i2030-Entscheidungen zu Potsdamer Stammbahn und Kremmener Bahn

Nach 4½ Jahren Grundlagenermittlung und Variantenuntersuchungen gaben die Projekt-partner von i2030 (die Länder Brandenburg und Berlin, der Bund und die DB AG) am 23.05.2022 ihre lange erwarteten Entscheidungen zu den Korridoren Potsdamer Stammbahn / Wannseebahn und Kremmener Bahn / Prignitz-Express bekannt. Die nachfolgende Ein-schätzung beruht auf der Presseinformation vom 23.05.2022 mit Skizzen


Zusammenfassung

Die Entscheidung zur Potsdamer Stammbahn folgt einem richtigen Grundansatz. Korrektur-bedarf besteht darin, die Wannseebahn wieder mit einzubeziehen und auf eine neue aufwän-dige Südostkurve in Kohlhasenbrück zu verzichten.

Die Entscheidung zur Kremmener Bahn bringt nur geringen Fortschritt. Nachteile bestehen darin, dass die Möglichkeiten der Fahrzeitverkürzung und der Direktfahren vom Umland nach Berlin nicht ausgeschöpft werden und dass der Verkehrsknotenpunkt Tegel nicht angemes-sen ausgebaut und angebunden wird. Im weiteren Planungsprozess ist darauf hinzuwirken, diese Nachteile zu beseitigen.

Potsdamer Stammbahn / Wannseebahn

Die Entscheidung für eine zweigleisige „Regionalbahn“, also mit Oberleitung und Wechsel-strom, ist überfällig und richtig.

Zwei der Ziele können erreicht werden:

  • Kapazitätserhöhung für Taktverdichtung im Pendlerverkehr von der Magdeburger Bahn (Potsdam, Golm, Werder usw. bis Brandenburg) nach Zehlendorf, Steglitz, Schöneberg, Potsdamer Platz usw.
  • Eisenbahnanschluss für Kleinmachnow und Dreilinden nach Berlin und Potsdam.

ABER: Zwei weitere Ziele können nicht erreicht werden, oder nur nach erneuter Verzögerung und Verteuerung:

  • Kapazitätserhöhung für Taktverdichtung im Pendlerverkehr von der Wetzlarer Bahn (u.a. Rehbrücke, Michendorf, Beelitz, Belzig, Dessau) zur Nord-Süd-Verbindung
  • Einbindung der Umsteigeknoten Wannsee und künftig Mexikoplatz (U3-Verlänge-rung) in die Linienführungen.

Das Elektrifizieren und Ertüchtigen des vorhandenen Gütergleises Wannsee – Zehlendorf der Wannseebahn war ursprünglich Projektbestandteil des Stammbahn-Korridors. Die jetzt veröffentlichten Dokumente beinhalten dies nicht mehr. Stattdessen enthält die Zeichnung in Kohlhasenbrück (bei Griebnitzsee) eine Verbindungskurve von der Wetzlarer Bahn (Medien-stadt Babelsberg) zur Potsdamer Stammbahn in Richtung Berlin, die eventuell niveaufrei aus- und eingefädelt werden müsste. Mit diesen Bauwerken kommen hohe Zusatzkosten und weitere Eingriffe in die Wald- und Heidelandschaft hinzu, die – anders als beim Wiederaufbau der historischen Trasse – gegenüber bestimmten Interessengruppen (Naturschützer, Anwohner) schwer zu rechtfertigen sind und zu langwierigen Auseinandersetzungen führen können. Wannsee und Mexikoplatz würden nicht erreicht werden. Mit einer noch späteren Inbetriebnahme ist zu rechnen.

Wenn die Planungen ernsthaft beginnen, sollte das nochmal thematisiert und geändert werden.


Über die ursprünglichen Ziele hinaus geht der nunmehr vorgesehene Ausbau des Südost-rings von Schöneberg bis Treptower Kreuz. Dieses Vorhaben ist zu begrüßen, aber die Be-gründung ist falsch; es ist keine Folge oder Voraussetzung der Potsdamer Stammbahn. Hartnäckig wird die Aussage, Nord-Süd-Tunnel und Stadtbahn wären überlastet, immer wie-derholt. Die viergleisige Nord-Süd-Verbindung ist mit 10 bis 12 Zugpaaren pro Stunde bei weitem nicht ausgelastet, wird aber bei weiteren Angebotsverdichtungen in der Zukunft bei Beibehaltung der gegenwärtigen Betriebsabwicklung an ihre Belastungsgrenze kommen. Um die künftig notwendige Leistungsfähigkeit zu erreichen, wurde sie formal zum „Überlasteten Schienenweg“ erklärt und ein „Plan zur Erhöhung der Schienenwegkapazität (PEK)“ aufge-stellt. Das ist nach Ausführungen von DB Netz die Voraussetzung für die Finanzierung des Ausbaus. Der PEK enthält Infrastrukturergänzungen und organisatorische Maßnahmen der Gleisbenutzung. Außerdem wären die Linienbündelung ohne Wechsel zwischen den Gleis-paaren (Strangkonzept) und digitale Leit- und Sicherungstechnik vorteilhaft, so dass auch die Züge der Potsdamer Stammbahn aufgenommen werden können.

