Mehr für die Stärkung von Formen solidarischer Wirtschaft tun

Wortmeldung von Harald Gindra

[ Manuskript ]

Liebe Genossinnen und Genossen,

gerade im Wahljahr muss sich DIE LINKE hüten den Stempel »Industrie- und Wirtschaftsfeindlichkeit« sich anhängen zu lassen. Unsere Konzernkritik muss konkret sein, auf Betriebsräte und Gewerkschaften hören und nicht den Anschein erwecken, dass wir nur ideologisch, antikapitalistisch motiviert Großkonzernen »Knüppel zwischen die Beine werfen« wollen. Nach mehrjährigen überdurchschnittlichem Wachstum ist jetzt Berlins Wirtschaftslage besonders ernst. Corona deckt schmerzlich Strukturschwächen auf. Corona und die Eindämmungsmassnahmen trafen auf eine Wirtschaftsstruktur in Berlin, die uns in besonderem Maße anfällig machen, mit Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, auf Verdienstmöglichkeiten von Vielen und neue Herausforderungen schaffen »Gute Arbeit« in Berlin zu stärken.

Die Besonderheiten Berlins: Schwach ausgebildete industrielle Basis – Produktion und produktionsnahe Dienstleistung (im Kern aber auch viele starke Klein- und Mittelbetriebe). Entscheidungszentren der großen Akteure in anderen Regionen.

Das überdurchschnittliche Wachstum in den vergangenen Jahren, war stark mit unserem Wissenschaftsstandort, mit Gründerinitiativen, mit Startups verbunden, aber auch stark abhängig von Massen-Zusammenkünften, wie Tourismus, Messen, Kongresse, Events und einer vielfältigen Kulturwirtschaft. Das sind Bereiche mit vielen prekären Beschäftigungsformen und Solo-Selbstständigkeit und diese werden gerade besonders hart getroffen, wenn Begegnungen eingeschränkt.

Nach meiner Meinung zwingt uns Corona einen heftigen Strukturwandel auf, weil insbesondere Formate und Geschäftsmodelle, bei denen viele Menschen bewegt werden und in der Stadt konzentriert werden, sich höchstens mittelfristig über drei, vier Jahre an den Vor-Corona-Stand anpassen werden.

Soforthilfen, Überbrückungshilfen können nicht dauerhaft Strukturen sichern, die nicht mehr dieselbe Nachfrage haben. Die richtige Insolvenzwelle wird noch kommen 2021, weil sie nur zeitlich verlagert ist (wachsende Verschuldung auch mit Überbrückungskrediten, Auslaufen gelockerter Insolvenzregeln). Z.B. im Gastgewerbe (Hotels und Teile der Gastronomie, die von Tourismus und Massenveranstaltungen abhängen). Aber auch im Handel – wir haben in Berlin den höchsten Pro-Kopf-Anteil an Verkaufsfläche, obwohl wir bei der Kaufkraft pro Kopf hinten liegen. Der stationäre Handel war schon vor Corona unter Druck – Stichwort wachsender Online-Anteil – jetzt wird es einen negativen Schub geben, weil in Berlin rund 25% des Umsatzes von Gästen der Stadt abhängen, die noch eine ganze Weile fehlen. Zusätzlich sind die Online-Umsätze in die Höhe geschossen. Wir brauchen neue Konzepte für Geschäftsstraßen – auch dort mehr öffentliche Einrichtungen und Förderung solidarischer Kiezwirtschaft, Stabilisierung von bestimmten Zentren (Zentrenkonzentrationen – eine Frage in Bezirken?). Ja mit dem Karstadt-Deal kann man stadtentwicklungspolitisch Bauchschmerzen haben, wenn Arbeitsplätze mit Zugeständnissen an Immobilienprojekte erkauft werden – aber die stadtentwicklungspolitische Auseinandersetzung ist damit erst eröffnet. Ich bin erstmal gespannt, wie Signa seine »Absichten« im Insolvenzverfahren umsetzt.

Natürlich ist es richtig, dass wir Daseinsvorsorge sichern wollen, Vorrang für das »Öffentliche« erkämpfen und uns die Stadt zurückholen wollen.

