Raus aus den Parteitagssesseln, rein in Wahlkämpfe!

2. Parteitag, 1. Tagung

Rede von Lothar Bisky

MdB, Vorsitzender der LINKEN


[ Manuskript – es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freundinnen und Freunde,

am vergangenen Wochenende wurde mit Eurer Unterstützung eine Metropolendebatte über Berlin als europäische Stadt geführt.
Die Europäische Linke tagte zeitgleich im Kino Babylon und hat die erste gemeinsame Wahlplattform beschlossen.
Ihr seid mit viel politischem Gepäck zum Landesparteitag gekommen.
Eines ist klar:  Ihr kommt von diesem Landesparteitag direkt in die Wahlkämpfe  2009! Es gibt dort keine Pause, siehe Hessen.

Deshalb sage ich eines gleich zu Beginn. Ich freue mich, dass sich der Landesverband konsolidiert hat, dass die Fraktion bissiger geworden ist, dass das linke Profil über Berlin hinaus zu spüren ist.
Der Traum vom pflegeleichten linken Koalitionspartner ist vorbei und ich denke mir, das bekommt sogar der Berliner SPD gut. Nun zerbreche ich mir meinen Kopf seltener über die Berliner SPD. Mich bewegt das Wachsen einer europäischen und einer bundesdeutschen LINKEN und die wächst ja auch, nur geht der Prozess nicht immer ganz sorgenfrei.
Da möchte ich eines klar festhalten: Berlin ist kein exterritoriales Oppositionsgebiet, wenn es um die ganze Partei geht. Berlin ist Teil dieser ganzen Partei.
Gerade hier lernen wir, wie der ÖBS, die Sicherung der Daseinsvorsorge und die Gemeinschaftsschule an Durchsetzungskraft gewinnen und welche Anforderungen das ergibt.
Hier lernen wir, was dies im Alltag oft für Zeit braucht, und was es für Hartnäckigkeit bedeutet.
In Berlin verweisen wir nicht nur darauf, was linke Politik anmahnt und schieben gesellschaftliche Debatten mit an – wie  beim Mindestlohn – und dies ist wichtig.
Hier in Berlin haben überdies Wählerinnen und Wähler bei leeren Kassen beschlossen: Zeigt, was ihr könnt!
Und – wir haben die Herausforderung angenommen. Ich sage WIR – eben weil Berlin Teil der Bundespartei ist. Ihr habt die Herausforderungen konkret zu machen: lernend und wissend – was ein Bundesland gestalten kann, ahnend, dass Bürgerinnen und Bürger genau dies nur bedingt interessiert, nicht wissend, dass manch Parteimitglied Konkretes oft gar nicht wissen will. Mein Eindruck wächst bisweilen: Je weiter weg von Berlin, je uninformierter, desto fundierter die Meinung über die Regierungskonstellation in Berlin und die Glaubwürdigkeit linker Politik. Zuerst gilt: Informiert Euch bei den Berlinern, auch jetzt, da die Erbschaftssteuer im Bundesrat beschlossen wurde, informiert Euch wie und warum Berlin dafür gestimmt hat, wie die Debatte im Landesverband und im Senat geführt wurde: statt übereinander zu reden. Ich empfehle allen: Erst informieren, dann diskutiert sich's besser!
Ich will generell darauf aufmerksam machen, dass wir alle gemeinsam auf solidarische Kritik nicht verzichten können. Doch eines ist mir auch wichtig: Manch Glaubwürdigkeitsmesser von einigen Parteimitgliedern stimmt so gar nicht mit den Glaubwürdigkeitsbarometern von Wählerinnen und Wählern überein. Und das sollte uns doch zu denken geben: Unsere Politik muss doch nicht nur in der Partei, sondern auch in der Öffentlichkeit durchgesetzt werden. Aus kritischen 13% Zustimmung für die LINKE in Berlin 2006 geht es jetzt Richtung 20% im Land – und dies beim Mitregieren. Das ist bemerkenswert. Glückwunsch!
Es war also richtig mit eigenen Projekten als Berliner Linke erkennbar zu werden. Und ihr habt Euch gegen eine zögerliche SPD durchgesetzt: Es ist endlich zu einem Tarifabschluss gekommen. Ich finde diese Entwicklung ermutigend – auch für Thüringen für unseren Wahlmarathon 2009 generell. Linke in Landesregierung, so hoffe ich doch, bleiben keine Insellösung in der Hauptstadt.
Außerdem: Ihr habt Finanzkrisenerfahrung durch den Finanzkrisenproduzenten CDU: Erst in Berlin (Landowsky), dann in Sachsen und nicht zuletzt in Bayern. Inzwischen sehen wir die Finanzkrise weltweit.
Es ist höchste Zeit, Genossinnen und Genossen, dass die kritische Begleitung praktischer Politik aus den letzten ideologischen Gräben kommt und dauerhaft zur informierten Sachlichkeit übergeht.

