Eine Stadt für Alle

Rede des Landesvorsitzenden

Klaus Lederer


[Manuskript – es gilt das gesprochene Wort.]

Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Gäste,

es ist in diesen Wochen nicht einfach, mit Lust und Freude den Wahlkampf vorzubereiten, während auf der anderen Seite der Welt – in Japan – hunderte von Menschen alles geben, um nach der schrecklichen Naturkatastrophe auch noch den nuklearen Super-GAU zu verhindern, der wahrscheinlich schon eingetreten ist.
Über 35 Millionen Menschen rund um unsere Partnerstadt Tokio schweben in akuter Gefahr, verstrahlt zu werden. Tausende sind schon bei dem Erdbeben und dem Tsunami ums Leben gekommen.
Liebe Genossinnen und Genossen,
ich möchte euch bitten, euch für eine Minute des stillen Gedenkens für die Opfer der Natur- und der nuklearen Katastrophe in Japan zu erheben.
Ich danke euch.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste,
ein Ereignis, wie das in Japan lässt niemanden kalt. Es führt uns in drastischer Form vor Augen, dass wir Menschen bei allen Fortschritten, die die Technik in den vergangenen Jahrzehnten oder Jahrhunderten gemacht hat, nach wie vor nicht die Herrscher über die Natur sind. Dass auch das statistisch Unwahrscheinliche eintreten kann. Man sollte eigentlich meinen, dass das nach so vielen Jahren der Diskussion, nach der Erfahrung mit Naturkatastrophen und menschlichem Versagen, eine allgemeine Erkenntnis ist.
Doch es ist gerade erst ein halbes Jahr her, da hat die Bundesregierung die Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke verlängert. Wenn jetzt die Bundeskanzlerin erklärt, nach Fukushima gäbe es eine neue Situation, dann ist das nicht nur unredlich, sondern brandgefährlich. Denn als promovierte Physikerin weiß sie natürlich, dass Atomenergie immer gefährlich ist, hier wie überall auf der Welt.
Und deshalb ist auch das Atommoratorium falsch. Für uns gibt es nur eine richtige Konsequenz. Und die heißt abschalten! Und zwar sofort.
Wir haben ausreichend Überkapazitäten in der Energieversorgung und ein weiterer Anreiz, Energie einzusparen und auf erneuerbare Energien umzustellen, kann nur hilfreich sein. Deswegen waren wir gestern – und werden wir weiter – auf die Straße gehen, deswegen werden wir weiter parlamentarisch und außerparlamentarisch alles versuchen, den Ausstieg aus der Atomenergie unumkehrbar durchzusetzen.

Liebe Genossinnen und Genossen,
während wir hier über das Wahlprogramm diskutieren, ist die Welt in Aufruhr. In vielen Ländern Nordafrikas erheben sich Menschen, um für ihre Rechte zu kämpfen und die Diktatoren in die Wüste zu jagen. Diktatoren, die oftmals vom Westen aus strategischen oder ökonomischen Gründen gehätschelt und getätschelt wurden. Wir stehen an der Seite der Kämpferinnen und Kämpfer für Menschenrechte und Demokratie und setzen uns dafür ein, die Demokratiebewegungen zu stärken.
Gleichzeitig tobt in Libyen der Bürgerkrieg. Und Nato-Bomber führen ihn mit. DIE LINKE ist klar und eindeutig gegen diesen Krieg. Der Bürgerkrieg und das Töten in Libyen müssen ein Ende finden. Gaddafi und seine Anhänger haben sich schon lange gegen das eigene Volk gerichtet. Wir treten für eine unumkehrbare politische, wirtschaftliche und diplomatische Isolierung des Gaddafi-Regimes ein. Aber die militärische Intervention ist falsch. Auch wenn Teile der libyschen Opposition und der arabischen Liga sie fordern.
Liebe Genossinnen und Genossen,
dieser Krieg wird viele Opfer fordern, gerade auch zivile. Das aber führt sicher nicht zur Stärkung der Demokratiebewegungen von Marokko bis Jemen. Und deshalb fordern wir: Stärkung und Stützung der Demokratiebewegungen, aber Einstellung des Krieges, keine Waffenlieferungen nach Libyen, keine Kooperation mit dem Gaddafi-Regime. Auch dafür haben wir demonstriert und werden wir weiter demonstrieren. Es ist ja ganz schön, wenn die Bundesregierung die Bundeswehr an dem Einsatz in Libyen nicht beteiligt. Aber indirekt ist Deutschland doch an diesem Krieg beteiligt – durch verstärkten Einsatz in Afghanistan, durch Überflugrechte. Deshalb sind wir auch da ganz klar. Schluss mit dem Krieg in Afghanistan, wir wollen die Bundeswehr abziehen und brauchen sinnvolle Exit-Strategien, um auch dort die demokratischen Kräfte zu stärken.
Man kann nicht angeblich Menschenrechte herbei-bomben wollen und dann die Grenzen hermetisch abschließen gegen Flüchtlinge, die sich zu Tausenden an den Grenzen in Ägypten, Libyen, Tunesien, Jemen und anderswo befinden – und von denen Viele nur noch weg und Etliche nach Europa wollen.
Offene Grenzen für Menschen in Not – das ist und war immer ein Leitprinzip unserer Partei, auch hier in Berlin und dieser Verantwortung versuchen wir auch hier gerecht zu werden.

