Fragen und Antworten

Zur S-Bahn-Ausschreibung

DIE LINKE. Berlin will die Kommunalisierung der S-Bahn in kommunaler Hand, so wie U-Bahnen, Straßenbahn und Busse von der landeseigenen BVG betrieben werden. Denn der öffentlicheNahverkehr in Berlin gehört zur Daseinsvorsorge. Wenn die S-Bahn in kommunaler Hand ist, hat das Land Berlin endlich mehr Gestaltungsmöglichkeiten sowie direkten Einfluss auf die Geschäftspolitik, auf Investitionen und Instandhaltung u.a. um eine S-Bahn-Krise wie 2009 zu verhindern. Außerdem könnten die Gewinne der S-Bahn für einen für besseren Verkehr in Berlin verwendet werden, statt in die Kassen der DB AG oder privater Unternehmen abzufließen.

Solange es nicht gelingt die S-Bahn in Landeshand zu bringen, wollen wir eine Zerschlagung der S-Bahn Berlin verhindern und  als Gesamtsystem erhalten. Wir halten einen reibungslosen Betrieb der S-Bahn nur dann für zu gewährleisten, wenn die S-Bahn im Gesamtnetz weiterhin aus einer Hand betrieben wird.

Aufgrund der Vorschriften im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ist eine Ausschreibung des S-Bahn-Betriebs zwingend. Dieses Gesetz verhindert eine Direktvergabe an die S-Bahn Berlin GmbH. In die Berliner Koalition hat die Linksfraktion entsprechend des Landesparteitagsbeschlusses einen Antrag für eine Bundesratsinitiative zur Änderung des GWB eingebracht, damit in besonderen Netzen auch eine Direktvergabe an externe Unternehmen erfolgen kann. Angesichts der gegenwärtigen Mehrheitsverhältnisse im Bund ist der Erfolg einer solchen Bundesratsinitiative sehr unwahrscheinlich. Mit der Ausschreibung der S-Bahn-Leistungen können wir aber – angesichts der Notwendigkeit mit der Beschaffung der Fahrzeuge jetzt zu beginnen - nicht auf einen ungewissen Erfolg einer solchen Initiative warten.

Eine Direktvergabe wie z.B. beim U-Bahn- und Straßenbahnbetrieb an die BVG, wäre nach dem bundesdeutschen Vergaberecht aktuell lediglich bei einem landeseigenen Unternehmen oder einem Unternehmen, bei dem das Land über Einfluss wie über eine eigene Dienststelle verfügt, möglich.

Die Übernahme der S-Bahn-Berlin GmbH durch das Land wäre die beste Lösung. Jedoch war die Deutsche Bahn als Eigentümerin bislang nicht bereit, die S-Bahn-Berlin GmbH zu verkaufen. Um einen Verkauf zu erreichen, ist entsprechender Druck auf die Bundesregierung als Gesellschafterin der DB erforderlich. Ein solcher ist innerhalb der im Bund regierenden Parteien nicht wahrnehmbar. Als LINKE werden wir den Druck auf Bundesebene und in Berlin erhöhen, um dem Ziel, die S-Bahn-Berlin GmbH zu kommunalisieren, näher zu kommen. Wir können jedoch mit der anstehenden Vergabe nicht darauf warten, dass die Übernahme der S-Bahn Berlin GmbH irgendwann gelingt.

Die Gründung und der Aufbau eines landeseigenen Betreibers ist nicht von heute auf morgen machbar sondern erfordert Zeit. Diese Zeit ist leider nicht vorhanden, da die Vergabe (sei es direkt oder im Wettbewerb) in absehbarer Zeit erfolgen muss, damit die neuen S-Bahn-Wagen rechtzeitig zur Laufzeit des neuen Vertrages geliefert werden können. Gelegentlich wurde in der öffentlichen Diskussion der Vorschlag gemacht, doch jetzt nur die Beschaffung der Fahrzeuge auszuschreiben. In der Markerkundung, die der Ausschreibung vorausging, hatten wir diese Möglichkeit auch noch einfließen lassen. Damit würden wir aber unser Ziel gefährden, dass Betrieb und Instandhaltung aus einer Hand erfolgt. Denn bis 2028 könnte dann eine mögliche neue Regierung entscheiden, den Betrieb auszuschreiben und damit freie Hand für einen privaten Betreiber zu schaffen.

