Je stärker DIE LINKE, desto sozialer die anderen Parteien!

Rede von Gregor Gysi

[ Manuskript – es gilt das gesprochene Wort

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, verehrte Gäste,

verlängerte Redezeiten bekomme ich übrigens im Bundestag nicht, deshalb muss ich hier verlängerte Redezeiten nutzen.

Lasst mich am Anfang nur einige ganz wenige persönliche Bemerkungen machen:

Erstens, ich erkläre auch euch, ich unterschreibe keine falschen eidesstattlichen Versicherungen und Punkt. Zweitens, abgesehen von einigen dienstlichen Kontakten zur Staatssicherheit offizieller Natur hat es nie von mir eine inoffizielle Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit gegeben. Alles, was ich euch diesbezüglich versichert habe, ist wahr, und da gibt es auch keine einzige neue Erkenntnis, die gegen mich spricht. Die wenigen dienstlichen Kontakte habe ich logischerweise auch nie bestritten. Drittens möchte ich darauf hinweisen, wie auch immer man alles einschätzt: Ich war es, der für Rudolf Bahro Freispruch beantragt hat. Ich war es, der für Robert Havemann Freispruch beantragt hat, und nicht diejenigen, die jetzt die Kübel über mich auskippen.

Ich will das auch einmal ganz deutlich sagen! Die Aktenlage in meinem Fall ist auch ganz klar: Die Staatssicherheit hat geprüft, ob ich geeignet wäre, ihr IM zu werden. Sie hat festgestellt, dass ich dafür gänzlich ungeeignet war. Da muss ich ihr zustimmen. Nicht einmal ein Werbungsversuch wurde gestattet. Sie hat dann die Akte archiviert, und gegen mich eine operative Personenkontrolle eingeleitet. Wenn solche Akten ein CDU-Mitglied hätte, wäre er schon das hundertste Mal rehabilitiert. Nur ich als Linker bekomme nicht die Chance dazu.

Aber jetzt muss ich euch sagen, das Ganze hat auch einen Vorteil: Der Vorteil ist folgender. Ab und zu sind Leute, die auch zu meinen politischen Gegnern gehören, zu mir ziemlich nett, und dann werden die immer netter. Dann können auch bei mir Illusionen entstehen. Solche Kampagnen verhindern aber immer, dass die Illusionen entstehen. Ich weiß, wo die Fahne weht, und ich weiß auch in welche Richtung, und ich weiß auch, dass es nach wie vor Hass gibt. Ich weiß, dass sie daran arbeiten, uns unter die 5-Prozent-Hürde zu drücken. Sie werden es nicht schaffen. Jetzt schon gar nicht mehr!

Wie ihr wisst, bin ich der Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Berlin-Treptow-Köpenick. Ich muss den LINKEN in Brandenburg erst mal gratulieren. Es ist ein wirklicher Erfolg, den ihr erzielt habt. Ich weiß, wie weit der Weg von Platzeck und der SPD war, dem zuzustimmen. Dass ihr das durchgesetzt habt, bravo kann ich nur sagen! Ihr wisst, ich war immer für Sperenberg und gegen Schönefeld. Aber nun ist es Schönefeld. Dann kann ich nur sagen: Wenn man in unmittelbarer Nähe einer Hauptstadt, am Rande und in der Nähe vieler Städte in Brandenburg einen Flughafen aufbaut, muss man eines begreifen: Die Gesundheit der Menschen hat Vorrang vor allen Wirtschaftlichkeitsberechnungen. Das müssen wir durchsetzen, und das garantiert auch unser Grundgesetz schon im Artikel 1!

Übrigens gibt es sehr seriöse Berechnungen, dass auch bei einem Nachtflugverbot, bei einem verlängerten Nachtflugverbot die Wirtschaftlichkeit gar nicht aufgehoben wird. Da werden auch immer Dinge an die Wand gemalt, die nicht zu akzeptieren sind.

Ich möchte noch etwas sagen: Der Wannsee ist ein sehr schöner See. Ich verstehe sehr gut, dass er geschützt werden muss. Ich verstehe auch den Senat sehr gut, dass er sich für den Schutz des Wannsees eingesetzt hat. Das habe ich immer unterstützt. Aber ich sage: Der Müggelsee ist genauso schön. Es gibt überhaupt keinen Grund, ihn zu ruinieren. Beide Seen sind zu retten! Deshalb möchte ich gerne auch in eurem Namen den vielen Bürgerinitiativen sagen, die eine unterschiedliche Haltung zu uns haben, auch die Personen, das ist gar nicht die Frage: Wir werden sie diesbezüglich alle unterstützen. Natürlich brauchen wir einen Flughafen, aber wir brauchen einen Flughafen, mit dem die Menschen, die dort leben und wohnen, auch leben können. Genau das müssen wir durchsetzen!

