Vorstellungen zum Güter- und Wirtschaftsverkehr in Berlin

IG Nahverkehr

Allgemeine Entwicklungstendenzen

Die offiziellen Prognosen des Bundes gehen von einem weiteren Anstieg des Güterverkehrs in Deutschland aus. DB Netz rechnet mit einem Anstieg der Güterverkehrs-Betriebsleistung (gemessen in Zugkilometern) um etwa 14% bis 2030. Die großzügigen Straßenausbaupläne der Bundesregierung lassen einen noch größeren Anstieg des Straßengüterverkehrs erwarten. Einen erheblichen Anteil des zunehmenden Güterverkehrs soll die Abfuhr von den Nordseehäfen haben. Äußerst umweltschädlich und überflüssig sind der Transport leicht verderblicher Waren als Luftfracht und die weltweiten Militärtransporte.

Dies alles beruht auf der Ideologie der Versorgung des reichen globalen Nordens mit Rohstoffen und Fertigprodukten, die im armen globalen Süden gefördert bzw. billig produziert und billig transportiert werden. Umgekehrt werden die »veredelten« Rohstoffe als Maschinen, Anlagen und Waffen aller Art dorthin zurück geliefert. Dabei wird verdrängt, dass eine derartige globale Arbeitsteilung nur zeitlich begrenzt funktionieren kann und die Interessengegensätze zwischen den Völkern und Staaten weiter verschärft.

Die Fehlentwicklungen des Güterverkehrs in Berlin sind schon in der Broschüre der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin »Verkehrswende ist machbar« im Dezember 1999 aufgezeigt worden: hohe Belastung der Umwelt und der Bewohner infolge des sinkenden Eisenbahngüterverkehrs und des sehr stark steigenden Straßengüterverkehrs. Die vorgeschlagenen Ansätze zur Lösung der Probleme haben aber weder der Senat noch die Verkehrsbetriebe weiterverfolgt. Das »Integrierte Wirtschaftsverkehrskonzept Berlin« des Senats von 2006 enthält einige wenige gute Zielstellungen, ist aber sehr straßenverkehrslastig. Von der Umsetzung eisenbahnfördernder Ansätze ist nichts zu spüren, im Gegenteil: Straßen werden aus- und neugebaut, die Eisenbahnentwicklung stagniert.

Zeichen der weltweit begonnenen Umwelt- und Klimakatastrophe sind rasant zunehmende Wasserknappheit, Nahrungsmittelmangel, Flächenmangel, Rohstoffmangel, Energiemangel, Überschwemmungen, Stürme, Dürren, Flächenbrände, Schadstoffzunahme, Müll und Gift zu Lande, in der Atmosphäre und im Meer. Die massenhafte Herstellung von Personen- und Lastkraftwagen und ihr massenhafter Verkehr haben daran einen erheblichen Anteil.

Trotz Kenntnis dieser bedrohlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte wird bis jetzt zu wenig für ihre Begrenzung unternommen, im Gegenteil: Es wird verstärkt so weitergemacht. Wenn wir wollten, könnten wir aber diese Entwicklung verlangsamen und abmildern. Dazu müssten wir unser Leben ohne Verschwendung, mit weniger Technik, langsamer, gesünder und naturnaher organisieren. Die Staaten müssten die Rahmenbedingungen dafür schaffen.

Maßnahmen zur Förderung oder Begrenzung der Umweltzerstörung wirken immer überörtlich. Deshalb ist es unerheblich, Welchen Anteil der Autoverkehr in Berlin an der Zunahme von Kohlendioxid, Feinstaub und anderen Schadstoffen hat. Jedes Land und jede Kommune muss in allen Einflussfeldern den größtmöglichen Beitrag leisten. Die verkehrspolitischen Aktivitäten müssen eng verzahnt werden mit der Steuerung der Industrie-, Konsumgüter- und Nahrungsmittelproduktion, der Handelsbeziehungen und der Stadt- und Siedlungsentwicklung.

Auch wenn es noch keine gesellschaftliche Mehrheit für ernsthafte Taten zum Erhalt der Bewohnbarkeit der Erde gibt und die Lebensgrundlagen unvermindert weiter zerstört werden, wird nachstehend aufgelistet, welchen verkehrspolitischen Beitrag Berlin und seine Umgebung leisten müssen, um das Tempo der Zerstörung abzubremsen und die Auswirkungen einzugrenzen.

Transportmengen und Transportentfernungen

Die Einfuhr von Gütern aus Übersee ist drastisch zu verringern, und zwar auf solche Produkte, die unbedingt gebraucht werden und nicht in benachbarten Bundesländern oder Staaten hergestellt werden können. Waren, die in Berlin oder unmittelbarer Umgebung produziert werden können, sind von dort zu beziehen und nicht von entfernteren Orten. Daraus ergibt sich eine geringere Sortimentsvielfalt, die dem notwendigen bescheideneren Lebensstil entspricht.

Produkte, die in Berlin und Umgebung hergestellt werden, sind möglichst in der Nähe abzusetzen und nur in unbedingt notwendiger Menge auf längere Reise zu schicken.

