel 15 des Grundgesetzes absolut sinnvoll!

Wir kämpfen zusammen mit den Berlinerinnen und Berlinern weiter um jedes einzelne Haus, für bezahlbaren Neubau, für lebenswerte Kieze und den Erhalt soziokultureller Freiräume.

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

die Pandemie hat gezeigt, wie schwer der Verzicht auf Freiheiten ist, die sonst selbstverständlicher Teil unseres Lebens sind, und wie wichtig die Grundrechte fürs tägliche Leben sind. Was wir an Berlin lieben, hat viel damit zu tun, dass hier jede und jeder nach ihrer oder seiner Façon leben kann – ganz gleich, ob hier geboren oder zugezogen, ob in der ruhigen Siedlung weiter draußen oder in der aufregenden (und manchmal anstrengenden) Mitte.

Mein Berlin, das sind die City und »jwd« gleichermaßen. Unsere Berliner Stadtpolitik scheint mancherorts als fern, die eigene Siedlung draußen vergessend. Andernorts bricht sie ganz brutal und überraschend in das dörfliche Leben ein. Mit Bauplanungen und Maschinenlärm. Berlin ist divers. Die Siedlungsweisen und Lebensformen sind es. Die Menschen sind es. Ich will und wir müssen das auch weiterhin fest im Blick behalten, der Versuchung widerstehen, im Namen »des Großen Ganzen«, der Stadt, lokale Interessen für gering zu schätzen. Berlin ist mehr als das Innere des S-Bahn-Rings!

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

ja, wir merken derzeit, wie wichtig uns unsere Freiheiten sind. Umso wichtiger ist, dass wir nicht vergessen, wie diese auch schon vor der Pandemie zunehmend in Gefahr gerieten und verteidigt werden mussten.

Es ist noch kein Jahr her, als sich in Thüringen ein 5-Prozent-Fraktionsvorsitzender der FDP mit den Stimmen der AfD und der CDU ins Ministerpräsidentenamt hieven ließ. In der Berliner CDU hielt man das zunächst für einen normalen Vorgang und beglückwünschte.

Dabei war es ein gefährlicher Dammbruch. Ich jedenfalls habe nicht vergessen, wie diese blau-braunen Herrschaften schon in den Jahren zuvor Künstlerinnen und Künstler in dieser Stadt angegangen sind und versucht haben, deren Rede- und Kunstfreiheit einzuschränken. Ich habe auch nicht ihre Hetze gegenüber geflüchteten Menschen vergessen, mit denen sie nicht nur deren Recht auf Bewegungsfreiheit einschränken wollten, sondern auch deren Recht auf Schutz von Leben und Gesundheit.

Wenn wir uns unsere Freiheit von der Pandemie zurückholen, gilt es weiter, sie gegen all die autoritären Zumutungen und Angriffe zu verteidigen.

Wir haben es in diesem Sommer gesehen: Die allergrößten, dauerhaften Gefahren für Demokratie und Freiheit gehen nicht von einem Virus aus.

Und da werden wir in diesem Jahr ein Zeichen setzen, dass das in und mit Berlin nicht zu machen ist. Dass Berlin anders war, ist und bleibt.

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

Freiheit, das bedeutet individuelle Selbstbestimmung über das eigene Leben ebenso wie gemeinsame Selbstbestimmung darüber, wie wir als Stadtgesellschaft leben wollen. Weil die Stadt uns allen gehört.

Stadtentwicklung muss deshalb gemeinsam mit den Menschen funktionieren: Wir hören ihnen zu, stellen uns den Debatten und wollen dafür sorgen, dass sie so viel wie möglich selbst entscheiden können.

Basta-Politik muss woanders gemacht werden.  Ich stehe für klare Haltungen. Aber wir bewegen die Stadt nur gemeinsam.

 

In welche Richtung wir unsere Stadt auch verändern müssen, ist klar:

  • Corona wird nicht die letzte Krise gewesen sein – die noch größere Aufgabe ist es, eine Klimakatastrophe abzuwenden und mit der schon eintretenden Klimaveränderung richtig umzugehen.

Dafür braucht es einen konsequenten sozialökologischen Umbau unserer Städte, das heißt: Wir müssen

    • eine Energieversorgung frei von fossilen Quellen vorantreiben,
    • den elektromobilen Öffentlichen Nahverkehr und ein ausgedehntes Netz sicherer, breiter Fuß- und Radwege ausbauen,
    • Stadtentwicklung und neue Quartiere klimagerecht planen und umsetzen,
    • das Stadtgrün sichern und erweitern,
    • regional erzeugte Lebensmittel fördern.

 

All das müssen wir vorantreiben und zugleich dafür sorgen, dass sich das auch alle leisten können, wenn es funktionieren soll.