Die Bundestagswahl 2013 ist für DIE LINKE eine große und schwierige Herausforderung. Die Bedingungen haben sich verändert. Alle anderen Parteien haben ein gemeinsames Ziel, nämlich uns, DIE LINKE, zu schwächen. Wenn es ginge, würden sie am liebsten verhindern, dass wir wieder in den Bundestag einziehen. DIE LINKE ist im Bundestag ein Störenfried, mindestens, wenn nicht mehr. Das hängt damit zusammen, dass die anderen in einer Konsenssoße leben und dann ihre Auseinandersetzungen nur im Rahmen dieser Konsenssoße gegeneinander führen. Im Kern ist die Frage eines Regierungswechsels von CDU/CSU und FDP, also von Union und FDP zu SPD und Grüne heute eine Frage eines Personalwechsels. Nur durch DIE LINKE entsteht die Frage, ob es um einen Politikwechsel geht. Das ist aber was gänzlich anderes. Das besondere daran ist, dass wir deshalb stören, weil wir nie bereit sind, an der Konsenssoße teilzunehmen. Ich bekomme ja immer wieder Angebote, dass wir anders im Bundestag behandelt werden würden, wenn wir endlich Vernunft annähmen. Und wenn ich dann frage, was das heißt, dann sagen die, naja, dann müsst ihr eben bei den Kampfeinsätzen und bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr mitmachen, z.B. Afghanistan. Dann müsst ihr eben auch sagen, Rente gibt es erst ab 67. Dann müsst ihr auch zu allen europapolitischen Entscheidungen der Regierung »Ja« sagen, so, wie es SPD und Grüne immer tun. Dann sage ich immer den Leuten, wenn sie mir diese Vorschläge unterbreiten: Also ich werde meiner Fraktion strikt davon abraten, denn wenn wir diesen Weg gingen, wenn wir uns an dieser Konsenssoße beteiligten, könnten wir auch unsere Sachen packen und nach Hause gehen. Dafür braucht uns kein Mensch!

Den Widerspruch, den wir erzeugen, das ist das Entscheidende! Außerdem wird auch etwas verwechselt: Wir haben ja eine repräsentative Demokratie. Was bedeutet das eigentlich im Kern? Im Kern bedeutet es, dass man akzeptieren muss, dass es unterschiedliche Interessen in einer Gesellschaft gibt.

Wenn es unterschiedliche Interessen in einer Gesellschaft gibt, dann müssen sie in einem Parlament und auch außerparlamentarisch, auch in den Medien unterschiedlich artikuliert werden. Sonst wird nichts repräsentiert. Jetzt stellt euch mal einen Moment lang vor, auch unsere Fraktion wäre dafür gewesen, Rente erst ab 67 Jahren zu bezahlen, dann wären alle Fraktionen dafür gewesen, dann wären 70 Prozent der Menschen, die dagegen sind, nicht mal mehr mit einem einzigen Argument im Bundestag vertreten. Sie kämen überhaupt nicht vor. Das ist ein ziemlich undemokratisches Denken, was dahinter steckt, dass man unterschiedliche Interessen so angleicht, dass sie im Bundestag in bestimmten Kernfragen überhaupt nicht mehr deutlich werden. Deshalb sind wir ein demokratischer Gewinn. Ein vernünftiges CDU-Mitglied müsste das erkennen. Ich sage hier leichtfertig etwas: Ich weiß, dass es auch konservative Interessen gibt, deshalb bin ich überhaupt nicht dagegen, dass es im Parlament auch eine konservative Partei gibt. Ich meine, sie müsste nicht so stark sein, um es auch mal klar zu sagen. Aber dass es diese Art Interessenvertretung gibt, gehört zu einer repräsentativen Demokratie. Das Schwierige ist bei den ganzen Leuten aus dem Kalten Krieg, dass sie nicht begreifen, dass DIE LINKE wichtige Interessen innerhalb einer Gesellschaft artikuliert und deshalb selbstverständlich zum demokratischen Spektrum innerhalb und außerhalb der Parlamente gehört. Das müssen wir immer noch durchsetzen, wie auch die gegenwärtige Situation beweist!