Kritik in der Sache – die ist notwendig und auch helfend – doch der Streit, wer der wahre Linke ist, gehört in die Vergangenheit und ist, mit Verlaub, politische Onanie. Solch Gezänk macht uns weder attraktiv, noch zwingt es in irgendeiner Weise zu Lernprozessen, zum Informieren, zum Nachfragen, zum Miteinander statt Übereinander sprechen.
Und das gilt nicht nur für die Berliner Landespolitik! Lasst mich eines noch hinzufügen. Die LINKE insgesamt hat – wie es sich für eine junge Partei, mit vielen kulturellen und linken politischen Wurzeln gehört – manch Konfliktpotential, und ich weiß, wovon ich rede.
Zu manchem, was wir unbedingt auszudiskutieren haben, gehört Fingerspitzengefühl. Was haben wir gekonnt, wenn Menschen am Ende verletzt sind oder uns gar den Rücken kehren. Mit dem Holzhammer der öffentlichen Rundschreiben bekommt eine wachsende Partei Probleme, nach denen es mich nicht gedrängt hat.
Ich möchte es ganz deutlich sagen: Regionale Personalprobleme gehören weder auf einen Landesparteitag, noch in offene Briefe!
Wir sind angetreten, linke Politik für mehr soziale Gerechtigkeit zu machen. Das ist wirklich das einzige, ich wiederhole das einzige, was Menschen an dieser Partei interessant finden, und zwar auf längere Sicht. Es ist auch das einzige, was uns eine Existenzberechtigung gibt. Die LINKE ist kein Selbstzweck!

Liebe Genossinnen und Genossen, ich hatte es eingangs schon gesagt: in der vergangenen Woche hat die Partei der Europäischen Linken erstmalig eine Wahlplattform für die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 beschlossen. Und es gab schon deutlich emotionale Momente, wenn etwa mein Freund Stelios vom SYNASPISMOS in Athen, in Glasgow lebend, sagte, dass er auf eine solche Gemeinsamkeit der Linken 50 Jahre gewartet habe. Wir haben Darin gemeinsame Ziele für eine bessere Politik in Europa festgehalten, uns für mehr Demokratie, eine Europäische Sozialunion, für eine Europa der Abrüstung und der ökologischen Vernunft ausgesprochen. Dieses verbindende Profil linker Politik zu erarbeiten, dass haben 30 Parteien aus 23 Ländern, ob aus Oppositions- oder Regierungsperspektive, geschafft.
Es ermutigt die kleinen Parteien, es zwingt die großen und traditionsreichen zu einer modernen linken Politik und das heißt: Schaut über den Tellerrand. Die Linke im 21. Jahrhundert wird europäisch sein oder sie wird nicht sein!
Und eines ist auch klar – wenn auch ein 9seitiges Papier unter Linken schon ein Erfolg ist (Das werden wir bei andern Programmen im nächsten Jahr noch merken. Für neun Seiten haben wir 10 Monate gebraucht, sonst wären es 30 geworden.): Papier ist geduldig, das haben wir auf der Wahlkonferenz auch gesagt. Deshalb haben wir am letzten Wochenende klar gemacht: Diese Wahlplattform ist das Versprechen für den gemeinsamen Wahlkampf, fürs Durchsetzen unseres politischen Profils.

Nun könnte man meinen, mit dem Finanzmarktcrash und den Vorboten einer weltumspannenden Rezession würden linke Ideen wie von selbst Verbreitung finden. Die Geschichte hat uns das Gegenteil gelehrt! Eine instabile Gesellschaft ruft ganz andere Gefahren auf den Plan. Rechtspopulismus und rechtsextreme Demagogen haben Konjunktur – auch europaweit. Berliner Genossinnen und Genossen, ihr habt heute morgen im Bündnis mit vielen anderen in Karlshorst ein Zeichen gegen den Aufmarsch von Neonazis gesetzt. Das halte ich für wichtig!
Wir können nicht locker lassen: Der Kampf gegen Rechtsextremismus wird und muss Teil der kommenden Wahlkämpfe sein.
Und die Europäische Linke war am letzten Wochenende mit allen vertretenen Parteien im KZ Sachsenhausen. Damit wollen wir deutlich machen, dass die Europäische Linke ihre antifaschistischen Wurzeln niemals aufgeben wird. Und die Europäische Linke wird im Januar wiederkommen und an der Ehrung für Karl und Rosa teilnehmen. Das sind Traditionen, die es lohnte, sich anzuschauen, auch wenn Vertreterinnen und Vertreter der Medien selten zu solchen Ehrungen in Konzentrationslager verirren.

