Zur U-Bahn-Verlängerung ab Warschauer Straße

IG Nahverkehr

Ausgangssituation

Die U-Bahn-Linie U1 (vom Wittenbergplatz durch Kreuzberg) endet oberirdisch in der Nähe des S-Bahnhofs Warschauer Straße. Der schmale Umsteigeweg zur S-Bahn ist derzeit baubedingt etwa 300 Meter lang, nach Abschluss der Bauarbeiten etwa 200 Meter. Der Fußweg zu den Wohnvierteln nördlich der S-Bahn ist um diesen Weganteil weiter.

Schon seit Inbetriebnahme der Linie 1902 besteht die Absicht, die U-Bahn mindestens zum Frankfurter Tor zu verlängern. Der Straßenzug Warschauer Straße – Petersburger Straße - Danziger Straße wurde deshalb entsprechend breit angelegt. Auch die Planungen von 1947 sahen diese Verlängerung vor, um die Lücke zur U-Bahn-Linie E, heute U5 (Alexanderplatz – Lichtenberg – Hellersdorf – Hönow), zu schließen. Dieses Ziel ist auch im »Leitbild Mobilität in Berlin« der IG Nahverkehr formuliert, allerdings mit geringer Dringlichkeit.

Neuerdings wird die Idee verfolgt, die U1 oberirdisch auf DB-Gelände um etwa 1,4 km zum Ostkreuz mit einer Zwischenstation an der Modersohnbrücke zu verlängern. Diese Variante wird – abweichend von der Zuständigkeit des Senats – bei der BVG geplant. Im laufenden DB-Bauvorhaben Ostkreuz, das sich bis zum Ostbahnhof erstreckt, ist sie nicht berücksichtigt. Im Rahmen dieses Bauvorhabens wird ein neues S-Bahn-Empfangsgebäude seitlich der Warschauer Brücke über den S-Bahnsteigen errichtet, das der geradlinigen Weiterführung der U-Bahn im Wege ist. Für einen direkten Fußweg von der heutigen U-Bahn-Station zur S-Bahn werden Vorsorgemaßnahmen getroffen; den Bau hat der Senat jedoch noch nicht veranlasst.

Die IG Nahverkehr beantragte auf dem Landesparteitag am 30. Mai 2015, für den Abbruch der Planungen zum Ostkreuz einzutreten, weil diese personelle und finanzielle Ressourcen binden, die dringender und sinnvoller für die Erweiterung des Straßenbahnnetzes gebraucht werden. Auf Antrag des Kreisverbandes Friedrichshain-Kreuzberg wurde dies abgelehnt mit der Begründung, es sei nicht notwendig, jetzt darüber zu entscheiden, die U-Bahn-Verlängerung nach Ostkreuz hätte auch Vorteile und darüber solle nachgedacht werden.

Verkehrsströme

Die U1 nimmt am Bahnhof Warschauer Straße folgende Verkehrsströme auf, die hier nach ihrer eingeschätzten Bedeutung geordnet sind, die wir aber nicht quantifizieren können:

  • Von/zur S-Bahn Richtung Ostbahnhof – Alexanderplatz – Friedrichstraße
  • Von/zur S-Bahn Richtung Ostkreuz und darüber hinaus zu den Radial- und Ringlinien
  • Von/zur Straßenbahn M10 Richtung Frankfurter Tor und darüber hinaus nach Prenzlauer Berg
  • Von/zur Straßenbahn M13 Richtung Boxhagen – Lichtenberg – Weißensee
  • Quell- und Zielverkehr der Wohngebiete und des Szenekneipen- und Kulturviertels nördlich der S-Bahn
  • Quell- und Zielverkehr der Wohngebiete und der Mehrzweckhalle südlich der S-Bahn
  • Von/zur Buslinie 347 Richtung Stralau und Feinverteilung in Friedrichshain.

Für die Umsteiger zur S-Bahn sowie den Quell- und Zielverkehr nördlich der S-Bahn stellt der lange Umsteigeweg über den schmalen seitlichen Gehweg der Warschauer Straße, der außerdem mangels angemessener Radwege von Radfahrern in beiden Richtungen genutzt wird, einen erheblichen Nachteil dar.

Ziel: Verknüpfung und Feinerschließung verbessern

Erstens ist dringend erforderlich, die Umsteigewege zwischen S-Bahn, U-Bahn und Straßenbahn zu verkürzen, zu verbreitern und behinderungsfrei zu gestalten. Als Verknüpfungsstation ist ein Turmbahnhof mit U-Bahn und Straßenbahn in der oberen Ebene und der S-Bahn in der unteren Ebene erforderlich.