Die SPD verhält sich in der Opposition anders als in der Regierung. Wir ja gelegentlich auch, wird mir gesagt. Aber ich finde, bei uns hält es sich noch in Grenzen. Bei der SPD, kann ich nur sagen, ist das wirklich geradezu ein Markenzeichen. Aber mit der Entscheidung für Steinbrück haben sie sich auch wieder für die Agenda 2010 entschieden. Wenn sie heute einen Mindestlohn fordern, hätten sie eigentlich mal sagen müssen, wir haben es vor ihnen gefordert, als sie es noch abgelehnt haben. Aber lassen wir es. Ihr Kampf gegen Werkverträge, gegen Leiharbeit, gegen zu viel befristete Beschäftigung. Es müsste doch wenigstens einmal der selbstkritische Satz kommen: Das alles haben wir eingeleitet mit der Agenda 2010, und es tut uns leid. Dieser Satz müsste doch einmal von der deutschen Sozialdemokratie kommen. Und Agenda 2010, um das auch deutlich zu sagen, ist weder sozial noch demokratisch. Deshalb sage ich immer den Mitgliedern der SPD: Wenn ihr wollt, dass die SPD wieder sozialdemokratisch wird, gibt es nur eine Chance: Ihr müsst die LINKEN stärken. Das ist das einzige, was die SPD diesbezüglich diszipliniert!

Ich bin es auch leid, bestimmte Debatten im Bundestag zu führen, wenn es um die Arbeitslosenstatistik geht: Dann sagen die Regierung und die Regierungskoalition immer, das liegt an ihr, fantastisch, wie wenig Arbeitslose wir haben. Dann stehen SPD und Grüne auf und sagen: Nein, es liegt ja an uns. Dann können die sich immer nicht einigen. Dann versuche ich zu schlichten und sage: Nein, es liegt an allen vieren, und zwar deshalb an allen vieren, weil sie die prekäre Beschäftigung derart hochgetrieben haben, dass die Statistik besser aussieht. Aber kann man wirklich stolz sein, wenn Vollzeitarbeitsplätze abnehmen und stattdessen mehr befristete Arbeitsverhältnisse, mehr erzwungene Teilzeit, mit Niedriglohnbeschäftigte etc. für eine bessere Statistik eingestellt werden. Das ist doch kein Grund, stolz zu sein. Wir brauchen Vollzeitarbeitsplätze für die Bürgerinnen und Bürger, zumindest für diejenigen, die sie haben wollen!

Aber ich mag auch nicht richtig das Argument, dass uns die SPD und andere die Themen klauen. Das ist doch unser Ziel. Wenn wir einen politischen Vorschlag unterbreiten, wollen wir doch, dass er akzeptiert wird. Dann können wir uns doch nicht beschweren, wenn er akzeptiert wird. Es fordert uns nur, neue Ideen zu entwickeln. Gelegentlich darf man mal darauf hinweisen, dass die Idee von uns kam und nicht von denen, die heute besonders laut tönen. Das ist wahr. Aber man weiß doch auch eins: Stellt euch mal vor, Steinbrück wird wirklich Bundeskanzler. Er hat zwei Dinge gesagt. Er macht es auf gar keinen Fall mit der LINKEN, und er schließt die FDP nicht aus. Welche Forderungen der SPD will er eigentlich mit der FDP durchsetzen? Den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, irgendeine Art gerechter Besteuerung, die Zurückdrängung der prekären Beschäftigung. Was will er denn aus der FDP machen? Will er sie in ihr Gegenteil verkehren? Das kann er alles vergessen. Wenn er ernsthaft solche politische Ziele verfolgte, dann müsste es für ihn sogar naheliegend sein, zu sagen, er muss eine Verständigung mit den LINKEN versuchen und nicht mit der FDP.

Aber dass er das nicht macht, zeigt doch eines: Nur eine starke LINKE im Bundestag kann die SPD dazu zwingen, halbwegs ihre Wahlversprechen auch einzuhalten, sonst wird sie es nicht machen. Gäbe es keine LINKE im Bundestag, hätten wir bestimmte Diskussionen in unserer Gesellschaft überhaupt nicht. Wir sind – das mag noch nicht viel sein – ein ganz wichtiges Korrektiv. Und wenn ich mir das wirklich mal überlege, nur bei dem Beispiel gesetzlicher Mindestlohn: Als wir den vorgeschlagen haben, waren zwei Gewerkschaften an unserer Seite – Bau und Nahrung und Genuss. Alle anderen Gewerkschaften waren dagegen. Die SPD war dagegen. Die Grünen waren dagegen. Die Union sowieso. Von der FDP brauch man gar nicht zu reden. Heute sind alle Gewerkschaften dafür, die SPD dafür, Grüne dafür, und die Union ist dabei, zu kippen. Da haben wir doch was erreicht. Darauf können wir doch auch mal stolz sein und das der Bevölkerung mitteilen!

