Kommentar: Eine digitalisierte Gesellschaft braucht das bedingungslose Grundeinkommen

BGE-Vorstöße aus Wirtschaftskreisen (wie jüngst vom SAP-Vorstandsmitglied Bernd Leukert) sind nichts ungewöhnliches, da es unter anderem zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes führen wird und jede Menge Bürokratie und Kosten abbaut. Vielleicht geht es auch um Ängste der Unternehmen, von der „Industrie 4.0“ überrollt zu werden, dem entstehenden neuen Konkurrenzdruck nicht gewachsen zu sein (nach dem Motto „soll der Staat da mal einen Teil des Gehalts zahlen…“). Ein linkes Projekt wird das BGE erst dann, wenn es eine Höhe von – gemessen an aktuellen Verhältnissen – 1050 € hat und im Wesentlichen von der Oberschicht finanziert wird (Modelle dafür wurden von der BAG Grundeinkommen DIE LINKE. ausgearbeitet). Ich glaube nicht, dass eine derartige Finanzierung die Intension etwa des SAP-Vorstands ist. Jedenfalls läge dies nicht in deren Interesse. Links betrachtet wollen wir das BGE als Anstoß einer gewaltigen Umverteilung nutzen.

Die heikle Frage, die unsere Partei auf dem Weg zum BGE hemmt: Ist DIE LINKE bereit, die Lohnarbeit mit all ihren Sicherungsmechanismen über Bord zu werfen, wenn doch das Risiko besteht, dass das BGE neoliberal unterhöhlt wird? Wenn man die Einführung des BGE an die oben genannten linken Bedingungen knüpft (nur dann wollen wir es), wäre diese Sorge überflüssig! Der eigentliche Haken, der auf der Veranstaltung am 18. Januar 2016 in Berlin  zur Sprache kam, ist das „Problem“ der Gewerkschaften. Egal wie richtig das BGE wäre, sie würden sich aufgrund ihres Bedeutungsverlusts stets dagegen sträuben. Entbürokratisierung bedeutet dann eben ironischerweise auch, dass Gewerkschaften in dem Umfang wie heute, nicht mehr relevant wären. Eine für manchen Linken schwer verdauliche Botschaft. Doch die Gemengelage ist eindeutig: 2/3 der LINKE-Mitglieder wären für das BGE, und unter den LINKE-Wählern sind es sogar 80%. Das sagt viel über das Potential aus, das man als Partei entfalten könnte, würde man sich da endlich mal einigen können. Es wäre auch ein Lichtstrahl für all jene, die zwar linke Sympathien haben, in der LINKEN aber immer noch eine Partei sehen, die einen bürokratischen Staatsapparat anstrebt, der alles kaputtreguliert. Ich zumindest kenne da einige von diesem Schlag.

Bei der Veranstaltung am 18. Januar wollte ich noch zwei Punkte als Fragen stellen, hatte leider keine Gelegenheit mehr dazu:

  1. Wenn die Sorge vor Bedeutungsverlust der Gewerkschaften der Hauptgrund ist, warum DIE LINKE nicht offensiv auf das BGE zugehen kann, sollte man das Hauptaugenmerkt darauf legen, wie man Gewerkschaftler in ein BGE-System integrieren könnte – mit neuen Aufgaben. Eine Weiterentwicklung des Gewerkschafts-Gedankens. Auch in einem BGE-System wird es genug zu „erkämpfen“ geben, da muss es doch einen Weg geben! Man könnte das Augenmerkt z.B. stärker auf die Ausgabenseite legen: „Wofür braucht ein Mensch 1050 €?“ 600 € für die Miete vielleicht? Dann wäre das ein Arbeitskampf-Fokus, preiswerter Wohnraum (nur mal so als Idee…). Also, eine Erweiterung der Gewerkschaften als Vertreter nunmehr aller BGE-Bezieher.
  2. Die Digitalisierung – und die damit verbundene Veränderungen der Arbeitswelt – ist eine Entwicklung, für die es – außer dem BGE – keinen linken Plan B gibt. Das muss man den Kritikern versuchen klarzumachen. Abertausende Stellen klassischer Lohnarbeit werden durch Automatisierungsprozesse ersetzt werden, und die neue Arbeit die für Menschen entsteht, wird (und sollte) einen anderen Charakter haben. Die Maschinen ersetzen unsere Arbeit, damit wir Zeit für etwas anderes, schöneres oder besseres haben. So sollte es doch sein! Immer seltener geht jemand 7 Uhr zur Arbeit bei einem bestimmten Arbeitgeber nach Tarifvertrag XY und macht 16 Uhr Feierabend. Diesen Job erledigen immer öfter die Maschinen (egal wie sehr man an „Industrie 4.0“ glaubt, tendenziell geht‘s ohne Zweifel weiter in diese Richtung). Keiner weiß so genau, wie es mit der neu entstehenden Arbeit werden wird. Wenn ich an Rentner und Hartz-IV-Empfänger denke, die trotz ihrer prekären Lage noch den Enthusiasmus haben, politisch hochaktiv zu sein, freakige Sachen programmieren, Klamotten entwerfen, oder etwa von früh bis abends in Wikipedia schreiben und recherchieren… dann bekommt man doch eine ungefähre Ahnung davon, was es mit der „neuen“ Arbeit auf sich hat. Arbeit, für die es oft nur sehr wenig oder unreguliert Lohn gibt, die im seltensten Fall in einen Arbeitsvertrag zu fassen ist. Und bei der es auch gar nicht wünschenswert ist, all das in bürokratische Formen zu pressen. Damit geht doch sofort die Selbstbestimmtheit des Arbeitenden verloren! Zwischen Lohnarbeitern und Arbeitslosen unterscheiden… wozu? Das ist doch vielmehr eine Steilvorlage für Diskriminierung angeblich Nichtarbeitender, Sozialschmarotzer… Ich habe wirklich keine Idee, wie man mit dem klassischen Bild der Lohnarbeit hier linke Projekte verwirklichen will. Und selbst wenn es nicht links ist, wird man damit nicht mehr weit kommen. Oder hat irgendjemand eine Intension wie ein Plan B zum BGE da aussehen könnte?

Eben wegen des zweiten Punkts, ist es auch ein netzpolitisches Anliegen, sich mit der Frage des BGE intensiv zu befassen. Ich hoffe auf einen aktiven Diskussionsprozess innerhalb der BAG Netzpolitik, wir brauchen ein Statement an die Gesamtpartei und nach außen. Sei es ein Kompromiss oder ein klares Bekenntnis – alles ist besser als das bisherige Beiseiteschieben dieses wichtigen Themas!

Max Blum
Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Netzpolitik DIE LINKE. Berlin