Die Aufteilung des Berliner S-Bahn-Netzes in drei Teilnetze wurde in der letzten Legislaturperiode von der SPD-CDU-Koalition gegen unseren Widerstand (siehe z.B. Plenarprotokolle vom 8.11.2011 und vom 31.01.2013) vorgenommen um vermeintlichen Anforderungen des Wettbewerbsrechts gerecht zu werden. Dies lässt sich leider nicht einfach zurückdrehen. Nachdem in der letzten Legislatur das Teilnetz Ring-Südost wettbewerblich vergeben wurde, steht nun die Vergabe der anderen beiden Teilnetze an.

Nach der Einigung in und zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg wird die Ausschreibung nun fertiggestellt und voraussichtlich noch im Sommer im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Nach Teilnahmewettbewerb und ersten Angeboten der Bewerber werden mit diesen Verhandlungen geführt. Auf der Grundlage verbindlicher Angebote soll vermutlich Mitte 2022 der Zuschlag erteilt werden. Vor der Vertragsunterzeichnung muss der Hauptausschuss des Abgeordnetenhaus der Freigabe der gesperrten Haushaltsmittel zustimmen.

Jede Ausschreibung beinhaltet grundsätzlich die Möglichkeit, dass ein anderer Bewerber als der Bestandsbetreiber den Zuschlag bekommen kann. Umso wichtiger ist deshalb die konkrete Ausgestaltung der Ausschreibungsbedingungen. Im Rahmen der koalitionsinternen Diskussion und Auseinandersetzung konnten wir jedoch wichtige Ausschreibungsbedingungen durchsetzen, die die Rechte der Beschäftigten sichern sollen und die Möglichkeit eines Betriebs aus einer Hand gewährleisten.

Die ursprüngliche Intention der grün geführten Verkehrsverwaltung bestand in einer getrennten Ausschreibung der beiden Teilnetze. Zudem sollten Betrieb und Instandhaltung der Fahrzeuge getrennt ausgeschrieben werden. Mit der von der Verkehrssenatorin und Brandenburg  geforderten Loslimitierung wäre festgeschrieben worden, dass die zwei Teilnetze von unterschiedlichen Betreibern bedient worden wären. DIE LINKE konnte gemeinsam mit den Sozialdemokraten  durchsetzen, dass es 1. keine Loslimitierung gibt, dass 2. keine Trennung von Betrieb und Instandhaltung vorgeschrieben wird und dass 3. ein Gesamtangebot für beide Teilnetze  und integriert für Fahrzeugbeschaffung, Instandhaltung und Betrieb möglich ist.  Es liegt auf der Hand, dass bei einem derartigen  Gesamtangebot  Synergieeffekte zu realisieren sind und vorteilhaft gegenüber getrennten Angeboten für Teillose sind. Allen Bietern werden zudem verbindliche Vorgaben für die Bewältigung der Schnittstellenproblematik zwischen unterschiedlichen Betreibern gemacht. Die Stabilität des S-Bahnverkehrs und Qualitätsfragen werden deshalb bei der Vergabeentscheidung eine zentrale Rolle spielen. Ein Gesamtangebot - S-Bahn aus einer Hand – kann das Zusammenspiel von Betrieb und Instandhaltung viel einfacher organisieren und steht nicht vor dem Problem der Abstimmung der Betriebsabläufe zwischen verschiedenen Teilnetzen. Zudem wurde die Nutzung von Fahrzeugen zugelassen, die den Standards der Ringausschreibung entsprechen. Die S-Bahn-GmbH hat eine Option beim Fahrzeughersteller für solche Fahrzeuge.

Ja, eine Loslimitierung wird nicht erfolgen. Ein kombiniertes Gebot auf alle Teillose ist möglich.

Zunächst war geplant, dass der Aufbau und die Nutzung eines Geländes an der Schönerlinder Straße für eine Werkstatt zwingend vorgeschrieben wird. Dies hätte z.B. das Angebot für die S-Bahn GmbH unnötig verteuert, da die S-Bahn GmbH über ausreichend Werkstätten verfügt. Wir begrüßen, dass im Ergebnis der Verhandlungen diese Verpflichtung wieder gestrichen werden konnte. Stattdessen werden den Bewerbern lediglich mögliche Werkstattstandorte an den beiden Teilnetzen zur freiwilligen Nutzung angeboten. Die Finanzierung der Werkstatt muss durch den Fahrzeuginstandhalter erfolgen. Das Land erbringt nur Vorleistungen z.B. der Planung, die die erforderlich sind, damit die Werkstatt nach der Vergabe bis zur Betriebsaufnahme errichtet werden könnte.