Liebe Genossinnen und Genossen,
was hat das alles mit Berlin zu tun? Ist das ein kurzfristiger Aufreger oder eine Zäsur? Stehen wir vor einer Zeitenwende? Das ist schwer vorauszusagen, die Auswirkungen sind unklar. Aber sicher ist eines: in unserer Gesellschaft wird stärker wieder über Verantwortung nachgedacht, über gesellschaftliche Verantwortung.
Es wird mehr denn je deutlich, dass sich die Menschheit entscheiden muss: will sie weiterhin Verantwortung ausschließlich als Selbstverantwortung des Individuums begreifen, als eine Form von Verantwortung, in der das Recht der ökonomisch Stärkeren sich durchsetzt? Oder will sie sich einem neuen Verständnis von Verantwortung gegenüber öffnen, das nicht mehr allein einem blinden Technikglauben frönt, einem Glauben an die Überlegenheit westlicher Regulierungsmuster, in denen jederzeit alles im Griff ist, in denen sich mit der Zukunft spekulieren lässt, in der Langfristwirkungen von massiven ökologischen und gesellschaftlichen Entscheidungen mit gravierenden Auswirkungen auf die Existenz jedes Menschen abgewogen werden mit den Kurzzeitinteressen von Top-Managements, Aktionären und Börsenkursen?
Liebe Genossinnen und Genossen,
es geht um eine neue Qualität des Umgangs mit sozialer Verantwortung – und ich denke schon, dass es dafür auch in unserem Land einen wachsenden Nährboden, eine zunehmende Offenheit, gibt. Wir müssen diese Herausforderung annehmen, liebe Genossinnen und Genossen! Hier ist DIE LINKE gefragt, bundesweit – aber eben auch und gerade in der Bundeshauptstadt Berlin.
Berlin wählt im September. Vergangenen Sonntag war die Wahl in Sachsen-Anhalt, in der unsere Genossinnen und Genossen bei erfreulich gewachsener Wahlbeteiligung ein stabiles Ergebnis einfahren und ihre Position als zweitstärkste Partei behaupten konnten. Heute wird in Baden-Württemberg gewählt. Und ich denke schon, dass die Ablösung von Stefan Mappus etwas mit dem von mir beschriebenen Empfinden von Entmündigung, Ignoranz der etablierten Regierenden gegenüber gesellschaftlich breiter empfundenen Bedürfnissen und Befürchtungen, mit einem Gefühl zu tun hat, dass sich etwas ändern wird – und dass sich etwas ändern muss – in unserem Land und auf dem gesamten Globus!
Bis zum September, bis zur Wahl hier in Berlin, ist es noch ein Stück hin. Aber ich denke schon, dass bis dahin noch viel, sehr viel, passieren kann. Und wenn wir heute über unser Programm für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus diskutieren und entscheiden, dann sollten wir das immer im Hinterkopf haben – uns fragen: ist das ein Diskussionsangebot, ein politisches Angebot, für die Berlinerinnen und Berliner, das den Erwartungen unter diesen Bedingungen gerecht werden kann?
Ich meine, unser Wahlprogramm muss die richtigen Linien, die Zukunftsperspektive unserer Stadt, zeichnen – deutlich machen, in welche Richtung es mit uns gehen wird. Nicht mit uns allein, aber gemeinsam mit allen Berlinerinnen und Berlinern, die auch in diese Richtung wollen: in Richtung eines sozialen, offenen, lebenswerten Berlin, in dem manches geschieht und ausprobiert wird, das auch für die Bundesrepublik oder darüber hinaus lohnt – weil hier Neues entsteht, das pragmatisch und engagiert soziale Verantwortung plastisch werden lässt, gesellschaftlichen Zusammenhalt aktiv bewirkt und gestaltet!