 

Eine sozialökologische Wende, die nur für das obere Drittel oder nur für die Innenstadtbezirke funktioniert, ist halbherzig und wird den immensen Aufgaben nicht gerecht. Wenn sie mehr als Symbolpolitik sein soll, muss diese Transformation so angelegt werden, dass alle Berlinerinnen und Berliner ein Teil von ihr werden können. Und auch nur dann wird sie die Stadt nicht spalten.

 

  • Wenn wir über lebenswerte Nachbarschaften sprechen, ist klar, dass dazu mehr gehört als die bezahlbare Wohnung:
     

Wie wichtig unsere vielfältige Kultur für die Seele dieser Stadt ist, das merken wir gerade auch jetzt: das Kiez-Kino an der Ecke, die Stadtteilbibliothek, die Musikschule, das Museum und das Theater, in das man mit Oma sonst immer so gerne am Sonntag geht. Die grandiose Berliner Clublandschaft mit ihrem Freiheitsversprechen, ihrer wirklich unfassbar breiten Palette musikalischer Genres und ihren herausragenden DJs.

Kulturelle Freiräume sind existenziell und kein Luxus. Wir werden weiter dafür arbeiten, Kultur für Alle, in der ganzen Stadt, zugänglich zu machen. Und ich bin froh, dass uns da in den vergangenen vier Jahren schon eine ganze Menge gelungen ist, von der Stärkung der kulturellen Bildung, der Kinder- und Jugendtheater, des Bezirkskulturfonds bis zum neuen Festivalfonds und einer Bibliotheksentwicklungsplanung, einschließlich der Entscheidung für den Ort der neue Zentral- und Landesbibliothek. Aber da müssen wir weiter machen!

 

  • Das Wachstum unserer Stadt darf nicht zu Stahlbeton-Glasfassaden-Monotonie führen, sondern es muss uns darum gehen, die Stadt so weiterentwickeln, dass ihre Vielfalt erhalten bleibt: Es gilt, die Freiräume und Nischen unserer Stadt, in denen Menschen ihr Glück finden, zu schützen. Ob das der Club im Hinterhof oder die Kleingarten-Parzelle zwischen den S-Bahn-Gleisen ist: unsere Stadt ist nicht überall glattgebügelt und in Wert gesetzt – genau das macht sie spannend und lebenswert und das gilt es zu schützen und zu erhalten.

Dafür werden wir als LINKE die Voraussetzungen schaffen: Dass Berlin immer weiter Berlin werden kann.

 

Und das bedeutet auch: Die Metropole Berlin soll eine Stadt sein, in der solidarische gesellschaftliche Alternativen möglich bleiben!

 

Berlin ist nicht der Nabel der Welt, sondern Teil eines Netzes europäischer Metropolen, die in ihren jeweiligen Ländern Horte der Freiheit, der Vielfalt und der Emanzipation sind – und die sehr aufmerksam verfolgen, welche Politik in Berlin gemacht wird.

 

Wenn die rechtskonservativen, ausgrenzenden und nationalistischen Töne hierzulande und in vielen anderen Gegenden der Welt schriller werden, dann muss die europäische Metropole Berlin klare Signale senden: Wir stehen klar für Menschenrechte, für Antirassismus und gegen jeden Antisemitismus, für freie Entfaltung der queeren Communities, für wirkliche Solidarität und eine gelebte Willkommenskultur. Eine linke Regierung passt zum Spirit unserer Stadt.

 

Wir haben, nicht nur mit dem Mietendeckel, gezeigt, dass Stadtentwicklung nicht alternativlos ist, und wir haben auch in den vergangenen Monaten gesehen, wie viele Berliner*innen und Initiativen Solidarität jeden Tag leben, wenn sie durch ihre Arbeit die Stadt auch in der Krise am Laufen halten, wenn sie sich ehrenamtlich engagieren, wenn sie während der Pandemie für Ältere einkaufen gehen oder wenn sie sich corona-konforme Kultur-Formate überlegt haben, um anderen eine Freude zu machen. Wir als LINKE kämpfen um das Gemeinwesen, das die Grundlage für den sozialen Zusammenhalt in unserer Stadt und für ein solches Engagement ist. Dass wir diese Auseinandersetzung ernst meinen, haben wir bewiesen. 

 

2016 haben wir gefragt »Wem gehört die Stadt?«. Dabei ging es darum, die öffentliche Verfügungsgewalt der Berlinerinnen und Berliner über ihr Gemeinwesen, ihre Infrastruktur, ihre Kieze zurückzuerlangen. Weil die Stadt uns allen gehört.

Wir haben diesen Prozess angefangen, wir haben den Kampf um diese Verfügungsgewalt seitdem geführt, wir haben oft gewonnen und, ja, manchmal haben wir auch gegen Märkte, Lobbys und Investoren verloren.