Der südliche Innenring ist ein notwendiges eigenständiges Projekt, aber nicht nur ab Schö-neberg, sondern von Westkreuz bis Treptower Kreuz. Im Zusammenhang mit der Potsdamer Stammbahn ist es allerdings sinnvoll, wenn außer zum Nord-Süd-Tunnel auch Züge zum Fernbahnhof Südkreuz fahren, dafür die Schöneberger Südostkurve wiederaufgebaut wird und Südkreuz am Ring einen fernverkehrstauglichen Regionalbahnsteig erhält. Der zweiglei-sige Wiederaufbau mit Elektrifizierung von dort bis zum Treptower Kreuz ist kein Problem. An diesem sollte der Südring zunächst niveaugleich mit der Görlitzer Bahn zusammengeführt werden. Dies darf nicht zur Verzögerung der Potsdamer Stammbahn führen.

Kremmener Bahn / Prignitz-Express

Zwei Ziele werden mit der getroffenen Entscheidung erreicht:

  • Der überfällige 10-min-Takt der S-Bahn bis Hennigsdorf. Nutzen haben die Ortsteile im Bezirk Reinickendorf und die Stadt Hennigsdorf. Erst später soll die S-Bahn bis Velten verlängert und im 20-min-Takt bedient werden; ursprünglich wurde angekün-digt, diese Maßnahme vorzuziehen.
  • Neue S-Bahn-Stationen Borsigwalde und Hennigsdorf Nord.

Teilweise erreicht werden kann das Ziel

  • 30-min-Takt Regionalverkehr ab Neuruppin, aber nur bis Hennigsdorf, nicht bis Ber-lin.

Nicht erreicht werden die Ziele

  • Fahrzeitverkürzung von allen Stationen im Umland (von der Prignitz bis Velten) nach Berlin (Gesundbrunnen und Nord-Süd-Tunnel)
  • Umbau des Bahnhofs Tegel zum Verknüpfungspunkt mit den zahlreichen Buslinien und mit Regionalbahnhalt
  • Entlastung des nördlichen Außenrings und anderer Radialstrecken von umgeleitetem radialem Regionalverkehr.

So bleibt für die Pendler aus Neuruppin, Wittstock usw. alles beim Alten: entweder in Hen-nigsdorf in die S-Bahn umsteigen oder mit deutlich längerer Fahrzeit über Spandau in Ge-sundbrunnen oder (ab 12/2023) in Charlottenburg ankommen. Bei der stellenweise angedeu-teten Variante, ab Hennigsdorf über das Karower Kreuz nach Gesundbrunnen zu fahren, würde sich die Fahrzeit schon spürbar verringern, allerdings unter Inkaufnahme anderer Nachteile, die weiter unten aufgeführt sind.

Im Vergleich zu den sehr teuren Bauwerken in Kohlhasenbrück bei der Potsdamer Stamm-bahn ist es unverständlich, dass für eine niveaufreie Kreuzung mit der Gorkistraße in Tegel kein Geld vorhanden sei.

Der Bereich zwischen der U-Bahn-Station Alt-Tegel und dem S-Bahnhof Tegel stellt eines der örtlichen Zentren des Bezirks Reinickendorf dar. Für die 4 Buslinien mit 21 Fahrtenpaa-ren pro Stunde ist ein zukunftsgerechter fahrgastfreundlicher Verknüpfungspunkt S-Bahn / Regionalbahn / Bus mit kurzen Wegen zwischen den Bahnsteigen und den Haltestellen not-wendig. Dazu müssen die Bahnsteige der S-Bahn und der Regionalbahn ohnehin nach Nor-den verlegt werden. Außerdem sind Schrankenschließzeiten zu vermeiden.


Zu beachten sind folgende bauliche Zwangspunkte:

  • Östlich parallel zur Eisenbahn verläuft die Autobahn A 111 in der Ebene -1 im Tunnel. Eine niveaufreie Kreuzung zwischen Eisenbahn / Autobahn und Gorkistraße erfordert die Tieferlegung der Eisenbahn etwa in die Ebene -1. Für Rampen nördlich der Kreu-zung und südlich der Bahnsteige ist ausreichende Länge vorhanden.
  • Das nach Norden schmaler werdende Bahngelände und die vorhandene Bebauung südlich der Gorkistraße zwischen Buddestraße und Bahngelände erlauben die Anord-nung der Bahnsteige nur zwischen Gorkistraße mit neuen nördlichen Zugängen von dieser und dem heutigen Zugang, der dann der südliche wird.
  • Zwischen dem heutigen Bahnübergang und der Buddestraße stehen für Rampen nur etwa 20 bis 30 m zur Verfügung, so dass die Gorkistraße höchstens um einen Meter angehoben werden kann, um den Aushub für die Bahnanlagen zu verringern.