Ich sage es hier noch einmal ganz klar: Wer eine Gesellschaft verändern will, der muss zunächst den Zeitgeist verändern. Der Zeitgeist wird nicht allein, aber wesentlich auch von den Medien bestimmt. Das macht die Schwierigkeit unseres Kampfes aus. Ich kann mich sehr gut an die Zeit erinnern, als die soziale Frage als altmodisch abgehandelt wurde. Die Frau Engelen-Kefer vom DGB saß da immer bei der Christiansen und wurde behandelt, als ob sie aus dem vorvorigen Jahrhundert übriggeblieben sei, wenn sie so ein paar Sätze sagte. Das hat sich doch geändert. Der Zeitgeist hat sich geändert. Die soziale Frage ist wieder eine zentrale Frage der Gesellschaft in der politischen Auseinandersetzung geworden. Deshalb sind wir stärker geworden. Aber deshalb liegt es auch an uns, dass wir diese Frage wieder verschärft stellen und den Zeitgeist verändern, um dann auch die Gesellschaft zu verändern.

Wir müssen uns auf Schwerpunkte konzentrieren. Ich kenne kein einziges Mitglied unserer Partei, das zu mir nicht sagt, da hast du recht, um mir dann 18 weitere Vorschläge für Schwerpunkte zu unterbreiten. Das gehört zusammen. Da bin ich auch nicht anders – das ist auch klar –, wenn ich denn sehe, was fehlt. Das ist gar nicht einfach. Aber wir müssen lernen, uns zu konzentrieren. Du bekommst sowieso nicht 18 Botschaften in einem Bundestagswahlkampf rüber. Das ist eine Illusion. Es gibt ein paar Punkte, auf die man sich dann konzentrieren muss und womit einen die Leute verbinden.

Nun ist immer wieder die Frage, wer sind wir? Sind wir eine ostdeutsche Regionalpartei oder sind wir wieder dabei, eine zu werden? Wieder zurück zur PDS. Da gibt es Mitglieder aus den alten Bundesländern, die richtig Sorgen haben. Nein, das kommt für uns überhaupt nicht in Frage. Wir sind jetzt eine Partei mit bundespolitischer Relevanz. Das ist gravierend übrigens auch und gerade dann, wenn man in den neuen Bundesländern etwas erreichen will. Deshalb sage ich: Natürlich sind wir die Partei, die die Mängel, die es in Ostdeutschland gibt, am klarsten zum Ausdruck bringt, ob sie wirtschaftlicher, kultureller oder sozialer Natur sind. Wir kämpfen für die Gleichstellung der Menschen in Ost und West, das heißt gleicher Lohn für gleiche Arbeit bei gleicher Arbeitszeit und gleiche Rente für gleiche Lebensleistung.

Es darf keinen geringeren Mindestlohn Ost mehr geben. Das nehme ich auch den Gewerkschaften übel. Ich will das mal ganz klar sagen. Selbst bei der Leiharbeit gibt es wieder einen geringeren Mindestlohn Ost. Es gibt nicht geringere Kosten im Osten. Schon deshalb ist das nicht mehr gerechtfertigt. Ich will das hier wirklich so deut-lich sagen. Aber es gibt im Osten eine Vielzahl schwacher Regionen. Es gibt aber auch starke Regionen. Es gibt im Westen mehr starke Regionen, aber es gibt auch schwache Regionen. Wir sind verpflichtet, alle schwachen Regionen zu vertreten, egal ob Ost oder West. Wir dürfen niemals unseren bundespolitischen Ansatz aufgeben. Wir sind jetzt DIE LINKE für ganz Deutschland und spielen eine wichtige Rolle in Europa!

Also wir haben doch Themen. Da geht es um die soziale Gerechtigkeit. Da geht es um den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Wenn der jetzt in Höhe von 8,50 Euro käme, na gut. Besser als keiner. Aber wir bleiben bei unserer Forderung von 10 Euro. Wenn man sich die Kostenstruktur ausrechnet, weiß man auch, dass man mindestens 10 Euro brutto die Stunde benötigt, um einigermaßen vernünftig in Würde leben zu können, wie es der Artikel 1 des Grundgesetzes vorschreibt.

Wir werden den Kampf gegen prekäre Beschäftigung führen. Da geht es um Leiharbeit, da geht es um Aufstocker, da geht um den Niedriglohnsektor, da geht es um befristete Beschäftigung. Darf ich mal darauf hinweisen, dass über 50 Prozent aller Menschen bis 35 Jahre in Deutschland nur noch befristet beschäftigt sind. Das ist ein übler Schlag gegen die Gewerkschaften und gegen die Menschen.

