Brief zum Entschließungsantrag

»Antimuslimischem Rassismus und Diskriminierung von Musliminnen und Muslimen in Deutschland entgegentreten«

Der folgende Brief wurde an die Mitglieder der Linksfraktion im Bundestag gesendet

Liebe Mitglieder unserer Bundestagsfraktion,

aus Medienberichten haben wir erfahren, dass in euren Gremien derzeit ein Entschließungsantrag »Antimuslimischem Rassismus und Diskriminierung von Musliminnen und Muslimen in Deutschland entgegentreten« diskutiert (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/islamismus-linke-streiten-ueber-antimuslimischen-rassismus-a-d0784978-80a6-4992-972e-7c205cfd95e7) und eine Einbringung in die Plenardebatte angestrebt wird.

Wir halten diese Initiative in der aktuellen Situation für einen gravierenden Fehler. Sie fügt sich leider verschärfend ins Bild eines bis zum Anschlag in Wien insgesamt äußerst diskreten Umgangs des Großteils unseres Spitzenpersonals mit dem Erstarken des Islamismus als Ideologie und mit den jüngsten grauenhaften islamistischen Terroranschlägen ein. Wenn die Fraktion DIE LINKE erst einmal Wochen für eine schmallippige protokollartige Pressemitteilung zum islamistischen Terror braucht, nur um postwendend einen mehrseitigen Antrag einzubringen, in dem davon offenbar nur am Rande die Rede ist, während hauptsächlich Argumentationen und Interessen konservativer und politischer Islamvertreter eingewoben werden – welches Signal sendet sie damit in die Öffentlichkeit aus? Aus unserer Sicht als Säkulare Linke würde ein solcher Antrag aus mehreren Gründen eine Fehlorientierung setzen bzw. bereits vorhandene Tendenzen verschlimmern.

Dies fängt bereits beim titelgebenden Leitbegriff an. Selbstverständlich findet täglich auch in Deutschland Diskriminierung von Musliminnen und Muslimen statt. Dies muss beim Namen genannt und entschlossen bekämpft werden. Aber der Begriff »antimuslimischer Rassismus« ist keine geeignete Bezeichnung dafür und das dahinterstehende Konzept verfehlt.

Gewiss mag gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gegenüber Musliminnen und Muslimen bei einigen Protagonisten auch biologistische Ressentiments beinhalten. Doch das ist nicht der springende Punkt. Im Wesentlichen liegt der Muslimfeindlichkeit ein kulturalistisches und ahistorisches Verständnis von Religion zugrunde, das soziale Lebenswirklichkeiten ausblendet, das nicht unterscheidet zwischen dem muslimischen Glauben und dem politischen Islam. Hinsichtlich eines solchen kultur-identitären Weltbildes gibt es durchaus Ähnlichkeiten zwischen konservativen und rechten Muslimfeinden einerseits sowie Vertretern eines konservativen und politischen Islam andererseits. Eine fortschrittliche Kritik an solchen Anschauungen lässt sich nicht sinnvoll vom Standpunkt eines Antirassismus führen, da stößt sie ins Leere. Eher ist hier ein Bezug auf Marx angebracht: Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein.

Durch die unreflektierte Verwendung des Begriffs »antimuslimischer Rassismus« wird auch legitime und notwendige Kritik an menschenrechtswidrigen und antiaufklärerischen religiösen Inhalten und kulturellen Praktiken – früher eine der Stärken und Charakteristika der sozialistischen Bewegung – einem Generalverdacht ausgesetzt, ja in die Nähe von rassistischem Hass gerückt und diffamiert. Es stellt ein »Framing« dar, das letztlich gegen Kritik abschirmt und den reaktionären Islamverbänden und dem politischen Islam als Deckmantel und Allzweckwaffe zur Immunisierung überaus willkommen ist. Als LINKE sollten wir dem nicht auch noch zuarbeiten, sondern kritisch und differenziert bleiben. Dort, wo Musliminnen und Muslime aufgrund ihres (echten oder vermeintlichen) Muslimseins Diskriminierungen oder gar Angriffe erleiden müssen, müssen wir uns auf ihre Seite stellen. Hier muss man sich jedoch um begriffliche Korrektheit bemühen und von Muslimfeindlichkeit sprechen. Wir bitten euch eindringlich, diese Bezeichnung in eure offizielle Kommunikation zu übernehmen.