Wie sich zu Beginn des Wahljahrs die Kräfte formieren und wer in diesen Auseinandersetzungen auf welcher Seite steht, kann man daran erkennen, wie die SPD darauf bestand, mit aller Macht die Personalie Volker Härtig als Vorstand der Wohnraumversorgung Berlin durchzudrücken (obgleich wir alle dem widersprochen haben), und wie Berliner CDU sich neulich über einen Geldregen von 500.000 Euro vom Immobilien-Unternehmer Christoph Gröner, einem erklärten Feind des Mietendeckels, freuen durfte – gleich zum zweiten Mal, nachdem er im letzten März schon einmal 300.000 Euro überwiesen hat!

»Ein großer Vertrauensbeweis« sei das, hat der CDU-Generalsekretär Stefan Evers gesagt.

In der Tat: Man muss der Berliner CDU lassen: Man weiß, woran man bei ihr ist.

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

Ich stehe lieber an der Seite der Mieterinnen und Mieter in Berlin, als das fragwürdige Vertrauen der Immobilien-Lobby zu genießen! Wir kümmern uns um die Probleme der Menschen in unserer Stadt und müssen uns nicht die ganze Zeit fragen, ob unsere Politik die Interessen von Herrn Gröner so bedient, dass er im nächsten Jahr wieder schön spendet!

Und auch das werden wir in den nächsten Monaten immer wieder deutlich machen:

DIE LINKE ist die einzige Wahlentscheidung, bei der man nicht riskiert, sich am Ende die CDU im Senat einzuhandeln.

Und DIE LINKE ist die einzige Wahlentscheidung bei der man sicher ist, dass es nicht nur bei diesem Thema keine Rolle rückwärts in die 90er Jahre, keine Rolle rückwärts zu einer Politik für die finanzstärksten und einflussreichsten Wirtschafts- und Immobilienlobbyisten geben wird.

Ich wünschte, SPD und Grüne würden sich genauso klar wie wir zu einer Fortsetzung des sozialen und ökologischen Kurses in der Stadtpolitik bekennen, den wir mit Rot-Rot-Grün begonnen haben. Insofern nehme ich manches Blinken in Richtung CDU, vor allem bei der neuen SPD-Spitze, ein bisschen irritiert zur Kenntnis.

Und da können Franziska Giffey und Raed Saleh noch so sehr von einem sozialdemokratischen Stadtentwicklungsverkehrsressort träumen (weil das bis 2016 ja auch immer so toll funktioniert hat!): Wir als LINKE haben mit Katrin Lompscher und mit Sebastian Scheel damit begonnen, eine neue, soziale Bau-, Wohn- und Mietenpolitik im Sinne der Berliner*innen zu gestalten. Wir wollen das fortsetzen – und wir denken gar nicht daran, dieses Ressort abzutreten!

 

Klar ist: Wir kämpfen dafür, unsere Arbeit für Berlin in der Regierung fortzusetzen.

Von Berlin aus können wir auch bundesweit Initiativen starten und klare Signale aussenden: gegen jedweden Rechtsruck und rassistische Bedrohungen, für Gerechtigkeit und Umverteilung, für sichere Häfen und eine Politik mit Haltung, die Menschenrechte als nicht verhandelbar sieht!

Unser Einsatz für eine soziale Stadtentwicklung, für ein freies, offenes und solidarisches Berlin ist noch lange nicht beendet!

Deshalb braucht es in Zukunft eine noch stärkere LINKE.

Dazu will ich meinen Beitrag leisten: Seit vier Jahren trage ich als Bürgermeister und Senator für unsere Stadt Verantwortung und ich möchte das in der nächsten Wahlperiode als Regierender Bürgermeister tun.

 

Dem Landesvorstand danke ich ganz herzlich dafür, dass er das große Vertrauen in mich gesetzt hat, das mit dem Vorschlag für die Spitzenkandidatur verbunden ist. Ich sehe darin auch eine Bestätigung, in den letzten Jahren als Bürgermeister und als Senator für Kultur und Europa einiges richtig gemacht zu haben.

Und ich traue mir zu, das Amt eines Regierenden Bürgermeister gut auszuüben.

Ich bin davon überzeugt, dass ein richtig rotes Rathaus gut für unsere Stadt wäre.

Und ich habe große Lust, mit euch allen gemeinsam in diesen Wahlkampf zu gehen!

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

2021 wird ein Jahr, das unsere Fähigkeit, solidarisch zusammenzuhalten, aufeinander Rücksicht zu nehmen, die Probleme unserer Mitmenschen ernst zu nehmen und auch in sehr schwierigen Situationen gemeinsam um die beste Lösung für alle zu ringen, noch einmal auf so manche harte Probe stellen wird. Aber wenn ich mich umschaue in der Berliner Parteienlandschaft, bin ich davon überzeugt, dass wir als LINKE genau dafür am besten gewappnet sind.

DIE LINKE wird gebraucht in Berlin! Und wir kämpfen im nächsten Jahr mit aller Kraft dafür, dass diese Stadt allen gehört, die in ihr leben, dass Berlin anders bleibt.

Wir kämpfen für: Ein Berlin für uns alle!