Überflüssige Produkte entfallen für den Transport, wenn sie gar nicht erst hergestellt werden.

Staatliche und internationale Rahmenbedingungen müssen Anreize schaffen, Erzeugtes vor Ort oder nach möglichst kurzem Transport zu verbrauchen. Vor allem müssen die Kosten für Lkw-Produktion und -Entsorgung, Flächenverbrauch, Straßenbau und -unterhaltung, Luftverunreinigung, Unfälle, Lärm- und Erschütterungsschäden in voller Höhe den Verursachern angelastet werden und nicht – wie bisher – der Allgemeinheit. Dann würden viele Gütertransporte für die Verursacher unwirtschaftlich werden und nicht mehr stattfinden.

Verkehrswege und Umschlagstellen

Was von der insgesamt drastisch zu verringernden Gütermenge auf dem Schienenweg transportiert werden kann, soll auch auf dem Schienenweg transportiert werden. Wenn Absender oder Empfänger auf dem Wasserweg erreichbar sind, können Schiffe eingesetzt werden. Dann bleibt erheblich weniger Güterverkehr für die Straße übrig als heute.

Wieder aufgebaut und neugebaut werden müssen Anschlussgleise und Umschlagstellen Schiene/Straße. Die Eisenbahnstrecken in Berlin und im Zulauf auf Berlin müssen soweit ausgebaut werden, dass die Anschlussgleise und Umschlagstellen bedient werden können, ohne den Schienenpersonenverkehr zu behindern.

Die Schiffsgrößen sind den Wasserstraßen, den häufig niedrigen Wasserständen und den Brückendurchfahrthöhen anzupassen. Die Wasserstraßen sind funktionsfähig zu erhalten, aber nicht zu erweitern. In diesem Sinne ist der Ausbau des Teltowkanals für Schiffe über 1000 t und für 180-m-Schubeinheiten zu verhindern.

Fern- und Durchgangsstraßen wie die Verlängerung der Autobahn A 100, die Straßen-TVO (Tangentialverbindung Ost) und die SOV (Südostverbindung) stellen einen Anreiz zur Nutzung im unerwünschten Straßengüterverkehr dar und sind abzulehnen.

Durchgangsgüterverkehr in Berlin

Als sich Berlin im 19. und 20. Jahrhundert immer weiter ausdehnte, erhielt die Eisenbahn weiträumige Umfahrungsstrecken für den Militärverkehr und für langlaufenden Güterverkehr. Später kam der Berliner Außenring (BAR) für Güter- und Personenverkehr dazu. Im Osten verläuft dieser zwischen Schönfließ und Schönefeld durch Berliner Bezirke. Infolge fortschreitender Bebauung führt er mittlerweile durch dicht besiedeltes Gebiet. Lärm und Emissionen schädigen hier besonders viele Menschen. Berücksichtigt werden muss, dass Eisenbahnlärm – anders als Straßenverkehrslärm - in der Bevölkerung immer mehr auf Unverständnis und Ablehnung stößt.

Soweit langlaufender Güterverkehr Richtung Polen und Tschechien künftig noch erforderlich ist, sind dafür vorhandene weiträumige Umfahrungsstrecken zu nutzen und – falls noch nicht geschehen – zu elektrifizieren oder neue zu bauen. Der östliche BAR und die daran anschließenden Strecken sind infolge ihrer Stadtlage typische Nahverkehrsstrecken und vom Güterverkehr zu entlasten.

Der Innenring und die Radialstrecken zwischen Innen- und Außenring sollen nur dem Erreichen der Anschlussgleise und Güterumschlagstellen dienen, nicht dem Durchgangsgüterverkehr. Das Trassenpreissystem der DB darf keine kontraproduktiven Anreize zur Nutzung kürzerer Wege durch die Innenstadt bieten.

Soweit Durchgangsgüterverkehr auf der Straße überhaupt notwendig ist, gibt es dafür den Berliner Autobahnring A 10. Straßen und Autobahnen innerhalb des äußeren Autobahnrings sind aus Umweltgründen für Lkw, die nicht Berlin als Start- oder Zielpunkt haben, zu sperren.

Ortsgüterverkehr

Wo Anschlussgleise vorhanden sind oder waren, sind diese zu erhalten bzw. wieder nutzbar zu machen. Absender und Empfänger, die an Eisenbahnstrecken liegen, sollen Anschlussgleise erhalten. Neues Gewerbe ist vorrangig an Anschlussgleisen anzusiedeln. Zu Gewerbegebieten abseits von Eisenbahnstrecken sind Anschlussbahnen neu aufzubauen. Zum Einrichten und Nutzen von Gleisanschlüssen hat der Bund finanzielle Anreize zu schaffen.