Zur Problematik des Begriffs »antimuslimischer Rassismus« möchten wir euch noch auf zwei Beiträge hinweisen: ein Statement säkularer und humanistischer Akteure aus der Berliner Politik und Gesellschaft zur Einrichtung einer Registerstelle in Berlin mit diesem Namen: https://humanistisch.de/x/hvd-bb/meldungen/2020066362 sowie zum Konzeptionellen dieser theoretische Text des humanistischen Politologen Armin Pfahl-Traughber: https://hpd.de/artikel/antimuslimischer-rassismus-analytische-kategorie-oder-polemisches-schlagwort-16906

Ohne Kenntnis des Originalantragstextes ist eine Kritik einzelner Formulierungen und konkreter Forderungen weder möglich noch zielführend. Aus dem, was durch die Presse öffentlich geworden ist, möchten wir allerdings auf einen speziellen Punkt eingehen, der besonders schwere Irritationen bei uns ausgelöst hat. In eurem Antrag fordert ihr den Bundestag auf, Verbote von religiös motivierter Bekleidung abzulehnen. Ihr greift damit eine in der Partei und der gesellschaftlichen Linken hochumstrittene und sensible Thematik auf. Sie ist sehr vielschichtig, hat staats-, gesellschafts-, rechts-, religions-, frauen-, bildungs- und kulturpolitische Dimensionen und verlangt eine gründliche Analyse, Bewertung und Abwägung verschiedener Prinzipien, Rechtsgüter und Zielvorstellungen. Ausgehend vom Berliner Neutralitätsgesetz beschäftigen wir uns als Berliner Landespartei bereits seit mehreren Jahren intensiv damit, machen Veranstaltungen, tauschen Argumente auf Parteitagen aus, führen kontroverse Debatten in Bezirks- und Ortsverbänden – und haben bisher aus guten Gründen noch zu keiner abschließenden Positionierung gefunden. Und nun wollt ihr als Fraktion »von oben« mit einem Federstrich ohne größere Diskussion eine Entscheidung in dieser Frage treffen. Damit übergeht ihr leichtfertig die jahrelangen, oft auch emotional sehr aufreibenden Anstrengungen vieler Genossinnen und Genossen in Berlin und anderswo, zu einer wirklich qualifizierten und für alle tragfähigen finalen Position zu gelangen. Wir appellieren an euch, davon Abstand zu nehmen.

Grundsätzlich bitten wir euch, in Zukunft davon abzusehen, durch die pauschale Untermischung religionspolitischer Fragen unter das Thema Antirassismus und Antidiskriminierung Tatsachen und Vorfestlegungen in heiklen und komplexen Angelegenheiten zu schaffen. Eine solche Vorgehensweise ist weder sachlich angemessen noch vom Erfurter Grundsatzprogramm gedeckt. Sie ist tendenziell entmündigend und widerspricht unseren Prinzipien als Partei des demokratischen Sozialismus, die politische Meinungs- und Willensbildung von unten nach oben zu gestalten und dabei auf die fachliche Arbeit und Kompetenzen an und von der Basis zu bauen, sie zu würdigen und zu berücksichtigen.

Abschließend möchten wir euch daran erinnern, dass DIE LINKE stets fest und offensiv für Meinungs-, Rede-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit, für Säkularität, Pluralität und die Ideale der Aufklärung stehen muss. Der Kampf gegen Rechts muss für uns auch den Kampf gegen den politischen Islam beinhalten. Überall, wo frauenverachtende, homophobe oder antisemitische Einstellungen artikuliert und Praktiken ausgeübt werden, überall dort, wo eine Abwertung von »Ungläubigen« stattfindet, überall dort, wo es Bestrebungen gibt, den eigenen Glauben oder Traditionen mit Zwang und Gewalt durchzusetzen oder die Staats- und Gesellschaftsordnung nach religiösen Vorschriften umzugestalten, müssen wir entschieden und laut unsere Ablehnung zeigen, ohne Ansehen von Herkunft, Hautfarbe, Alter oder Geschlecht, ohne falsche (und zutiefst paternalistische) Nachsicht für bestimmte Glaubensrichtungen oder kulturelle Traditionen. Nur ein solcher emanzipatorischer Kampf gegen Rechts kann konsequent und glaubwürdig sein. Wir erwarten von euch, die parlamentarische Arbeit an diesen Prinzipien auszurichten und eine Antragsinitiative auf den Weg zu bringen, die ein unmissverständliches Bekenntnis dazu und zum Kampf gegen den politischen Islam und religiösen Terror enthält.


Mit solidarischen Grüßen
Säkulare Linke Berlin (Landesarbeitsgemeinschaft in Gründung)