Diese Frage wird vor allem relevant, falls ein anderer Bieter als die S-Bahn Berlin GmbH den Zuschlag erhält.
Für die bisher für die Erbringung der Verkehrsdienstleistungen Beschäftigten wird die Übernahme der Beschäftigten verpflichtend vorgeschrieben. Welche Beschäftigtengruppen neben Triebfahrzeugführer*inne, Disponent*innen und Service- und Sicherheitspersonal in den Zügen von dieser Definition im GWB erfasst sind, ist noch Gegenstand von Verhandlungen. Wir setzen uns für weitestmögliche Übernahmeverpflichtungen ein.

Für die Werkstattbeschäftigten bestanden unterschiedliche Rechtsauffassungen darüber, ob eine solche Übernahmeverpflichtung rechtlich ebenfalls möglich ist. Im Ergebnis der Verhandlungen konnten wir durchsetzen, dass eine verpflichtende Übernahme auch des Werkstattpersonals angeordnet wird.  Sollte dies rechtlich gerügt werden, so wird eine landeseigene Beschäftigungsgesellschaft für das Werkstattpersonal gegründet und die Bieter verpflichtet, deren Personal zu beschäftigen. Auf diese Weise kann eine äquivalente Arbeitsplatzsicherung auch für das Werkstattpersonal erreicht werden.

Die Ausschreibung verpflichtet dazu, die Beschäftigten mindestens zu den Bedingungen der einschlägigen Tarifverträge der EVG und der GdL zu entlohnen. Soziale Kriterien wie Dauer des Urlaubs, Höhe der Vergütung, Ausbildungsquote, Beschäftigung von Schwerbehinderten usw. führen zu einer besseren Bewertung des Angebots.

Bereits heute fehlen Fahrzeuge im Berliner S-Bahn-Netz. Damit neue Fahrzeuge zumindest zu Beginn des Vertragszeitraums ab 2028 zur Verfügung stehen, um die alten Fahrzeuge zu ersetzen und zusätzliche auf die Schiene zu bringen, müssen sie so bald wie möglich ausgeschrieben werden. Ausschreibung, Entwicklung und Produktion und Auslieferung brauchen mehrere Jahre (ca. 6-7 Jahre). Daher darf es bei der Ausschreibung keine relevanten zeitlichen Verzögerungen mehr geben.

Diesem zeitlichen Druck wird bisweilen entgegnet, dass es doch die neuen S-Bahnen für den Ring/Süd-Ost gebe, die einfach weiterproduziert und für die anderen Netze genutzt werden könnten, und dass daher kein zeitlicher Druck zur Neuausschreibung von S-Bahn-Wagen bestünde. Dies ist jedoch nicht richtig und so nicht möglich.

Für das Teilnetz Ring-Südost werden als Ergebnis der bereits 2015 erfolgten Vergabe an die S-Bahn-Berlin GmbH in deren Auftrag neue Fahrzeuge der Baureihe 483/484 bei Stadler produziert und bis 2023 ausgeliefert. Zwar sicherte sich die S-Bahn-Berlin-GmbH darüber hinaus auch eine Option auf den Bau weiterer Fahrzeuge. Jedoch kann das Land diese Option nicht direkt nutzen. Dies könnte nur die S-Bahn Berlin GmbH, was sie aber nur machen wird, wenn sie sicher weiß, dass sie die Fahrzeuge auch die nächsten 30 Jahre fahren oder weiterverkaufen kann. Aufgrund des Vergaberechts könnte das Land weitere Ring-Fahrzeuge jedoch nicht einfach von der S-Bahn-Berlin GmbH kaufen, denn auch eine alleinige Fahrzeugbestellung müsste europaweit ausgeschrieben werden.

Daher hilft die Option der S-Bahn Berlin GmbH bei Stadler hinsichtlich des zeitlichen Drucks zur Fahrzeugbeschaffung nicht weiter.

In der Ausschreibung werden die Fahrzeuganforderungen jedoch so gestaltet, dass das bereits entwickelte Modell der Ring-Fahrzeuge prinzipiell für ein Angebot verwendbar sind und die S-Bahn-Berlin GmbH die Option auf diese Fahrzeuge nutzen könnte.

Was wäre das Ergebnis, wenn die Forderung nach einem Stopp der Ausschreibung zu Ende gedacht wird? Selbst wenn diese Forderung in der Koalition durchsetzbar wäre, so bestünden die oben geschilderten Rahmenbedingungen, die keine Direktvergabe ermöglichen, immer noch fort. Es müsste also neu ausgeschrieben werden. Zudem würde durch eine starke Verzögerung der Ausschreibung die Beschaffung der S-Bahn-Wagen weiter vertagt und das Risiko einer weiteren S-Bahn-Krise erhöht.