Übrigens, diese ganze Ideologie der CDU – Heimatverbundenheit, Schützenverein, Kirchenchor, und was es da so alles gibt und dass sie sich da wohlfühlen sollen und sich da schön einordnen sollen. Ja, wie denn mit einem befristeten Arbeitsverhältnis? Ihre ganze Traumvorstellung von der Familie. Die können sich nicht einmal Kinder leisten, weil sie ja gar nicht wissen, ob sie in einem halben Jahr noch einen Job haben. Nein, das muss sich ändern. Man muss den Leuten soziale Sicherheit geben. Dann können sie auch anders planen, in der Gesellschaft zu leben, Familien zu gründen etc.

Der Niedriglohnsektor ist doch ein Skandal. Ich meine, wenn man sich mal so ansieht, was eine Gehilfin im Frisiersalon in Thüringen verdient. Das ist doch einfach indiskutabel. Was diese Sicherheitsleute verdienen. Es ist indiskutabel. Es wird höchste Zeit, dass die Gewerkschaften, dass DIE LINKE, dass alle sagen: Das Ende der Fahnenstange ist erreicht! Wir brauchen jetzt Löhne, von denen die Leute in Würde leben können und nicht Löhne, mit denen sie auch noch zum Jobcenter geschickt werden, wie die Aufstockerinnen und Aufstocker, was eine Zumutung ist, und zwar vor allen Dingen für die Vollzeitbeschäftigten. Das muss man sich mal überlegen. Da macht einer einen Vollzeitjob – jeden Tag, die Woche, den Monat, das Jahr – und verdient so wenig, dass das Jobcenter ihm noch zusätzlich Hartz IV zubilligt. Da sagt die Kanzlerin, sie ist stolz darauf, dass der Staat den Ausgleich zahlt. Ich sage, ich finde es einen Skandal. Wer einen Vollzeitjob hat, muss Anspruch auf ei-nen Lohn haben, mit dem man in Würde leben kann und nicht noch Anträge stellen muss!

Die Leiharbeit ist für mich eine moderne Form der Sklaverei. Es ist erstens unerträglich, dass die Leute die gleiche Tätigkeit verrichten und nur Zweidrittel des Lohnes haben, den man in der Stammbelegschaft hätte. Es ist genauso unerträglich, dass die Stammbelegschaften unter Druck gesetzt werden und man ihnen sagt, also entweder ihr verzichtet auf Weihnachtsgeld, auf Urlaubsgeld etc. oder wir machen noch mehr Leiharbeit. Wir dürfen die Endsolidarisierung zwischen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht zulassen. Schon deshalb müssen wir die Leiharbeit ganz entschieden bekämpfen. Dann sage ich immer, wenn ich jetzt, was ja unwahrscheinlich ist, in Koalitionsverhandlungen mit der SPD wäre, und die würde mir dann sagen, ja, das geht ja nicht, es muss doch Ausnahmen geben und so. Dann würde ich sagen – ich bin ja, wie ihr wisst, harmoniesüchtig –, na gut, machen wir einen Kompromiss, machen wir Leiharbeit, aber nur nach französischem Recht. Dann würden sie fragen, ja, was heißt denn das? Dann sage ich, ja, das heißt, dass jede Leiharbeiterin und jeder Leiharbeiter 110 Prozent des Lohnes bezieht, den jemand für die gleiche Tätigkeit aus der Stammbelegschaft bezöge. Das heißt im Klartext, erstens sie oder er bekommt mehr – das braucht sie oder er ja auch, denn sie oder er muss sich immer einarbeiten, hat nicht immer einen Job. Zweitens ist es für das Unternehmen teurer. Wenn es für das Unternehmen teurer ist – glaubt mir, das diszipliniert –, dann passiert das nur einmal, nämlich wenn der Elektromeister krank ist und man braucht einen. Aber dann kümmert der sich um die Gesundheit seines Elektromeisters wie nie zuvor. Also gut, mit der Ausnahme könnte ich leben, weil wir dann die Fälle an zwei Händen abzählen können, aber nicht so wie das gegenwärtig hier in Deutschland läuft.

Und ich sage auch, bei der Rente gibt es Lösungen. Wir müssen das nur mal bekanntmachen. Die ganze Debatte um die Demographie, dass wir immer älter werden und deshalb immer später Rente gezahlt werden muss, wobei die 67 nur der Anfang sein soll, ist völlig daneben. Es geht um die Entwicklung der Produktivität. Also wir brauchen wieder die alte Formel. Wir müssen wieder 53 Prozent des Lohns als Rentenniveau anstreben, nicht 42 Prozent. Wir müssen sagen, wie wir das bezahlen wollen. Das können wir bezahlen, wenn wir der nächsten Generation sagen: Alle mit Erwerbseinkommen müssen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Wer sehr gut verdient, kann ja noch andere Versicherungen abschließen, aber erst mal müssen alle in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Eine Beitragsbemessungsgrenze gibt es auch nicht. Da könnten wir sogar den Prozentsatz senken. Dann darf es auch nicht sein, dass es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer alleine bezahlen oder zunehmend alleine bezahlen – Riester-Rente etc., kennt ihr alles. Nein, gleichberechtigt muss auch das Unternehmen bei den sogenannten Lohnnebenkosten herangezogen werden. Wenn wir das aufbauten, wenn alle einzahlen würden, alle neue Ackermänner einzahlen müssten von ihrem Lohn, dann brauchen wir nicht eine Kürzung der Rente um zwei Jahre, dann brauchen wir auch keine Senkung des Rentenniveaus, dann können wir auch endlich eine wirkliche solidarische Mindestrente einführen. Lasst uns doch mal soziale Wege gehen, in Deutschland und in Europa, und nicht immer nur über Abbau nachdenken, wie das gegenwärtig der Fall ist!