Ein Verkehrsknotenpunkt, der sich in das städtische Umfeld einpasst und eine gute Aufent-haltsqualität besitzt, muss folgende Bedingungen erfüllen:

  • Befreiung vom Kfz-Verkehr. Dieser kann über den etwa 600 m weiter nördlich verlau-fenden, gut ausgebauten Wilhelmsruher Damm, der die Eisenbahnstrecke und die Autobahn unterquert, sowie Ziekowstraße und Buddestraße geleitet werden. Dann genügen auf der Straßenüberführung zwei Busspuren mit Haltestellen und eine Über-holspur für beide Richtungen. Mit den obligatorischen Fuß- und Radwegen wird die Straßenüberführung breit genug sein können, gegebenenfalls mit Auskragungen.
  • Anordnung der Bushaltestellen direkt an den Zugängen zu den Bahnsteigen.

Falls der Umbau des Bahnhofs Tegel aus finanziellen Gründen tatsächlich zunächst zurück-gestellt wird, sollte der Korridor Kremmener Bahn stufenweise ausgebaut werden:


Stufe 1

  • Ausbau Schönholz – Hennigsdorf für 10-min-Takt S-Bahn und Hennigsdorf – Velten für 20-min-Takt S-Bahn
  • Aufbau der Nordostkurve am Kreuz Hennigsdorf (Bahnkörper und bauliche Vorleis-tungen sind vorhanden) für den Regionalverkehr, der dann mindestens im 60-min-Takt über das Karower Kreuz und Gesundbrunnen in den Nord-Süd-Tunnel geführt wird; Velten wird Umsteigestation zur S-Bahn.
  • Wiederherstellen des Bahnhofsvorplatzes Tegel westlich des Bahnsteigs mit Kon-zentration der Bushaltestellen und kurzem Umsteigeweg zur S-Bahn.
  • Führen der Buslinien vom Bahnübergang Gorkistraße über den Bahnhofsvorplatz (Buddeplatz) und Brunowstraße / Grußdorfstraße zur Berliner Straße, wie heute die Linie 133 (Heiligensee – Haselhorst).
  • Sperren des Bahnübergangs Gorkistraße für den Kfz-Verkehr; dieser wird über den Wilhelmsruher Damm geleitet.
  • Reduzieren des Busverkehrs über den Bahnübergang Gorkistraße durch Linienände-rungen. Zum Beispiel könnte die Linie 222 die Eisenbahnstrecke auf dem Wilhelms-ruher Damm unterqueren und in einer Schleife am Bahnhofsvorplatz Tegel vorbeifüh-ren. Die Linie 220 könnte die Ziekowallee bedienen und über den Wilhelmsruher Damm zur neuen Endhaltestelle am Bahnhof Tegel gelangen. Den Bahnübergang passieren dann nur noch die Linien 124 (Heiligensee – Tegel – Wittenau – Franzö-sisch Buchholz) und 125 (Frohnau – Hermsdorf – Tegel – Wedding).

Mit dem Wegfall der Wende in Hennigsdorf und dem etwas kürzeren Weg über das Karower Kreuz verkürzt sich die Fahrzeit um weitere etwa 10 Minuten. Allerdings besitzt diese Stufe folgende Nachteile:

  • Die Verkehrsaufkommenspunkte Hennigsdorf und Tegel werden nicht direkt erreicht.
  • Die Streckenkapazität des nördlichen Außenrings wird vor allem für den Güterverkehr gebraucht, und in zweiter Linie für den tangentialen Regionalverkehr (Potsdam – Golm – Hennigsdorf – Oranienburg). Radialverkehr sollte hingegen nicht über eine Tangente umgeleitet werden und dort Kapazität verbrauchen, sondern direkt radial ins Zentrum geführt werden, damit Radial- und Tangentialverkehr sich nicht behin-dern und Angebotsverdichtungen auf den anderen Radialstrecken (Hamburger, Stet-tiner und Nordbahn) nicht eingeschränkt werden.
  • Die niveaugleiche eingleisige Verbindungskurve am Karower Kreuz stellt einen Zwangspunkt für Fahrplankonstruktion und Betriebsführung dar.
  • Die Schrankenschließzeiten am niveaugleichen Bahnübergang Gorkistraße in Tegel verdoppeln sich, was für den verbleibenden Busverkehr nachteilig ist.

Deshalb kann die Stufe 1 nur eine zeitweilige Zwischenlösung sein.

Stufe 2

  • S-Bahn wie Stufe 1.
  • Ausbau Schönholz – Velten für 30-min-Takt Regionalverkehr direkt ins Berliner Zentrum.
  • Umbau des Bahnhofs Tegel zum fahrgastfreundlichen Verkehrsknotenpunkt Regio-nalbahn / S-Bahn / Bus mit niveaufreier Kreuzung der Gorkistraße.