Innerhalb der aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen und der zeitlichen Anforderungen sind die Handlungsmöglichkeiten begrenzt und bieten alle mehr oder weniger große Risiken. Konkret stellen sich folgende Alternativen:

a) Fortführung des aktuellen Ausschreibungsprozesses mit der Möglichkeit des kombinierten Angebots von Fahrzeugbeschaffung über Instandhaltung bis zum Betrieb bei gleichzeitiger Sicherstellung möglichst umfangreicher sozialer Standards und Anforderungen an die Stabilität des S-Bahn-Verkehrs. Wie jede Ausschreibung ist auch diese nicht risikofrei, diese sind, das jedoch aufgrund der Möglichkeit der kombinierten Bewerbung und der oben dargestellten Ausschreibungsbedingungen begrenzt.

b) Abbrechen des aktuellen Ausschreibungsprozesses und Hoffnung auf politische Mehrheiten für eine baldige Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB): Da die Beschaffung der Fahrzeuge aufgrund der langen Zeiträume von Bestellung bis Lieferung zwingend innerhalb einer kurzen Frist ausgeschrieben werden muss, damit die ersten Fahrzeuge zumindest zu Beginn der zu vergebenden Leistungen zur Verfügung stehen, müsste die Fahrzeugbeschaffung getrennt vom Betrieb des Netzes zeitnah ausgeschrieben werden. Dies würde unserem Ziel der Vermeidung der Trennung von Fahrzeugbeschaffung, Instandhaltung und Betrieb zuwiderlaufen. Ein kombiniertes Angebot auf alle betreffenden Leistungen wäre nicht mehr möglich. Getrennt von der Fahrzeugbeschaffung müsste von dem nächsten Senat der Betrieb vergeben werden. Sollte eine Änderung des GWB nicht gelingen, so wäre der Betrieb von der nächsten Regierungskoalition auszuschreiben und das Risiko einer Zerschlagung des einheitlichen S-Bahn-Systems deutlich größer als bei der nun geplanten kombinierten Ausschreibung.

c) Wie Variante b) mit getrennter Ausschreibung der Fahrzeugbeschaffung und Aufbau eines landeseigenen Betreibers, an den der Betrieb direkt vergeben werden kann: Die BVG steht jetzt und in absehbarer Zukunft vor großen Herausforderungen und verfügt deshalb nicht über die notwendigen Kapazitäten für den Aufbau eines Eisenbahnverkehrsunternehmens. Der Aufbau eines solchen Unternehmens vom Punkt Null, von der „grünen Wiese“, wäre mit großen Risiken verbunden. Auch müsste dieses Ziel auch von einer künftigen Regierungskoalition verfolgt werden. Da eine solche Variante mit einer Fahrzeugbeschaffung und Betrieb verbunden wäre, bestünde das Risiko, dass eine andere Koalition in den Jahren nach 2021 vom Aufbau eines landeseigenen Unternehmens und einer Direktvergabe an dieses Abstand nimmt und den Betrieb alleine ausschreibt. Das Risiko einer Privatisierung und Zerschlagung des S-Bahn-Systems wäre damit deutlich größer als mit der jetzigen Ausschreibung.

d) Wie Variante b mit getrennter Ausschreibung der Fahrzeugbeschaffung und Kauf der S-Bahn-Berlin GmbH und sodann erfolgende Direktvergabe: Eine Bereitschaft der DB zum Verkauf des Gewinnbringers S-Bahn-Berlin GmbH ist derzeit nicht erkennbar. Jüngste Äußerungen der Bundesregierung lassen hier auch keine Änderung der Position erwarten. Auf eine derartig ungesicherte und unwahrscheinliche Perspektive kann kein Vergabekonzept für die S-Bahn aufgebaut werden. Darauf zu bauen wäre schlicht unverantwortlich.

Variante a) mit einer Fortführung des Ausschreibungsprozesses ist bei Abwägung mit den Alternativen letztlich die sicherste Möglichkeit zum Erhalt eines einheitlichen S-Bahn-Systems in Berlin. Ein Stopp der Ausschreibung würde unter den gegebenen Rahmenbedingungen dieses einheitliche System noch stärker gefährden.

Sollte es dennoch gelingen, die Ausgangsbedingungen kurzfristig zu ändern (z.B. durch Kauf der S-Bahn, Änderung des GWB), so könnte ggf. die Ausschreibung auch wieder aufgehoben und eine Direktvergabe durchgeführt werden.