Und wir haben das Thema einer solidarischen Versicherung der Bürgerinnen und Bürger im Gesundheitswesen. Wir können die Beiträge senken. Wir haben das ausgerechnet. Von 15,5 Prozent jetzt – beide zusammen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber – auf 10,5 Prozent. Also Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer je 5,25 Prozent. Wieder vorausgesetzt, wir sagen, alle müssen in die gesetzliche Krankenkasse einzahlen. Wir brauchen vielleicht auch nicht 300 Kassen. Vielleicht reichen ja als Konkurrenz drei? Aber mal abgesehen davon. Wir brauchen dafür keine private Krankenkasse. Es darf kein soziales Privileg geben. Die Art der Behandlung eines Menschen muss von der Art seiner Erkrankung abhäng sein und von nichts anderem. Dafür müssen wir streiten! Dann sage ich auch ganz klar: Ich wäre aber dafür, dass man in der privaten Krankenversicherung eine Versicherung für ein Einbettzimmer abschließen kann. Ich räume gleich ein, dass ich das auch täte. Und zwar hat das zwei Gründe: Erstens, wenn ich mit zwei anderen in einem Zimmer im Krankenhaus liege und mir gerade die Schulter – sagen wir mal – gebrochen habe, um mal ein Beispiel zu nennen, und dann muss ich einen ganzen Tag über Politik reden, das halte ich einfach nicht aus. Aber es gibt noch einen zweiten Grund: Es könnte ja sein, dass ich am gleichen Tage wie Rösler erkranke. Wir kommen in das selbe Krankenhaus, und der Chefarzt ist leicht gemeiner Natur und sperrt uns in ein Zimmer. Das kann ich nicht verantworten, weil Rösler dann nie gesund wird. Also auch aus diesem Grunde kann es solche Privilegien geben. Aber das ist etwas völlig anderes, als die Art der ärztlichen Behandlung und die Art der Medizin. Die gesundheitliche Versorgung hat ausschließlich nach der Art der Erkrankung und nicht nach der sozialen Stellung des Patienten zu erfolgen.

Wir haben gute Vorschläge unterbreitet, wie man Wohnen so gestaltet, dass jede und jeder sich eine Wohnung leisten kann. Ich sage das ganz klar: Obdachlosigkeit verletzt die Würde des Menschen und damit auch Artikel 1 des Grundgesetzes. Auch dort gibt es Wege. Die SPD verhält sich völlig halbherzig.

Die Energiewende – hier ist darüber gesprochen worden. Die ganze öffentliche Daseinsvorsorge gehört in öffentliche Hand. Ich möchte nicht, dass nach privaten Gewinnkriterien Strom vergeben wird. Das ist ein Grundbedürfnis, das zu befriedigen ist. Deshalb müssen wir hier für öffentliches Eigentum streiten. Es ist ganz klar.

Wir brauchen eine staatliche Strompreisregulierung. Es hilft alles nichts. Es ist doch kein Marktgut. Es ist doch alles Quatsch, was sie erzählen. Die vier großen Konzerne sind doch in der Lage, einmal in der Woche miteinander zu telefonieren, um sich zu vereinbaren, wie sie uns in der nächsten Woche abzocken. Natürlich werden sie das bestreiten, aber natürlich werden sie das auch machen. Ich verstehe überhaupt nicht, was da in den Köpfen los ist. Ich weiß auch gar nicht, wie viele Politikerinnen und Politiker denken, die alles privatisieren wollen. Wenn ich alles privatisiere, hat die Politik nichts mehr zu entscheiden. Es ist doch ganz einfach. Wenn ich alles verkauft habe, habe ich auch nichts mehr zu entscheiden. Was soll das Ganze! Ich muss nicht belehrt werden. Ich finde es sehr gut, dass es Konkurrenz unter Bäckermeistern gibt. Ich finde es sehr gut, dass es bei mittleren Unternehmen das Ganze gibt. Wir haben doch nichts gegen marktwirtschaftliche Elemente, wo sie hingehören. Wir haben aber etwas dagegen, dort, wo sie nicht hingehören.