Trotzdem leben wir in einer vorherrschend kapitalistisch geprägten Wirtschaft und gerade in den Strukturveränderungen hängen viele Menschen, ihre Erwerbsmöglichkeit, von Entscheidungen von Konzernen ab. Bei der Kritik von Konzernzforderungen an Berlin müssen wir in die Details gehen, das Austarieren von Zumutungen, Anzapfen öffentlicher Gelder und Vorzugsregelungen und den Gegenwert müssen wir an der Seite der Gewerkschaften und Betriebsräte bewerten.

Siemensstadt: Natürlich ist das Projekt auch eine in Wertsetzung von unternutzter und niedriger bewerteter Gewerbefläche, die sich SIEMENS jetzt »vergoldet« und natürlich will SIEMENS auch Wissenschaft und vielfältige Startup-Szene für die eigene Renditeentwicklung abschöpfen. Trotzdem ist es auch ein Kampf um moderne Industriestrukturen bei denen Betriebsräte und IG Metall dem Konzern technologischen Umbau bei Erhalt von Standorten in Berlin abgerungen haben. Und es kann sich jetzt ein Innovationszentrum entwickeln, das neben neben Bedarf an wissenschaftlichem Personal auch moderne Produktionsstätten darum entwickeln lässt.

Ebenfalls hat Tesla auch seine Pläne in unserer Region und Tesla ist nicht unbedingt bekannt dafür mit gewerkschaftlichem Einfluss und mit Mitbestimmung der Belegschaft klarzukommen. Das wird nicht konfliktfrei sein. Trotzdem ist es eine Chance für unsere Region – ein Innovationszentrum nahe zu einem großen Industriestandort (Grünheide) schafft neue Potentiale, von den 12.000 Beschäftigten wird auch Berlin profitieren. Ansonsten haben wir eher viele Innovation-Labs und -Hubs großer Konzerne, deren industriellen Schwerpunkte (und Arbeitsplätze) dann aber in Süddeutschland liegen.

Wir brauchen aber diese Wertschöpfung in der Region, zur Stärkung tarifgebundener Arbeitsplätze, aber auch für die Verbesserung des Steueraufkommens.

Wir bewegen uns bei den aktuellen Wirtschaftshilfen auf einem schmalen Pfad, viel Geld wird reingepumpt und für der das rechte Lager ist schon klar, wer dafür in den nächsten Jahren/Jahrzehnten »bluten« soll.

Und es wird an vielen Stellen nicht so leicht mit »Guter Arbeit«. Mit unserer Landesvorsitzenden hatte ich ein Gespräch mit dem NGG-Vorsitzenden – viele der Jobs, die jetzt wegfallen im Gastgewerbe sind tariflos und mit Tricks auch unterhalb vom Mindestlohn. Die NGG hofft, dass die Gewährung von Hilfen, verbunden wird gesicherte, tarifliche Arbeitsverhältnisse für die Beschäftigten auszubauen.

Liebe Genossinnen und Genossen,

wir müssen keinen abstrakten Kampf gegen Konzerne führen, sondern ihnen stadtverträgliche Bedingungen abtrotzen.

Daneben gibt es noch viele Felder bei denen wir konzernfernere Lösungen fördern können:

Beim Kampf um Technologie-Entwicklungsrichtungen müssen wir mit Ansätzen, wie dem »City-Lab« eine offenen, demokratisch bestimmten, auf den Nutzen der Stadtgesellschaft orientierten Weg fördern – ebenso mit der Digitalisierungsstrategie Berlins.

Wir können mehr für die Stärkung von Formen solidarischer Wirtschaft tun – also von wirtschaftlichen Akteuren, die nicht vordringlich rediteorientiert sind, sondern an einem ökologisch-sozialen Umbau der Wirtschaft, an einem Gemeinwohleffekt sich orientieren. Oft ist das verbunden mit Gemeinschaftseigentumsformen, genossenschaftlich oder anders, mit einem anderen Gesellschaftszweck und partizipativen inneren Entscheidungs- und Eigentumsstrukturen.

Liebe Genossinnen und Genossen,

die Wahl wird in die Zeit fallen, in der sich die sozialen Auswirkungen und langfristigen Folgen der Wirtschaftskrise klarer abzeichnen, ich bitte meine Anmerkungen bei unseren politischen Botschaften zu bedenken.

Kontakt