Nichts ist für jeden Menschen alltäglich so erfahrbar, wie seine unmittelbare Lebensumwelt. Für die Berlinerinnen und Berliner heißt das: wie ihre Stadt. Hier lebt das ökonomische und soziale Geschehen, was uns jeden Tag ganz direkt beeinflusst. Hier leben, wohnen, arbeiten wir, haben wir Teil an Kultur und lebendigem Stadtgeschehen, hier lernen wir, erholen wir uns – aber hier erleben wir auch diejenigen täglichen sozialen Widersprüche, die wir als gesellschaftliche Konflikte begreifen. Hier finden Kämpfe statt, wird über Chancen entschieden, hier werden Biografien geschrieben, hier wird eingeschlossen und ausgegrenzt.
Wir, liebe Genossinnen und Genossen, entscheiden heute darüber, wie wir uns in diese Auseinandersetzung begeben wollen – mit welchen Ideen, Konzepten, Ansatzpunkten für die Veränderung stadtpolitischer und gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse.
Liebe Genossinnen und Genossen,
wir haben dieses Mal versucht, schon die Erarbeitung und Diskussion unseres Wahlprogrammentwurfs auf möglichst viele Schultern zu verteilen und damit möglichst viele Genossinnen und Genossen in diesen Prozess einzubeziehen. Ihr erinnert euch, vor sechs Wochen hatten wir unsere Basiskonferenz. Da haben wir die einzelnen Abschnitte in den Workshops ausführlich diskutiert. Viele der Anregungen und Änderungswünsche sind dann auch in den euch jetzt vorliegenden Programmentwurf eingeflossen.
Wir haben – bevor wir das Programm geschrieben haben – beobachtet, was die Berlinerinnen und Berliner umtreibt, was sie bekümmert, was ihnen gut gefällt. Die allermeisten leben gerne hier, in ihrer, in unserer Stadt, und sie sind auch stolz darauf, dass Berlin eine so attraktive und auch international so anziehende Stadt ist.
Und sie wollen, dass Berlin lebenswert bleibt, dass der soziale Zusammenhalt in der Stadt, in den Kiezen gestärkt wird, dass niemand ausgegrenzt, aber möglichst viele mitgenommen werden. Dass es Chancengleichheit gibt und Armut und Ungerechtigkeit bekämpft wird, dass sie mehr mitentscheiden können. Und sie wollen mehr Subjekt als Objekt gesellschaftlicher Veränderung sein. All das, liebe Genossinnen und Genossen, ist für uns Auftrag und gleichzeitig Bestätigung, dass wir vieles richtige und notwendige angepackt haben.
Wir haben auf dem letzten Parteitag Ende November sehr ausführlich über die Bilanz unseres Regierungshandelns diskutiert. Dabei ist deutlich geworden:
- ohne uns gäbe es keine sinnvolle Alternative für gesellschaftlich nützliche und existenzsichernde Arbeit für Menschen, die im 1. Arbeitsmarkt lange keine Chance mehr hatten,
- ohne uns gäbe es in Berlin keine einzige Gemeinschaftsschule – jetzt haben wir 17, im nächsten Schuljahr 20,
- ohne uns gäbe es die Debatte um die Rückgewinnung demokratischen Einflusses bei Verkehr, Wasser, Energie nicht,
- ohne uns wäre die Berliner Sparkasse privatisiert worden,
- ohne uns gäbe es keinen Mindestlohn im Vergabegesetz,
- ohne uns sähe die soziale Infrastruktur Berlins nach dem Urteil zum Haushalt in Karlsruhe jetzt deutlich dünner aus,
- ohne uns hätten Zehntausende von Hartz IV-Empfängerinnen und Empfänger umziehen müssen,
- ohne uns wären die Möglichkeiten zur direkten Demokratie viel geringer,
- ohne uns hätte es nie ein Partizipations- und Integrationsgesetz gegeben,
- ohne uns gäbe es keine Kennzeichnungspflicht für Polizistinnen und Polizisten.