Gesundheit muss sich nicht rechnen, Bildung muss sich nicht rechnen, Krankenhäuser müssen sich nicht rechnen und die Energie. Das müssen wir sichern. Hier gibt es andere Kriterien. Da passt die Marktwirtschaft nicht. Hier haben wir eine Grundversorgung zu sichern. Deshalb öffentliche Daseinsvorsorge in öffentliche Hand, damit die Leute bei der Wahl auch Änderungen beschließen können.

Wir haben unser Thema Frieden. Wir sollten uns jetzt bei Frieden gerade auch auf das Thema Verbot von Rüstungsexporten konzentrieren. Mein Gott, was wäre das für ein Fortschritt, wenn die Bundesregierung mal bereit wäre, wenigstens nicht mehr Waffen in den Nahen Osten zu verkaufen. Wir verkaufen an Bahrain. Wir verkaufen an Katar. Wir verkaufen an Saudi Arabien. Wir verkaufen an Israel. Wir verkaufen in Konfliktgebiete hinein Waffen. Überall, wo jetzt Kriege entstehen, gibt es auch deutsche Waffen. Wer Waffen verkauft, muss immer wissen, dass er auch an Kriegen beteiligt ist. Selbst wenn man will, man kann es gar nicht regulieren, wo die Waffen enden. Wie erstaunt sie waren, dass es die deutschen Gewehre nicht nur auf Seiten der Aufständischen, sondern auch bei Gaddafi gab. Mich hat das nicht gewundert, kann ich nur sagen. Deshalb hätten wir doch nach dem Zweiten Weltkrieg einen Schluss ziehen müssen. Der hätte lauten müssen: Wir wollen nie wieder an Kriegen verdienen, und deshalb verbieten wir Waffenexport aus Deutschland!

Was die Euro-Krise betrifft, so versucht Frau Merkel das Thema herunterzukochen. Aber die Euro-Krise bleibt. Was den Griechen, aber auch den Italienerinnen und Italienern, die Spanierinnen und Spaniern, den Portugiesen zugemutet worden ist, ist einfach beim besten Willen nicht hinnehmbar. Diejenigen müssen die Euro-Krise bezahlen, die nichts davon verursacht haben. Ich erinnere an ein Beispiel aus dem Bundestag. Schäuble hatte bei der ersten Krise begründet, das Elterngeld der Hartz-IV-Empfänger zu streichen, um den Haushalt zu sanieren. Da habe ich zu Herrn Kauder gesagt: Bitte sagen sie nachher, welche fünf Fehler die Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger in Deutschland begangen haben, dass sie jetzt diese Krise bezahlen. Das werden Sie ja können. Sie werden ja in der Lage sein zu sagen, wenn die folgenden fünf Sachen anders gemacht worden wären, dann wäre es zu dieser Krise nicht gekommen. Dann kann man ja über Sanktionen nachdenken. Aber falls Ihnen nichts einfällt und falls es doch so ist, dass die Ackermänner daran schuld sind und nicht die Hartz-IV-Empfängerin, ist es eine Unverschämtheit, die Krise zulasten dieser Leute regulieren zu wollen. Weder zulasten der Rentnerin-nen und Rentner noch zulasten der Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger noch zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen wir zulassen, dass die Krise bewältigt wird – weder die alte noch die neue!

Ich weise daraufhin, dass ich glaube, dass es einen Schuldenschnitt gibt, der richtig Geld kostet, aber erst nach der Bundestagswahl. Sie versuchen das Ganze zu verschieben. Dann wird es wieder Sozialkürzungen geben, weil ja die Einsparpolitik angeblich so genial ist.

Übrigens, um das auch mal klar zu sagen: Was ist die Schwäche der LINKEN? Die Schwäche der LINKEN besteht darin, dass man uns keine vernünftige Wirtschaftspolitik zutraut. Wir können das ja ganz anders sehen, aber die Leute sind da bei uns ein bisschen misstrauisch. Ich sage euch, von uns muss auch eine vernünftige Industrie- und Dienstleistungspolitik ausgehen. Das müssen wir den Leuten auch erklären. Wir wissen auch, dass wir eine funktionierende Wirtschaft benötigen, um soziale Gerechtigkeit herzustellen. Wir müssen auch eine vernünftige Politik für Selbständige machen. Wir haben dort jetzt einen Vorschlag gemacht. Es gibt über 3 Millionen Selbständige, die überhaupt keine Altersvorsorge haben, überhaupt keine. Die haben weder eine gesetzliche Rente noch sonst etwas. Die haben gar nichts. Der Sozial-staat muss endlich auch zu den Selbständigen kommen! Und ich sage, ja, wir brauchen auch die Mittelschicht. Es gibt auch in der Mittelschicht viele, die keine Armut wollen, und die müssen wir ansprechen. Mit denen zusammen müssen wir Armut in der Gesellschaft bekämpfen. Wir dürfen uns nicht einengen. Wir müssen in dem Ansatz unserer Politik breiter werden!

