Zum aktuellen Entwurf des Ver­samm­lungs­frei­heits­gesetzes (VersFG-E)

Stellungnahme der LAG Demokratie und Bürgerrechte durch den Sprecher der LAG, Max Althoff:


Aus Sicht der LAG entspricht der derzeitige Entwurf [1] leider weder unseren eigenen Ansprüchen aus dem Wahlprogramm 2016 [2] noch denen des R2G-Koalitionsvertrags (»deutschlandweites Vorbild für ein demokratieförderndes, grundrechtsbezogenes Versammlungsrecht«) [3]. Im Folgenden wollen wir aufzeigen, wo wir, gemessen an  unseren eigenen Ansprüchen, Probleme des Gesetzesentwurfs sehen:

 

1. Verbot von Uniformen, Uniformteilen und eines einheitliches Erscheinungsbilds (sog. »Black Block«-Paragraph)

Laut dem aktuellen Entwurf ist es »verboten, in einer Versammlung durch das Tragen von Uniformen oder Uniformteilen oder sonst ein einheitliches Erscheinungsbild vermittelnden Kleidungsstücken in einer Art und Weise aufzutreten, die dazu geeignet und bestimmt ist, im Zusammenwirken mit anderen teilnehmenden Personen Gewaltbereitschaft zu vermitteln und dadurch einschüchternd zu wirken« (§ 9 Abs. 2 VersFG-E). 

Im Wahlprogramm 2016 forderte die Die LINKE Berlin: »Insbesondere dürfen staatliche Beschränkungen für Versammlungen nicht dazu dienen, Versammlungen zu erschweren, Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu gängeln und das Versammlungsrecht willkürlich einzuschränken.«

Bei einem Abgleich mit den Forderungen aus dem Wahlprogramm stellt sich für uns die Frage, ob der Paragraph nicht zu schwammig formuliert worden ist und auf Demonstrationen dazu dienen kann, Versammlungsteilnehmer*innen zu gängeln bzw. zu kriminalisieren. Der  Paragraph bedeutet, dass Eingriffsmöglichkeiten der Polizei bereits vor  den Zeitpunkt einer tatsächlichen Unfriedlichkeit der Versammlung verlagert werden. 

Dass allein eine mögliche Wirkung des Auftretens von Versammlungsteilnehmer*innen kriminalisiert werden soll, sehen wir sehr kritisch, weil nicht das Ausüben von Gewalt, sondern schon das angebliche Vermitteln von Gewaltbereitschaft verboten werden und auch zum Verbot ganzer Versammlungen führen können soll (§ 14 Abs. 2 VersFG-E). 

Die Formulierung »Einheitliches Erscheinungsbild« findet sich bereits in  der Gesetzesbegründung des bayrischen Versammlungsrechts von 2008. In dieser Begründung werden linke und rechte Demonstrant*innen auch explizit gleichgesetzt.

Wir fragen uns, was unter einem einheitlichen Erscheinungsbild zu verstehen ist und ob nicht die Annahme eines einheitlichen Erscheinungsbilds im Zweifelsfall dazu dienen kann, Versammlungen zu verbieten, allzumal die Wahrnehmung eines Auftretens als "gewaltbereit" allein der Einschätzung der Polizei vor Ort obliegt.

Konkrete Bezüge zu paramilitärischen SA-Aufzügen fehlen in der Gesetzesbegründung komplett. 

Die Begründung für den Paragraphen finden wir nicht schlüssig.

 

2. ASOG-Befugnisse im Versammlungsrecht

Im § 10 Abs. 1 VersFG-E findet eine Öffnung zum polizeirechtlichen Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) statt: »Soweit dieses Gesetz die Abwehr von Gefahren gegenüber einzelnen Teilnehmenden nicht regelt, sind Maßnahmen gegen sie nach dem Allgemeinen Sicherheit- und Ordnungsgesetz zulässig, wenn von ihnen nach den zum Zeitpunkt der Maßnahme erkennbaren Umständen vor oder bei der Durchführung der Versammlung oder im Anschluss an sie eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.« Aber im Wahlprogramm forderten wir das »Versammlungsrecht als demokratisches Freiheitsrecht gegen staatlichen Zugriff zu schützen und auszubauen.«

Wir finden das VersFG-E sollte abschließend sein. Es ist sehr unverständlich, warum Maßnahmen gegen Teilnehmende von Versammlungen mit dem Polizeirecht statt mit eigenen Normen nach VersFG erfolgen sollen. Alle Regelungen rund um Versammlungen sollten abschließend im VersFG klar und deutlich ausformuliert sein. 