Ich kann diese Liste jetzt endlos verlängern. Das will ich aus Zeitgründen nicht tun. Aber es zeigt doch eines: Wir haben eine Menge erreicht. Wir haben Berlin bewegt und wir haben Berlin sozialer gestaltet als es 2002 war, als wir Regierungsverantwortung übernommen haben. Aber wir sind längst nicht am Ziel. »Das soziale Berlin« ist weiter unser Auftrag, für das es  sich lohnt zu arbeiten und zu kämpfen.

Wir haben ein paar Grundideen, die sich als rote, rosa, lila Fäden durch das gesamte Programm ziehen, weil sie alle Politikfelder betreffen. Das ist die Geschlechtergerechtigkeit, das ist die interkulturelle Öffnung unserer Gesellschaft zusammen mit der Bekämpfung von Diskriminierung und Ausgrenzung, das ist die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensweisen.

Der dickste rote Faden, der sich durch das gesamte Programm zieht, ist die soziale Gerechtigkeit in Berlin. Dabei haben wir mächtige Gegner. Die Bundesregierung macht eben immer noch und verstärkt eine Politik der sozialen Spaltung. Milliarden für die Bankenrettung fließen locker aus den Haushaltskassen, aber den Hartz-IV-Empfängerinnen und -empfängern streicht sie Bier und Zigaretten. Der sogenannte Hartz-IV-Kompromiss bringt den Betroffenen grade mal fünf Euro mehr im Monat, nächstes Jahr gibt's dann noch mal drei Euro dazu. Diese Erhöhung ist ein böser Scherz, liebe Genossinnen und Genossen.

Besonders skandalös ist dieser faule Hartz IV-Kompromiss für die Kinder. Für sie gibt es gar nichts, außer einem riesigen bürokratischen Moloch, genannt Bildungs- und Teilhabepaket. Wenn die Bundesregierung für Kinder aus armen Familien wirklich den Zugang zu Bildung und sozialer Teilhabe verbessern wollte, hätte sie 1) den Regelsatz für Kinder endlich bedarfsgerecht anheben müssen und 2) den Ländern und Kommunen mehr Mittel für den Ausbau der Bildungs- und soziokulturellen Infrastruktur überlassen müssen. Stattdessen bluten die Kommunen weiter aus und werden jetzt damit beschäftigt, eine neue Bürokratie aufzubauen, um Kindern die von-Leyen'schen Bildungsgeschenke zu überreichen – und das bis nächsten Freitag. Das ist absurd.

Liebe Genossinnen und Genossen,

dennoch müssen wir es machen. Ich weiß, welche immensen Anstrengungen Carola Bluhm, Kerstin Liebich und unsere Stadträtinnen, Stadträte und Bürgermeisterinnen gerade unternehmen, um aus diesem Unfug noch Sinnvolles für die Berlinerinnen und Berliner zu machen, die Hartz IV oder Wohngeld bekommen. Und ich hoffe, dass wir damit gemeinsam erfolgreich sind.

Wenn im Gegenzug auf den Mindestlohn für die Zeitarbeit verwiesen wird, dann ist das eigentlich doppelt zynisch. Da ist die SPD ganz stolz, dass sie jetzt als Teil dieses Pakets einen Mindestlohn für die Zeitarbeit durchgesetzt hat. Aber dieser Mindestlohn hat eine Höhe, dass die Betroffenen schnurstracks zum Jobcenter müssen, um ergänzende Hartz IV-Leistungen zu beantragen. Und das heute – über 20 Jahre nach der deutschen Vereinigung – immer noch getrennt in Ost und West.

Auch die Grünen waren dabei, selbst wenn sie kurz vor Verhandlungsschluss vom Tisch verschwunden sind. Aber das verwundert nicht: Die Grünen haben sich nie von der Hartz IV-Logik verabschiedet. Die Bundes-SPD hat dagegen bis zur Hamburg-Wahl versucht, den Eindruck zu erwecken, als habe sie mit ihrer eigenen Regierungspolitik gar nichts mehr zu tun. Die aktuellen Veränderungen erhöhen den Entscheidungsdruck auf die SPD: zurück zur Agenda 2010-Politik oder Fortentwicklung zu einer tendenziell sozialeren Politik?