Über Steuern ist schon gesprochen worden. Deshalb sage ich nur so viel: Wer behauptet, er kämpfe für soziale Gerechtigkeit, aber er kämpfe nicht für Steuergerechtigkeit, der lügt. Ohne Steuergerechtigkeit gibt es keine soziale Gerechtigkeit! Des-halb ist es richtig, wenn wir hier klare Vorschläge unterbreiten, welche Veränderungen wir bei den Steuern fordern, um soziale Gerechtigkeit zu finanzieren.

Bei der letzten Bundestagswahl haben wir hier in Berlin vier Direktmandate erreicht. Stefan Liebich hat es in Pankow geschafft, Gesine Lötzsch in Hohenschönhausen-Lichtenberg, Petra Pau in Marzahn-Hellersdorf und ich in Treptow-Köpenick. Ich möchte, dass wir das wiederholen. Ich möchte, dass wir den Grad unserer Akzeptanz auch dadurch beweisen, dass wir vier Direktmandate holen. Und ich möchte, dass wir ein so gutes Zweitstimmenergebnis in ganz Deutschland hinlegen, dass wir auch mit diesem Ergebnis gut leben können. Nach wie vor halte ich es für möglich, dass wir ein zweistelliges Ergebnis in ganz Deutschland erreichen. Und nach wie vor halte ich es für möglich, dass wir in Berlin ein zweistelliges Ergebnis erreichen, das uns mindestens fünf Abgeordnete – ich hätte auch nichts gegen mehr – ermöglicht. Ich weiß, dass ein neues Wahlrecht beschlossen worden ist. Ich weiß auch, dass Veränderungen damit verbunden sind. Aber das muss uns jetzt völlig egal sein. Jetzt kämpfen wir um Erst- und Zweitstimmen. Wir müssen den Leuten auch den Unterschied deutlich machen. Erststimme ist immer für Direktkandidaten, und Zweitstimme ist immer für die Liste einer Partei. Wir brauchen hier im Ostteil natürlich wirklich auch viele Erststimmen, aber selbstverständlich in ganz Berlin auch viele Zweitstimmen, um die Anzahl der Abgeordneten zu bestimmen. Ich bin bereit, dafür zu kämpfen, und zwar mit Leidenschaft zu kämpfen. Aber ich sage euch, es wird alles nur funktionieren, wenn auch bei euch Leidenschaft entsteht.

Wenn dann bei euch Leidenschaft entstanden ist, dann muss auch bei den Mitgliedern Leidenschaft entstehen. Und wenn dann noch bei den Sympathisantinnen und Sympathisanten Leidenschaft entsteht, dann mache ich mir gar keine Sorgen, denn, Genossinnen und Genossen, wie wichtig wir auch alle sind, wir schaffen das nicht alleine an den Info-Ständen. Wir schaffen das nicht alleine, alles zu verteilen. Entweder wir haben eine motivierte Mitgliedschaft und Leute, die uns nahestehen und sagen, ja, das machen wir, wir stellen uns auch bei Regen hin, wir stellen uns auch am Sonntag hin, wir argumentieren, wir diskutieren, wir versuchen, für DIE LINKE zu streiten, dann wird der Wahlkampf auch funktionieren.

Und ich hoffe, dass von diesem Parteitag schon so eine Leidenschaft ausgeht, dass man merkt, ja, wir wollen kämpfen, wir wollen streiten und wir wollen auch etwas er-reichen. Und glaubt mir, DIE LINKE ist nicht ganz so wichtig wie wir manchmal denken, aber deutlich wichtiger als viele andere es glauben. Ohne DIE LINKE fehlt dem demokratischen Spektrum im Bundestag ein ganz wichtiges Glied. Und je stärker DIE LINKE, desto sozialer die anderen Parteien! Wir brauchen ja gar nichts zu tun. Wenn wir ganz stark einziehen, ändern die anderen schon ihre Politik. Da haben wir noch gar nichts gesagt, nicht einmal einen dummen Antrag gestellt. Also wir müssen den Leuten klarmachen, ja, es nützt ihnen, weil eine starke LINKE die Politik in Deutschland verändert, und zwar hin zu mehr Frieden und zu mehr sozialer Gerechtigkeit!

Dankeschön!