  • Dieser muss kurze Fußwege zwischen den Verkehrsmitteln und zur Umgebung bieten.
  • Wir fordern vom Senat, in das Bauvorhaben der Deutschen Bahn unverzüglich Vorsorgemaßnahmen einzubringen, wie am Ostkreuz für die A100, und konkrete Planungen aufzunehmen.
  • Die Straßenbahnhaltestelle soll in östlicher Seitenlage direkt auf der Warschauer Brücke das Wenden aller Straßenbahnlinien ermöglichen, so dass keine mehr die Wendeschleife Revaler Straße befahren muss. Die Verlängerung über die Oberbaumbrücke zum Hermannplatz ist zu berücksichtigen.
  • Die spätere Verlängerung der U-Bahn zum Frankfurter Tor (Verschwenken und Steigen auf den Mittelstreifen) muss möglich sein.

Zweitens ist die Feinerschließung der Wohngebiete und des Szenekneipen- und Kulturviertels zu verbessern.

  • Im Rahmen des notwendigen Straßenbahnbaus zum Herrmannplatz muss nicht nur die M10, sondern auch die M13 zum Herrmannplatz verlängert werden, damit Direktverkehr von Kreuzberg und Nord-Neukölln nach Boxhagen und Lichtenberg möglich wird.
  • Bei der Straßenbahnverlegung am Ostkreuz muss eine direkte Gleisverbindung von der Wühlischstraße zur Sonntagstraße geschaffen werden, damit auch eine Linienführung durch die Wühlischstraße zu den beiden S-Bahn-Stationen Warschauer Straße und Ostkreuz möglich wird. Damit wird eine Absicht der U-Bahn-Verlängerung über Modersohnbrücke zum Ostkreuz einfacher und gründlicher erreicht.

Bewertung der Idee U-Bahn nach Ostkreuz

Das Ziel der besseren Verknüpfung wird im Falle der U-Bahn-Verlängerung nach Ostkreuz nicht erreicht, das Ziel der besseren Feinerschließung nur unzureichend und mit deutlich höherem Aufwand.

Eine wissenschaftlich fundierte Analyse und Prognose der Verkehrsströme fehlt.

Der U-Bahnsteig Warschauer Straße müsste entweder etwa in heutiger Lage verbleiben und vom Kopfbahnsteig zum Durchgangsbahnsteig umgestaltet werden. Dann würde sich die Umsteigesituation zur S-Bahn und zur Straßenbahn sogar noch verschlechtern, weil der Weg nicht verkürzt wird und die Fahrgäste zusätzlich das Gleis Ostkreuz – Schlesisches Tor unterqueren oder überqueren müssten. Statt heute einem Etagenwechsel zur S-Bahn wären also drei notwendig, zur Straßenbahn zwei statt des ebenerdigen Zugangs. Davon wäre der starke Umsteigerstrom Richtung Alexanderplatz betroffen.

Oder der U-Bahnsteig würde in der Kurve am östlichen Ende der S-Bahnsteige angeordnet. Dann bliebe es bei einem Etagenwechsel zur S-Bahn. Zur Straßenbahn wäre aber ein erheblich längerer Umsteigeweg mit zwei Etagenwechseln erforderlich. Ein oder mehrere Stützpfeiler für die U-Bahn-Kurve mit erneutem Eingriff in das dann fertige DB-Projekt wären erforderlich.

Die Verknüpfung mit der U5 am Frankfurter Tor wäre nicht mehr möglich.

Der Zwischenhalt Modersohnbrücke brächte für den Quell- und Zielverkehr der umliegenden Wohngebiete, Kneipen und Kulturstätten zwar mehr Direktfahrmöglichkeiten, aber weniger als mit der Straßenbahn.

Ein Vorteil bestünde in der Umsteigemöglichkeit zur Ring-S-Bahn am Ostkreuz, allerdings nach den derzeitigen Vorstellungen mit zwei Etagenwechseln, weil der U-Bahnsteig als Kopfbahnsteig an der westlichen Fußgängerüberführung angeordnet werden soll. Der südöstliche Teil des S-Bahn-Rings ist aber vom Einzugsgebiet der U1 schon heute mit der U6, U7 und U8 sowie mit mehreren Buslinien mit einmaligem Umstieg erreichbar. In Ostkreuz nicht erreichbar ist die S-Bahn Richtung Schöneweide – Königs Wusterhausen / Schönefeld; hier bliebe nur der unattraktive Umstieg in Warschauer Straße.