Liebe Genossinnen und Genossen,

das bleibt auch in Berlin nicht ohne Wirkung. Ihr habt alle in den letzten Wochen den Koalitionsstreit um den ÖBS und um die Wasserpreise mitbekommen. Wenn die Berliner SPD jetzt meint, sie könne mit dem Hamburger Weg der neoliberalen Erneuerung auch in Berlin eine absolute Mehrheit erringen, ist sie nicht auf dem Scholz-, sondern auf dem Holzweg. Sie wird sie damit nicht erfolgreich sein. Berlin ist nicht Hamburg. Und wir kämpfen darum, dass Berlin weiter das Gegenmodell zu rot-grüner, rot-schwarzer und schwarz-gelber Abbruchpolitik bleibt.

Damit sind wir nicht alleine. Wir bekommen dabei viel Unterstützung. Weil der ÖBS gute Arbeit zu Tariflöhnen schafft, mindestens aber zu einem existenzsichernden Mindestlohn. Weil er hilft, die soziale Infrastruktur in den Kiezen zu stärken, weil er den sozialen Zusammenhalt in unserer Stadt unterstützt.

Gute Arbeit – das ist eines der zentralen Anliegen unseres Wahlprogramms. Wir kämpfen weiter für einen gesetzlichen Mindestlohn, der schnell auf zehn Euro ansteigen soll. Solange das nicht durchgesetzt ist, haben wir in Berlin eine Insellösung geschaffen. Nämlich, dass öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen gehen, die mindestens 7,50 Euro die Stunde zahlen.

Das gleiche gilt für den ÖBS. Doch das reicht jetzt nicht mehr. Deshalb wollen wir schnell eine Erhöhung auf 8,50 Euro und dann weitere Steigerungen bis wir endlich eine bundesweite gesetzliche Lösung erreicht haben. Wir kämpfen dafür, die Leiharbeit auf ganz wenige Ausnahmen zu begrenzen. Wir haben mit Harald Wolf in den letzten Jahren 118.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen. Weitere 150.000 sind realistisch, weil wir Wirtschaftspolitik mit dem ökologischen Wandel von Ökonomie und Gesellschaft und guter Arbeit verbinden. Wir werden den Industriedialog mit Gewerkschaften und Unternehmen genauso vorantreiben wie die Profilierung Berlins als Metropole der Kreativen, der Medien, der Elektromobilität und Gesundheitswirtschaft. Auch das zieht sich durch unser Wahlprogramm.

Weit oben auf der Agenda steht die Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe. Es hat in unserer Partei viel Aufregung und auch viele Irritationen um den Umgang mit dem Volksentscheid gegeben. Der Titel »Wir wollen unser Wasser zurück« trifft unsere Position. Wir wollen die Wasserbetriebe zurück in die öffentliche Hand holen. Das war aber nicht Gegenstand des Volksentscheids. Da ging es darum, dass die lange geheim gehaltenen Privatisierungsverträge offen gelegt werden. Das war bereits vor dem Volksentscheid geschehen. Dennoch war es der erste erfolgreiche Volksentscheid in Berlin.
Liebe Genossinnen und Genossen,

jetzt geht es um eine ernsthafte Strategie, die 49,9 Prozent Anteile von RWE und Veolia zurück zu gewinnen. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten und jede einzelne prüfen wir sehr ernsthaft. Vermutlich werden wir ein Bündel von Maßnahmen ergreifen. Ich habe vor einigen Wochen öffentlich den Vorschlag unterbreitet, als eine Säule des künftigen Eigentums an den Wasserbetrieben eine Genossenschaft zu gründen, die neben dem Land Berlin Anteile hält. Dabei geht es nicht darum, möglichst viel Rendite aus den Genossenschaftsanteilen zu pressen, sondern demokratische Teilhabe und Kontrolle zu verbreitern. Das ist ein Diskussionsangebot, auf das ich in den letzten Wochen viel Resonanz bekommen habe und wir sollten es weiter debattieren.