In Berlin gibt es nur noch wenige Flächen ehemaliger Rangier- oder Ortsgüterbahnhöfe, auf denen der lokale Güterumschlag zwischen Schiene und Straße organisiert werden kann: Pankow, Hohenschönhausen (Berlin-Nordost), Greifswalder Straße, Wuhlheide, Rummelsburg, Schöneweide, Treptow, Neukölln, Tempelhof, Marienfelde, Lichterfelde West, Wilmersdorf, Grunewald, Ruhleben, Moabit, Reinickendorf und Schönholz. Zunächst müssen die Flächen freigehalten werden und dann Umschlagstellen gebaut werden. Jeder Umschlagstelle ist ein entsprechendes straßenseitiges Einzugsgebiet zuzuordnen. Die Güterverkehrszentren Wustermark, Großbeeren und Freienbrink sollen mit gleichem Zweck für angrenzende Berliner Randbezirke zuständig sein.

Container und Wechselaufbauten sind im Hauptlauf zu und von den Umschlagstellen mit der Eisenbahn zu fahren, ohne Kran auf Lkw umzuladen, also mit Umladevorrichtungen, die am Lkw angebracht sind. Nur Vor- und Nachlauf vom Absender bzw. zum Empfänger sollen auf der Straße stattfinden.

Benötigt werden an jeder dieser Umschlagstellen drei Gleise, möglichst je 800 m lang, und zwar außen zwei Ladegleise und in der Mitte ein Umfahrgleis, sowie ein Zuführungs- und Ausziehgleis mit entsprechenden Weichen. Außerdem werden zwei Ladestraßen mit je einer Ladespur und einer Überholspur sowie ein Abstellplatz für Straßenfahrzeuge gebraucht.

Zum Umstellen der Wagen mit Containern und Wechselaufbauten und der Einzelwagen aus Anschlussbahnen sind Zugbildungsanlagen außerhalb Berlins zu nutzen, derzeit Seddin und Wustermark, und im Osten ein neuer zu errichten, z. B. in Fredersdorf. Das ist länderübergreifend zu planen.

Der Lkw-Verkehr mit Start oder Ziel Berlin ohne Eisenbahnhauptlauf ist zu reduzieren, indem an der Stadtgrenze bei jeder Einfahrt und Ausfahrt eine mindestens kostendeckende Maut erhoben wird. Kleinere Transporteinheiten sind wegen des geringeren Flächenbedarfs und geringerer Umweltbelastung zu begünstigen.

Der Westhafen ist verstärkt zum Containerumschlag Schiff / Eisenbahn und Schiff / Straße zu nutzen. An den zahlreichen Berliner Wasserstraßen, besonders am Teltowkanal, sind Ladestellen (Anlegestellen) einzurichten oder zu reaktivieren, ohne allerdings öffentliche Uferwege zu beeinträchtigen.

Einige Umschlagstellen lassen sich gut für den Umschlag Eisenbahn / Straßenbahn einrichten, z.B. Pankow, Rummelsburg und Schöneweide, nach Erweiterung des Straßenbahnnetzes auch Moabit und Lichterfelde West. Der Straßenbahngütertransport sollte vorwiegend nachts und in Schwachverkehrszeiten stattfinden.

Innerstädtischer Güterverkehr

Wenn Absender und Empfänger in Berlin ansässig sind, ist der Güterverkehr vorrangig über Anschlussbahnen, Straßenbahn oder Schiff zu organisieren. Dafür sind finanzielle Anreize zu schaffen. Für Lkw-Direktverkehr ist kostendeckende Maut zu erheben.

Verteilen und Sammeln der Sendungen

Im öffentlichen Straßenraum sind Lastkraftwagen, Wechselaufbauten und Container so zu be- und entladen, dass Fußwege, Radwege, Hauseingänge, Straßenbahngleise und Busspuren nicht versperrt werden. Die Stadtverwaltung hat entsprechende Ordnungsvorschriften zu erlassen und zu kontrollieren.

Besonders in der Innenstadt, in Ortsteilzentren und Fußgängerzonen sind elektrische Kleintransporter und Elektrokarren einzusetzen.

Sofern der Inhalt eines Güterwagens, Containers, Wechselaufbaus oder Lastkraftwagens für mehrere örtlich getrennte Empfänger bestimmt ist oder von mehreren örtlich getrennten Absendern stammt, sollen die Einzelsendungen über Verteilknoten gesammelt und verteilt werden. Als Verteilknoten eignen sich ehemalige Autoabstellhäuser - sogenannte »Parkhäuser«–, die wegen des zurückgehenden Autoverkehrs nicht mehr gebraucht werden, Häfen und Anlegestellen an den Wasserstraßen, dezentrale Abstellplätze in Gewerbegebieten und an Handelseinrichtungen.

Von den Verteilknoten aus sollen die Kleinsendungen mit zwei- oder dreirädrigen Lastenfahrrädern, die elektrisch oder mechanisch angetrieben werden, weiterverteilt und dort gesammelt werden. Eine andere Variante sind Lastkraftwagen mit wechselnden Standorten, an denen auf Lastenfahrräder umgeladen wird; die Lastenfahrräder folgen nach ihrer Verteiltour dem Lkw zum nächsten Standort. Solche und ähnliche raumsparende und wenig umweltbelastende Verteil- und Sammelketten sind zu fördern.

Paketstationen, die dem personallosen Versand und Empfang von Paketen durch die Bürger dienen, müssen von den Wohnungen fußläufig erreichbar, öffentlich und firmenneutral sein.