Die künftige Umsteigemöglichkeit zu den Regionalbahnlinien am Ostkreuz wäre zweifellos ein Vorteil, wobei die Umsteigerzahlen wahrscheinlich nicht die Größe der Umsteiger zu den S-Bahn-Linien erreichen.

Die Befürworter argumentieren auch mit den vollen S-Bahn-Zügen, die entlastet werden müssten. Aber erstens könnte die Platzkapazität der S-Bahn mit einem dichteren Takt und ausschließlich 8-Wagen-Zügen noch deutlich gesteigert werden. Zweitens sind die Züge ab Warschauer Straße stadteinwärts mindestens genauso stark besetzt wie zwischen Warschauer Straße und Ostkreuz.

Weiterhin argumentieren die Befürworter, die verlängerte U1 böte bei Störungen auf der Stadtbahn eine Umfahrungsmöglichkeit. Dem ist entgegenzuhalten: Die Umfahrungsmöglichkeit besteht auch ab Warschauer Straße. Die U1 erschließt ein ganz anderes Einzugsgebiet als die Stadtbahn. Mit dem S-Bahn-Ring und der U5 gibt es weitere Umfahrungsmöglichkeiten. Die Stadtbahn besteht aus zwei S-Bahngleisen und zwei Regionalbahngleisen, auf die die Fahrgäste bei Störungen wechselseitig ausweichen können.

Der Parallelverkehr zwischen Warschauer Straße und Ostkreuz wäre für die Verkehrsabwicklung kein Nachteil, zeigt aber angesichts des großen Nachholbedarfs an Bahninfrastruktur, wie nachrangig ein solches Projekt wäre.

Ob die gesetzlich geforderte Nutzen-Kosten-Untersuchung positiv ausgeht, ist unsicher.

Die verkehrliche Wirkung der Strecke ist vermutlich nur gering positiv. Ihre Planung bindet aber im Moment bei der BVG, später auch beim Senat und bei der DB Personal und Planungskosten, die den wichtigen Planungen von Straßenbahn- und Eisenbahnstrecken entzogen werden.

Die Baumaßnahmen sind nicht so einfach, wie sie dargestellt werden: erstens neue Zu- und Abgänge am U-Bahnsteig Warschauer Straße, zweitens die Überquerung der Fern- und S-Bahn-Gleise, drittens die Querung der Modersohnstraße mit Bahnsteigzugängen, viertens die nochmalige Überquerung der nördlichen Gleise und fünftens der U-Bahnsteig Ostkreuz oberhalb der unteren S-Bahn-Gleise.

Mit 200 bis 300 Mio € Baukosten muss gerechnet werden. Wenn diese bei der unsicheren Finanzierungslage überhaupt aufgebracht werden, dann erst nach Abschluss der Bauarbeiten an der U5-Verlängerung ab Mitte der 2020er Jahre. Für dieses Geld könnten 20 bis 30 km Straßenbahn gebaut werden.

Sollte eine Verkehrsprognose und eine Nutzen-Kosten-Untersuchung ergeben, dass das Projekt sinnvoll und vielleicht sogar sinnvoller als die Verlängerung der U1 zum Frankfurter Tor ist, so ist es zumindest nicht dringlich, weil die parallele S-Bahn-Strecke besteht. Mehrere Hundert Kilometer Straßenbahnneubau sind wesentlich dringlicher, weil damit der Busverkehr ersetzt wird, der trotz umfangreicher Bemühungen weiterhin umweltschädlicher bleibt.

Schlussfolgerungen

Die derzeitigen Aktivitäten bei der BVG zum U-Bahn-Bau Warschauer Straße – Ostkreuz müssen wegen der fehlenden fundierten Verkehrsprognose und der ohnehin nicht gesicherten Finanzierung als blinder Aktionismus eingestuft werden. Sie haben wenig Aussicht auf Realisierung. Sie lenken aber ab von der umwelt- und verkehrspolitisch wichtigen Aufgabe des Straßenbahnausbaus und binden unnötig Personal und Planungskosten.

Deshalb sollte DIE LINKE diese Aktivitäten nicht unterstützen und keine Zeit für Diskussionen um den U-Bahn-Bau vergeuden, sondern auf die Einstellung der Planungen hinarbeiten.