Wir ziehen eine weitere Konsequenz aus dem Volksentscheid. Es ist offensichtlich, dass viele Berlinerinnen und Berliner die zentralen Infrastrukturen der öffentlichen Daseinsvorsorge auch wieder in öffentlicher Verantwortung sehen wollen. Wir fordern eine Verfassungsregelung, dass landeseigene Unternehmen nur unter Vorbehalt eines Volksentscheids verkauft werden dürfen. Damit dürfte Privatisierungsorgien, wie wir sie in den 1990er Jahren hier in Berlin hatten, für die Zukunft hoffentlich ein Riegel vorgeschoben sein. Denn den anderen Parteien kann man in der Frage nicht trauen. Die Grünen zum Beispiel haben sich in gewohnt opportunistischer Weise zwar kurz vor Toresschluss an den Wasser-Volksentscheid ran gehängt. Sie haben inzwischen jede erdenkliche Position zur Perspektive der Wasserbetriebe vertreten. Im Wahlprogramm sucht man vergeblich nach einer konzeptionellen Idee. Das bedeutet: mit Grün geht alles, liebe Genossinnen und Genossin. Mit uns gibt es das ernsthafte Bemühen, Einfluss auf die Energienetze zurückzugewinnen, um die Energiewende der Stadt zu schaffen. Wir wollen den Einfluss des Landes auf die S-Bahn massiv ausbauen. Wir wollen ein Bürgerstadtwerk aufbauen, das dezentral ökologisch verträglich und für alle erschwinglich Strom erzeugt. Berlin braucht Kompetenz, um die Stärken und Potenziale der Berlinerinnen und Berliner bei der Erneuerung der energetischen Basis der Stadt erschließen und sozialökologische Wandlungsprozesse gestalten zu können.

Liebe Genossinnen und Genossen,

Bildung gehört zu den Kernthemen jedes Landtagswahlkampfes – denn hier haben wir als Land den meisten Einfluss. Und wir haben hier vorgelegt: Die Gemeinschaftsschule erfreut sich wachsender Beliebtheit bei Lehrern, Schülerinnen und Eltern – und zwar ganz ohne Schulkampf. Nur die CDU führt noch ihren ideologischen Feldzug und verhindert damit zum Beispiel in Reinickendorf eine Gemeinschaftsschule, gegen den Willen von Lehrerinnen, Eltern und Schülern. Das ist politisch dumm, anachronistisch und perspektivlos. Die Zukunft gehört einem Schulsystem des langen gemeinsamen Lernens. Einem System, das Kinder nicht nach ihrer Herkunft oder dem sozialen Status ihrer Familien sortiert, sondern allen die gleichen Chancen und Möglichkeiten eröffnet. Dafür stehen wir und dafür werden wir auch in der nächsten Wahlperiode kontinuierlich weiter arbeiten. Wir haben die Hauptschule abgeschafft und mit der Sekundarschule eine Schule geschaffen, in der alle Kinder bis zum Abitur kommen können. Mit diesen beiden neuen Schulformen haben wir den Systemwechsel in der Schulpolitik geschafft.

Liebe Genossinnen und Genossen,
jetzt setzen wir alle Kraft darin, dass diese Reform greift, dass diese Schulen auch gut funktionieren. Dass sie genug Lehrerinnen und Lehrer haben, dass die Gebäude vernünftig ausgestattet sind, dass kein Unterricht ausfällt, dass Schülerinnen und Schüler vor allem auch Spaß am Lernen haben, dass Schule Lebens- und nicht nur Lernort ist, dass sich die Vielfalt unserer Berliner Bevölkerung auch in der Lehrerschaft und in den Lerninhalten wiederfindet.

Schließlich sind wir in die Offensive gegangen bei einem Thema, in dem wir bereits in den 1990er Jahren mal ganz stark waren. Bei dem Thema Wohnen und Mieten. Unsere Grundpositionen sind da völlig klar. Wir wollen die Vielfalt unserer Bevölkerung in den Kiezen erhalten. Wir wollen Segregation und die Gentrifizierung ganzer Quartiere und Bezirke verhindern. Ganz Berlin muss allen Berlinerinnen und Berliner offenstehen, wenn sie es denn wollen. Deshalb streiten wir im Bund und auf der Landesebene, wo das möglich ist, dafür, die Mieterrechte zu stärken. Vor wenigen Tagen haben wir mit über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ganz intensiv auf der wohnungspolitischen Konferenz unserer Fraktion diskutiert. Wir brauchen weiteren preiswerten Wohnraum. Ob unsere landeseigenen Wohnungsgesellschaften neu bauen, ob sie dazu kaufen, ob wir gezielt Genossenschaften fördern und weitere alternative Formen des Wohnungsbaus fördern, das werden wir weiter diskutieren – auch nachher bei der Wahl-Programmdebatte. Klar ist: wir haben das Thema auf die politische Tagesordnung gesetzt. Wir treiben die SPD, dass was passieren muss. Wir haben bereits vor zwei Jahren Vorschläge unterbreitet, wie wir die AV Wohnen für die Empfängerinnen und Empfänger von Hartz IV so überarbeiten, dass sie in ihren Wohnungen bleiben können. Seitdem ruht still der See. Doch wir werden nicht locker lassen. Wir wollen weiter Zwangsumzüge vermeiden und unsere Stadt lebenswert erhalten.