Genossinnen und Genossen, man spürt es generell: Die aktuelle Finanzmarktkrise, das praktische Ende neoliberaler Mythen ist die Stunde der Politik. Ein koordiniertes europäisches Vorgehen begrüßen auch wir Linken. Doch diese sinnvolle Idee scheint bei der Kanzlerin offenbar auf eine Mauer aus Oropax und der Sehnsucht nach weiteren Exportweltmeistertiteln zu treffen. Richtig, wenn man Opel hilft. Aber es gilt dabei zu verhindern, dass das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für CO2-Killer-Autos verwendet und an den Mutterkonzern General Motors fließt. Eine Schlussfolgerung daraus wäre doch die Aufhebung des Verbots von Kapitalsverkehrskontrollen in der EU. Wenn man dies aufhebt, kann keiner unkontrolliert Kapital transferieren, das anders eingesetzt werden sollte.
Wir Linken müssen im Krisenmanagement einfordern, dass die Spirale der Umverteilung von unten nach oben beendet wird – das gilt vor Ort und in Europa.
Solange menschliche Ideen, Chancen und Perspektiven in Militärinterventionen verschleudert und so verhindert werden, ist die herrschende europäische Politik mitverantwortlich für Armut und Unterentwicklung, ist mitverantwortlich für Konflikte zwischen den Völkern.

Diese Politik muss dringend verändert werden. Wir können als Ausgangsfrage durchaus formulieren: Welche Rolle spielt Europa in der Welt? Ist dieser Kontinent der vielen Kulturen, der Wanderungsbewegungen, voller bitterer und auch hoffnungsvoller Geschichte in der Lage, offen, friedlich und sozial zu werden? Da sind wir, Genossinnen und Genossen, wieder mitten in Metropolendebatten und erleben, dass Berliner Politik und Europäische Politik nicht weit voneinander entfernt liegen, wie es vielleicht scheint.

Ich finde dies auch im Antrag des Landesvorstandes »Gute Arbeit! Gute Bildung! Gute Rente! – Eine starke LINKE für Berlin.« an Euren Parteitag wieder:
Da ist Landes- und Bundespolitik, Kommunal- und Europapolitik unserer Partei zusammengedacht. Da sind die kommenden Wahlkämpfe auf allen Ebenen mit dem Wachsen der Landespartei verbunden.
Wenn ihr auf dem Parteitag solch einen Fahrplan für 2009 beschließt, für die Politik in Berlin und Europa, für die Wahlkämpfe, in den Ländern, in Europa und im Bund, so weiß ich: Das Ziel, dass die »Partei DIE LINKE mehr repräsentiert als eine dritte kleine Partei« erreichen wir nur gemeinsam.

Wir werden 2009 gemeinsam zeigen, dass die LINKE eine Adresse für eine wirksame Politik gegen Umverteilung von unten nach oben, gegen Billiglohn und für gesetzlichen Mindestlohn, gegen die Rente ab 67, für gute Bildung und ein bezahlbares Gesundheitswesen, für die Beendigung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist.
Beteiligt Euch – mit Euren politischen Erfahrungen – aktiv an der Ausarbeitung unserer Wahlprogramme! Ich weiß, ihr seid in Wahlkämpfen verlässliche Partner, ihr seid verlässliche Partner, wenn es um die Unterstützung von Landesverbänden im Westen geht, wenn Bundes- und Europapolitik zur Abstimmung stehen.
Ich setze auf positive Signale von Eurem Landesparteitag, auf Eure politischen Erfahrungen! Ich weiß, dass Klaus Lederer – mit einem guten Team – wertvolle Arbeit geleistet hat, dass ROT-ROT II – wie ihr es formuliert habt- inzwischen »eine richtigrote Handschrift trägt.« Und ich weiß, dass daran auch manch harte Wochen, schwierige Entscheidungen, dass daran heftige Auseinandersetzungen hängen.

Wir haben neue Kommunikationsformen zwischen dem Berliner Landesverband und dem Parteivorstand eingeführt, haben die Informationswege zwischen der Berliner Regierungspolitik und unserer Bundestagsfraktion verkürzt. Erst kürzlich waren der Landesverband und die Berliner Senatorinnen und der Senator mit dem Parteivorstand in der Debatte.
Auf all dem können wir aufbauen, wenn 2010 möglicherweise mehr LINKE in Regierung ackern und die Mühen der Ebene auch in der Mitte und im Westen der Bundesrepublik begonnen haben, wie wir doch alle hoffen.
Doch ich möchte den Berliner Landesverband als Ganzen nicht auf die Beschäftigung mit Rot-Rot in Berlin reduzieren. Wir brauchen genauso Eure guten Beiträge zu Programm- und Geschichtsdebatten, zum Konsolidierungsprozess der LINKEN bundesweit, zur Verankerung der Partei in der außerparlamentarischen Arbeit.

Wie heißt es so schön: Ab morgen gilt – Raus aus den Parteitagssesseln und Rein in die Wahlkämpfe. Und ich denke wir stimmen darin überein: Hessen hat eine zweite linke Fraktion verdient! Die Bundesrepublik  hat eine starke LINKE verdient! Das Europäische Parlament hat eine gemeinsame starke linke Fraktion verdient!
Und bei alle dem werden die Bürgerinnen und Bürger Berlins Euch nicht aus der Verantwortung entlassen.
In diesem Sinne wünsche ich Eurem Parteitag eine guten Erfolg.