Der ASOG-Bezug ist auch ein Gummi-Paragraph: Das ASOG umfasst über 70 Paragraphen und den gesamten Katalog von Polizei-Maßnahmen. Die Öffnung des VersFG-E zum ASOG ist viel zu unspezifisch.

Unser Gegenvorschlag ist daher, den §10 VersFG-E zu streichen, denn alle Regelungen zu polizeilichen Eingriffen rund um die Versammlungen sollten abschließend im VersFG-E festgeschrieben sein. Ganz bestimmte Teiles des ASOG könnten dafür ggf. als Formulierungsvorlage dienen. 

 

3. ID-Kontrollen und Durchsuchungen von Ver­samm­lungs­teil­neh­mer*innen

R2G will einführen, was bisher nicht oder nur in ganz eingeschränktem  Umfang erlaubt war: Personenkontrollen auf dem Weg zur, oder sogar in der Demonstration(!).

 § 17 VersFG-E bestimmt, dass die Polizei, sobald »tatsächliche Anhaltspunkte« dafür vorliegen, dass irgendwo auf dem Weg zur Versammlung oder am Ort der Versammlung Waffen, oder aber auch nur zur Vermummung geeignete Gegenstände mitgeführt werden, alle Versammlungsteilnehmer*innen durchsucht werden können. Bislang erlaubten die Gerichte dies nur, wenn in der jeweiligen Person konkrete  Verdachtsmomente eine solche Durchsuchung rechtfertigen. Nunmehr erteilt R2G der Polizei einen Freibrief zur Durchsuchung von Versammlungsteilnehmer*innen. Und dieser ist nicht auf den Weg zur Versammlung begrenzt.

 Noch weniger nachvollziehbar ist die geplante Erlaubnis zur Identitätsfeststellung von Versammlungsteilnehmer*innen. Es ist allgemein anerkannt, dass gerade die Angst vor staatlicher Erfassung Menschen davon abhalten kann, ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen. Der Staat soll gerade nicht erfassen, wer sich wie politisch betätigt. Nunmehr sollen unter den oben genannten Voraussetzungen auch Identitätsfeststellungen auf dem Weg zur Versammlungen oder bei der Versammlung erlaubt werden. Und auch die geplante Identitätsfeststellung soll nicht davon abhängig sein, ob die Person, auf die sie sich bezieht, verdächtig ist, einen Rechtsverstoß begangen zu haben. 

 Es ist nicht erkennbar, wozu diese Regelung sinnvoll soll. Hier wird die  polizeiliche Abschreckung von der Wahrnehmung eines Grundrechts durch Identitätsfeststellung ermöglicht. Und es wird die Sammlung von Daten von Versammlungsteilnehmer*innen ermöglicht.

 

4. Vermummungs- und Schutzwaffenverbot

Unsere Forderung, diese Straftatbestände abzuschaffen, wurde auch hier nicht durchgesetzt.

Es ist unerfreulich, dass beim Vermummungs- und Schutzwaffenverbot kaum progressive Ergebnisse vorzuweisen sind. Vermummung und das Tragen sog. Schutzwaffen sind weiterhin Straftatbestände, nur das »Beisichführen« entsprechender Gegenstände soll nicht mehr strafbar sein. 

 

5. Abschluss

Für die weiteren Verhandlungen wünschen wir uns eine klare Positionierung und die Durchsetzung der genannten Punkte auf Grundlage unseres Wahlprogramms, um ein modernes und bürgerrechtsfreundliches Versammlungsgesetz für Berlin zu erreichen.       

 

 

1- https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/DruckSachen/d18-2764.pdf 

2- http://www.die-linke-berlin.de/fileadmin/download/2016/wahlprogramm.pdf 

3- https://www.berlin.de/rbmskzl/_assets/rbm/161116-koalitionsvertrag-final.pdf