Liebe Genossinnen und Genossen,

eine lebenswerte Stadt ist auch eine Stadt, die einen leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehr hat. Die S-Bahn ist ein wichtiger Bestandteil des Berliner Verkehrssystems. Und die funktioniert mehr schlecht als recht – das haben wir alle in den letzten knapp zwei Jahren immer wieder erfahren müssen. Das ist Ergebnis der auf die Privatisierung und Börsennotierung fixierten Führung der Deutschen Bahn. Das zeigt einmal mehr: die Kommerzialisierung von Gütern der öffentlichen Daseinsvorsorge führt zu schlechteren Leistungen und letztlich höheren Preisen für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Das nicht mit uns. Wir stehen dafür, dass die S-Bahn wieder vernünftig fährt. Und wenn die Eigentümerin, die Deutsche Bahn, das nicht hinbekommt, dann wird Berlin selbst hier die Verantwortung übernehmen müssen. Eine Zerschlagung und Privatisierung des S-Bahn-Netzes wollen wir nicht.

Liebe Genossinnen und Genossen,

Berlin ist hip, ist Metropole, ist anziehend für Menschen aus der ganzen Welt. Und hier leben auch Menschen aus der ganzen Welt. Wir streiten für ein friedliches Zusammenleben auf der Basis gegenseitiger Anerkennung und Respekt. Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung sind die Integrationshindernisse Nummer eins. Und deshalb bekämpfen wir sie nach Kräften. Es gibt noch viele Sarrazins in den Köpfen, und selbst DIE GRÜNEN fangen inzwischen an, sich einem mainstream zu öffnen, der die Berlinerinnen und Berliner mit Migrationshintergrund zum Problem erklärt. Wer so redet, zeigt, dass er die Stadtgesellschaft nicht wirklich gestalten will. Probleme sind zum lösen da und nicht, um weiter zu stigmatisieren und auszugrenzen. Wir – die Linke – stehen für die interkulturelle Öffnung unserer Stadtgesellschaft, stehen für mehr demokratische Selbst- und Mitbestimmung derjenigen Berlinerinnen und Berliner, die durch das überlebte Wahl- und Staatsbürgerschaftsrecht von Wahlen und Volksabstimmungen nach wie vor ausgeschlossen sind.

Berlin ist die Stadt der starken Frauen – hier gibt es mit die höchste Erwerbstätigenquote, die meisten Professorinnen, starke Frauen in den Vorständen und Aufsichtsräten der landeseigenen Unternehmen. – Der Deutsche Gewerkschaftsbund wird von einer Frau geführt, besonders herzlich Willkommen, Doro! – Wir haben viel dafür getan, dass patriarchale Machtstrukturen abgebaut werden. Auch Geschlechtergerechtigkeit ist der lila Faden, der sich durchs Programm zieht, von der guten Arbeit und Mindestlöhnen bis hin zur Stärkung der sozialen Infrastruktur durch Planungssicherheit für die Frauenprojekte.

Liebe Genossinnen und Genossen,

dafür stehen wir: gleiche Rechte für alle, Abbau von Diskriminierung und Benachteiligung und die weitere Demokratisierung unserer Gesellschaft. Das bedeutet »eine Stadt für Alle«: dass Berlin eine soziale Metropole ist, die niemanden zurücklässt, ausgrenzt, stigmatisiert. Berlin ist unser Lebensraum, ein gestaltbarer Lebensraum, ein Ort von Auseinandersetzungen, in die wir als LINKE aktiv eingreifen wollen. Wir sitzen nicht am Rande und lamentieren, sondern wir werden die Entwicklung eines sozialen Berlins Richtung Zukunft vorantreiben, in diese Auseinandersetzungen mit guten Ideen und der Lust an der Veränderung eingreifen. Mit aller Kraft und mit allem Engagement!

Wir werden unser Programm »Das soziale Berlin« heute diskutieren und beschließen. Und dann ziehen wir in den Wahlkampf. Wir kämpfen um jede Stimme, denn jede Stimme für die Linke ist eine Stimme für das soziale Berlin!